Hechtsommer
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Und doch verändert sich in diesem Sommer alles. Während Anna die Zeit anhalten will, versuchen Daniel und Lukas den Hecht zu fangen. Und hinter den heruntergelassenen Jalousien liegt Gisela, die Mutter der beiden, im Krankenzimmer und bekommt keine Luft. Wenn der Hecht gefangen ist, wird Mama wieder gesund, glaubt Daniel. Anna glaubt das nicht, aber Daniel und Lukas sind ihre Freunde. "Einer für alle und alle für einen", hat Gisela immer gesagt, und so soll es bleiben.
Hechtsommervon Jutta Richter
LESEPROBE
Es war so ein Sommer, der nicht aufhört. Und dass es unser letzter werdenwürde, hätte damals keiner geglaubt. Wir konnten es einfach nicht glauben.So wie wir uns auch nicht vorstellen konnten, dass es je wieder einen Wintergeben würde, einen Winter, bitterkalt mit richtigem Schnee und einerdicken Eisschicht auf dem Wassergraben. Es war so ein Sommer, der nichtaufhört. Er hatte im Mai angefangen.Die Sonne schien jeden Tag. Die Pfingstrosen setzten Knospen an, dieBlütenkerzen der Kastanienbäume explodierten über Nacht. Gelbleuchtete das Rapsfeld und hoch über uns zerschnitten die Mauersegler denunendlich tiefen Himmel. Nur das Wasser hatte noch seine Winterfarbe: schwarzund undurchsichtig, aber wenn wir uns lange genug über das steinerneBrückengeländer beugten, konnten wir doch die kleinen Rotfederfischeerkennen, die sich knapp unter dem Wasserspiegel sonnten.
»Wasseraugen«, sagte ich. »Vom langen Hingucken kriegt manWasseraugen.«
»Stimmt«, sagte Daniel.
»Und dann kann man durchgucken und den Grund sehen und da steht derHecht!«
Lukas war ganz aufgeregt und seine Stimme wurde hoch und laut.
»Na klar! Und wenn wir den Hecht sehen können, brauchen wir nur nocheine Angelschnur und Hechthaken.«
»Spinner«, sagte Daniel. »Senke brauchsteauch und Kescher!«
»Warum denn?«
»Die Senke für den Köderfisch und den Kescher zum Rausholen.Der Hecht reißt dir die Schnur durch, wenn du den hochziehenwillst.«
»Und wofür der Köderfisch?«, fragte Lukas.
»Zum Locken«, sagte Daniel und spuckte ins Wasser.
Neugierig schwammen die kleinen Rotfedern näher. Dann spritzten sieplötzlich auseinander und waren verschwunden.
»Da ist er!«, rief Lukas.
Und wirklich, eine Zehntelsekunde lang hatte auch ich, dicht unter derWasseroberfläche, den silbrigen Fischbauch erkannt, bevor der Hecht wiederhinunter schoss in die schwarze, undurchsichtige Tiefe. Über uns flattertekrächzend ein Dohlenschwarm und zwei Blesshühner trieben mitruckenden Kopfbewegungen unter der Brücke durch. Die Sonne machte denRücken ganz warm, und als das Wasser wieder glatt und ruhig war, sagteDaniel: »Den kriegen wir! Wer Wasseraugen hat, der kann auch Hechtefangen!«
Das Angeln war nicht erlaubt. An den Uferbäumen hingenSchilder: Angeln verboten. Jedes Zuwiderhandeln wird bestraft. DerEigentümer.
»Merkt der doch gar nicht!«, sagte Daniel.
»Und wenn der Graf vorbeikommt? Oder der Verwalter? Oder überhaupteiner?«, fragte Lukas.
»Mann, dann sitzen wir einfach nur auf der Brücke! Die Angelschnurist durchsichtig. Die Rolle passt in eine Hand! Faust machen, fertig!«
»Und was ist mit Mama? Mama will auch nicht, dass wir angeln!«,sagte Lukas.
Daniel sagte nichts mehr, sondern starrte ins schwarze Wasser.
Beim Verwalterhaus knallte ein Luftgewehrschuss und die Dohlen flogen lautschimpfend über das rote Ziegeldach.
Lukas rückte näher an mich ran.
»Weißt du, dass die Humpelhenne jetzt vier Küken hat?«,fragte er leise. »Die sind erst vorgestern ausgeschlüpft. Der Danielhat sie noch nicht gesehen, aber ich! Und Mama hat gesagt, dass sie mitkommt,und dann fängt sie eins für mich und dann darf ich es anfassen… Soll ich euch die Küken mal zeigen?«
Ich nickte.
»Komm, Alter! Dein Bruder zeigt uns die Humpelhennenküken!«
Daniel rührte sich nicht.
»Ich will keine Küken gucken«, murmelte er. »Ich willden Hecht! Küken gucken ist Babykacke!«
»Küken gucken ist Babykacke!«, äffte Lukas ihn nach.»Mein doofer Bruder will das nicht!«
Die Pfauenhenne hatte nur noch einen Fuß. Das war dieböse Erinnerung, die vom letzten Sommer übrig geblieben war. Undjedes Mal, wenn die Pfauenhenne über den Hof humpelte, musste ich an dieseGeschichte denken und ich schämte mich. Denn eigentlich war ich schuld,dass die Henne nur einen Fuß hatte. Schließlich war ich dieÄlteste. Gisela hatte ins Krankenhaus gemusst und ich hatte versprochen,dass ich mich kümmern würde. Nicht nur wie sonst, eine Stunde bei denHausaufgaben helfen. Nein, richtig kümmern, damit Daniel und Lukas nichtallein waren an den Nachmittagen, bis Peter von der Arbeit kam. Die Nachmittagewaren lang und wir vertrieben uns die Zeit bis zum Abend mit Rotfederfangen. Diekleinen dummen Rotfedern konnte man mit Brot anlocken. Am liebsten fraßensie Weißbrot, ganz frisches Weißbrot. Und davon war immer genug dain der Brottrommel in Giselas Küche. Peter trug nämlich jeden Abendein frisches Weißbrot in der Aktentasche nach Hause. Das hatte Gisela ihmaufgetragen, bevor sie losmusste.»Und vergiss nicht, den Jungen immer einBrot mitzubringen! Die sind hungrig nach der Schule! Und denk dran,Weißbrot essen sie am liebsten! Vergiss das nicht!«
Wahrscheinlich wäre Peter ziemlich sauer geworden, hätte er gewusst,dass wir die Hälfte seiner Weißbrote an die blöden Rotfedernverfütterten, aber er ahnte ja nichts. Im Gegenteil, abends freute er sichimmer, dass kein Krümel mehr da war. Ich hatte heimlich gegrinst undgedacht, wie dumm Väter doch sind, weil sie noch nicht mal wissen, dasszwei Jungen nie im Leben ein ganzes großes Weißbrot aufessenkönnen.
© Carl Hanser Verlag
Jutta Richter, geboren 1955, veröffentlichte noch als Schülerin ihr erstes Buch. Anschließend studierte sie Theologie, Germanistik und Publizistik in Münster. Seit 1978 lebt sie als freiberufliche Autorin im Münsterland. Neben vielen anderen Preisen erhielt sie 2001 den Deutschen Jugendliteraturpreis für "Der Tag, als ich lernte, die Spinnen zu zähmen" (2000) und 2005 den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis für Hechtsommer (2004). Bei Hanser erschienen außerdem u. a. das Weihnachtsbilderbuch Als ich Maria war (2010, mit Illustrationen von Jacky Gleich), Ich bin hier bloß der Hund (2011, mit Illustrationen von Hildegard Müller), Das Schiff im Baum (2012), Helden (2013), Abends will ich schlafen gehn (2014, illustriert von Aljoscha Blau), die Neuausgabe von Der Hund mit dem gelben Herzen (2015), Ich bin hier bloß das Kind (2016, mit Illustrationen von Hildegard Müller), sowie die Bilderbücher Otto war nicht begeistert (2017, illustriert von Jacky Gleich) und Endlich Schule! Eine Geschichte vom Großwerden, (2018, illustriert von Leonard Erlbruch). 2018 folgte mit Frau Wolle und der Duft von Schokolade der erste Band einer Kinderbuch-Trilogie mit Illustrationen von Günter Mattei, im Herbst 2019 erscheint der zweite Band: Frau Wolle und das Geheimnis der chinesischen Papierschirmchen.
Buchholz, Quint
Quint Buchholz, 1957 in Stolberg geboren, studierte Kunstgeschichte, später Malerei und Grafik an der Kunstakademie in München. Heute lebt er mit seiner Familie in Ottobrunn. Seit 1979 arbeitet er als Maler und Illustrator, seit 1988 illustriert er Kinder- und Jugendbücher und veröffentlicht eigene Geschichten. Er gehört zu den renommiertesten deutschen Buchillustratoren. Seine Motive sind auf Plakaten, Postkarten und CD-Covern ebenso zu finden wie in Kalendern und auf inzwischen mehreren hundert Buchumschlägen. Für Hanser hat er Bücher von Elke Heidenreich, Jostein Gaarder, David Grossman, Amos Oz, Roberto Piumini und Jutta Richter, aber
- Autor: Jutta Richter
- Altersempfehlung: 8 - 10 Jahre
- 2004, 128 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 21,7 cm, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205187
- ISBN-13: 9783446205185
- Erscheinungsdatum: 09.08.2004
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