Tote Hunde beißen nicht / Henning Bröhmann Bd.3
Bröhmann ermittelt wieder
Kommissar Bröhmann reist mit seinem Vater nach Berlin zur Beerdigung eines Kollegen. Dort kommt es zu einem Zwischenfall und Bröhmanns alter Herr verschwindet Der Kommissar geht der Sache nach und stößt auf eine Spur in die...
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Produktinformationen zu „Tote Hunde beißen nicht / Henning Bröhmann Bd.3 “
Kommissar Bröhmann reist mit seinem Vater nach Berlin zur Beerdigung eines Kollegen. Dort kommt es zu einem Zwischenfall und Bröhmanns alter Herr verschwindet Der Kommissar geht der Sache nach und stößt auf eine Spur in die Vergangenheit. In der Gegenwart sterben weiter Menschen - und Hunde!
Klappentext zu „Tote Hunde beißen nicht / Henning Bröhmann Bd.3 “
Der Tod ist ein Hesse.Kommissar Henning Bröhmann hat den Dienst noch nie sehr geliebt. Und er hat die Nase ziemlich voll: von der Provinz, den Kollegen, dem diktatorischen Vater. Mit dem reist er eines Tages nach Berlin: Beerdigung eines alten Kollegen von Bröhmann senior. Doch in der Hauptstadt geschieht etwas Unerwartetes, Schreckliches. Ein gewaltsamer Tod. Nein, zwei. Und kurz darauf ist der Vater verschwunden. Henning geht der Sache nach und kommt einer unschönen Geschichte auf die Spur.
Vor Jahrzehnten, als der Alte noch das Heft in der Hand hielt, verschwand ein Mann hinter Gittern und schwor Rache. Nun sterben in der Gegenwart Menschen. Und Hunde!
Der Tod ist ein Hesse.
Kommissar Henning Bröhmann hat den Dienst noch nie sehr geliebt. Und er hat die Nase ziemlich voll: von der Provinz, den Kollegen, dem diktatorischen Vater. Mit dem reist er eines Tages nach Berlin: Beerdigung eines alten Kollegen von Bröhmann senior. Doch in der Hauptstadt geschieht etwas Unerwartetes, Schreckliches. Ein gewaltsamer Tod. Nein, zwei. Und kurz darauf ist der Vater verschwunden. Henning geht der Sache nach und kommt einer unschönen Geschichte auf die Spur.
Vor Jahrzehnten, als der Alte noch das Heft in der Hand hielt, verschwand ein Mann hinter Gittern und schwor Rache. Nun sterben in der Gegenwart Menschen. Und Hunde!
Kommissar Henning Bröhmann hat den Dienst noch nie sehr geliebt. Und er hat die Nase ziemlich voll: von der Provinz, den Kollegen, dem diktatorischen Vater. Mit dem reist er eines Tages nach Berlin: Beerdigung eines alten Kollegen von Bröhmann senior. Doch in der Hauptstadt geschieht etwas Unerwartetes, Schreckliches. Ein gewaltsamer Tod. Nein, zwei. Und kurz darauf ist der Vater verschwunden. Henning geht der Sache nach und kommt einer unschönen Geschichte auf die Spur.
Vor Jahrzehnten, als der Alte noch das Heft in der Hand hielt, verschwand ein Mann hinter Gittern und schwor Rache. Nun sterben in der Gegenwart Menschen. Und Hunde!
Lese-Probe zu „Tote Hunde beißen nicht / Henning Bröhmann Bd.3 “
Tote Hunde beißen nicht von Dietrich FaberProlog
Ich finde es nicht gut, erschossen zu werden. Es ist dafür schlicht und ergreifend zu früh, und irgendwie ist es auch viel zu unvermittelt und unsympathisch. Auch wenn wir hier auf einem Friedhof sind und der Tod somit nicht fern liegt, so bleibe ich dabei, ich will es nicht. Ich will nicht sterben. Und schon gar nicht in Berlin. Wenn es schon so kommen muss, dann möge es doch bitte im Vogelsberg geschehen, von mir aus auch in der Wetterau, aber nicht hier. Um mich herum wird aufgeregt geschrien. Ich will auch schreien, doch es kommt kein Ton heraus. Nur die Knie zittern. Mein Vater liegt schon neben mir auf Boden und Bauch, ehe ich mich, da meine Knie nun endgültig nachgeben, zu ihm in die Waagrechte geselle. Eben gerade noch lauschten wir der Grabrede auf irgendeinen alten Berliner Polizisten, da knallte es. Ein Schuss, fürchte ich. Ich bin mit einem Mal ganz ruhig. Eine interessante Erfahrung: Wenn ich erschossen werde, bleibe ich also cool. Hätte man vorher nicht unbedingt gedacht. Ich hätte eher erwartet, dass ich in so einer Situation meinem Naturell gemäß zu lamentieren anfinge. Nun, da Selbstmitleid endlich einmal angebracht wäre, mag sich so gar keines einstellen. Schau mal einer an, ich bin also doch ein verdammt harter Hund. Jetzt müsste mich Franziska einmal sehen.
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... mehr
Nun wäre eigentlich zu erwarten, dass in meinem Kopf mein Leben wie ein Film abläuft oder so etwas Ähnliches. Tut es aber nicht. Vielleicht auch besser so. Spannend auch, dass ich im Sterben gar nicht meine Schusswunde spüre. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich gar keine habe. Dass ich gar nicht getroffen wurde. Aber ich habe eben doch so ein Zischen gespürt, ganz nah an meinem Körper. Ich öffne die Augen, blicke in den Himmel über Berlin. Ich drehe mich zur Seite und sehe meinen Vater dort liegen. Er liegt mit dem Rücken zu mir gedreht auf der Seite und atmet schwer. Gut, dass meine Mutter nicht mitgekommen ist. Dass sie das hier nicht sehen muss. «Papa», flüstere ich. «Papa, ist alles in Ordnung?» Langsam dreht er sich um. Wir sehen uns lange an und stellen fest, dass wir leben. Das beruhigt. Ungemein. Trotz aller familiären Spannungen. «Ein Arzt, ein Arzt, gibt es hier einen Arzt?», schreit plötzlich irgendein Mann in unmittelbarer Nähe. «Hat jemand den Notruf angerufen?» «Nicht nötig», sage ich. «Meinem Vater und mir geht es gut, wir sind unverletzt.» Da sehe ich, dass wenige Meter hinter uns einem Mann Blut aus dem Mund läuft.
Kapitel 1
Freundlich und gutgelaunt, ja nahezu beschwingt grüße ich alle Beamten, Wärter und sonstigen Angestellten der Justizvollzugsanstalt 3 Frankfurt-Preungesheim, die ich auf meinem langen Fußweg durch die weitläufigen Gänge zu Gesicht bekomme. Unzählige Türen werden für mich geöffnet und hinter mir wieder verschlossen. Jedes Mal bedanke ich mich höflich. «Büdde schön», murmelt ein untersetzter, fast kahlköpfiger Wärter und winkt mich durch eine weitere Tür. «Hey, das gübt's doch nüch, warte mal», ruft er mir hinterher. «Wenn das mal nüch der Bröhmannhenning ist?» Ich bleibe stehen und drehe mich um. «Ja?», frage ich leicht verunsichert nach. «Kennste mich nüch mehr?» «Nee, sorry, tut mir leid. Ich weiß jetzt nicht ...» «Ich bin's, der Böschi!» Der Böschi stiert mich mit erwartungsfrohen Augen und offenem Mund an. Dabei nickt er wild, als könne er meinem Gedächtnis mit dieser Geste auf die Sprünge helfen. «Der Böschi», ruft er noch mal. «Na? Klingelt's?» «Aaaach natürlich, der Böschi», trällere ich und weiß noch immer nicht, wer er ist. «Endlich», sagt der Böschi, «das wär ja auch ein Ding, wenn du dich nüch mehr an mich erinnern könntest, was?» «Ja wirklich, das wär ja ... also das wär ja ... nee, wirklich ...?», stottere ich. «Und was treibt dich hierher?» «Was?», rutscht es mir etwas zu schnell und hektisch heraus.
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«Haste ein Date hier mit einer von den Ladys?» «Hehe», mache ich und grinse. Die Situation wird mir langsam, aber sicher zu unangenehm. Bekannte zu treffen, die man nicht mehr erkennt, ist das eine. Ihnen hier und jetzt in diesem Etablissement zu begegnen ist das andere. «So, ich muss dann wirklich mal los, Bröschi, bin schon etwas zu ...» «Böschi!» «Was?» «Böschi, nicht Bröschi», korrigiert er mich ein wenig gekränkt. «Klar doch», sage ich und reiche meine Hand zum erhofften Abschied, doch stattdessen sagt er: «Komm, ich brüng dich hin. Haste jetzt ein Verhör?» «Ich?» «Na, wer denn sonst?!» «Ach so, jaja, so was in der Art. Aber ist wirklich nicht nötig, mich zu begleiten, ich kenne den Weg.» «Umso besser», bleibt der Böschi hartnäckig. «Ich arbeite erst seit letzter Woche hier. Da kennst du dich wahrscheinlich besser aus als ich, was?» Ich zucke mit den Schultern und antworte darauf nichts. Der Böschi blättert in einem dicken Schnellhefter herum, den er schon die ganze Zeit in seiner linken Hand hält. «Ich bin ja hauptsächlich für die Angehörigenbesucher zuständig », fährt er fort, «für die armen Säue, weißte, für alle, die hier ihre Mutter, Frau oder Tochter oder so besuchen müssen. Würklich unfassbar, dass Frauen Kinder in die Welt setzen und trotzdem krüminell werden. Da muss ich mich erst noch dran gewöhnen ... wie gesagt, bin ja noch neu hier.»
Verständnislos schüttelt er seinen dicken Kopf. «Wo hast du denn jetzt deine Befragung?» Während ich noch nach einer Antwort suche, ruft er plötzlich: «Das gibt's ja nüch!», und deutet auf eine Liste in seinem Schnellhefter. «Hier bei uns sitzt eine ein, die heißt auch Bröhmann. Das ist ja ein Zufall.» Zunächst lacht er, der Böschi, dann so ganz langsam, so nach und nach verebbt sein Lachen, und am Ende ist er stumm, der Böschi, und blickt mich nur noch sehr nachdenklich an. «Ja, ich weiß», sage ich. «Franziska Bröhmann, meine Frau, Totschlägerin im minder schweren Fall und die Mutter meiner beiden Kinder. Die treffe ich jetzt da drüben im Besucherraum. Tschüs, Böschi, mach's gut, wer immer du auch bist.» Ich lasse den Böschi mit offenem Mund da stehen, wo er ist, und gehe zielstrebig weiter. Heute habe ich mich allein aufgemacht, da unser Sohn Laurin sich an diesem Samstag auf einem F-Jugend-Fußballturnier abwechselnd von bildungsfernen Trainern und akademischen Fanmüttern anschreien lässt und Tochter Melina am Eröffnungshappening eines amerikanischen Hähnchenmüllrestaurants in Gießen teilnimmt. Sosehr diese Besuche Routine geworden sind, so unwirklich kommen sie noch immer daher. Schlappe fünf Prozent aller Häftlinge in Deutschland sind Frauen, und ausgerechnet meine eigene ist eine von ihnen. Inzwischen haben wir uns damit arrangiert. Was bleibt uns auch anderes übrig?
Es ist nun mal so, wie es ist. Am besten scheint Franziska selbst mit dieser Situation klarzukommen. Jedenfalls macht sie den Eindruck. In der Gefangenschaft wirkt sie befreiter als noch im letzten Jahr, bevor sie zur Polizei gegangen ist und alles gestanden hat. Sie hatte versucht, ein normales Leben zu führen, keine Frage. Ich auch, der sie dazu überredete, die Tat nicht zu gestehen. Für mich war sie nie schuld. Doch wen interessiert das schon? Ich gebe zu, ich bin nicht ganz objektiv, und als Polizeibeamter dürfte ich so etwas nicht einmal denken. Drei Jahre ohne Bewährung. Der Fall war längst abgeschlossen, sie hätte es nicht tun müssen.
Doch sie musste reinen Tisch machen. Für sich und für uns, ihre Familie. Davon abhalten konnte sie keiner, auch wenn sie wusste, dass sie ihre Kinder wieder alleine lassen würde. Das war der Preis, den sie zahlen musste, den wir alle zahlen müssen. Sie erzählte die ganze Wahrheit, bis auf ein winziges Detail: Mich als Mitwisser hielt sie aus der Sache raus, sodass ich weiter den Beruf des Hauptkommissars im Polizeirevier Alsfeld ausüben darf.
Beziehungsweise muss. «Hallo, du minder schwerer Fall», begrüße ich Franziska launignervös, setze mich ihr gegenüber an den kargen Holztisch und versuche, ihr tapfer in die Augen zu sehen. «Hast du die Säge dabei?», flüstert sie. «Nein, aber dafür das Heroin», scherze ich etwas zu bemüht zurück. Meist albern wir in dieser Art herum, wenn wir uns hier sehen. Das geht am einfachsten. So halten wir uns auf einem gut zu ertragenden Abstand, und es tut nicht ganz so weh. Wir geben uns sarkastisch, ironisch und manchmal auch zynisch, vor allem dann, wenn die Kinder nicht dabei sind. Wir lachen, blödeln, erzählen uns ungehemmt Nichtigkeiten und hatten lange nicht mehr so viel Spaß zusammen wie während meiner Besuche in der Justizvollzugsanstalt zu Frankfurt-Preungesheim.
Manchmal aber gelingt es nicht. Dann halten wir uns an den Händen, sehen aneinander vorbei und schweigen. «Und, freust du dich?», fragt sie mich nach einer dieser Gesprächspausen und lächelt angestrengt. «Auf was? Auf Berlin?» Franziska nickt. «Ja, auf Berlin an sich schon, auf meine Eltern im Gepäck allerdings weniger.» Man muss wissen, meine Eltern sind recht anstrengend. Vor allem, wenn sie im Doppelpack auftreten. Jeder für sich alleine ist es allerdings auch. «Das wird schon», macht mir Franziska Mut. «Melina und Laurin sind als Puffer doch auch dabei.» Meine inzwischen sechzehnjährige Tochter ist seit Tagen mit nichts anderem beschäftigt, als sich auf diesen Trip zu freuen. Wer mag es ihr verdenken? Sie lebt seit ihrer Geburt in einem sehr, sehr stillgelegten Kurort am Rande des sehr undicht besiedelten Vogelsbergs.
Da möchte sie auch einmal etwas anderes sehen als Wiesen, Felder, Felder und Wiesen. Auch der siebenjährige Laurin fiebert der Reise entgegen und freut sich besonders darauf, mit Prominenten aus Wachs fotografiert zu werden. «Und Berlusconi und Hitler kommen auch mit, oder? Dann müsst ihr unbedingt zum Olympiastadion, da wird sich Hitler doch ganz besonders freuen», switcht Franziska zurück in den Scherzmodus. «Charlie», korrigiere ich und hebe mahnend den Zeigefinger. «Er heißt Charlie, nicht Hitler.» «Du hast ihn doch immer so genannt.» «Jaja, ich weiß, aber ich reiß mich zusammen, wegen der Kinder.»
Das Problem: Berlusconis unehelicher Sohn sieht eben leider so aus. Er hat in der Mitte seiner flachen hellen Schnauze ein schwarzes Fleckchen, und die schwarzweiß gescheckte Stirn gleicht einer strengen Scheitelfrisur. Offiziell aber heißt unser Jüngster nun Charlie. Nach Charlie Chaplin. Ich schaue auf die Uhr. Noch zehn Minuten, dann ist die Zeit um. Dann steht Franziska auf und schlendert zurück in ihre Zelle, während bei uns die Sommerferien beginnen. «Ich bekomme Stressgefühle», klage ich, «wenn ich im Zusammenhang mit einer Bahnfahrt an meine Eltern, an zwei Hunde, an unsere Kinder und an die siebzehn Koffer meiner Mutter denke.» Franziska grüßt derweil eine Häftlingskollegin, die sich am Nebentisch zu einem Mann setzt, den ich bitte niemals nachts alleine im Parkhaus treffen möchte. In solchen Momenten fällt mir wieder ein, wo ich hier bin. Ich wiederhole meinen selbstmitleidigen letzten Satz und ernte erneut kein Mitgefühl. Eher werde ich subtil ausgelacht. «Du hast gut lachen. Machst dir hier in diesem Wellnesshotel für Schwerverbrecher ein schönes Leben und lässt mich mit der Großfamilie Bahn fahren.» Franziska grinst weiter. Ich hasse Bahn fahren. Wann immer es irgend möglich ist, benutze ich das Auto. Ökologie hin oder her. Das mag vor allem daran liegen, dass man im Vogelsberg im Nahverkehr die sogenannte Hessische Landesbahn, kurz HLB, zu benutzen hat.
Eine Bahn, die nicht selten von gehbehinderten Fußgängern überholt wird und alle drei Minuten mit quietschenden Bremsen an irgendeinem Misthaufen stoppt. Wenn neben so einem Misthaufen noch eine Gartenhütte und ein Schild zu erkennen sind, dann sprechen wir hier von einem Bahnhof. Doch auch das Bahnreisen per ICE in die große weite Welt versuche ich zu meiden. Das liegt nicht nur an der Bahn an sich, sondern vor allem an den Menschen. Es sind einfach zu viele auf zu engem Raum. Jedenfalls in der zweitklassigen Gesellschaft, zu der ich mich aufgrund meines eher mäßig bezahlten Polizeiberufes zählen muss.
Ich möchte aber weder Schulter an Schulter mit schwer atmenden Geschäftsmännern sitzen noch Knie an Knie mit rülpsenden Bundeswehrsoldaten. «Henning, hörst du mir überhaupt zu?», reißt mich meine Knastgattin aus den Gedanken. «Ja, klar», lüge ich, und dann ist die Zeit auch schon um. Wir verabschieden uns kurz und unaufgeregt, ehe ich zu meinem Auto zurückkehre, wenig später am Bad Homburger Kreuz im Stau stehe und mir dabei laut fluchend die Nachteile des Autofahrens bewusstmache. Es wird guttun, einmal etwas anderes zu sehen als die ewig gleichen oberhessischen Hügel. Diese Hügel, die ich seit meiner Geburt kenne. Man mag es mir kaum glauben, aber ich freue mich auf die Berliner Großstadthektik. Ich werde es genießen, nicht jeden Menschen, der mir entgegenkommt, grüßen zu müssen. Vergesse ich das hier nämlich einmal leichtfertig, wenn ich beispielsweise verträumt meinen Gedanken nachhänge, dann werde ich mit einem «Aahhh, der Herr Bröhmann kennt einen auch net mehr» aus gesicherter Entfernung abgestraft. Den Vogelsberg dauerhaft zu verlassen ist mir früher nicht in den Sinn gekommen. Doch in den letzten Monaten nahm dieser radikale Gedanke immer mehr Besitz von mir. Ich fühlte mich immer fest verankert in meiner Heimat, nun fühle ich mich eher festgehalten, fast gefangen. So wie Franziska. Nur anders. Warum nicht noch einmal ganz neu starten? Ich bin doch kein alter Mann, auch wenn ein Blick in den Rückspiegel deutlich macht, dass wieder ein paar Haare mehr Platz für Kopfhaut machen. Und Melina und Laurin würde das doch auch guttun, mal etwas komplett anderes zu erleben. Von Franziska ganz zu schweigen. Auf der Höhe der Raststätte Wetterau, noch immer im Stau stehend, klingelt mein Handy, das natürlich schon längst kein Handy mehr ist, sondern ein Smartphone. Mein Vater. «Hallo, Papa, na, freut ihr euch schon? Morgen geht's los, ne?» singsange ich ihn an. «Muss man jetzt schon hergehen und so gefühlsduselig mit mir reden, als sei ich ein seniler alter Mann?», bellt er zurück. Ich schweige. Auch davon habe ich die Schnauze voll.
Ich würde tatsächlich gerne einmal erleben, wie es sich anfühlt, mehr Abstand zu den Eltern zu haben, vor allem geographisch. Mein Vater war jahrelang Polizeipräsident in demselben Präsidium, in dem auch ich meine Arbeit verrichte. Heute ist er im Ruhestand, offiziell, auf dem Papier. Dass ich auch Polizist wurde, hat sich einfach so ergeben. Ich wusste schlicht nichts Besseres mit mir anzufangen und war zu träge, eine eigene Idee zu meiner Berufswahl zu entwickeln. Mein Vater hatte eine, und so fand ich mich, da es mir zu anstrengend war, mich zu wehren, in der Polizeischule wieder. Als ich kurz davor war, die Ausbildung hinzuschmeißen, wurde ich selber Vater, mit 24, und zog mit Franziska, die damals Lehramt studierte, in eine Doppelhaushälfte nach Bad Salzhausen, dem allerstillsten Stadtteil von Nidda.
So blieb ich der Polizei treu und wurde am Ende sogar noch Hauptkommissar, um nicht ein Leben lang mit Uniform durch die Gegend rennen zu müssen. Als Hauptkommissar darf ich mich zivil kleiden. «Ich wollte dich nur daran erinnern, Sohn, an die Reiseunterlagen zu denken. Nicht dass wir morgen ohne jene welche im Zug sitzen, nicht wahr?», brüllt mich mein Vater aus meinen Gedanken. Aufgrund seines Misstrauens allen kabellosen Telefonen gegenüber schreit er immer, wenn er mich am Handy hat. «Ja, klar denke ich dran», sage ich so leise wie möglich. «Ich muss die Tickets nur noch ausdrucken.» «Ausdrucken, ausdrucken! Kann man heutzutage nicht mehr hergehen und die Dokumente wie vernünftige Leute beim Bundesbahnschalter holen? Muss man die jetzt also auch schon wieder ... aus ... drucken? Das haut dann doch wieder vorn und hinten nicht hin.» Meinen Vater, den Polizeipräsidenten a.D., hatte es von Beginn an empfindlich gestört, dass er nicht die alleinige Reiseorganisation innehatte. Ich wollte mich aber selber um Tickets und Reservierung kümmern, da das ja auch mit den beiden Hunden irgendwie organisiert werden musste. Die früheren Familienurlaube mit meiner Mutter, meiner älteren Schwester Ulrike und mir waren stets generalstabsmäßig geplant. Ich blickte immer voller Neid auf meine Mitschüler, die sich in Rimini, Mallorca oder Ibiza sinnentleert von der Sonne verbrennen oder von Animateuren gängeln ließen, während wir spätgotische Kirchen im Schwarzwald besichtigten oder die Loreley erwanderten. Die Urlaube mit meinem Vater waren seit jeher Bildungsreisen, die für elfjährige Jungs natürlich eine geminderte Attraktivität haben.
Wir fuhren niemals ins Ausland, denn man muss ja erst einmal seine eigene Heimat kennenlernen, bevor man durch die Weltgeschichte juckelt, nicht wahr? «Und dann möchte ich um Pünktlichkeit bitten. Man muss ja nicht immer hergehen und alles auf den letzten Drücker machen, nicht wahr? Du weißt, wie nervös deine Mutter dann immer wird», legt mein Vater nach. Jaja. Wer da nervös wird, das weiß ich! «Ach, und Papa, über unsere Treffpunktszeit am Bahnhof wollte ich trotzdem noch mal mit euch reden. Ich finde, eine Stunde bevor der Zug kommt, schon etwas sehr früh, zumal wir schon um 7.46 Uhr starten ... Papa? Papa???» Doch der Herr Vater hat das Gespräch schon souverän beendet.
© 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Nun wäre eigentlich zu erwarten, dass in meinem Kopf mein Leben wie ein Film abläuft oder so etwas Ähnliches. Tut es aber nicht. Vielleicht auch besser so. Spannend auch, dass ich im Sterben gar nicht meine Schusswunde spüre. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich gar keine habe. Dass ich gar nicht getroffen wurde. Aber ich habe eben doch so ein Zischen gespürt, ganz nah an meinem Körper. Ich öffne die Augen, blicke in den Himmel über Berlin. Ich drehe mich zur Seite und sehe meinen Vater dort liegen. Er liegt mit dem Rücken zu mir gedreht auf der Seite und atmet schwer. Gut, dass meine Mutter nicht mitgekommen ist. Dass sie das hier nicht sehen muss. «Papa», flüstere ich. «Papa, ist alles in Ordnung?» Langsam dreht er sich um. Wir sehen uns lange an und stellen fest, dass wir leben. Das beruhigt. Ungemein. Trotz aller familiären Spannungen. «Ein Arzt, ein Arzt, gibt es hier einen Arzt?», schreit plötzlich irgendein Mann in unmittelbarer Nähe. «Hat jemand den Notruf angerufen?» «Nicht nötig», sage ich. «Meinem Vater und mir geht es gut, wir sind unverletzt.» Da sehe ich, dass wenige Meter hinter uns einem Mann Blut aus dem Mund läuft.
Kapitel 1
Freundlich und gutgelaunt, ja nahezu beschwingt grüße ich alle Beamten, Wärter und sonstigen Angestellten der Justizvollzugsanstalt 3 Frankfurt-Preungesheim, die ich auf meinem langen Fußweg durch die weitläufigen Gänge zu Gesicht bekomme. Unzählige Türen werden für mich geöffnet und hinter mir wieder verschlossen. Jedes Mal bedanke ich mich höflich. «Büdde schön», murmelt ein untersetzter, fast kahlköpfiger Wärter und winkt mich durch eine weitere Tür. «Hey, das gübt's doch nüch, warte mal», ruft er mir hinterher. «Wenn das mal nüch der Bröhmannhenning ist?» Ich bleibe stehen und drehe mich um. «Ja?», frage ich leicht verunsichert nach. «Kennste mich nüch mehr?» «Nee, sorry, tut mir leid. Ich weiß jetzt nicht ...» «Ich bin's, der Böschi!» Der Böschi stiert mich mit erwartungsfrohen Augen und offenem Mund an. Dabei nickt er wild, als könne er meinem Gedächtnis mit dieser Geste auf die Sprünge helfen. «Der Böschi», ruft er noch mal. «Na? Klingelt's?» «Aaaach natürlich, der Böschi», trällere ich und weiß noch immer nicht, wer er ist. «Endlich», sagt der Böschi, «das wär ja auch ein Ding, wenn du dich nüch mehr an mich erinnern könntest, was?» «Ja wirklich, das wär ja ... also das wär ja ... nee, wirklich ...?», stottere ich. «Und was treibt dich hierher?» «Was?», rutscht es mir etwas zu schnell und hektisch heraus.
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«Haste ein Date hier mit einer von den Ladys?» «Hehe», mache ich und grinse. Die Situation wird mir langsam, aber sicher zu unangenehm. Bekannte zu treffen, die man nicht mehr erkennt, ist das eine. Ihnen hier und jetzt in diesem Etablissement zu begegnen ist das andere. «So, ich muss dann wirklich mal los, Bröschi, bin schon etwas zu ...» «Böschi!» «Was?» «Böschi, nicht Bröschi», korrigiert er mich ein wenig gekränkt. «Klar doch», sage ich und reiche meine Hand zum erhofften Abschied, doch stattdessen sagt er: «Komm, ich brüng dich hin. Haste jetzt ein Verhör?» «Ich?» «Na, wer denn sonst?!» «Ach so, jaja, so was in der Art. Aber ist wirklich nicht nötig, mich zu begleiten, ich kenne den Weg.» «Umso besser», bleibt der Böschi hartnäckig. «Ich arbeite erst seit letzter Woche hier. Da kennst du dich wahrscheinlich besser aus als ich, was?» Ich zucke mit den Schultern und antworte darauf nichts. Der Böschi blättert in einem dicken Schnellhefter herum, den er schon die ganze Zeit in seiner linken Hand hält. «Ich bin ja hauptsächlich für die Angehörigenbesucher zuständig », fährt er fort, «für die armen Säue, weißte, für alle, die hier ihre Mutter, Frau oder Tochter oder so besuchen müssen. Würklich unfassbar, dass Frauen Kinder in die Welt setzen und trotzdem krüminell werden. Da muss ich mich erst noch dran gewöhnen ... wie gesagt, bin ja noch neu hier.»
Verständnislos schüttelt er seinen dicken Kopf. «Wo hast du denn jetzt deine Befragung?» Während ich noch nach einer Antwort suche, ruft er plötzlich: «Das gibt's ja nüch!», und deutet auf eine Liste in seinem Schnellhefter. «Hier bei uns sitzt eine ein, die heißt auch Bröhmann. Das ist ja ein Zufall.» Zunächst lacht er, der Böschi, dann so ganz langsam, so nach und nach verebbt sein Lachen, und am Ende ist er stumm, der Böschi, und blickt mich nur noch sehr nachdenklich an. «Ja, ich weiß», sage ich. «Franziska Bröhmann, meine Frau, Totschlägerin im minder schweren Fall und die Mutter meiner beiden Kinder. Die treffe ich jetzt da drüben im Besucherraum. Tschüs, Böschi, mach's gut, wer immer du auch bist.» Ich lasse den Böschi mit offenem Mund da stehen, wo er ist, und gehe zielstrebig weiter. Heute habe ich mich allein aufgemacht, da unser Sohn Laurin sich an diesem Samstag auf einem F-Jugend-Fußballturnier abwechselnd von bildungsfernen Trainern und akademischen Fanmüttern anschreien lässt und Tochter Melina am Eröffnungshappening eines amerikanischen Hähnchenmüllrestaurants in Gießen teilnimmt. Sosehr diese Besuche Routine geworden sind, so unwirklich kommen sie noch immer daher. Schlappe fünf Prozent aller Häftlinge in Deutschland sind Frauen, und ausgerechnet meine eigene ist eine von ihnen. Inzwischen haben wir uns damit arrangiert. Was bleibt uns auch anderes übrig?
Es ist nun mal so, wie es ist. Am besten scheint Franziska selbst mit dieser Situation klarzukommen. Jedenfalls macht sie den Eindruck. In der Gefangenschaft wirkt sie befreiter als noch im letzten Jahr, bevor sie zur Polizei gegangen ist und alles gestanden hat. Sie hatte versucht, ein normales Leben zu führen, keine Frage. Ich auch, der sie dazu überredete, die Tat nicht zu gestehen. Für mich war sie nie schuld. Doch wen interessiert das schon? Ich gebe zu, ich bin nicht ganz objektiv, und als Polizeibeamter dürfte ich so etwas nicht einmal denken. Drei Jahre ohne Bewährung. Der Fall war längst abgeschlossen, sie hätte es nicht tun müssen.
Doch sie musste reinen Tisch machen. Für sich und für uns, ihre Familie. Davon abhalten konnte sie keiner, auch wenn sie wusste, dass sie ihre Kinder wieder alleine lassen würde. Das war der Preis, den sie zahlen musste, den wir alle zahlen müssen. Sie erzählte die ganze Wahrheit, bis auf ein winziges Detail: Mich als Mitwisser hielt sie aus der Sache raus, sodass ich weiter den Beruf des Hauptkommissars im Polizeirevier Alsfeld ausüben darf.
Beziehungsweise muss. «Hallo, du minder schwerer Fall», begrüße ich Franziska launignervös, setze mich ihr gegenüber an den kargen Holztisch und versuche, ihr tapfer in die Augen zu sehen. «Hast du die Säge dabei?», flüstert sie. «Nein, aber dafür das Heroin», scherze ich etwas zu bemüht zurück. Meist albern wir in dieser Art herum, wenn wir uns hier sehen. Das geht am einfachsten. So halten wir uns auf einem gut zu ertragenden Abstand, und es tut nicht ganz so weh. Wir geben uns sarkastisch, ironisch und manchmal auch zynisch, vor allem dann, wenn die Kinder nicht dabei sind. Wir lachen, blödeln, erzählen uns ungehemmt Nichtigkeiten und hatten lange nicht mehr so viel Spaß zusammen wie während meiner Besuche in der Justizvollzugsanstalt zu Frankfurt-Preungesheim.
Manchmal aber gelingt es nicht. Dann halten wir uns an den Händen, sehen aneinander vorbei und schweigen. «Und, freust du dich?», fragt sie mich nach einer dieser Gesprächspausen und lächelt angestrengt. «Auf was? Auf Berlin?» Franziska nickt. «Ja, auf Berlin an sich schon, auf meine Eltern im Gepäck allerdings weniger.» Man muss wissen, meine Eltern sind recht anstrengend. Vor allem, wenn sie im Doppelpack auftreten. Jeder für sich alleine ist es allerdings auch. «Das wird schon», macht mir Franziska Mut. «Melina und Laurin sind als Puffer doch auch dabei.» Meine inzwischen sechzehnjährige Tochter ist seit Tagen mit nichts anderem beschäftigt, als sich auf diesen Trip zu freuen. Wer mag es ihr verdenken? Sie lebt seit ihrer Geburt in einem sehr, sehr stillgelegten Kurort am Rande des sehr undicht besiedelten Vogelsbergs.
Da möchte sie auch einmal etwas anderes sehen als Wiesen, Felder, Felder und Wiesen. Auch der siebenjährige Laurin fiebert der Reise entgegen und freut sich besonders darauf, mit Prominenten aus Wachs fotografiert zu werden. «Und Berlusconi und Hitler kommen auch mit, oder? Dann müsst ihr unbedingt zum Olympiastadion, da wird sich Hitler doch ganz besonders freuen», switcht Franziska zurück in den Scherzmodus. «Charlie», korrigiere ich und hebe mahnend den Zeigefinger. «Er heißt Charlie, nicht Hitler.» «Du hast ihn doch immer so genannt.» «Jaja, ich weiß, aber ich reiß mich zusammen, wegen der Kinder.»
Das Problem: Berlusconis unehelicher Sohn sieht eben leider so aus. Er hat in der Mitte seiner flachen hellen Schnauze ein schwarzes Fleckchen, und die schwarzweiß gescheckte Stirn gleicht einer strengen Scheitelfrisur. Offiziell aber heißt unser Jüngster nun Charlie. Nach Charlie Chaplin. Ich schaue auf die Uhr. Noch zehn Minuten, dann ist die Zeit um. Dann steht Franziska auf und schlendert zurück in ihre Zelle, während bei uns die Sommerferien beginnen. «Ich bekomme Stressgefühle», klage ich, «wenn ich im Zusammenhang mit einer Bahnfahrt an meine Eltern, an zwei Hunde, an unsere Kinder und an die siebzehn Koffer meiner Mutter denke.» Franziska grüßt derweil eine Häftlingskollegin, die sich am Nebentisch zu einem Mann setzt, den ich bitte niemals nachts alleine im Parkhaus treffen möchte. In solchen Momenten fällt mir wieder ein, wo ich hier bin. Ich wiederhole meinen selbstmitleidigen letzten Satz und ernte erneut kein Mitgefühl. Eher werde ich subtil ausgelacht. «Du hast gut lachen. Machst dir hier in diesem Wellnesshotel für Schwerverbrecher ein schönes Leben und lässt mich mit der Großfamilie Bahn fahren.» Franziska grinst weiter. Ich hasse Bahn fahren. Wann immer es irgend möglich ist, benutze ich das Auto. Ökologie hin oder her. Das mag vor allem daran liegen, dass man im Vogelsberg im Nahverkehr die sogenannte Hessische Landesbahn, kurz HLB, zu benutzen hat.
Eine Bahn, die nicht selten von gehbehinderten Fußgängern überholt wird und alle drei Minuten mit quietschenden Bremsen an irgendeinem Misthaufen stoppt. Wenn neben so einem Misthaufen noch eine Gartenhütte und ein Schild zu erkennen sind, dann sprechen wir hier von einem Bahnhof. Doch auch das Bahnreisen per ICE in die große weite Welt versuche ich zu meiden. Das liegt nicht nur an der Bahn an sich, sondern vor allem an den Menschen. Es sind einfach zu viele auf zu engem Raum. Jedenfalls in der zweitklassigen Gesellschaft, zu der ich mich aufgrund meines eher mäßig bezahlten Polizeiberufes zählen muss.
Ich möchte aber weder Schulter an Schulter mit schwer atmenden Geschäftsmännern sitzen noch Knie an Knie mit rülpsenden Bundeswehrsoldaten. «Henning, hörst du mir überhaupt zu?», reißt mich meine Knastgattin aus den Gedanken. «Ja, klar», lüge ich, und dann ist die Zeit auch schon um. Wir verabschieden uns kurz und unaufgeregt, ehe ich zu meinem Auto zurückkehre, wenig später am Bad Homburger Kreuz im Stau stehe und mir dabei laut fluchend die Nachteile des Autofahrens bewusstmache. Es wird guttun, einmal etwas anderes zu sehen als die ewig gleichen oberhessischen Hügel. Diese Hügel, die ich seit meiner Geburt kenne. Man mag es mir kaum glauben, aber ich freue mich auf die Berliner Großstadthektik. Ich werde es genießen, nicht jeden Menschen, der mir entgegenkommt, grüßen zu müssen. Vergesse ich das hier nämlich einmal leichtfertig, wenn ich beispielsweise verträumt meinen Gedanken nachhänge, dann werde ich mit einem «Aahhh, der Herr Bröhmann kennt einen auch net mehr» aus gesicherter Entfernung abgestraft. Den Vogelsberg dauerhaft zu verlassen ist mir früher nicht in den Sinn gekommen. Doch in den letzten Monaten nahm dieser radikale Gedanke immer mehr Besitz von mir. Ich fühlte mich immer fest verankert in meiner Heimat, nun fühle ich mich eher festgehalten, fast gefangen. So wie Franziska. Nur anders. Warum nicht noch einmal ganz neu starten? Ich bin doch kein alter Mann, auch wenn ein Blick in den Rückspiegel deutlich macht, dass wieder ein paar Haare mehr Platz für Kopfhaut machen. Und Melina und Laurin würde das doch auch guttun, mal etwas komplett anderes zu erleben. Von Franziska ganz zu schweigen. Auf der Höhe der Raststätte Wetterau, noch immer im Stau stehend, klingelt mein Handy, das natürlich schon längst kein Handy mehr ist, sondern ein Smartphone. Mein Vater. «Hallo, Papa, na, freut ihr euch schon? Morgen geht's los, ne?» singsange ich ihn an. «Muss man jetzt schon hergehen und so gefühlsduselig mit mir reden, als sei ich ein seniler alter Mann?», bellt er zurück. Ich schweige. Auch davon habe ich die Schnauze voll.
Ich würde tatsächlich gerne einmal erleben, wie es sich anfühlt, mehr Abstand zu den Eltern zu haben, vor allem geographisch. Mein Vater war jahrelang Polizeipräsident in demselben Präsidium, in dem auch ich meine Arbeit verrichte. Heute ist er im Ruhestand, offiziell, auf dem Papier. Dass ich auch Polizist wurde, hat sich einfach so ergeben. Ich wusste schlicht nichts Besseres mit mir anzufangen und war zu träge, eine eigene Idee zu meiner Berufswahl zu entwickeln. Mein Vater hatte eine, und so fand ich mich, da es mir zu anstrengend war, mich zu wehren, in der Polizeischule wieder. Als ich kurz davor war, die Ausbildung hinzuschmeißen, wurde ich selber Vater, mit 24, und zog mit Franziska, die damals Lehramt studierte, in eine Doppelhaushälfte nach Bad Salzhausen, dem allerstillsten Stadtteil von Nidda.
So blieb ich der Polizei treu und wurde am Ende sogar noch Hauptkommissar, um nicht ein Leben lang mit Uniform durch die Gegend rennen zu müssen. Als Hauptkommissar darf ich mich zivil kleiden. «Ich wollte dich nur daran erinnern, Sohn, an die Reiseunterlagen zu denken. Nicht dass wir morgen ohne jene welche im Zug sitzen, nicht wahr?», brüllt mich mein Vater aus meinen Gedanken. Aufgrund seines Misstrauens allen kabellosen Telefonen gegenüber schreit er immer, wenn er mich am Handy hat. «Ja, klar denke ich dran», sage ich so leise wie möglich. «Ich muss die Tickets nur noch ausdrucken.» «Ausdrucken, ausdrucken! Kann man heutzutage nicht mehr hergehen und die Dokumente wie vernünftige Leute beim Bundesbahnschalter holen? Muss man die jetzt also auch schon wieder ... aus ... drucken? Das haut dann doch wieder vorn und hinten nicht hin.» Meinen Vater, den Polizeipräsidenten a.D., hatte es von Beginn an empfindlich gestört, dass er nicht die alleinige Reiseorganisation innehatte. Ich wollte mich aber selber um Tickets und Reservierung kümmern, da das ja auch mit den beiden Hunden irgendwie organisiert werden musste. Die früheren Familienurlaube mit meiner Mutter, meiner älteren Schwester Ulrike und mir waren stets generalstabsmäßig geplant. Ich blickte immer voller Neid auf meine Mitschüler, die sich in Rimini, Mallorca oder Ibiza sinnentleert von der Sonne verbrennen oder von Animateuren gängeln ließen, während wir spätgotische Kirchen im Schwarzwald besichtigten oder die Loreley erwanderten. Die Urlaube mit meinem Vater waren seit jeher Bildungsreisen, die für elfjährige Jungs natürlich eine geminderte Attraktivität haben.
Wir fuhren niemals ins Ausland, denn man muss ja erst einmal seine eigene Heimat kennenlernen, bevor man durch die Weltgeschichte juckelt, nicht wahr? «Und dann möchte ich um Pünktlichkeit bitten. Man muss ja nicht immer hergehen und alles auf den letzten Drücker machen, nicht wahr? Du weißt, wie nervös deine Mutter dann immer wird», legt mein Vater nach. Jaja. Wer da nervös wird, das weiß ich! «Ach, und Papa, über unsere Treffpunktszeit am Bahnhof wollte ich trotzdem noch mal mit euch reden. Ich finde, eine Stunde bevor der Zug kommt, schon etwas sehr früh, zumal wir schon um 7.46 Uhr starten ... Papa? Papa???» Doch der Herr Vater hat das Gespräch schon souverän beendet.
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Autoren-Porträt von Dietrich Faber
Dietrich Faber wurde 1969 geboren. Bekannt wurde er als ein Teil des mehrfach preisgekrönten Kabarett-Duos FaberhaftGuth.Bereits sein erster Roman «Toter geht´s nicht» schaffte es auf Anhieb auf die Bestsellerliste. Die Lesungen und Buchshows zu seinen Romanen um den wenig charismatischen Kommissar Bröhmann wurden zu Bühnenereignissen. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Mittelhessenmetropole Gießen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dietrich Faber
- 2014, 3. Aufl., 288 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499267608
- ISBN-13: 9783499267604
- Erscheinungsdatum: 01.03.2014
Rezension zu „Tote Hunde beißen nicht / Henning Bröhmann Bd.3 “
Eine tolle Mischung aus Komik und Ernst. Und: Faber verzichtet bei all seinen Pointen und Wendungen nicht auf Tiefgang. FAZ.NET
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