Herz Dame
Ein irrer Serienmörder trifft Paris mitten ins Herz. Und macht Kommissar Martin das Leben schwer.
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Ein irrer Serienmörder trifft Paris mitten ins Herz. Und macht Kommissar Martin das Leben schwer.
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Ein irrer Serienmörder trifft Paris mitten ins Herz - und macht Kommissar Martin das Leben schwer. Dabei hat dieser schon genug Sorgen mit seinem Privatleben. Erst als Roselyn, eine Angestellte seiner Ex-Frau, nicht mehr zur Arbeit erscheint und die Freundin des Kommissars, die Journalistin Marion, spurlos verschwindet, schwant dem Kommissar, dass es einen tödlichen Zusammenhang gibt zwischen seinem ganz privaten Wahnsinn und seinem schwierigsten Fall ...Kapitel 4
Als Martin am Tatort eintraf, machten sich die Spurensicherung und ein junger Praktikant von der Gerichtsmedizin an der Leiche zu schaffen. An beiden Enden der Seitenstraße forderten Polizisten in Uniform die Gaffer auf weiter zu gehen.
Das Opfer ruhte am Fuße einer grauen unebenen Mauer, eine junge brünette Frau, genauer: eine eben noch junge brünette Frau mit bleicher Haut und langem Haar.
Martin korrigierte sich selbst. Nein, sie ruhte nicht, ihre Haltung hatte weder etwas Endgültiges noch Entspanntes. Sie lag auf der linken Seite, den linken Arm nach hinten geworfen, den rechten senkrecht zum Oberkörper ausgestreckt, die Beine halb angewinkelt, es sah aus, als stellte sie eine hektische Laufbewegung nach. Doch es war purer Schein, denn sie hatte nicht einmal die Zeit gehabt für den Versuch, ihrem Mörder zu entkommen.
Einen Schuh hatte sie verloren, er lag einen knappen Meter von ihrem Körper entfernt, der zweite saß noch am Fuß, ein eleganter Pumps mit dünnem Absatz.
Ihr gerade geschnittener Rock aus braunem Stoff war bis auf halbe Höhe der Schenkel gerutscht, sie trug keine Strümpfe. Ihre schlanken, wohl geformten Beine waren leicht gebräunt, sie wirkten noch immer lebendig, dabei würden sie nie mehr gehen oder rennen. Das Blut in diesem jungen Körper, der noch Jahrzehnte hätte leben können, hatte aufgehört zu zirkulieren. Und selbst wenn er lebendig wirkte, so hatte die Zersetzung bereits begonnen.
Sie trug eine Halskette aus massiven Kettengliedern, Gold oder ein Goldimitat,
... mehr
ferner zwei goldene Armreifen am rechten Handgelenk und am linken eine kleine goldene Uhr. Am linken Ringfinger waren ein Brillantring und ein goldener Ehering zu erkennen.
Verlobung und Hochzeit mussten für diese Frau einen besonderen Stellenwert gehabt haben. Und doch hatte sie ein gewisses verführerisches Charisma und eine dezent erotische Ausstrahlung. Ein feines Goldkettchen zierte ihr linkes Fußgelenk.
Der geöffnete Mund ließ schöne gerade Zähne mit feinem Zahnschmelz und eine weiße Zungenspitze erkennen. Ihre Augen waren geschlossen, was Martin seltsam erleichterte, denn in den Augen der Toten erahnte er meist düstere Botschaften, die er nicht gern entschlüsselte, aus Angst, darauf nicht antworten zu können.
Am Hals der Frau war eine Blutspur zu sehen, das Blut hatte zu gerinnen begonnen. Es verklebte die braunen Haarsträhnen des Opfers, rann durch Pflastersteinfugen, verschwand unter Mülltonnen und mündete gut zwei Meter entfernt in eine dicke schwarze Pfütze.
Die Vertreterin des Staatsanwalts, eine hoch gewachsene junge Frau mit flachen Absätzen, trat zu ihm an die Leiche und hielt ihre schwarze Aktentasche wie einen Schild an ihren Körper gepresst. Es war eine Neue, die Martin noch nicht kannte. Sie sah überall hin, nur nicht auf die Tote. Schließlich überwand sie ihre Angst, und ihr Gesicht verfärbte sich grün, als sie endlich auf die Leiche blickte. Sie trat von einem Bein aufs andere und ging erleichtert zur Seite, als Martin ihr sagte, er werde sich um alles kümmern und sie anrufen, sobald die ersten Untersuchungsergebnisse vorlägen.
"Sie ist hier getötet worden", sagte der junge Mitarbeiter von der Spurensicherung im Brustton der Überzeugung. "Sie ist noch ein paar Schritte gegangen und dann zusammengebrochen. Sie wurde nicht hierher gebracht."
"Können Sie sagen, wann sie gestorben ist?", fragte Martin und tauschte einen kurzen Blick mit Jeannette, seiner Mitarbeiterin, die er den ganzen Tag nicht gesehen hatte.
"Achtzehn Uhr, nicht früher", sagte der junge Mann ebenso bestimmt. "Der Pfeil hat ihre Jochvene getroffen."
"Was für ein Pfeil?"
Stolz hielt ihm ein anderer junger Mann mit schönen braunen Locken einen Plastikbeutel entgegen, der innen mit Blut beschmiert war und einen kurzen, offenbar metallenen Pfeil enthielt. Kein Pfeil, dachte Martin, das ist der Bolzen einer Armbrust samt Metallspitze, Letztere leicht verbogen.
"Wer hat Ihnen gestattet, diesen Gegenstand zu entfernen, bevor ich da bin?", fragte er, nur mühsam konnte er seinen Ärger beherrschen.
Der junge Mann schluckte und wies auf einen weißen Kreidekreis, der sich ein Stück entfernt, am Fuß der Mauer, abzeichnete.
"Er lag da hinten, ich dachte nicht, dass ..."
Martin war wütend. So ein Volltrottel! Wortlos drehte er sich um. Dummheit war kein Privileg von Gaunern, das hatte sich mal wieder bestätigt. Er nahm sich vor, es Bélier, der Chefin der Gerichtsmedizin, zu melden, Pech, wenn der junge Mann deswegen nicht befördert wurde.
Jeanne, seine Mitarbeiterin, die alle Jeannette nannten, reichte ihm die Handtasche, die bei dem Opfer gefunden worden war.
"Eine Sekunde", sagte er und zog Plastikhandschuhe an.
In der roten Handtasche befanden sich ein Terminkalender aus dunkelrotem Krokodilleder, ein Portemonnaie aus demselben Material, eine Tablettenschachtel, ein Fahrausweis, ein Schminktäschchen, ein winziges Adressbuch, engzeilig beschrieben und kaum lesbar, ein Roman von Muriel Spark in einer Taschenbuchausgabe, ein eingeschaltetes Mobiltelefon, zwei Schlüsselbunde - einer davon für den Wagen -, ein Lippenstift, ein paar mehr oder weniger zerknitterte Zettel, zwei Konzertkarten, der Kassenbeleg für ein Paar Schuhe (die, welche sie anhatte?), Kleingeld, ein Abholzettel für Fotos und eine kleine rechteckige Mappe aus Leder mit Visitenkarten auf den Namen Armelle Desplèche.
In dem Portemonnaie befanden sich eine Kreditkarte, ein Personalausweis und ein Führerschein auf denselben Namen, eine Sammelkarte fürs Schwimmbad, das Foto eines Säuglings, sechzig Euro in glatten neuen Zwanzigerscheinen, wahrscheinlich frisch aus dem Automaten, die Quittung über die sechzig Euro, zwei Visitenkarten mit verschiedenen Namen, Namen von zwei verschiedenen Männern und deren jeweiligen Arbeitgebern.
"Diebstahl wird kaum das Motiv für das Verbrechen gewesen sein", bemerkte Jeannette.
"Seit wann bringt ein Dieb seine Opfer mit einem Armbrustbolzen um?", sagte Martin.
Die Autopsie sollte am nächsten Tag stattfinden, doch er war sich so gut wie sicher, dass dabei wenig herauskommen würde. Die Frau war vermutlich weder vergewaltigt noch misshandelt worden, denn ein Vergewaltiger bringt Frauen ebenso wenig wie ein Dieb mit einer Armbrust um. Seit mehreren hundert Jahren, dachte Martin, bedient sich niemand mehr einer Armbrust, um seinen Nächsten ins Jenseits zu befördern.
Trotz der milden Luft war Martin plötzlich kalt.
Er zog einen Plan des Stadtviertels aus der Tasche. Die junge Frau wohnte hundert Meter von der Stelle entfernt, an der sie umgebracht worden war. Die enge Straße, in der man sie gefunden hatte, lag auf dem kürzesten Weg zwischen dem Ausgang der Metro und ihrer Wohnung, das bedeutete, dass der Mörder auf sie gewartet hatte. Sie war gejagt und getötet worden wie ein Tier.
Nachdem Martin dies festgestellt hatte, begann er, sich das Szenario vorzustellen.
Sie war in die Straße eingebogen, als der Mörder sie von vorn überrascht hatte. Eine Armbrust mit einer Reichweite von fünfzig Metern, aber Martin hätte wetten können, dass der Mörder ein kleineres Modell benutzt hatte, denn der Bolzen war nicht länger als fünfzehn Zentimeter.
Der Mörder - Martin war sicher, dass es sich um einen Mann handelte - konnte höchstens zehn Meter von seinem Ziel entfernt gewesen sein. Martin wusste das so genau, weil er vor Jahren mit verschiedenen Waffen trainiert hatte und sich noch erinnerte, dass eine Armbrust an Präzision zu wünschen übrig lässt, selbst wenn der Schütze viel Geschick an den Tag legt.
Martin trat auf die Gasse und zählte die Schritte, dann sah er sich um. Zehn Meter von der Leiche entfernt befand sich ein überdachter Hauseingang. Er versuchte die Tür aufzustoßen, doch sie bewegte sich nicht. Das Gebäude war verschlossen, und ein an der Tür befestigter Hinweis besagte, dass es bei Strafe verboten war, das Gebäude zu betreten. Der Mann hatte sich womöglich am Hauseingang untergestellt, aber was hatte er anschließend getan? Auf dem grauen Pflaster Fußspuren finden zu wollen war vergeblich, trotzdem winkte er einen Mann von der Spurensicherung herbei.
Er bat ihn um einen Bleistift, lehnte sich gegen das Holz der Eingangstür und wies mit dem Stift auf die Leiche. Er hätte seine Dienstpistole nehmen können, doch damit hätte er womöglich einen Moment der Unruhe ausgelöst.
Dann glaubte er, Opfer einer Halluzination zu sein. Direkt hinter der Stelle, an der die Frau gestürzt war, war mit groben Strichen eine Gestalt, oder besser: ein Oberkörper, auf die Wand gemalt.
Jeannette sah Martin erstaunt an und wagte nicht zu fragen, warum er die unregelmäßige Oberfläche der Wand so intensiv betrachtete.
"Siehst du denn nichts?", fragte er.
Sie trat näher an die Mauer heran.
"Meinst du die weißen Spuren da? Sieht aus wie Kreide."
"Sieh sie dir mal von der Türschwelle aus an und sag mir, was du davon hältst."
An der Schwelle angekommen, nickte sie und hob den Daumen.
Als sie zurückkam, zeigte ihr Martin kleine helle Einschläge in der Wand, etwa einen Meter fünfzig über dem Boden, auf Höhe des Halses der Kreidefigur.
"Verflucht, der hat geübt, bevor er sie getötet hat", sagte sie fassungslos.
Der Kommissar nickte. "Du weißt, was zu tun ist", entgegnete er. "Du nimmst dir Olivier, Renard und Dobrinsky. Ihr fangt sofort an, die Umgebung zu untersuchen. Ich geh inzwischen zu ihr nach Hause."
Kapitel 5
Es war der Ehemann des Opfers, der ihm die Tür öffnete. Wenn man Martin gefragt hätte, was die schlimmste Seite seines Berufs sei, hätte er geantwortet, es gebe so viele, dass er keine nennen könne. Zu erleben, wie ein Mörder davonkommt? Bei der Autopsie eines misshandelten Kindes dabei sein? Indes, wenn er näher über die Frage nachdachte, musste er zugeben, dass es das Schlimmste für ihn war, nahen Angehörigen eines Opfers gegenüberzustehen und ihnen die Nachricht zu überbringen. Jedes Mal hatte er den Eindruck, mitschuldig zu sein am Tod eines Menschen. Und womöglich speiste sich aus diesem tieferen Grund sein Hass auf Mörder.
Der Mann brach völlig zusammen, und Martin musste ihn zum Sofa tragen, bevor er den Krankenwagen rief. Er wartete neben ihm und hielt ihm die Hand, bis Hilfe kam, und noch als der Mann ins Krankenhaus fuhr, war er in einem Zustand tiefer Niedergeschlagenheit und völlig erstarrt.
Der Rettungswagen war noch nicht um die Ecke verschwunden, da hatte Martin schon begonnen, systematisch die Wohnungseinrichtung zu untersuchen. Wäre ihm dabei ein viel versprechendes Indiz in die Hände gefallen, so hätte er es wegen dieser illegalen Hausdurchsuchung ohne Zeugen gar nicht verwenden dürfen, andererseits konnte eine solche Entdeckung - und wenn sie noch so unbedeutend war - die Ermittlungen auf die richtige Spur bringen. Oder aber sie in eine vollkommen falsche Richtung lenken.
Der Ehemann arbeitete in einem renommierten Architekturbüro, seine Frau, das Opfer, war Produktionsassistentin in einer Produktionsfirma für Filme und sonstige Formen audiovisueller Sendungen. Wenn man sich an die Fotos hielt, die in der Toilette hingen, waren die beiden begeisterte Skilangläufer, doch nirgends war ein Anhaltspunkt für die Existenz eines Kindes zu finden. Martin machte sich einige Notizen, er durfte nicht herauszufinden vergessen, um welches Baby es sich bei dem Foto im Portemonnaie der Frau handelte.
Die Bibliothek setzte sich aus einer ansehnlichen Menge Bücher zusammen, vor allem Reiseberichte und Werke über moderne und klassische Architektur, Kochbücher, Kunstbände sowie diverse Enzyklopädien und Filmlexika. Und es fanden sich Branchenverzeichnisse der neueren Film- und Videoproduktion, darunter zwei dicke, die bereits zwei Jahre alt und an den Ecken abgestoßen waren, eines mit Schauspielerinnen, das andere mit Schauspielern, beide waren mit Schwarz-Weiß-Fotografien illustriert.
Zehn Bilder hingen an der Wand, Originale unterschiedlicher Qualität, wie Martin befand. Viele von ihnen zeigten Kuba und Havanna, und Martin brachte sie mit den Reisebüchern in den Bücherregalen in Verbindung. Aufgeklärte Touristen, die sich für Kultur und Kunst der Länder, die sie besuchten, interessierten.
In dem weitläufigen Wohnzimmer, das auch als Esszimmer und Arbeitsraum diente, standen neben konventionellen Möbeln ein ultramoderner Zeichentisch und eine riesige Kommode aus rotem Holz mit breiten, tiefen Schubladen.
Bevor Martin die erste Schublade öffnete, hatte er bereits die Vermutung, es handele sich um ein Möbel, um Architektenpläne aufzubewahren. Er fand zahlreiche Baupläne, viele auf weißem Papier, auf Blaupausen.
Ein riesiger Fernseher mit Video und DVD dominierte das Schlafzimmer - aus mehr Räumen bestand die Wohnung nicht -, daneben stand ein Regal mit einer beachtlichen Zahl DVDs, überwiegend Klassiker, dazu zwei erotische Filme. Martin zog keine weiteren Schlüsse daraus, musste aber flüchtig an jenes Goldkettchen denken, welches das Fußgelenk der Toten zierte.
Die Schränke und Schubladen der Kommode enthielten nichts als Kleidungsstücke. Um nicht doch etwas zu übersehen, zog Martin jede einzelne Schublade heraus und sah nach, ob etwas unter Pullovern und Socken versteckt war.
Weder fand er eine Armbrust noch Kokain, noch radioaktive Produkte an jenen vertrauten Orten, an denen Polizisten stets fündig werden, im Wasserkasten der Toilette, hinter Sanitär-Wartungsklappen und Gardinenstangen, in Küchenvorratsbehältern und Tiefkühlfächern.
Als er die Nachttischschublade öffnete, dachte er zunächst, er habe ein Tagebuch vor sich, und womöglich hätte das Heft ein solches werden wollen, doch waren die Seiten von vorn bis hinten unbeschrieben. Nur in der Mitte des Heftes fand er etwas, einen eng gefalteten Brief, den er Wort für Wort sorgfältig las, bevor er ihn wieder zusammenfaltete und nachdenklich dorthin zurücklegte, wo er ihn gefunden hatte.
In dieser teuer ausgestatteten, leeren Wohnung war alles zum Verzweifeln normal und alltäglich, Martin überkam ein Gefühl des Verlusts und der Trauer. Das Unglück hatte keinerlei Veranlassung, sich an diesem Ort einzufinden.
Er setzte sich auf das Bett, ließ sich nach hinten fallen und streckte sich mit einem Seufzer der Länge nach aus. Diese Zimmerdecke hatte die junge Frau Abend für Abend über sich gesehen, bevor sie einschlief.
Hatte sich Martin auf ihren Platz oder auf den ihres Mannes gelegt? Er selbst hatte während seiner Ehe stets auf der linken Seite geschlafen. Jetzt schlief er, wenn er allein war - was ungefähr drei von vier Abenden der Fall war -, in der Mitte des Bettes, mal die Arme gekreuzt, mal gestreckt. Und er brauchte eine zusätzliche Decke.
Er richtete sich auf, schlug die Überdecke zurück und roch am Kopfkissen - wohl wissend, dass sein Verhalten von dem eines normalen Ermittlers abzudriften begann. Ein langes braunes Haar beantwortete seine Frage. Sie schlief rechts. Ein leichter Parfumduft stieg ihm in die Nase. Er suchte unter dem Kopfkissen und fand ein zusammengelegtes Nachthemd. Er entfaltete es und hielt es vor sich. Es war sehr kurz, aber mit altmodischer Spitze gesäumt, ein Kompromiss zwischen Tradition und Moderne. Die Tote hatte in diesem Gewand sicher so entzückend wie sexy ausgesehen.
Es schien ein Paar ohne eine besondere Geschichte, ein glückliches Paar. Sie liebten sich und hatten wahrscheinlich vor, ihr Leben lang zusammenzubleiben, ein langes Leben lang. Martin seufzte. Er seufzte in letzter Zeit ziemlich oft, sogar im Büro, aber bisher hatte noch niemand es gewagt, ihn darauf anzusprechen.
Er war bereit, sein nächstes Gehalt zu verwetten, dass das Mordmotiv nichts mit dem geordneten Leben des Opfers zu tun hatte - ebenso wenig wie mit dem ihres Mannes, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er streckte sich wieder aus und ließ seine Gedanken schweifen. Der Tod war schnell gewesen wie der Blitz, er war von nirgendwoher und ohne sichtbaren Grund gekommen. Aber war das nicht immer so? Nein, er durfte sich nicht in solchen Gedanken verlieren.
Wie konnte jemand, der ein so friedliches und banales Leben führte, einen so schrecklichen und außergewöhnlichen Tod sterben? War diese Frage am Ende idiotisch? Es sei denn ... Hatte der Täter sich in ihrer Person getäuscht? Nein, das war lächerlich. Der Mörder hatte das Opfer lange beobachtet, er wusste genau, welchen Weg sie nahm, fast auf den Zentimeter genau. Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Das Verbrechen war vorbereitet worden, wahrscheinlich von langer Hand. Das würden lange und schwierige Ermittlungen werden, er spürte es. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu keinem Ergebnis führten, war groß - ein alles in allem bestürzender, wenn auch realistischer Gedanke, und mit großer Willensanstrengung schob er ihn beiseite.
Er schloss die Augen und gähnte. Er war müde, erschöpft.
Und er hatte es keineswegs eilig, in seine leere Wohnung zurückzukehren. Seine Tochter war auf Tournee in der Provinz, in Chartres oder Angoulême, er wusste die Reihenfolge der Aufführungen nicht mehr. Seine Freundin war für eine Reportage im Ausland unterwegs, und er wusste nicht, wann sie wiederkam. Er dachte daran, Jeannette anzurufen, um zu fragen, wie weit sie mit den Ermittlungen in der Nachbarschaft gekommen war, doch vielleicht würde er sie mitten in einer Befragung stören. Der Schlaf überraschte ihn, ohne dass er versuchte, ihm zu widerstehen.
Er träumte von der Toten. Aus einem Grund, den nur sie kennen konnte, war sie wütend auf ihn und versetzte ihm kleine harte Schläge aufs Fußgelenk. Die Schläge schmerzten, sie schmerzten so sehr, dass er schließlich aufwachte, und als er die Augen öffnete, beugte sie sich über ihn, ein Küchenmesser in der Hand. Sie schien sehr wütend.
Verlobung und Hochzeit mussten für diese Frau einen besonderen Stellenwert gehabt haben. Und doch hatte sie ein gewisses verführerisches Charisma und eine dezent erotische Ausstrahlung. Ein feines Goldkettchen zierte ihr linkes Fußgelenk.
Der geöffnete Mund ließ schöne gerade Zähne mit feinem Zahnschmelz und eine weiße Zungenspitze erkennen. Ihre Augen waren geschlossen, was Martin seltsam erleichterte, denn in den Augen der Toten erahnte er meist düstere Botschaften, die er nicht gern entschlüsselte, aus Angst, darauf nicht antworten zu können.
Am Hals der Frau war eine Blutspur zu sehen, das Blut hatte zu gerinnen begonnen. Es verklebte die braunen Haarsträhnen des Opfers, rann durch Pflastersteinfugen, verschwand unter Mülltonnen und mündete gut zwei Meter entfernt in eine dicke schwarze Pfütze.
Die Vertreterin des Staatsanwalts, eine hoch gewachsene junge Frau mit flachen Absätzen, trat zu ihm an die Leiche und hielt ihre schwarze Aktentasche wie einen Schild an ihren Körper gepresst. Es war eine Neue, die Martin noch nicht kannte. Sie sah überall hin, nur nicht auf die Tote. Schließlich überwand sie ihre Angst, und ihr Gesicht verfärbte sich grün, als sie endlich auf die Leiche blickte. Sie trat von einem Bein aufs andere und ging erleichtert zur Seite, als Martin ihr sagte, er werde sich um alles kümmern und sie anrufen, sobald die ersten Untersuchungsergebnisse vorlägen.
"Sie ist hier getötet worden", sagte der junge Mitarbeiter von der Spurensicherung im Brustton der Überzeugung. "Sie ist noch ein paar Schritte gegangen und dann zusammengebrochen. Sie wurde nicht hierher gebracht."
"Können Sie sagen, wann sie gestorben ist?", fragte Martin und tauschte einen kurzen Blick mit Jeannette, seiner Mitarbeiterin, die er den ganzen Tag nicht gesehen hatte.
"Achtzehn Uhr, nicht früher", sagte der junge Mann ebenso bestimmt. "Der Pfeil hat ihre Jochvene getroffen."
"Was für ein Pfeil?"
Stolz hielt ihm ein anderer junger Mann mit schönen braunen Locken einen Plastikbeutel entgegen, der innen mit Blut beschmiert war und einen kurzen, offenbar metallenen Pfeil enthielt. Kein Pfeil, dachte Martin, das ist der Bolzen einer Armbrust samt Metallspitze, Letztere leicht verbogen.
"Wer hat Ihnen gestattet, diesen Gegenstand zu entfernen, bevor ich da bin?", fragte er, nur mühsam konnte er seinen Ärger beherrschen.
Der junge Mann schluckte und wies auf einen weißen Kreidekreis, der sich ein Stück entfernt, am Fuß der Mauer, abzeichnete.
"Er lag da hinten, ich dachte nicht, dass ..."
Martin war wütend. So ein Volltrottel! Wortlos drehte er sich um. Dummheit war kein Privileg von Gaunern, das hatte sich mal wieder bestätigt. Er nahm sich vor, es Bélier, der Chefin der Gerichtsmedizin, zu melden, Pech, wenn der junge Mann deswegen nicht befördert wurde.
Jeanne, seine Mitarbeiterin, die alle Jeannette nannten, reichte ihm die Handtasche, die bei dem Opfer gefunden worden war.
"Eine Sekunde", sagte er und zog Plastikhandschuhe an.
In der roten Handtasche befanden sich ein Terminkalender aus dunkelrotem Krokodilleder, ein Portemonnaie aus demselben Material, eine Tablettenschachtel, ein Fahrausweis, ein Schminktäschchen, ein winziges Adressbuch, engzeilig beschrieben und kaum lesbar, ein Roman von Muriel Spark in einer Taschenbuchausgabe, ein eingeschaltetes Mobiltelefon, zwei Schlüsselbunde - einer davon für den Wagen -, ein Lippenstift, ein paar mehr oder weniger zerknitterte Zettel, zwei Konzertkarten, der Kassenbeleg für ein Paar Schuhe (die, welche sie anhatte?), Kleingeld, ein Abholzettel für Fotos und eine kleine rechteckige Mappe aus Leder mit Visitenkarten auf den Namen Armelle Desplèche.
In dem Portemonnaie befanden sich eine Kreditkarte, ein Personalausweis und ein Führerschein auf denselben Namen, eine Sammelkarte fürs Schwimmbad, das Foto eines Säuglings, sechzig Euro in glatten neuen Zwanzigerscheinen, wahrscheinlich frisch aus dem Automaten, die Quittung über die sechzig Euro, zwei Visitenkarten mit verschiedenen Namen, Namen von zwei verschiedenen Männern und deren jeweiligen Arbeitgebern.
"Diebstahl wird kaum das Motiv für das Verbrechen gewesen sein", bemerkte Jeannette.
"Seit wann bringt ein Dieb seine Opfer mit einem Armbrustbolzen um?", sagte Martin.
Die Autopsie sollte am nächsten Tag stattfinden, doch er war sich so gut wie sicher, dass dabei wenig herauskommen würde. Die Frau war vermutlich weder vergewaltigt noch misshandelt worden, denn ein Vergewaltiger bringt Frauen ebenso wenig wie ein Dieb mit einer Armbrust um. Seit mehreren hundert Jahren, dachte Martin, bedient sich niemand mehr einer Armbrust, um seinen Nächsten ins Jenseits zu befördern.
Trotz der milden Luft war Martin plötzlich kalt.
Er zog einen Plan des Stadtviertels aus der Tasche. Die junge Frau wohnte hundert Meter von der Stelle entfernt, an der sie umgebracht worden war. Die enge Straße, in der man sie gefunden hatte, lag auf dem kürzesten Weg zwischen dem Ausgang der Metro und ihrer Wohnung, das bedeutete, dass der Mörder auf sie gewartet hatte. Sie war gejagt und getötet worden wie ein Tier.
Nachdem Martin dies festgestellt hatte, begann er, sich das Szenario vorzustellen.
Sie war in die Straße eingebogen, als der Mörder sie von vorn überrascht hatte. Eine Armbrust mit einer Reichweite von fünfzig Metern, aber Martin hätte wetten können, dass der Mörder ein kleineres Modell benutzt hatte, denn der Bolzen war nicht länger als fünfzehn Zentimeter.
Der Mörder - Martin war sicher, dass es sich um einen Mann handelte - konnte höchstens zehn Meter von seinem Ziel entfernt gewesen sein. Martin wusste das so genau, weil er vor Jahren mit verschiedenen Waffen trainiert hatte und sich noch erinnerte, dass eine Armbrust an Präzision zu wünschen übrig lässt, selbst wenn der Schütze viel Geschick an den Tag legt.
Martin trat auf die Gasse und zählte die Schritte, dann sah er sich um. Zehn Meter von der Leiche entfernt befand sich ein überdachter Hauseingang. Er versuchte die Tür aufzustoßen, doch sie bewegte sich nicht. Das Gebäude war verschlossen, und ein an der Tür befestigter Hinweis besagte, dass es bei Strafe verboten war, das Gebäude zu betreten. Der Mann hatte sich womöglich am Hauseingang untergestellt, aber was hatte er anschließend getan? Auf dem grauen Pflaster Fußspuren finden zu wollen war vergeblich, trotzdem winkte er einen Mann von der Spurensicherung herbei.
Er bat ihn um einen Bleistift, lehnte sich gegen das Holz der Eingangstür und wies mit dem Stift auf die Leiche. Er hätte seine Dienstpistole nehmen können, doch damit hätte er womöglich einen Moment der Unruhe ausgelöst.
Dann glaubte er, Opfer einer Halluzination zu sein. Direkt hinter der Stelle, an der die Frau gestürzt war, war mit groben Strichen eine Gestalt, oder besser: ein Oberkörper, auf die Wand gemalt.
Jeannette sah Martin erstaunt an und wagte nicht zu fragen, warum er die unregelmäßige Oberfläche der Wand so intensiv betrachtete.
"Siehst du denn nichts?", fragte er.
Sie trat näher an die Mauer heran.
"Meinst du die weißen Spuren da? Sieht aus wie Kreide."
"Sieh sie dir mal von der Türschwelle aus an und sag mir, was du davon hältst."
An der Schwelle angekommen, nickte sie und hob den Daumen.
Als sie zurückkam, zeigte ihr Martin kleine helle Einschläge in der Wand, etwa einen Meter fünfzig über dem Boden, auf Höhe des Halses der Kreidefigur.
"Verflucht, der hat geübt, bevor er sie getötet hat", sagte sie fassungslos.
Der Kommissar nickte. "Du weißt, was zu tun ist", entgegnete er. "Du nimmst dir Olivier, Renard und Dobrinsky. Ihr fangt sofort an, die Umgebung zu untersuchen. Ich geh inzwischen zu ihr nach Hause."
Kapitel 5
Es war der Ehemann des Opfers, der ihm die Tür öffnete. Wenn man Martin gefragt hätte, was die schlimmste Seite seines Berufs sei, hätte er geantwortet, es gebe so viele, dass er keine nennen könne. Zu erleben, wie ein Mörder davonkommt? Bei der Autopsie eines misshandelten Kindes dabei sein? Indes, wenn er näher über die Frage nachdachte, musste er zugeben, dass es das Schlimmste für ihn war, nahen Angehörigen eines Opfers gegenüberzustehen und ihnen die Nachricht zu überbringen. Jedes Mal hatte er den Eindruck, mitschuldig zu sein am Tod eines Menschen. Und womöglich speiste sich aus diesem tieferen Grund sein Hass auf Mörder.
Der Mann brach völlig zusammen, und Martin musste ihn zum Sofa tragen, bevor er den Krankenwagen rief. Er wartete neben ihm und hielt ihm die Hand, bis Hilfe kam, und noch als der Mann ins Krankenhaus fuhr, war er in einem Zustand tiefer Niedergeschlagenheit und völlig erstarrt.
Der Rettungswagen war noch nicht um die Ecke verschwunden, da hatte Martin schon begonnen, systematisch die Wohnungseinrichtung zu untersuchen. Wäre ihm dabei ein viel versprechendes Indiz in die Hände gefallen, so hätte er es wegen dieser illegalen Hausdurchsuchung ohne Zeugen gar nicht verwenden dürfen, andererseits konnte eine solche Entdeckung - und wenn sie noch so unbedeutend war - die Ermittlungen auf die richtige Spur bringen. Oder aber sie in eine vollkommen falsche Richtung lenken.
Der Ehemann arbeitete in einem renommierten Architekturbüro, seine Frau, das Opfer, war Produktionsassistentin in einer Produktionsfirma für Filme und sonstige Formen audiovisueller Sendungen. Wenn man sich an die Fotos hielt, die in der Toilette hingen, waren die beiden begeisterte Skilangläufer, doch nirgends war ein Anhaltspunkt für die Existenz eines Kindes zu finden. Martin machte sich einige Notizen, er durfte nicht herauszufinden vergessen, um welches Baby es sich bei dem Foto im Portemonnaie der Frau handelte.
Die Bibliothek setzte sich aus einer ansehnlichen Menge Bücher zusammen, vor allem Reiseberichte und Werke über moderne und klassische Architektur, Kochbücher, Kunstbände sowie diverse Enzyklopädien und Filmlexika. Und es fanden sich Branchenverzeichnisse der neueren Film- und Videoproduktion, darunter zwei dicke, die bereits zwei Jahre alt und an den Ecken abgestoßen waren, eines mit Schauspielerinnen, das andere mit Schauspielern, beide waren mit Schwarz-Weiß-Fotografien illustriert.
Zehn Bilder hingen an der Wand, Originale unterschiedlicher Qualität, wie Martin befand. Viele von ihnen zeigten Kuba und Havanna, und Martin brachte sie mit den Reisebüchern in den Bücherregalen in Verbindung. Aufgeklärte Touristen, die sich für Kultur und Kunst der Länder, die sie besuchten, interessierten.
In dem weitläufigen Wohnzimmer, das auch als Esszimmer und Arbeitsraum diente, standen neben konventionellen Möbeln ein ultramoderner Zeichentisch und eine riesige Kommode aus rotem Holz mit breiten, tiefen Schubladen.
Bevor Martin die erste Schublade öffnete, hatte er bereits die Vermutung, es handele sich um ein Möbel, um Architektenpläne aufzubewahren. Er fand zahlreiche Baupläne, viele auf weißem Papier, auf Blaupausen.
Ein riesiger Fernseher mit Video und DVD dominierte das Schlafzimmer - aus mehr Räumen bestand die Wohnung nicht -, daneben stand ein Regal mit einer beachtlichen Zahl DVDs, überwiegend Klassiker, dazu zwei erotische Filme. Martin zog keine weiteren Schlüsse daraus, musste aber flüchtig an jenes Goldkettchen denken, welches das Fußgelenk der Toten zierte.
Die Schränke und Schubladen der Kommode enthielten nichts als Kleidungsstücke. Um nicht doch etwas zu übersehen, zog Martin jede einzelne Schublade heraus und sah nach, ob etwas unter Pullovern und Socken versteckt war.
Weder fand er eine Armbrust noch Kokain, noch radioaktive Produkte an jenen vertrauten Orten, an denen Polizisten stets fündig werden, im Wasserkasten der Toilette, hinter Sanitär-Wartungsklappen und Gardinenstangen, in Küchenvorratsbehältern und Tiefkühlfächern.
Als er die Nachttischschublade öffnete, dachte er zunächst, er habe ein Tagebuch vor sich, und womöglich hätte das Heft ein solches werden wollen, doch waren die Seiten von vorn bis hinten unbeschrieben. Nur in der Mitte des Heftes fand er etwas, einen eng gefalteten Brief, den er Wort für Wort sorgfältig las, bevor er ihn wieder zusammenfaltete und nachdenklich dorthin zurücklegte, wo er ihn gefunden hatte.
In dieser teuer ausgestatteten, leeren Wohnung war alles zum Verzweifeln normal und alltäglich, Martin überkam ein Gefühl des Verlusts und der Trauer. Das Unglück hatte keinerlei Veranlassung, sich an diesem Ort einzufinden.
Er setzte sich auf das Bett, ließ sich nach hinten fallen und streckte sich mit einem Seufzer der Länge nach aus. Diese Zimmerdecke hatte die junge Frau Abend für Abend über sich gesehen, bevor sie einschlief.
Hatte sich Martin auf ihren Platz oder auf den ihres Mannes gelegt? Er selbst hatte während seiner Ehe stets auf der linken Seite geschlafen. Jetzt schlief er, wenn er allein war - was ungefähr drei von vier Abenden der Fall war -, in der Mitte des Bettes, mal die Arme gekreuzt, mal gestreckt. Und er brauchte eine zusätzliche Decke.
Er richtete sich auf, schlug die Überdecke zurück und roch am Kopfkissen - wohl wissend, dass sein Verhalten von dem eines normalen Ermittlers abzudriften begann. Ein langes braunes Haar beantwortete seine Frage. Sie schlief rechts. Ein leichter Parfumduft stieg ihm in die Nase. Er suchte unter dem Kopfkissen und fand ein zusammengelegtes Nachthemd. Er entfaltete es und hielt es vor sich. Es war sehr kurz, aber mit altmodischer Spitze gesäumt, ein Kompromiss zwischen Tradition und Moderne. Die Tote hatte in diesem Gewand sicher so entzückend wie sexy ausgesehen.
Es schien ein Paar ohne eine besondere Geschichte, ein glückliches Paar. Sie liebten sich und hatten wahrscheinlich vor, ihr Leben lang zusammenzubleiben, ein langes Leben lang. Martin seufzte. Er seufzte in letzter Zeit ziemlich oft, sogar im Büro, aber bisher hatte noch niemand es gewagt, ihn darauf anzusprechen.
Er war bereit, sein nächstes Gehalt zu verwetten, dass das Mordmotiv nichts mit dem geordneten Leben des Opfers zu tun hatte - ebenso wenig wie mit dem ihres Mannes, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er streckte sich wieder aus und ließ seine Gedanken schweifen. Der Tod war schnell gewesen wie der Blitz, er war von nirgendwoher und ohne sichtbaren Grund gekommen. Aber war das nicht immer so? Nein, er durfte sich nicht in solchen Gedanken verlieren.
Wie konnte jemand, der ein so friedliches und banales Leben führte, einen so schrecklichen und außergewöhnlichen Tod sterben? War diese Frage am Ende idiotisch? Es sei denn ... Hatte der Täter sich in ihrer Person getäuscht? Nein, das war lächerlich. Der Mörder hatte das Opfer lange beobachtet, er wusste genau, welchen Weg sie nahm, fast auf den Zentimeter genau. Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Das Verbrechen war vorbereitet worden, wahrscheinlich von langer Hand. Das würden lange und schwierige Ermittlungen werden, er spürte es. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu keinem Ergebnis führten, war groß - ein alles in allem bestürzender, wenn auch realistischer Gedanke, und mit großer Willensanstrengung schob er ihn beiseite.
Er schloss die Augen und gähnte. Er war müde, erschöpft.
Und er hatte es keineswegs eilig, in seine leere Wohnung zurückzukehren. Seine Tochter war auf Tournee in der Provinz, in Chartres oder Angoulême, er wusste die Reihenfolge der Aufführungen nicht mehr. Seine Freundin war für eine Reportage im Ausland unterwegs, und er wusste nicht, wann sie wiederkam. Er dachte daran, Jeannette anzurufen, um zu fragen, wie weit sie mit den Ermittlungen in der Nachbarschaft gekommen war, doch vielleicht würde er sie mitten in einer Befragung stören. Der Schlaf überraschte ihn, ohne dass er versuchte, ihm zu widerstehen.
Er träumte von der Toten. Aus einem Grund, den nur sie kennen konnte, war sie wütend auf ihn und versetzte ihm kleine harte Schläge aufs Fußgelenk. Die Schläge schmerzten, sie schmerzten so sehr, dass er schließlich aufwachte, und als er die Augen öffnete, beugte sie sich über ihn, ein Küchenmesser in der Hand. Sie schien sehr wütend.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Alexis Lecaye
- 2006, 463 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Landgrebe, Christiane
- Übersetzer: Christiane Landgrebe
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404922182
- ISBN-13: 9783404922185
Kommentar zu "Herz Dame"
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