Hildegards Lied - Hildegard von Bingen-Der Roman ihres Lebens
"Mit den Füßen zuerst bist Du zur Welt gekommen, um fest darin zu gründen. Dein Haupt aber wirst du zu den Sternen heben." - Schon bei der Geburt Hildegards war klar: Sie ist außergewöhnlich!
Bermersheim, 11. Jahrhundert: Hildegard ist eine junge...
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"Mit den Füßen zuerst bist Du zur Welt gekommen, um fest darin zu gründen. Dein Haupt aber wirst du zu den Sternen heben." - Schon bei der Geburt Hildegards war klar: Sie ist außergewöhnlich!
Bermersheim, 11. Jahrhundert: Hildegard ist eine junge Adelige.
Als ihr Vater sie mit einem Mann verheiraten will, den sie nicht liebt, flieht sie beherzt in ein Kloster und betritt damit einen harten, doch wundervollen Lebensweg. Bald spricht man in der ganzen mittelalterlichen Welt von ihr - von der heilkundigen Nonne, die Visionen hat und deren Musik vom Himmel kommen muss.
Hildegards Lied von PetraWelzel
LESEPROBE
Die alte Frau war vor ihre Hütte am Waldrandgetreten und lauschte in die Nacht. Irgendetwas lag in der Luft Und plötzlichwusste sie, was sie vom Lager hatte hochfahren lassen: Es war die Stille, dasFehlen der vertrauten Nachtgeräusche. Da raschelte nichts im Unterholz, keinNachtvogel schrie, die Wipfel der Bäume standen regungslos, hoben sich starrwie ein Scherenschnitt gegen den Nachthimmel ab. Es war, als hielte dieSchöpfung gespannt den Atem an. Die Alte legte den Kopf in den Nacken, wandteihr runzliges Gesicht den Sternen zu. Sie bemerkte es sofort: Mars war in dasHaus der Venus getreten. Sie verstand es, die Zeichen zu lesen. Etwas ganzAußergewöhnliches stand bevor. Als sich plötzlich eine Schleiereule lautlos ausdem Geäst einer uralten Eiche abstieß und ihren Gesichtskreis von rechts nachlinks passierte, wusste sie, dass man sie noch heute Nacht brauchen würde. Entschlossentrat sie zurück in ihre Hütte und atmete den betörenden Duft, den diezahllosen, kopfüber an der Decke baumelnden Kräutersträuße verströmten. Sieentzündete ein Wachslicht und wandte sich den rohen Regalbrettern zu, die dieWand gegenüber Herd und Lager vom Boden bis zum niedrigen Strohdach bedeckten.Dicht an dicht reihten sich dort Krüge, Töpfe, Tiegel und Körbe merkwürdigstenInhalts. Umsichtig wählte sie dies und jenes aus und verstaute es in einemwollenen Tragsack. Dann schürte sie das Feuer im Herd, erhitzte Wasser in einemKessel und warf, als es sprudelnd kochte, einige metallische Instrumentehinein. Sorgfältig breitete sie ein reines Leinentuch über den Tisch, fischtemit einem Holzlöffel die abgekochten Instrumente wieder aus dem Topf undwickelte sie in das Tuch. Die Alte hielt jedes Mal die genaue Reihenfolgedieser Prozedur ein, fast, als ob sie ein magisches Ritual ausübe. Sie wusstenicht genau, wie es wirkte, sie wusste nur, dass es half. Von ihr entbundeneFrauen hatten eine weit höhere Überlebenschance als bei vielen anderen, teilsselbst ernannten Heilern, teils ausgebildeten Ärzten. Die Alte konnte wederlesen noch schreiben, aber vielleicht hielt sie gerade deshalb Wissen in Ehren,das ihr von Generationen heilkundiger Frauen mündlich überliefert worden war. Außerdem,da Satan, der listige Versucher, als von Staub und Schmutz besudelte Schlangezu Eva gekrochen war, um das Böse in die Welt zu bringen, erschien es der Altennur selbstverständlich, dass bei ihrer Tätigkeit derlei Anhaftungen peinlichvermieden werden mussten. Sie war davon überzeugt, dass es die ungesunde Luftstickiger Zimmer, das faule Stroh der Lager, der Schmutz an Leibern und Gerätwar, was das teuflische Fieber ins Wochenbett kriechen ließ und es für so vieleFrauen und ihre Neugeborenen zur Totenbahre machte. Das Böse war in der Welt,gehörte dazu. Aber man konnte sich dagegen wappnen, wenn man die Zeichen zudeuten wusste. Darauf verstand sie sich. So gerüstet trat sie erneut in dieNacht, stand einfach da, sammelte sich. Doch die Spannung wollte nicht von ihrabfallen. Der volle, unverschleierte Mond schien sie bedeutungsvoll, wie dasmagische Auge der großen Allmutter, anzuschauen. Sie fühlte sich dem Göttlichennah, ganz hingegeben, ganz Werkzeug. Da klang unterhalb, vom Dorf her kommend,eiliger Hufschlag auf. Sie rührte sich nicht. Doch noch bevor der Reiter denfinsteren Hohlweg verlassen hatte, wusste sie, wer da zu ihr heraufkam. Ein soschnelles Pferd hatte in der Gegend nur einer: Hiltebert von Bermersheim,Edelfreier und Herr über die paar hundert Seelen des gleichnamigen Dorfes. Dasser selbst kam und nicht einen der Hörigen geschickt hatte, erstaunte sie nicht.Längst war ihr klar, dass in dieser Nacht Besonderes eintreten würde. DerReiter kam über die Lichtung zügig auf sie zu. An einem Seil führte er eineungesattelte Eselin mit sich. Seine Kleidung unterschied sich deutlich von denschlicht gewirkten Kitteln der Bauern. Sie war schmucklos, aber für dieVerhältnisse kostbar. Die Füße steckten in ledernen Stiefeln und auch das Wams,das die breite Brust überspannte, war aus allerfeinstem, weichem Hirschledergefertigt. Als einzige Waffe steckte ein langes Jagdmesser mit kunstvollgeschnitztem Horngriff im Gürtel. Hiltebert hatte die vierzig bereitsüberschritten. Noch nie war das der Alten so ins Auge gefallen wie heute.Vielleicht lag es an seinen von Nervosität zeugenden fahrigen Bewegungen, mitdenen er sein Pferd zur Hütte hin lenkte, vielleicht auch an dem Schweiß, dersein ganzes Gesicht bedeckte. Die Anstrengung eines schnellen Ritts hatte seinesonst so stolzen Züge verzerrt. Tief gruben sich die Falten in sein Antlitz. Erstdicht vor der Alten zügelte er sein Pferd. Mit gerunzelten Brauen sah Hiltebertauf das Kräuterweib hinab. »Du wusstest bereits, dass ich kommen würde, Rike?«, richtete er, mehr feststellend als fragend, das Wort ansie. Die Alte hatte das leise Grauen in seinen Augen wohl bemerkt und wich demBlick aus, indem sie sich demütig verneigte. Sie wusste, dass sie in dem Rufstand, über allerlei übernatürliche Gaben zu verfügen. Manch einer munkeltesogar, dass sie mit dem Fürsten der Finsternis und seinen Dämonen Umgangpflege. Ein gefährlicher Ruf. Ihresgleichen war bereits aus weit geringeremAnlass der Garaus gemacht worden. Aber noch brauchten die Menschen der Gegendsie, wenn Priester und Gebet nicht helfen konnten. Das Kommen des edlen Herrnzeugte davon. Doch das Eis, auf dem sie sich bewegte, war dünn. Schon eineunerklärliche Seuche oder Missernte konnte genügen, und Schuldige mussten her.Dass sie, die außerhalb der Gemeinschaft lebte, einen hervorragenden Sündenbockabgab, wäre ihr nur zu bewusst. So sagte sie nichts von den Zeichen und beeiltesich, eine harmlose Erklärung für ihr Wachen zu geben. »Es ist das Alter, gnädiger Herr. Der Schlaf meidet immer öfter meinBett. Das ist es, was mich vom Nachtlager getrieben hat«, sagte sie demütig. HiltebertsBrauen zogen sich noch ein wenig mehr zusammen. »Weißt du denn kein Kraut, umAbhilfe zu schaffen? Dein Ruf scheint größer als deine Kunst.«Ungeduldig zerrte er die Eselin am Seil heran. »Kannst du dir auch nicht selberhelfen, so höre, Rike: Wenn du bei meinem Weib versagst, wird Gevatter Tod dichschlafen lehren. Und nun komm. Die Herrin liegt auf Tod und Leben.« Rike konnte die Drohung nicht schrecken. Sie wusste, dassder Herr ein gottesfürchtiger Mann war. So verneigte sie sich nur erneut stummund trat zu der Eselin. Behutsam strich sie dem scheuenden Tier über diesamtigen Nüstern, hob sanft eins der langen Ohren und flüsterte hinein.Augenblicklich legte sich das Tier, und sie stellte sich breitbeinig überdessen Rücken. Mühelos hob die Eselin die federleichte Alte an. Rike hätte dieerneute Demonstration ihrer Fähigkeiten gern vermieden, aber es ging nichtanders: Niemals hätte sie es sonst mit ihren im Lauf der Jahre immerungelenkiger werdenden Beinen auf das Tier geschafft. Doch Bermersheim hattesein Pferd bereits gewendet und schien nichts bemerkt zu haben. In Gedanken warer längst wieder bei seinem sich in Wehen windenden Weib. Tiefe Sorge zeichnetesein Gesicht. Ungeduldig stieß er seinem Tier die Fersen in die Weichen undschon jagten sie in fliegendem Galopp über die Lichtung. Rike schloss ergebendie Augen. Die wilde Jagd dauerte gottlob nicht allzu lange. Nach etwas mehrals einer halben Stunde hatten sie den Stammsitz derer von Bermersheim imNahegau, nicht weit von Alzey, erreicht, der auf der Rikes Hüttegegenüberliegenden Erhebung lag. In das sanfte, fruchtbare Tal dazwischenduckte sich das noch im Schlaf liegende Dorf. Die Bermersheimer gehörten zwardem Adel an, aber der Herrensitz glich eher einem großen Gutshof als einerBurg. Keine wehrhafte Mauer umschloss die Ställe, Scheuern und Wohnstätten. ImUnterschied zum Dorf waren die Gebäude aber aus solidem Stein errichtet und mitZiegeln statt mit Stroh gedeckt. Und auf die eigene kleine Kapelle waren dieBermersheimer so stolz wie die Mainzer auf ihren Dom. Erst als die Reittiere inSchritt verfielen, öffnete Rike wieder die Augen. Hinter dem geölten Pergament,das die holzgerahmten Fenster des zweistöckigen Haupthauses verschloss,flackerte Licht. Rike konnte immer wieder die Silhouetten geschäftigvorbeieilender Gestalten erkennen. Bermersheim zügelte sein Pferd aber nicht ander breiten Eingangspforte des Hauses, sondern hielt auf die hinten angebautenStallungen zu. Rike wusste sofort, warum, und konnte sich ein leises Schmunzelnnicht verkneifen. Nicht allzu viele sollten mitbekommen, dass auch der edle,christliche Herr auf die Hilfe eines anrüchigen Kräuterweibleins zurückgriff.
© S. Fischer Verlag GmbH
- Autor: Petra Welzel
- 2006, 1, 476 Seiten, Maße: 13,5 x 19 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828979564
- ISBN-13: 9783828979567
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