Hin und weg von Paul
Als sich endlich ihr sehnlichster Wunsch erfüllt und Matthew seine Frau Sophie verlässt und unangemeldet bei ihr vor der Tür steht, muss die 39-jährige Helen allerdings bald feststellen, dass es gar nicht so romantisch ist, ihre kleine Einzimmerwohnung mit einem alternden Egozentriker zu teilen. Er ist unordentlich, unerträglich und ungemein leidend. Als Helen unvermutet seine Sohn Ben kennen lernt, weiß sie, dass sie die falsche Wahl getroffen hat. Sie muss Matthew wieder los werden ...
Hin und weg von Paul von Jane Fallon
LESEPROBE
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Sophie Shallcross saß in der großen Splitlevel-Wohnküche ihrerwunderschönen Hundertsechzig-Quadratmeter-Doppelhaushälfte in einer immerbeliebteren Straße in Kentish Town im Norden Londons.Sie sah zu, wie Paul Pasta putanesca in sichhineinschaufelte, und hörte sich geduldig an, wie er seinen anstrengenden Tagschilderte, inklusive der Runde Squash mit seinem Kollegen Alan, die eroffensichtlich eben gewonnen hatte. Sie liebte es, wenn er detailliert von seinemArbeitsalltag erzählte, von den Menschen, vom Tratsch und den kleinen undgroßen Dramen im Büroleben. An ihr selbst gingen diese Dinge vorbei, da sieeinen Achtstundentag in die Zeit zwischen neun und drei quetschte, umrechtzeitig wieder zu Hause zu sein, wenn die Kinder laut und fordernd aus derSchule kamen. Sie hatte das Kinn auf die Hand und den Ellbogen auf den Tischgestützt und lachte, als er ihr beschrieb, wie Alan über den Bodengeschlittert und gegen die Wand gedonnert war und seinen Schläger quer über denPlatz geschleudert hatte, als sei der an allem schuld. Wenn die Kinder im Bettwaren - um halb zehn und nicht später, keine Ausnahmen außer an Weihnachten,zum Geburtstag oder nach noch selteneren Theaterbesuchen -, würden sie sich aufsSofa kuscheln und ein Glas Wein trinken, Sophies liebste Tageszeit.
Paul konntesein Leben mit Sophie und den Kindern - Suzanne und Claudia, zwölf und zehnJahre alt - im Kopf ganz und gar von seiner Affäre mit Helen abspalten. Erfühlte sich nicht schuldig. Und tatsächlich verschwendete er, sobald er zuHause war, kaum einen Gedanken an Helen, was ihn in seinen Augen zu einem gutenEhemann und Vater machte. Um genau zu sein, war Paul wie die meisten Männer garnicht in der Lage, an zwei Dinge gleichzeitig zu denken, und so neigte er dazu,sich immer nur mit dem zu befassen, was gerade aktuell war - war Sophie inseinem Blickfeld, dachte er an Sophie, war Helen in seinem Blickfeld, dachte eran Helen, und wenn es ein belegtes Brot mit Ei war ... Helen konnte sich nochdeutlich daran erinnern, wie sie ihm sagte, dass sie schwanger war. Sie reichteihm gerade einen Teller mit gebratenem Hühnchen, und es war, als würde seinGehirn in der Mitte gespalten, sie sah ihm direkt an, wie er um Konzentrationrang - «Oh, Nudeln!» / «Mein Leben ist ruiniert!» - wie ein schizophrener Hund.Sie hatte es natürlich abtreiben lassen. Sie war die Geliebte.
«Wiesokommst du immer so spät nach Hause?», fragte Suzanne jetzt ungemütlicherweise.«Nie bist du rechtzeitig da, um Mum beim Abendessenzu helfen. Dabei arbeitet sie auch den ganzen Tag.»
Suzannelernte im Geschichtsunterricht der sechsten Klasse gerade alles über dieSuffragetten, und sie nahm die Schule sehr ernst.
«Red keinenScheiß», sagte die wohltuend unemanzipierte Claudia - die ihrerseits geradeFluchen lernte, und zwar auf dem Schulhof der Grundschule von Kentish Town, und bei jeder Gelegenheit fleißig übte. «DieMamas kochen immer.»
«<Scheiße>sagt man nicht, Claudia!», mischte Paul sich ein.
Sophiereagierte wie aufs Stichwort. «Weißt du, ich komme um halb vier nach Hause, undDad ist nie vor acht Uhr da, er arbeitet viel längerals ich.»
«Sag ichdoch!», konterte Suzanne triumphierend.
Dies warein ziemlich repräsentatives Tischgespräch im Hause Shallcross.Wie in den meisten Familien beherrschte jedes Mitglied seine Rolle im Schlaf.
ObwohlSophie sich gemäß der traditionellen Frauenrolle um die Familie kümmerte, warsie alles andere als eine durchschnittliche Hausfrau. Zum Beispiel hatte sie ander drittältesten Universität des Landes einen hervorragenden Abschlussgemacht. In Durham. In Mathematik. Danach hatte sie in London mit nur schwererklärbaren Dingen Karriere gemacht und verdiente ein Vermögen - und zwar, wieder Zufall es wollte, mehr als Paul. Außerdem war sie so unentbehrlich, dasssie sich ihre Arbeitszeit nach eigenem Belieben einteilen konnte. Und, um derWahrheit Genüge zu tun, sie war Hausfrau, weil sie es wollte, und nicht, weilsie musste. Wie hart sie auch arbeitete und wie weit sie auch aufstieg, fürSophie hatte die Familie immer an erster Stelle gestanden. Es war okay, umsechs Uhr aufzustehen, ein Kostüm anzuziehen, Suzannes und ClaudiasVorbereitungen für die Schule zu beaufsichtigen, ihnen ein Lunchpaketeinzupacken, sie bis zur nächsten Ecke zu begleiten, in die U-Bahn zu steigen,kaum zu Mittag zu essen, mit der U-Bahn nach Hause zu fahren, den Mädchen beiden Hausaufgaben zu helfen, ein anständiges Abendessen zu kochen (in diesemHaushalt gab es keine Fertigmahlzeiten), die Spülmaschine einzuräumen, derganzen Familie etwas zum Anziehen für den nächsten Tag rauszulegen und zuversuchen, lange genug wach zu bleiben, um mit Paul noch ein angeregtesGespräch unter Erwachsenen zu führen und ein offenes Ohr für seine kleinen undgroßen beruflichen Nöte zu haben. In den letzten zwölf Jahren war ihr kaumbeziehungsweise gar keine Zeit für irgendetwas anderes geblieben - keineSportkurse, keine Drinks mit ihren Freundinnen. Und es stimmte, dass sieneulich bei der letzten Runde Beförderungen übergangen worden war, weil sie nieim Haus war. Aber Sophie glaubte felsenfest an die Liebe und Beständigkeitihrer Familie, und das war ihr das ein oder andere Opfer allemal wert. Oje.
Der Abendplätscherte dahin wie jeder andere auch. In zwei Wochen war Weihnachten, undPaul und Sophie überlegten, was sie den Mädchen schenken sollten, wenn all dieDinge, die sie sich am sehnlichsten wünschten, überhaupt nicht in Frage kamen -Make-up, High Heels, Hundewelpen, Miniröcke.Außerdem mussten sie klären, welcher Besuch wann kam und wer wo schlafensollte. Weihnachten im Hause Shallcross war immer dievolle Familienshow mit Pauls Mutter, seinen Schwestern sowie deren Ehemännernund Kindern.
«FürClaudia eine Springmaus?», fragte Sophie, obwohl sie die Antwort im Vorauskannte.
«Nein.»
«Hamster?Meerschweinchen? Ratte?»
«Nein, neinund nochmal nein. Keine Haustiere, da waren wir unsdoch einig.»
«Okay. Ichüberlege mir etwas anderes. Oh, und wir müssen die Kiste mit demWeihnachtsschmuck vom Speicher holen.»
«Das macheich am Wochenende.»
«Und wirbrauchen einen Baum.»
«AmWochenende.»
«Und wirmüssen den Truthahn bestellen.»
So gegenhalb elf und nach einer Flasche Sancerre verspürtePaul ein ganz untypisches Gefühl der Sehnsucht nach Helen und dem, was ihm durchden Schleier seines dritten Glases Wein vorkam wie das unkomplizierte Wesenseines heimlichen Lebens mit ihr, ungetrübt von allen familiären Pflichten. Erverzog sich ins Arbeitszimmer - das während der Weihnachtszeit alszusätzliches Gästezimmer diente - und rief bei ihr an. Helen, die im Bett lagund schlief, täuschte Gleichgültigkeit vor, obwohl ein Anruf am späteren Abendein echtes Ereignis war. Ehe er sich's versah, versprach Paul, schon Dienstagstatt Donnerstag zu kommen, weil am Donnerstag die Aufführung von ClaudiasKrippenspiel stattfand. Helen versuchte ihm den Eindruck zu vermitteln, dasssie eventuell schon verplant war, aber sie hielt das nicht lange durch. Inweniger als drei Minuten war alles geklärt, und alle waren glücklich.
In dem ingeschmackvollem Dunkelrot gehaltenen Wohnzimmer mit dem antiken Kamin undunverputzten Tragbalken in der Bartholomew Road 155räkelte Sophie sich gähnend und fing an, die Listen wegzuräumen, an denen siegesessen hatte. Sie schlang die Arme um Pauls breites Kreuz und küsste ihn aufden Nacken, ihrer Lieblingsstelle, dorthin, wo die grauen Haare sich flach aufder Haut kringelten wie bei einem Baby.
«Amanda undEdwin haben uns für Dienstag zu einem kleinen Adventsumtrunk eingeladen. Hältstdu das aus?» Amanda war die ältere und etwas nervigere von Pauls beidenjüngeren Schwestern.
«Wenn'ssein muss.» Paul drehte sich um und erwiderte ihren Kuss.
«Ich habegesagt, wir sind um sieben Uhr da. Meinst du, du kommst früher raus?»
«KeinProblem», sagte er und hatte das Versprechen, das er Helen vor kaum vierzigMinuten gegeben hatte, schon wieder völlig vergessen. «Ich komme nach derArbeit her und hole dich ab.»
©Wunderlich Verlag
Übersetzung:Sabine Maier-Längsfeld
- Autor: Jane Fallon
- 2008, 416 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Sabine Maier-Längsfeld
- Übersetzer: Sabine Maier-Längsfeld
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805208340
- ISBN-13: 9783805208345
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