Hiob
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Die ergreifende Geschichte eines einfachen Juden und seiner Familie, und zugleich die Geschichte eines Volkes und einer untergehenden Epoche: Mendel Singer, Vater von vier Kindern, weiß sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts keinen anderen Rat, als seine ostgalizische Heimat zu verlassen und den weiten Weg nach Amerika anzutreten. Dort, so hofft er, wird er ein Auskommen finden und eine bessere Zukunft für sich und die Seinen. Doch was viel versprechend beginnt, nimmt schon bald einen heillosen Verlauf.
Mit Hiob eröffnete der_ Verlag Kiepenheuer & Witsch_ eine Reihe, in der in den folgenden Programmen die bekanntesten Romane Joseph Roths als Sonderausgaben erscheinen.
Hiob von Joseph Roth
LESEPROBE
Vor vielen Jahren lebte in Zuchnow ein Mann namens MendelSinger. Er war fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicherJude. Er übte den schlichten Beruf eines Lehrers aus. In seinem Haus, das nuraus einer geräumigen Küche bestand, vermittelte er Kindern die Kenntnis derBibel. Er lehrte mit ehrlichem Eifer und ohne aufsehenerregenden Erfolg.Hunderttausende vor ihm hatten wie er gelebt und unterrichtet. Unbedeutend wiesein Wesen war sein blasses Gesicht. Ein Vollbart von einem gewöhnlichenSchwarz umrahmte es ganz. Den Mund verdeckte der Bart. Die Augen waren groß,schwarz, träge und halb verhüllt von schweren Lidern. Auf dem Kopf saß eineMütze aus schwarzem Seidenrips, einem Stoff, aus dem manchmal unmoderne undbillige Krawatten gemacht werden. Der Körper steckte im halblangen,landesüblichen jüdischen Kaftan, dessen Schöße flatterten, wenn Mendel Singer durchdie Gasse eilte, und die mit hartem, regelmäßigen Flügelschlag an die Schäfteder hohen Lederstiefel pochten.
Singer schien wenig Zeit zu haben und lauter dringendeZiele. Gewiß war sein Leben ständig schwer und zuweilen sogar eine Plage. EineFrau und drei Kinder mußte er kleiden und nähren. (Mit einem vierten ging sieschwanger.) Gott hatte seinen Lenden Fruchtbarkeit verliehen, seinem HerzenGleichmut und seinen Händen Armut. Sie hatten kein Gold zu wägen und keineBanknoten zu zählen. Dennoch rann sein Leben stetig dahin, wie ein kleiner,armer Bach zwischen kärglichen Ufern. Jeden Morgen dankte Mendel Gott für denSchlaf, für das Erwachen und den anbrechenden Tag. Wenn die Sonne unterging,betete er noch einmal. Wenn die ersten Sterne aufsprühten, betete er zumdrittenmal. Und bevor er sich schlafen legte, flüsterte er ein eiliges Gebetmit müden, aber eifrigen Lippen. Sein Schlaf war traumlos. Sein Gewissen warrein. Seine Seele war keusch. Er brauchte nichts zu bereuen, und nichts gab es,was er begehrt hätte. Er liebte sein Weib und ergötzte sich an ihrem Fleische.Mit gesundem Hunger verzehrte er schnell seine Mahlzeiten. Seine zwei kleinenSöhne, Jonas und Schemarjah, prügelte er wegen Ungehorsams. Aber das Jüngste,die Tochter Mirjam, liebkoste er häufig. Sie hatte sein schwarzes Haar undseine schwarzen, trägen und sanften Augen. Ihre Glieder waren zart, ihreGelenke zerbrechlich. Eine junge Gazelle.
Zwölf sechsjährige Schüler unterrichtete er im Lesen undMemorieren der Bibel. Jeder von den zwölf brachte ihm an jedem Freitag zwanzigKopeken. Sie waren Mendel Singers einzige Einnahmen. Dreißig Jahre war er erstalt. Aber seine Aussichten, mehr zu verdienen, waren gering, vielleichtüberhaupt nicht vorhanden. Wurden die Schüler älter, kamen sie zu andern,weiseren Lehrern. Das Leben verteuerte sich von Jahr zu Jahr. Die Ernten wurdenärmer und ärmer. Die Karotten verringerten sich, die Eier wurden hohl, dieKartoffeln erfroren, die Suppen wässerig, die Karpfen schmal und die Hechtekurz, die Enten mager, die Gänse hart und die Hühner ein Nichts.
Also klangen die Klagen Deborahs, der Frau Mendel Singers.Sie war ein Weib, manchmal ritt sie der Teufel. Sie schielte nach dem BesitzWohlhabender und neidete Kaufleuten den Gewinn. Viel zu gering war Mendel Singerin ihren Augen. Die Kinder warf sie ihm vor, die Schwangerschaft, die Teuerung,die niedrigen Honorare und oft sogar das schlechte Wetter. Am Freitag scheuertesie den Fußboden, bis er gelb wurde wie Safran. Ihre breiten Schultern zucktenauf und nieder im gleichmäßigen Rhythmus, ihre starken Hände rieben kreuz und querjedes einzelne Brett, und ihre Nägel fuhren in die Sparren und Hohlräumezwischen den Brettern und kratzten schwarzen Unrat hervor, den Sturzwellen ausdem Kübel vollends vernichteten. Wie ein breites, gewaltiges und beweglichesGebirge kroch sie durch das kahle, blaugetünchte Zimmer. Draußen, vor der Tür, lüftetensich die Möbel, das braune hölzerne Bett, die Strohsäcke, ein blankgehobelterTisch, zwei lange und schmale Bänke, horizontale Bretter, festgenagelt auf je zweivertikalen. Sobald die erste Dämmerung an das Fenster hauchte, zündete Deborahdie Kerzen an, in Leuchtern aus Alpaka, schlug die Hände vors Angesicht undbetete. Ihr Mann kam nach Hause, in seidigem Schwarz, der Fußboden leuchteteihm entgegen, gelb wie geschmolzene Sonne, sein Angesicht schimmerte weißer alsgewöhnlich, schwärzer als an Wochentagen dunkelte auch sein Bart. Er setztesich, sang ein Liedchen, dann schlürften die Eltern und die Kinder die heißeSuppe, lächelten den Tellern zu und sprachen kein Wort. Wärme erhob sich imZimmer. Sie schwärmte aus den Töpfen, den Schüsseln, den Leibern. Die billigen Kerzenin den Leuchtern aus Alpaka hielten es nicht aus, sie begannen sich zu biegen.Auf das ziegelrote, blaukarierte Tischtuch tropfte Stearin und verkrustete imNu. Man stieß das Fenster auf, die Kerzen ermannten sich und branntenfriedlich ihrem Ende zu. (...)
© 2004 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
- Autor: Joseph Roth
- 2004, 202 Seiten, Maße: 13,4 x 21,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462034057
- ISBN-13: 9783462034059
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