Wir neuen Großväter
Der schönste Job der Welt
Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie heute. Enkelkinder haben neue Großväter bekommen: toleranter, hilfsbereiter, eigenständiger und zugleich intensiver beteiligt. Rainer Holbe zeigt, wie wunderbar es ist,...
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Produktinformationen zu „Wir neuen Großväter “
Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie heute. Enkelkinder haben neue Großväter bekommen: toleranter, hilfsbereiter, eigenständiger und zugleich intensiver beteiligt. Rainer Holbe zeigt, wie wunderbar es ist, Großvater zu sein! Er und andere Prominente wie Jasmin Tabatabai, Gert Scobel, Elke Heidenreich, erzählen u.a. auch von eigenen Erfahrungen mit ihren Großvätern. Ein Buch voller Inspirationen rund um das Generationen-Spektakel.
Über die neue Rolle der Großväter
Rainer Holbe und seine Hymne auf alle Kinder dieser Welt
Über die neue Rolle der Großväter
Rainer Holbe und seine Hymne auf alle Kinder dieser Welt
Klappentext zu „Wir neuen Großväter “
Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie heute. Enkelkinder haben neue Großväter bekommen: toleranter, hilfsbereiter, eigenständiger und zugleich intensiver beteiligt. Rainer Holbe zeigt, wie wunderbar es ist, Großvater zu sein! Er und andere Prominente wie Jasmin Tabatabai, Gert Scobel, Elke Heidenreich, erzählen u.a. auch von eigenen Erfahrungen mit ihren Großvätern. Ein Buch voller Inspirationen rund um das Generationen-Spektakel.Über die neue Rolle der Großväter
Rainer Holbe und seine Hymne auf alle Kinder dieser Welt
Lese-Probe zu „Wir neuen Großväter “
Wir neuen Großväter von Rainer Holbe Die Zeiten von Opa und Oma sind vorbei
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Weil die Menschen immer älter werden, ist die gemeinsame Lebenszeit von Großeltern und ihren Enkeln so lang wie nie zuvor. Noch nie gab es so viele Drei-Generationen-Familien wie heute, und noch nie hatten sich Enkel und Großeltern so viel zu sagen. Die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl (*1970) sieht als ihr Vorbild das »tapfere Schneiderlein«, und meint dabei nicht die Figur aus dem Märchen der Gebrüder Grimm, sondern ihren Großvater. Dieser sei ein tapferes Schneiderlein gewesen, wie so viele Menschen nach dem Krieg im Kreis Miltenberg. Er habe sich nie unterkriegen lassen, sechs Tage pro Woche gearbeitet und immer wieder gesagt, welches Glück es sei, ein Schneider zu sein.
Auf eine besonders schöne Weise lässt sich auch das Großvater- Dasein des 63 Jahre alten Rudi Weisheit schildern: In zwölf Metern Höhe führte der Chef der berühmten Hochseiltruppe »Gebrüder Weisheit« seine sieben Jahre alte Enkelin Johanna ohne ein schützendes Netz über die Stahltrosse. Mit dem Auftritt beim Zirkusfestival von Monte Carlo über den Köpfen des Publikums beendete der Artistenchef seine Karriere, die er im Alter von fünf Jahren begonnen hatte. Jetzt war es an den Kindern und Enkeln, die 110 Jahre währende Familientradition der aus Gotha stammenden Truppe fortzuführen. Bald wird Johanna ohne die schützende Hand des Großvaters auf dem Seil balancieren. Doch unten in der Manege wird der alte Herr Weisheit - nomen est omen! - stehen und das Kind mit seinen guten Gedanken begleiten.
Für dieses Buch habe ich einige meiner Altersgenossen nach ihren Großvätern befragt. Die meisten mussten passen. Frank Elstners Großväter starben vor seiner Geburt. Roger Willemsen bekennt in einem Beitrag für Elke Heidenreichs Buch Ein Traum von Musik: »Von meinen Großeltern sind drei erschossen worden.«
Viele der heutigen Großväter haben eine schlimme Vergangenheit. Sie waren noch Kinder, als die Schrecken des Krieges sie ereilten, sind aufgewachsen inmitten von Flucht, Vertreibung, Bombennächten, Hunger und Tod. Das Elend des Krieges hat eine ganze Generation und in vielen Fällen auch deren Kinder geprägt.
Großeltern haben viel zu erzählen, man sollte sie nur lassen. Wir heutigen Alten leben fast doppelt so lange wie unsere Vorfahren vor noch hundert Jahren. Und wir sind die Letzten, die mit den bürgerlichen Wertvorstellungen unserer eigenen Großeltern aufgewachsen sind: Ehrlichkeit, Anstand, Würde, Fleiß, Autorität, Sparsamkeit. Die Weltbilder unserer Kindheit sind von denen unserer Enkel um Lichtjahre entfernt. Meine Schulkameraden berichteten mir oft, dass sie Hunger leiden mussten, zerfetzte Kleidung trugen und arm waren wie die Kirchenmäuse. Ich erinnere mich, wie in dem kleinen Dorf in der Altmark am Abend oft der Strom abgeschaltet wurde und wir die Tür zum gusseisernen Herd öffneten, um ein wenig Licht und Wärme zu bekommen.
Dafür geht es jetzt den meisten von uns richtig gut. Wir fliegen zum Golfturnier nach Andalusien und gondeln mit dem Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas. Und was das Schönste ist: Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie im 21. Jahrhundert.
Das Leben unserer Kindeskinder prägt unser Dasein - und umgekehrt.
Die Zeiten von »Opa« und »Oma« sind vorbei. In meinem ersten Lesebuch trug Oma einen grauen Dutt und eine Nickelbrille, Opa hatte einen Bart, schmauchte seine Pfeife und hielt sich an einem Spaten fest. Im Garten mümmelten Hund und Katze gemütlich vor sich hin.
Oft dienten »Opa« und »Oma« auch als Schimpfnamen, die von jungen Leuten älteren Menschen hinterhergerufen wurden. Inzwischen haben die meisten unserer Enkel eine andere Art von Großeltern bekommen, die hilfsbereiter und toleranter sind als früher, eigenständiger und selbstbewusster. Vor allem interessieren sie sich mehr für die Belange ihrer Enkel und erzählen nicht immer nur die alten Geschichten, in denen früher alles besser war. Opa ist plötzlich »cool« - I love Opa.
Manche Großväter beklagen sich, dass ihnen trotz aller Zuneigung ihre Enkel manchmal ganz schön zusetzen. Dann mahne ich zur Geduld: Schaut unsere kleinen Buben und Mädchen nur etwas nachsichtiger an, lasst euch beglücken von ihrer Freude am Leben, von ihren offenen Gesichtern. Es ist doch nicht zu übersehen, dass sie selbstbewusster und geistig beweglicher sind als die Kinder früherer Generationen. »Kinder haben von Anfang an eine eigene Persönlichkeit und sind damit menschlich und sozial kompetente Partner ihrer Eltern«, sagt der Familientherapeut Jesper Juul und bezieht engagierte Großeltern mit ein. »Wir Erwachsenen müssen lernen, auch störendes Verhalten in Botschaften zu übersetzen. Denn Erziehung ist ein Entwicklungsprozess - für die Eltern und für die Kinder.« Das Deutsche Jugendinstitut stellt in einer Mehrgenerationen-Studie fest: »Nicht tiefe Gräben trennen die Generationen mehr voneinander, sondern nur ein paar Türen und Straßen. Enkel und Großeltern sind in der Regel füreinander da. Darauf kann man sich verlassen, selbst wenn man sich nicht so oft sieht!«
Die gestiegene Lebenserwartung mag zwar eine Belastung für Renten- und Krankenkassen sein, für das Zusammensein von Enkeln und Großeltern bietet sie jedoch große Chancen auf eine gemeinsame lange Lebenszeit. Heutige Großväter und Großmütter leben nicht nur länger als ihre eigenen Eltern, sie sind in der Regel auch gesünder, gebildeter und wohlhabender. Und sie sind mit einer wunderbaren Gabe ausgestattet, die das Zusammenleben der Generationen erleichtert: Gelassenheit.
Von »Ruhestand« kann bei den meisten Großeltern nicht mehr die Rede sein. Ruhestand bedeutet Stillstand, ja sogar Kapitulation gegenüber dem Leben, das in jedem Alter voller Gestaltungsmöglichkeiten ist.
Außerdem sind aktive Großeltern im Besitz jenes kostbaren Gutes, das ihren berufstätigen Kindern meistens fehlt: Zeit. Genau dies ist es, was Enkel zu Recht für sich einfordern. Die Kinder des Informationszeitalters sehnen sich nach echten Menschengeschichten, nach Stories, in denen die Großeltern Helden oder Verlierer sind. Es gibt jedoch auch das Bild der scheinbar egoistischen Großeltern, die ihre eigenen Pläne verwirklichen wollen: endlich ein Apartment im Süden, ein nachgeholtes Studium an der Uni, Überwintern auf Mallorca. Steht also dem Gewinn an Zeit, Bildung und Wohlstand ein Verlust an Fürsorge für die Enkelkinder gegenüber? »Nein«, sagen die so Gescholtenen. Aus Vater Staat ist längst ein Großvater Staat geworden, der mit einem immer dichteren Netz aus Kindergärten und Krabbelstuben für die sozialen Belange der Enkel sorgt: Kinder brauchen Kinder. Die Großeltern springen ein, wenn Not am Mann ist, und konzentrieren sich auf die wichtigen Momente im Leben ihrer Enkel: Geburtstage, Einschulungen, Familienfeste.
Auch eine immer raffiniertere Technik verhilft zu mehr Nähe. Videogespräche über Computer und über das Mobiltelefon erobern den Familienalltag. Allein der kostenlose Video- dienst von Skype hat über eine halbe Milliarde angemeldeter Nutzer, darunter viele Großeltern, die per Distanz mit ihren Enkeln spielen. Kein Ort ist zu weit für eine Plauderei, kein Land zu fern für ein Lächeln.
Noch in jüngster Vergangenheit konnten unsere Vorfahren ihren Enkeln verlässliche Auskunft über deren Zukunft geben. Die ältere Generation gab guten Gewissens Erfahrungen weiter, die sie über Beruf und Familie, über Umwelt und Technik gesammelt hatte. Wissen und Erfahrung waren ein wertvoller Schatz. Heute hat dieser Schatz an Wert verloren.
»Was Gültigkeit behält, sind Erfahrungen mit dem, was dem Menschen gemäß ist: Mit dem Wert der Familie und der kleinen Lebenskreise als primären Orten menschlicher Identität und persönlicher Verantwortung«, schreibt Kurt Biedenkopf - politisches Urgestein und Großvater von zehn Enkelkindern - in seinem Buch Die Ausbeutung der Enkel. Viele Ältere hätten Schwierigkeiten, die heutige wissenschaftlich-technische Welt zu verstehen, und seien deshalb auf den Rat der Jüngeren angewiesen. Reich und mächtig seien sie, unsere Enkel, verbunden und vernetzt mit der ganzen Welt. Aber arm an Erfahrungen und an geistiger wie kultureller Sinngebung, die uns auch in Zeiten des Umbruchs die Gewissheit vermitteln könnte, Teile einer gleichgesinnten Gemeinschaft zu sein, meint Biedenkopf.
Ein besonderer Aspekt, der für das Miteinander von uns Großeltern und unseren Enkeln spricht: Wir können eine Menge voneinander lernen. Nie zuvor ist das Wissen der Alten schneller verblasst, als in den vergangenen Generationen. Auch Berufe verschwinden wie Schnee in der Sonne. Als Redakteur hatte ich es bei der Zeitung mit Schriftsetzern zu tun, heute machen Web-Designer deren Arbeit. Enkel erklären ihren Großeltern den Umgang mit neuen Kommunikationstechniken, mit Computer, Internet und E-Mail, sie zeigen ihnen, wie man mit den Bildern der Digitalkamera ein Fotobuch anlegt und sein Bankkonto elektronisch überblickt.
Großeltern wiederum lernen von ihren Enkeln viel über die aktuelle Jugendkultur und deren eigenen Sprachstil. Im Spiegel (vom 16.8.2010) wurde der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass gefragt, ob er denn immer alles verstehe, was seine Enkel meinen. »Aber ja«, so Grass. Und als er dann weiter gefragt wird, was denn bedeuten würde: »Chill mal - Der ist total durch - Lass mal rüberwachsen«, antwortet er: »›Entspann dich. Der ist kaputt. Gib mal her‹ - Es ist für mich ein wunderbarer Zugewinn, dass ich mithilfe meiner Enkel auf dem Laufenden darüber bin, was herrschender Jargon ist.«
Großelternschaft ist eine Strategie des Anti-Aging. Der Kopf bleibt wach, die kleinen grauen Zellen werden gefordert, seelische Gesundheit ist die Voraussetzung für körperliches Wohlbefinden. Auffallend ist, dass die heutigen Großväter eher eine antiautoritäre Rolle einnehmen und besonders hilfreich agieren können, wenn ihre Enkel in der Pubertät mit den Eltern aneinandergeraten. Obwohl im Teenageralter der Kontakt zu Freunden wichtiger wird, bleiben die Großeltern oft die letzte Instanz, wenn es um Konflikte im Familienverbund geht. Früher ging in dieser Lebensphase der Kontakt zum Großvater und zur Großmutter verloren, im Zeitalter von Mobiltelefonen und EMail- Verbindungen ist dies kein Problem mehr. Allerdings sind nicht alle meine Altersgenossen bereit, sich dieser Art von Verjüngungskur zu unterziehen und sich auf die Lebenswelten ihrer Kinder und Enkel ein zulassen. »Um solche Beziehungen zu gestalten, muss man soziale Fähigkeiten haben, die aber nicht in allen Milieus gleichermaßen vorhanden sind«, meint die Soziologin Cornelia Hummel von der Universität Genf. »Die neuen Großeltern sind vor allem ein Mittel- und Oberschichtenphänomen.« Davon mal abgesehen gibt es sicherlich weiterhin jene altbekannten Opas und Omas, die alles besser wissen, nicht zuhören wollen und immer die gleichen Geschichten erzählen. Vor den Preis haben auch hier die Götter den Schweiß gesetzt: Ein aufgeschlossenes Verhältnis zwischen den Generationen muss oft hart erarbeitet werden. Egal, ob die Beziehungen nun gut oder schlecht sind, prägend sind sie allemal. Pädagogen sprechen vom »kulturellen Erbe«, das von einem Kind verinnerlicht wird.
Enkel registrieren sehr wohl, ob in der Familie Achtung und Respekt voreinander herrschen, ob die Eltern ihre Konflikte lautstark vor den anderen austragen und ob die Großeltern mit ihnen auch mal ins Konzert oder ins Kino gehen oder sie einfach vor dem Fernsehapparat absetzen. Jeder von uns ist verstrickt in machtvolle Familienstrukturen, und dieses Erbe kann niemand einfach ausschlagen. Unsere Ahnen üben - ob wir das wollen oder nicht - über die Zeiten hinweg einen großen Einfluss auf uns aus. Umso verantwortungsvoller sind unsere Positionen als Großvater und Großmutter. Wir sind für unsere Enkel eine erste wichtige Brücke in die Welt außerhalb des Elternhauses. Wir stammen nicht nur aus verschiedenen Epochen, wir befinden uns auch an gegensätzlichen Stationen unseres Lebensweges.
Unsere Enkel stehen am Anfang ihrer Biografie, wir können am Horizont bereits den Regenbogen über der Ewigkeit ausmachen. Vielleicht sind wir mit den Jahren ein bisschen weise geworden und können unsere Enkel mit unseren Erzählungen in die Geschichte unserer Familie einbinden. Großvater und Großmutter zu sein, ist eine ziemlich gute Rolle im Theaterstück unseres Lebens. »Großeltern«, sagt der Zürcher Soziologe François Höpflinger, »gehören zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu den wenigen positiv besetzten Altersbildern.« (NZZ v. 25.2.2007)
Als Großvater muss ich keine Karriere mehr machen, kein Haus mehr bauen und keinen Baum mehr pflanzen. Solche Ziele ersetze ich durch den Wunsch, das Leben mit den Nachkommen zu genießen. Zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, steigert mein eigenes Wohlbefinden. Wer sich von uns in den Disziplinen Langmut und Großzügigkeit übt, ist auf der sicheren Seite. Mit unseren weitergegebenen Erfahrungen verbindet sich auch der Wunsch, unseren Enkeln ein paar Ängste zu ersparen. Wenn es so etwas gibt wie ein genetisches Erbe, dann würden unsere Enkel zu liebevollen Großeltern werden, wenn ihre Zeit gekommen ist.
Die Publizistin Dana Horáková blickt in ihrem Buch Das Christophorus-Projekt auf Zeiten zurück, in denen Großfamilien zusammenlebten und keine Generation ausgegrenzt und abgeschoben wurde. Am Beispiel der Christophorus-Legende illustriert sie die befreiende Gemeinschaft eines Uralten und eines ungemein anziehenden Kindes. Den Jesusknaben über den Fluss tragend, bürdet sich der alte Mann das Gewicht der ganzen Welt auf und entdeckt dabei - was er lange gesucht hat - eine Aufgabe, die ihn endlich mit Freude erfüllt. »Können wir die jungen Alten dazu bewegen, in ähnlicher Weise sich der Enkelgeneration anzunehmen?«, fragt Dana Horáková. Ihre Hoffnung setzt sie dabei auch auf die »Alt-Achtundsechziger«, die in den Ruhestand gegangen sind und einst doch als engagierte Idealisten bewiesen haben, dass sie keine egoistischen Angehörigen der Spaßgesellschaft sein müssen. Horáková spricht gar »von der Pflicht der Alten, unsere Kinder zu retten «. Ein überzeugender Aufruf zu mehr Engagement. Liberale Großeltern vermitteln mit Begriffen wie Vorbild und Autorität einen freiheitlichen und sittlich überzeugenden Sinn. »Die Pflicht der Alten, unsere Kinder zu retten« eröffnet ihnen zugleich eine Chance, selbst nachhaltig glücklich zu werden.
In der Evolutionsgeschichte spielte die Großmutter bisher die Hauptrolle. Sie war zumeist fromm, erzählte Märchen und opferte sich auf. Der Großvater war im Krieg, arbeitete auf dem Acker oder in der Fabrik. Inzwischen steht der Großvater der Großmutter in der Gunst ihrer Enkel in nichts nach. Er schiebt den Kinderwagen, wickelt das Baby, spielt mit ihm und versucht wieder gut zumachen, was er bei der Erziehung der eigenen Kinder versäumt hat.
Doch so liebevoll und verständig, so hilfsbereit und klug ein Großvater auch zu agieren vermag, letztendlich ist die Generation unserer Enkel für sich selbst verantwortlich. Die Zukunft unserer Welt liegt in ihren Händen. »Als Großvater würde ich meinen Enkelkindern gerne zwei Dinge mitgeben, dass sie auf ihren eigenen Füßen stehen und mit ihren eigenen Augen sehen können«, schreibt der israelische Staatsmann Shimon Peres. »Auf eigenen Füßen zu stehen, um den richtigen Weg zu gehen, und mit eigenen Augen das Helle und nicht nur die Schatten auf unserer Welt zu sehen.«
Um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, braucht es ein größeres Verantwortungsbewusstsein. Ob unsere Buben und Mädchen bereit sind, an einer liebevolleren, freundlicheren und verständnisvolleren Menschheitsfamilie mitzuarbeiten, liegt auch an uns - den Großmüttern und Großvätern dieser Welt.
Der Großvater - das erzählende Wesen Unser Leben besteht aus einer wachsenden Zahl von Geschichten Eine Hymne auf unsere Enkelkinder Solange Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln,
wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel. INDISCHES SPRICHWORT
Ferdinand, Leo und Max sind klug, fantasievoll, mutig, stark, tolerant, zärtlich, humorvoll und inspirierend. Sie folgen ihrem eigenen Stern, ihrer eigenen Musik und haben die Gabe, schwermütige Herzen mit Freude zu erfüllen. Es sind ausgesprochen soziale und kreative kleine Menschen. Es sind meine Enkelkinder. Ihnen sei dieses Buch gewidmet, aber auch ihren Freunden, ihren Eltern und Großeltern, ihrer Großmutter Rosi und all den wunderbaren Kindern, die auf dieser Erde leben.
In meinem über 70 Jahre währenden Leben habe ich viel erlebt, viel gesehen, viel gehört, tolle Menschen getroffen und mancherlei Enttäuschungen akzeptieren müssen. Es ist ein wunderbares Leben.
Die Zeit, die ich als Großvater erlebe, ist die bisher wichtigste, schönste und aufregendste Epoche.
Ich lerne von meinen Enkeln, die Welt vollkommen neu zu sehen, zu begreifen, sie zu verstehen. Dafür bin ich meinen Buben dankbar. Dafür schenke ich ihnen meine Erinnerungen, die ich zu kleinen Geschichten verdichtet habe. Großväter - aber auch Großmütter - sind dazu aufgerufen, Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen. Das war schon immer so. Was wären die Gebrüder Grimm ohne ihre Großmutter, die ihnen von Rotkäppchen, Rapunzel und den sieben Zwergen berichtete?
Das Erzählen, das dem anderen selbst etwas erzählen ist Kleinkunst im besten Sinne. Wir jedoch leben in einer Zeit, in der wir uns lieber etwas erzählen lassen: von den Leuten aus dem Fernsehen, von CDs und von Unbekannten aus dem Internet. Und die eigenen Artikulationen, die eigene Wortschöpfung fallen immer schwerer. Am Ende eines Sommers treffen Bekannte und Nachbarn wieder zu Hause ein. Sie kommen von den Inseln der Malediven und aus den Wüsten Namibias, sie haben Gewaltmärsche im Himalaja hinter sich und sind im strömenden Regen nach Machu Picchu aufgebrochen. Die Ferien waren für sie ein exotisches Abenteuer, und ihre Erfahrungen haben nichts mit dem zu tun, was sie im Alltag erwartet. Aber wenn ich sie frage, wie es denn so war in der Fremde, dann höre ich meist die gleichen Antworten: »Schön« oder »interessant« oder das alles umfassende »echt geil!« Als ich im Alter von neunzehn Jahren zusammen mit meinem Kumpel Michael K. zu meiner ersten großen Reise aufgebrochen bin und bei Montpellier endlich das Meer sehen durfte, habe ich meinen Freunden nach der Rückkehr ein ganzes Wochenende lang davon erzählt. Jede mir in Frankreich gereichte Käseplatte beschrieb ich so ausführlich, dass den Zuhörern das Wasser im Munde zusammenlief.
Um ein guter Erzähler zu sein, bedarf es der Gabe der besonderen Wahrnehmung, meint der Schriftsteller John Irving. Denn oft sind wir mitten in einem spannenden Geschehen und nehmen es überhaupt nicht wahr. Im Erzählen werfen wir einen neugierigen Blick auf das eigene Leben. Der Inhalt eines Buches, eines Films oder eines Ferienerlebnisses erschließt sich erst richtig, wenn wir anderen davon berichten.
Der Mensch ist ein erzählendes Wesen. Zum Erzählen braucht es Fantasie, die Freude am Gestalten von Sätzen, am Platzieren von Wörtern. Je komplizierter die Welt wird, desto mehr sollten wir sie in Worte fassen.
Inzwischen fehlen einer ganzen Generation die Worte. Sprachlos hocken sie vor dem Fernsehapparat oder dem Computermonitor und lassen sich die Welt erklären, ohne selbst zu Wort zu kommen. In dieser Sprachlosigkeit sehe ich eine Gefahr für unsere Kultur. Die Bilderfl ut des Fernsehens drängt die Sprache an den Rand. Sprachlosigkeit ist deshalb gefährlich, weil viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihre Probleme zu artikulieren, sich auszusprechen. Nicht selten greifen sie deshalb zu gewalttätigen Lösungen.
Aber was auch immer unsere Persönlichkeit prägen mag: Unser Leben besteht aus einer wachsenden Anzahl von Geschichten, an die wir glauben, und die in ihrer Summe unseren Charakter bestimmen. Erlebtes und Erinnertes in Worte zu fassen, schärft den Blick für die Einflüsse, die uns formen und zu dem machen, der wir sind.
Copyright © 2011 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Weil die Menschen immer älter werden, ist die gemeinsame Lebenszeit von Großeltern und ihren Enkeln so lang wie nie zuvor. Noch nie gab es so viele Drei-Generationen-Familien wie heute, und noch nie hatten sich Enkel und Großeltern so viel zu sagen. Die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl (*1970) sieht als ihr Vorbild das »tapfere Schneiderlein«, und meint dabei nicht die Figur aus dem Märchen der Gebrüder Grimm, sondern ihren Großvater. Dieser sei ein tapferes Schneiderlein gewesen, wie so viele Menschen nach dem Krieg im Kreis Miltenberg. Er habe sich nie unterkriegen lassen, sechs Tage pro Woche gearbeitet und immer wieder gesagt, welches Glück es sei, ein Schneider zu sein.
Auf eine besonders schöne Weise lässt sich auch das Großvater- Dasein des 63 Jahre alten Rudi Weisheit schildern: In zwölf Metern Höhe führte der Chef der berühmten Hochseiltruppe »Gebrüder Weisheit« seine sieben Jahre alte Enkelin Johanna ohne ein schützendes Netz über die Stahltrosse. Mit dem Auftritt beim Zirkusfestival von Monte Carlo über den Köpfen des Publikums beendete der Artistenchef seine Karriere, die er im Alter von fünf Jahren begonnen hatte. Jetzt war es an den Kindern und Enkeln, die 110 Jahre währende Familientradition der aus Gotha stammenden Truppe fortzuführen. Bald wird Johanna ohne die schützende Hand des Großvaters auf dem Seil balancieren. Doch unten in der Manege wird der alte Herr Weisheit - nomen est omen! - stehen und das Kind mit seinen guten Gedanken begleiten.
Für dieses Buch habe ich einige meiner Altersgenossen nach ihren Großvätern befragt. Die meisten mussten passen. Frank Elstners Großväter starben vor seiner Geburt. Roger Willemsen bekennt in einem Beitrag für Elke Heidenreichs Buch Ein Traum von Musik: »Von meinen Großeltern sind drei erschossen worden.«
Viele der heutigen Großväter haben eine schlimme Vergangenheit. Sie waren noch Kinder, als die Schrecken des Krieges sie ereilten, sind aufgewachsen inmitten von Flucht, Vertreibung, Bombennächten, Hunger und Tod. Das Elend des Krieges hat eine ganze Generation und in vielen Fällen auch deren Kinder geprägt.
Großeltern haben viel zu erzählen, man sollte sie nur lassen. Wir heutigen Alten leben fast doppelt so lange wie unsere Vorfahren vor noch hundert Jahren. Und wir sind die Letzten, die mit den bürgerlichen Wertvorstellungen unserer eigenen Großeltern aufgewachsen sind: Ehrlichkeit, Anstand, Würde, Fleiß, Autorität, Sparsamkeit. Die Weltbilder unserer Kindheit sind von denen unserer Enkel um Lichtjahre entfernt. Meine Schulkameraden berichteten mir oft, dass sie Hunger leiden mussten, zerfetzte Kleidung trugen und arm waren wie die Kirchenmäuse. Ich erinnere mich, wie in dem kleinen Dorf in der Altmark am Abend oft der Strom abgeschaltet wurde und wir die Tür zum gusseisernen Herd öffneten, um ein wenig Licht und Wärme zu bekommen.
Dafür geht es jetzt den meisten von uns richtig gut. Wir fliegen zum Golfturnier nach Andalusien und gondeln mit dem Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas. Und was das Schönste ist: Das Verhältnis zwischen Alt und Jung war noch nie so innig wie im 21. Jahrhundert.
Das Leben unserer Kindeskinder prägt unser Dasein - und umgekehrt.
Die Zeiten von »Opa« und »Oma« sind vorbei. In meinem ersten Lesebuch trug Oma einen grauen Dutt und eine Nickelbrille, Opa hatte einen Bart, schmauchte seine Pfeife und hielt sich an einem Spaten fest. Im Garten mümmelten Hund und Katze gemütlich vor sich hin.
Oft dienten »Opa« und »Oma« auch als Schimpfnamen, die von jungen Leuten älteren Menschen hinterhergerufen wurden. Inzwischen haben die meisten unserer Enkel eine andere Art von Großeltern bekommen, die hilfsbereiter und toleranter sind als früher, eigenständiger und selbstbewusster. Vor allem interessieren sie sich mehr für die Belange ihrer Enkel und erzählen nicht immer nur die alten Geschichten, in denen früher alles besser war. Opa ist plötzlich »cool« - I love Opa.
Manche Großväter beklagen sich, dass ihnen trotz aller Zuneigung ihre Enkel manchmal ganz schön zusetzen. Dann mahne ich zur Geduld: Schaut unsere kleinen Buben und Mädchen nur etwas nachsichtiger an, lasst euch beglücken von ihrer Freude am Leben, von ihren offenen Gesichtern. Es ist doch nicht zu übersehen, dass sie selbstbewusster und geistig beweglicher sind als die Kinder früherer Generationen. »Kinder haben von Anfang an eine eigene Persönlichkeit und sind damit menschlich und sozial kompetente Partner ihrer Eltern«, sagt der Familientherapeut Jesper Juul und bezieht engagierte Großeltern mit ein. »Wir Erwachsenen müssen lernen, auch störendes Verhalten in Botschaften zu übersetzen. Denn Erziehung ist ein Entwicklungsprozess - für die Eltern und für die Kinder.« Das Deutsche Jugendinstitut stellt in einer Mehrgenerationen-Studie fest: »Nicht tiefe Gräben trennen die Generationen mehr voneinander, sondern nur ein paar Türen und Straßen. Enkel und Großeltern sind in der Regel füreinander da. Darauf kann man sich verlassen, selbst wenn man sich nicht so oft sieht!«
Die gestiegene Lebenserwartung mag zwar eine Belastung für Renten- und Krankenkassen sein, für das Zusammensein von Enkeln und Großeltern bietet sie jedoch große Chancen auf eine gemeinsame lange Lebenszeit. Heutige Großväter und Großmütter leben nicht nur länger als ihre eigenen Eltern, sie sind in der Regel auch gesünder, gebildeter und wohlhabender. Und sie sind mit einer wunderbaren Gabe ausgestattet, die das Zusammenleben der Generationen erleichtert: Gelassenheit.
Von »Ruhestand« kann bei den meisten Großeltern nicht mehr die Rede sein. Ruhestand bedeutet Stillstand, ja sogar Kapitulation gegenüber dem Leben, das in jedem Alter voller Gestaltungsmöglichkeiten ist.
Außerdem sind aktive Großeltern im Besitz jenes kostbaren Gutes, das ihren berufstätigen Kindern meistens fehlt: Zeit. Genau dies ist es, was Enkel zu Recht für sich einfordern. Die Kinder des Informationszeitalters sehnen sich nach echten Menschengeschichten, nach Stories, in denen die Großeltern Helden oder Verlierer sind. Es gibt jedoch auch das Bild der scheinbar egoistischen Großeltern, die ihre eigenen Pläne verwirklichen wollen: endlich ein Apartment im Süden, ein nachgeholtes Studium an der Uni, Überwintern auf Mallorca. Steht also dem Gewinn an Zeit, Bildung und Wohlstand ein Verlust an Fürsorge für die Enkelkinder gegenüber? »Nein«, sagen die so Gescholtenen. Aus Vater Staat ist längst ein Großvater Staat geworden, der mit einem immer dichteren Netz aus Kindergärten und Krabbelstuben für die sozialen Belange der Enkel sorgt: Kinder brauchen Kinder. Die Großeltern springen ein, wenn Not am Mann ist, und konzentrieren sich auf die wichtigen Momente im Leben ihrer Enkel: Geburtstage, Einschulungen, Familienfeste.
Auch eine immer raffiniertere Technik verhilft zu mehr Nähe. Videogespräche über Computer und über das Mobiltelefon erobern den Familienalltag. Allein der kostenlose Video- dienst von Skype hat über eine halbe Milliarde angemeldeter Nutzer, darunter viele Großeltern, die per Distanz mit ihren Enkeln spielen. Kein Ort ist zu weit für eine Plauderei, kein Land zu fern für ein Lächeln.
Noch in jüngster Vergangenheit konnten unsere Vorfahren ihren Enkeln verlässliche Auskunft über deren Zukunft geben. Die ältere Generation gab guten Gewissens Erfahrungen weiter, die sie über Beruf und Familie, über Umwelt und Technik gesammelt hatte. Wissen und Erfahrung waren ein wertvoller Schatz. Heute hat dieser Schatz an Wert verloren.
»Was Gültigkeit behält, sind Erfahrungen mit dem, was dem Menschen gemäß ist: Mit dem Wert der Familie und der kleinen Lebenskreise als primären Orten menschlicher Identität und persönlicher Verantwortung«, schreibt Kurt Biedenkopf - politisches Urgestein und Großvater von zehn Enkelkindern - in seinem Buch Die Ausbeutung der Enkel. Viele Ältere hätten Schwierigkeiten, die heutige wissenschaftlich-technische Welt zu verstehen, und seien deshalb auf den Rat der Jüngeren angewiesen. Reich und mächtig seien sie, unsere Enkel, verbunden und vernetzt mit der ganzen Welt. Aber arm an Erfahrungen und an geistiger wie kultureller Sinngebung, die uns auch in Zeiten des Umbruchs die Gewissheit vermitteln könnte, Teile einer gleichgesinnten Gemeinschaft zu sein, meint Biedenkopf.
Ein besonderer Aspekt, der für das Miteinander von uns Großeltern und unseren Enkeln spricht: Wir können eine Menge voneinander lernen. Nie zuvor ist das Wissen der Alten schneller verblasst, als in den vergangenen Generationen. Auch Berufe verschwinden wie Schnee in der Sonne. Als Redakteur hatte ich es bei der Zeitung mit Schriftsetzern zu tun, heute machen Web-Designer deren Arbeit. Enkel erklären ihren Großeltern den Umgang mit neuen Kommunikationstechniken, mit Computer, Internet und E-Mail, sie zeigen ihnen, wie man mit den Bildern der Digitalkamera ein Fotobuch anlegt und sein Bankkonto elektronisch überblickt.
Großeltern wiederum lernen von ihren Enkeln viel über die aktuelle Jugendkultur und deren eigenen Sprachstil. Im Spiegel (vom 16.8.2010) wurde der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass gefragt, ob er denn immer alles verstehe, was seine Enkel meinen. »Aber ja«, so Grass. Und als er dann weiter gefragt wird, was denn bedeuten würde: »Chill mal - Der ist total durch - Lass mal rüberwachsen«, antwortet er: »›Entspann dich. Der ist kaputt. Gib mal her‹ - Es ist für mich ein wunderbarer Zugewinn, dass ich mithilfe meiner Enkel auf dem Laufenden darüber bin, was herrschender Jargon ist.«
Großelternschaft ist eine Strategie des Anti-Aging. Der Kopf bleibt wach, die kleinen grauen Zellen werden gefordert, seelische Gesundheit ist die Voraussetzung für körperliches Wohlbefinden. Auffallend ist, dass die heutigen Großväter eher eine antiautoritäre Rolle einnehmen und besonders hilfreich agieren können, wenn ihre Enkel in der Pubertät mit den Eltern aneinandergeraten. Obwohl im Teenageralter der Kontakt zu Freunden wichtiger wird, bleiben die Großeltern oft die letzte Instanz, wenn es um Konflikte im Familienverbund geht. Früher ging in dieser Lebensphase der Kontakt zum Großvater und zur Großmutter verloren, im Zeitalter von Mobiltelefonen und EMail- Verbindungen ist dies kein Problem mehr. Allerdings sind nicht alle meine Altersgenossen bereit, sich dieser Art von Verjüngungskur zu unterziehen und sich auf die Lebenswelten ihrer Kinder und Enkel ein zulassen. »Um solche Beziehungen zu gestalten, muss man soziale Fähigkeiten haben, die aber nicht in allen Milieus gleichermaßen vorhanden sind«, meint die Soziologin Cornelia Hummel von der Universität Genf. »Die neuen Großeltern sind vor allem ein Mittel- und Oberschichtenphänomen.« Davon mal abgesehen gibt es sicherlich weiterhin jene altbekannten Opas und Omas, die alles besser wissen, nicht zuhören wollen und immer die gleichen Geschichten erzählen. Vor den Preis haben auch hier die Götter den Schweiß gesetzt: Ein aufgeschlossenes Verhältnis zwischen den Generationen muss oft hart erarbeitet werden. Egal, ob die Beziehungen nun gut oder schlecht sind, prägend sind sie allemal. Pädagogen sprechen vom »kulturellen Erbe«, das von einem Kind verinnerlicht wird.
Enkel registrieren sehr wohl, ob in der Familie Achtung und Respekt voreinander herrschen, ob die Eltern ihre Konflikte lautstark vor den anderen austragen und ob die Großeltern mit ihnen auch mal ins Konzert oder ins Kino gehen oder sie einfach vor dem Fernsehapparat absetzen. Jeder von uns ist verstrickt in machtvolle Familienstrukturen, und dieses Erbe kann niemand einfach ausschlagen. Unsere Ahnen üben - ob wir das wollen oder nicht - über die Zeiten hinweg einen großen Einfluss auf uns aus. Umso verantwortungsvoller sind unsere Positionen als Großvater und Großmutter. Wir sind für unsere Enkel eine erste wichtige Brücke in die Welt außerhalb des Elternhauses. Wir stammen nicht nur aus verschiedenen Epochen, wir befinden uns auch an gegensätzlichen Stationen unseres Lebensweges.
Unsere Enkel stehen am Anfang ihrer Biografie, wir können am Horizont bereits den Regenbogen über der Ewigkeit ausmachen. Vielleicht sind wir mit den Jahren ein bisschen weise geworden und können unsere Enkel mit unseren Erzählungen in die Geschichte unserer Familie einbinden. Großvater und Großmutter zu sein, ist eine ziemlich gute Rolle im Theaterstück unseres Lebens. »Großeltern«, sagt der Zürcher Soziologe François Höpflinger, »gehören zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu den wenigen positiv besetzten Altersbildern.« (NZZ v. 25.2.2007)
Als Großvater muss ich keine Karriere mehr machen, kein Haus mehr bauen und keinen Baum mehr pflanzen. Solche Ziele ersetze ich durch den Wunsch, das Leben mit den Nachkommen zu genießen. Zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, steigert mein eigenes Wohlbefinden. Wer sich von uns in den Disziplinen Langmut und Großzügigkeit übt, ist auf der sicheren Seite. Mit unseren weitergegebenen Erfahrungen verbindet sich auch der Wunsch, unseren Enkeln ein paar Ängste zu ersparen. Wenn es so etwas gibt wie ein genetisches Erbe, dann würden unsere Enkel zu liebevollen Großeltern werden, wenn ihre Zeit gekommen ist.
Die Publizistin Dana Horáková blickt in ihrem Buch Das Christophorus-Projekt auf Zeiten zurück, in denen Großfamilien zusammenlebten und keine Generation ausgegrenzt und abgeschoben wurde. Am Beispiel der Christophorus-Legende illustriert sie die befreiende Gemeinschaft eines Uralten und eines ungemein anziehenden Kindes. Den Jesusknaben über den Fluss tragend, bürdet sich der alte Mann das Gewicht der ganzen Welt auf und entdeckt dabei - was er lange gesucht hat - eine Aufgabe, die ihn endlich mit Freude erfüllt. »Können wir die jungen Alten dazu bewegen, in ähnlicher Weise sich der Enkelgeneration anzunehmen?«, fragt Dana Horáková. Ihre Hoffnung setzt sie dabei auch auf die »Alt-Achtundsechziger«, die in den Ruhestand gegangen sind und einst doch als engagierte Idealisten bewiesen haben, dass sie keine egoistischen Angehörigen der Spaßgesellschaft sein müssen. Horáková spricht gar »von der Pflicht der Alten, unsere Kinder zu retten «. Ein überzeugender Aufruf zu mehr Engagement. Liberale Großeltern vermitteln mit Begriffen wie Vorbild und Autorität einen freiheitlichen und sittlich überzeugenden Sinn. »Die Pflicht der Alten, unsere Kinder zu retten« eröffnet ihnen zugleich eine Chance, selbst nachhaltig glücklich zu werden.
In der Evolutionsgeschichte spielte die Großmutter bisher die Hauptrolle. Sie war zumeist fromm, erzählte Märchen und opferte sich auf. Der Großvater war im Krieg, arbeitete auf dem Acker oder in der Fabrik. Inzwischen steht der Großvater der Großmutter in der Gunst ihrer Enkel in nichts nach. Er schiebt den Kinderwagen, wickelt das Baby, spielt mit ihm und versucht wieder gut zumachen, was er bei der Erziehung der eigenen Kinder versäumt hat.
Doch so liebevoll und verständig, so hilfsbereit und klug ein Großvater auch zu agieren vermag, letztendlich ist die Generation unserer Enkel für sich selbst verantwortlich. Die Zukunft unserer Welt liegt in ihren Händen. »Als Großvater würde ich meinen Enkelkindern gerne zwei Dinge mitgeben, dass sie auf ihren eigenen Füßen stehen und mit ihren eigenen Augen sehen können«, schreibt der israelische Staatsmann Shimon Peres. »Auf eigenen Füßen zu stehen, um den richtigen Weg zu gehen, und mit eigenen Augen das Helle und nicht nur die Schatten auf unserer Welt zu sehen.«
Um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, braucht es ein größeres Verantwortungsbewusstsein. Ob unsere Buben und Mädchen bereit sind, an einer liebevolleren, freundlicheren und verständnisvolleren Menschheitsfamilie mitzuarbeiten, liegt auch an uns - den Großmüttern und Großvätern dieser Welt.
Der Großvater - das erzählende Wesen Unser Leben besteht aus einer wachsenden Zahl von Geschichten Eine Hymne auf unsere Enkelkinder Solange Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln,
wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel. INDISCHES SPRICHWORT
Ferdinand, Leo und Max sind klug, fantasievoll, mutig, stark, tolerant, zärtlich, humorvoll und inspirierend. Sie folgen ihrem eigenen Stern, ihrer eigenen Musik und haben die Gabe, schwermütige Herzen mit Freude zu erfüllen. Es sind ausgesprochen soziale und kreative kleine Menschen. Es sind meine Enkelkinder. Ihnen sei dieses Buch gewidmet, aber auch ihren Freunden, ihren Eltern und Großeltern, ihrer Großmutter Rosi und all den wunderbaren Kindern, die auf dieser Erde leben.
In meinem über 70 Jahre währenden Leben habe ich viel erlebt, viel gesehen, viel gehört, tolle Menschen getroffen und mancherlei Enttäuschungen akzeptieren müssen. Es ist ein wunderbares Leben.
Die Zeit, die ich als Großvater erlebe, ist die bisher wichtigste, schönste und aufregendste Epoche.
Ich lerne von meinen Enkeln, die Welt vollkommen neu zu sehen, zu begreifen, sie zu verstehen. Dafür bin ich meinen Buben dankbar. Dafür schenke ich ihnen meine Erinnerungen, die ich zu kleinen Geschichten verdichtet habe. Großväter - aber auch Großmütter - sind dazu aufgerufen, Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen. Das war schon immer so. Was wären die Gebrüder Grimm ohne ihre Großmutter, die ihnen von Rotkäppchen, Rapunzel und den sieben Zwergen berichtete?
Das Erzählen, das dem anderen selbst etwas erzählen ist Kleinkunst im besten Sinne. Wir jedoch leben in einer Zeit, in der wir uns lieber etwas erzählen lassen: von den Leuten aus dem Fernsehen, von CDs und von Unbekannten aus dem Internet. Und die eigenen Artikulationen, die eigene Wortschöpfung fallen immer schwerer. Am Ende eines Sommers treffen Bekannte und Nachbarn wieder zu Hause ein. Sie kommen von den Inseln der Malediven und aus den Wüsten Namibias, sie haben Gewaltmärsche im Himalaja hinter sich und sind im strömenden Regen nach Machu Picchu aufgebrochen. Die Ferien waren für sie ein exotisches Abenteuer, und ihre Erfahrungen haben nichts mit dem zu tun, was sie im Alltag erwartet. Aber wenn ich sie frage, wie es denn so war in der Fremde, dann höre ich meist die gleichen Antworten: »Schön« oder »interessant« oder das alles umfassende »echt geil!« Als ich im Alter von neunzehn Jahren zusammen mit meinem Kumpel Michael K. zu meiner ersten großen Reise aufgebrochen bin und bei Montpellier endlich das Meer sehen durfte, habe ich meinen Freunden nach der Rückkehr ein ganzes Wochenende lang davon erzählt. Jede mir in Frankreich gereichte Käseplatte beschrieb ich so ausführlich, dass den Zuhörern das Wasser im Munde zusammenlief.
Um ein guter Erzähler zu sein, bedarf es der Gabe der besonderen Wahrnehmung, meint der Schriftsteller John Irving. Denn oft sind wir mitten in einem spannenden Geschehen und nehmen es überhaupt nicht wahr. Im Erzählen werfen wir einen neugierigen Blick auf das eigene Leben. Der Inhalt eines Buches, eines Films oder eines Ferienerlebnisses erschließt sich erst richtig, wenn wir anderen davon berichten.
Der Mensch ist ein erzählendes Wesen. Zum Erzählen braucht es Fantasie, die Freude am Gestalten von Sätzen, am Platzieren von Wörtern. Je komplizierter die Welt wird, desto mehr sollten wir sie in Worte fassen.
Inzwischen fehlen einer ganzen Generation die Worte. Sprachlos hocken sie vor dem Fernsehapparat oder dem Computermonitor und lassen sich die Welt erklären, ohne selbst zu Wort zu kommen. In dieser Sprachlosigkeit sehe ich eine Gefahr für unsere Kultur. Die Bilderfl ut des Fernsehens drängt die Sprache an den Rand. Sprachlosigkeit ist deshalb gefährlich, weil viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihre Probleme zu artikulieren, sich auszusprechen. Nicht selten greifen sie deshalb zu gewalttätigen Lösungen.
Aber was auch immer unsere Persönlichkeit prägen mag: Unser Leben besteht aus einer wachsenden Anzahl von Geschichten, an die wir glauben, und die in ihrer Summe unseren Charakter bestimmen. Erlebtes und Erinnertes in Worte zu fassen, schärft den Blick für die Einflüsse, die uns formen und zu dem machen, der wir sind.
Copyright © 2011 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Rainer Holbe
Holbe, RainerRainer Holbe, geb. 1940, ist Radio- und Fernsehjournalist, Kulturkorrespondent und freier Autor. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher und wurde mit der "Goldenen Kamera" ausgezeichnet. Rainer Holbe lebt in Frankfurt und ist mit Begeisterung dreifacher Großvater.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rainer Holbe
- 2011, 3. Aufl., 235 Seiten, Maße: 14,4 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kösel
- ISBN-10: 3466345618
- ISBN-13: 9783466345618
- Erscheinungsdatum: 03.10.2011
Rezension zu „Wir neuen Großväter “
"Ein Buch voller Inspirationen rund um das Generationen-Spektakel." meinKind
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