Ich kann mir alles merken
Früher hatte Nora Ephron den Kopf voller Erinnerungen. Doch jetzt ist sie älter geworden und die Speicher beginnen sich zu leeren. Mit viel Humor und Selbstironie schreibt Bestsellerautorin Nora Ephron über das Älterwerden.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ich kann mir alles merken “
Früher hatte Nora Ephron den Kopf voller Erinnerungen. Doch jetzt ist sie älter geworden und die Speicher beginnen sich zu leeren. Mit viel Humor und Selbstironie schreibt Bestsellerautorin Nora Ephron über das Älterwerden.
Klappentext zu „Ich kann mir alles merken “
Dieses Buch geht uns alle an!Wenn man jung ist, lacht man darüber, dass man in die Küche gegangen ist und sich nicht mehr daran erinnert, was man dort wollte. Oder dass man sorgfältig eine Einkaufsliste geschrieben und sie dann aber vergessen hat. Und dann wird man älter
Früher drohten die vielen Erinnerungen ihre geistige Festplatte zu sprengen; beim Älterwerden spürt Nora Ephron, dass die Speicher sich zu leeren beginnen. Und diese Erfahrung machen wir irgendwann alle. Mit viel Wortwitz zeigt Hollywoods erfolgreichste Drehbuchautorin einmal mehr, wie gut sie es versteht, die Gedanken und Wünsche von Frauen in Worte zu fassen. Mit unnachahmlicher Selbstironie schreibt sie über gestern, heute und morgen, über Familie und Beruf, Vertrauen und Enttäuschung, Erfolg und Desaster. Der Hals lügt immer noch nie. Und Nora Ephron lügt uns nicht an: Altwerden ist nicht einfach, aber einfach schön verrückt!
Herzenswärme und hintergründiger Humor von Hollywoods Kultautorin. Nora Ephron weiß, was Frauen wollen!
Lese-Probe zu „Ich kann mir alles merken “
Ich kann mir alles merken von Nora EphronIch vergesse alles
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Das eine oder andere vergesse ich eigentlich schon seit Jahren - mindestens seit ich dreißig bin. Ich kann das so genau sagen, weil ich damals schon darüber geschrieben habe. Ich kann es also beweisen. Natürlich weiß ich nicht mehr, wo oder wann genau ich darüber geschrieben habe, könnte das aber bestimmt herausbekommen, wenn ich müsste.
Als ich das eine oder andere zu vergessen begann, entglitten mir zuerst nur Wörter und Namen. Wenn das passierte, tat ich das, was man in solchen Fällen normalerweise tut: Ich blätterte in meinem mentalen Wörterbuch, versuchte mich an den Buchstaben zu erinnern, mit dem das Wort anfing, und daran, wie viele Silben es hatte. Schließlich flog mir das verloren gegangene Etwas wieder zu, wurde quasi wieder eingefangen. Vorboten einer verhängnisvolleren Entwicklung, des Älterwerdens oder gar drohender Vergreisung sah ich in diesen kleinen Ausfällen nie.
Ich wusste immer, dass mir schließlich doch wieder einfallen würde, was mir da entfallen war. Früher oder später jedenfalls. Einmal ging ich in einen Laden, um ein Buch über Alzheimer zu kaufen, hatte dessen Titel aber vergessen. Ich fand das lustig, was es auch war - zumindest damals.
Eine Sache gibt es, die ich mir noch nie merken konnte: Ich meine den Titel dieses Films mit Jeremy Irons. Ich meine den über Claus von Bülow. Sie kennen den bestimmt. Ich wusste nur noch, dass er aus sechs Wörtern bestand und etwas weiter hinten ein »von« hatte. Jahrelang hatte mich das überhaupt nicht gestört, weil auch meine Bekannten den Titel vergessen hatten. Eines Abends aber waren wir zu acht im Theater, und keinem von uns wollte dieser Filmtitel einfallen. So ist schließlich einer von uns in der Pause hinaus auf die Straße gegangen und hat ihn gegoogelt. Danach wussten wir Bescheid und gelobten alle, den Titel nie wieder zu vergessen. Daran haben sich, soviel ich weiß, die anderen sieben gehalten. Ich dagegen begnüge mich wieder mit der vagen Erinnerung, dass der Titel sechs Wörter und weiter hinten ein »von« hat.
Übrigens, nachdem wir an jenem Abend den Titel schließlich herausgefunden hatten, waren wir uns alle einig, dass es kein guter war. Kein Wunder also, dass wir ihn vergessen hatten.
Ich suche den Film mal schnell bei Google. Bin gleich wieder da.
Er heißt »Die Affäre der Sunny von B.«
Wie soll sich denn jemand diesen Titel merken? Der hat doch wirklich nichts mit auch nur irgendetwas zu tun.
Jetzt möchte ich aber zum eigentlichen Thema kommen:
Ich vergesse schon seit Jahren Dinge, neuerdings aber auf andere Weise. Früher war ich fest davon überzeugt, dass mir alles Vergessene schließlich wieder einfallen und sich mir dann einprägen würde. Inzwischen weiß ich jedoch, dass dies wohl doch nicht möglich ist. Vergessenes ist unrettbar verloren. Neues bleibt nicht hängen.
Eines Abends lernte ich einen Mann kennen, der mir erzählte, dass er ein neurologisches Problem habe und sich Gesichter von Menschen nicht merken könne, die er kennengelernt habe. Er sagte, dass er sich manchmal im Spiegel betrachte und keine Ahnung habe, wen er da vor sich hätte. Auf gar keinen Fall möchte ich das Leiden des Mannes herunterspielen, zumal ich überzeugt bin, dass es sich um ein echtes Syndrom mit einem langen Namen in Großbuchstaben handelt. Aber das Einzige, was mir dazu einfiel, war: »Willkommen in meiner Welt«. Vor ein paar Jahren gestand der Schauspieler Ryan O'Neal, dass er kürzlich, auf einer Beerdigung, Tatum, seine eigene Tochter, nicht erkannt und sich dummerweise an sie rangemacht hätte. Schnell waren alle mit einem Urteil bei der Hand, ich allerdings nicht. Einen Monat zuvor hatte ich mich selbst gerade in einem Einkaufszentrum in Las Vegas aufgehalten, als ich eine sehr sympathisch aussehende Dame lächelnd und mit ausgebreiteten Armen auf mich zukommen sah. Ich dachte: Wer ist diese Frau? Woher kenne ich sie? Als sie anfing zu reden, begriff ich, dass es meine Schwester Amy war.
Sie mögen jetzt denken: Wie hätte sie auch wissen können, dass ihre Schwester in Las Vegas war? Da muss ich Ihnen aber leider beichten, dass ich es nicht nur wusste, sondern dass sie auch genau diejenige war, mit der ich in der Mall verabredet war.
All dies macht mich traurig und mutlos, vor allem aber bewirkt es, dass ich mich alt fühle. Ich entwickle bereits viele Symptome des Alters, von den körperlichen mal ganz abgesehen. Ich wiederhole mich gelegentlich. Ich sage öfter: »Als ich noch jung war ...« Oft verstehe ich einen Witz nicht, auch wenn ich dann immer so tue, als ob. Wenn ich mir ein Theaterstück oder einen Film zum zweiten Mal ansehe, dann ist es, als hätte ich ihn noch nie gesehen, auch wenn es noch nicht lange her ist. Und ich habe keine Ahnung, wer die Leute aus der Zeitschrift People sind.
Früher dachte ich, das läge daran, dass meine Festplatte einfach voll sei. Inzwischen muss ich leider feststellen, dass eher das Gegenteil der Fall ist: Sie leert sich.
Den Tiefpunkt des Alters, das Reich der Anekdoten, habe ich noch gar nicht erreicht, bin aber auf dem besten Wege dorthin.
Ja, ich weiß, ich hätte Tagebuch führen, die Liebesbriefe aufbewahren sollen, hätte mir irgendwo in Long Island City einen Lagerraum mieten sollen für all die Papiere, von denen ich glaubte, dass ich nie wieder einen Blick darauf werfen würde.
Habe ich aber nicht.
Und manchmal muss ich leider feststellen, dass ich alles vergesse.
Ein Beispiel:
Ich habe Eleanor Roosevelt kennengelernt. Das war im Juni 1961. Ich stand kurz vor einem Praktikum im Weißen Haus in den Kennedy-Jahren. Alle Praktikanten aus den Colleges Wellesley und Vassar fuhren nach Hyde Park, um die ehemalige First Lady zu treffen. Ich bin vor Aufregung fast gestorben. In meiner Kindheit hing ein Foto von ihr im Wohnzimmer unseres Hauses, auf dem sie anlässlich eines Bühnenstücks, das meine Eltern geschrieben hatten, mit ihnen hinter den Kulissen steht. Meine Mutter trug eine Korsage, Eleanor Perlen. Für mich hatte das Foto immer etwas Ikonenhaftes, wenn ich das Wort jetzt richtig verwende, was, wenn es denn zuträfe, wohl das erste Mal wäre. Wir gehörten zu den Tausenden von Amerikanern (meist Juden), die Häuser hatten, in deren Wohnzimmern Fotos von Eleanor Roosevelt standen oder hingen. Was habe ich die Frau vergöttert! Ich konnte überhaupt nicht glauben, dass ich mit ihr zusammen in einem Raum sein würde. Natürlich werden Sie sich jetzt fragen, wie sie denn so war, an jenem Tag in Hyde Park. Ich habe keine Ahnung. Ich kann mich weder daran erinnern, was sie sagte, noch daran, was sie anhatte. Ich bekomme kaum eine Vorstellung von dem Raum zusammen, in dem wir sie getroffen haben, auch wenn ich mich vage an Vorhänge zu erinnern meine. An eines erinnere ich mich jedoch sehr genau: Ich habe mich auf dem Weg verfahren. Und seitdem muss ich immer, wenn ich auf dem Taconic State Parkway unterwegs bin, daran denken, dass ich mich auf dem Weg zu Eleanor Roosevelt verirrte. Aber von Eleanor Roosevelt selbst weiß ich nichts mehr.
1964 kamen die Beatles zum ersten Mal nach New York. Ich war da. Als Zeitungsreporterin war ich zum Flughafen geschickt worden, um über ihre Ankunft zu berichten. Das war an einem Freitag. Das ganze Wochenende war ich mit ihnen unterwegs. Sonntagabend hatten sie einen Auftritt in der Ed-Sullivan-Show. Man könnte behaupten, dass die Sechzigerjahre in dieser Nacht begonnen haben, in der Ed-Sullivan-Show. Eine historische Nacht, und ich war dabei. Ich stand hinten im Ed-SullivanTheater und sah zu. Ich weiß noch, wie die Fans außer sich waren - wie die Teenies kreischten und schrien und sich in Ekstase brachten. Jetzt werden Sie fragen, wie denn die Beatles waren. Nun, da fragen Sie die Falsche. Ich konnte sie kaum hören.
Ich war damals beim Marsch auf Washington dabei, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Das war 1967, das größte Ereignis der Antikriegsbewegung. Abertausende von Menschen waren da. Ich war mit einem Rechtsanwalt dort, mit dem ich damals zusammen war. Den größten Teil des Tages verbrachten wir im Hotelzimmer, genauer gesagt im Bett. Stolz bin ich darauf nicht, erwähne es aber, weil das erklärt, warum ich mich an die Demonstration und daran, ob ich überhaupt bis zum Pentagon gekommen bin, eigentlich nicht erinnern kann. Ich glaube, es war nicht der Fall. Ich bezweifle, dass ich überhaupt jemals am Pentagon war. Wetten würde ich darauf aber nicht, weder auf die eine noch auf die andere Möglichkeit.
Norman Mailer schrieb ein ganzes Buch über diesen Marsch. Es trägt den Titel Heere aus der Nacht, hat 447 Seiten und wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Und ich bekomme darüber nicht mehr als zwei Absätze zusammen. Würden Sie Norman Mailer und mich kennen und würde man Sie auffordern, einmal zu raten, wem von beiden Sex wichtiger war, dann würden Sie garantiert auf Norman Mailer tippen - und damit ganz schön falschliegen.
Hier also eine Liste von Leuten, die ich kennengelernt habe, ohne mich an sie zu erinnern:
• Richter Hugo Black
• Ethel Merman
• Jimmy Stewart
• Alger Hiss
• Senator Hubert Humphrey
• Cary Grant
• Benny Goodman
• Peter Ustinov
• Harry Kurnitz
• George Abbott
• Dorothy Parker
Ich habe das Tennisspiel Bobby Riggs gegen Billie Jean King besucht, konnte von meinem Sitzplatz aus allerdings nicht viel sehen.
An dem Abend, an dem Nixon seinen Rücktritt erklärte, stand ich vor dem Weißen Haus, und das Bemerkenswerteste an diesem Abend war, dass mir das Portemonnaie geklaut wurde. Ich war auf vielen legendären Rockkonzerten und verbrachte die meiste Zeit damit, mich zu fragen, wann sie enden und wo wir danach etwas essen gehen würden, ob das Restaurant noch geöffnet hätte und was ich bestellen würde.
Ich war bei mindestens hundert Spielen der Knicks und erinnere mich nur an den einen Abend, an dem Reggie Miller in den letzten neun Sekunden acht Treffer erzielte.
1973 war ich in Israel, um dort über den Krieg zu berichten, aber mein Therapeut hatte mir strengstens verboten, an die Front zu gehen.
In Woodstock war ich nicht, könnte aber genauso gut dort gewesen sein, weil ich mich sowieso nicht daran erinnern würde.
In gewisser Hinsicht habe ich mein Leben also verschwendet. Aber immerhin, wenn ich mich schon nicht daran erinnern kann, wer sonst?
Die Vergangenheit entschwindet, und die Gegenwart ist eine ständige Herausforderung. Ich kann vielleicht nicht Schritt halten. Als ich jünger war, vermochte ich meine Ablehnung gegenüber allem Neuen zu überwinden. Nach einer kurzen Phase der Negativität stürzte ich mich auf die Cuisinart-Allzweck-Küchenmaschine. Ich war neugierig auf Technik. Ich lernte, E-Mails und Blogs zu beherrschen, fand sie wild romantisch, habe sogar Filme darüber gedreht. Inzwischen aber bin ich überzeugt, dass fast alles Neue nur hienieden auf Erden kam, damit ich mich mit meinem schwindenden Gedächtnis schlecht fühle, und so habe ich eine Mauer errichtet, auf dass sie mich vor den meisten dieser Errungenschaften bewahren möge.
Auf der anderen Seite dieser Mauer befinden sich viele Dinge, die Signale aussenden. Den größten Teil dieser Signale beachte ich gar nicht. Lange kannte ich den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten nicht, aber es gab so viele Signale, dass ich mich schließlich gezwungen sah, ihn zu verstehen, wobei ich nicht umhin konnte, mich zu fragen, warum mich das überhaupt interessierte. Reichte es nicht zu wissen, dass sie einander nicht riechen konnten? Aber inzwischen habe ich es sowieso wieder vergessen.
Zu den Dingen, von denen ich zurzeit überhaupt nichts wissen möchte, zählen unter anderem:
• die früheren Sowjetrepubliken
• die Familie Kardashian
• Twitter
• Hausfrauen, Überlebenskünstler, amerikanische Idole und Junggesellen jeglicher Art
• Karzais Bruder
• Fußball
• Jay-Z
• sämtliche Drinks, die nach dem Cosmopolitan kreiert wurden
• besonders dieser Cocktail mit den zerstoßenen Minzeblättern. Sie werden ihn sicher kennen. Ich geh mal schnell den Namen googeln. Bin gleich wieder da ...
• Genau, der Mojito.
Ich lebe im Google-Zeitalter, das steht außer Zweifel, und es hat durchaus auch seine Vorzüge. Wenn Sie etwas vergessen, zücken Sie rasch Ihr iPhone und googeln. Erinnerungslücken werden mit Google gestopft, und Google klingt ja auch viel hübscher, moderner, jünger, zeitgemäßer, finden Sie nicht? Wenn Sie das Prinzip der Suchmaschine ein wenig verstanden haben, erbringen Sie schon fast den Beweis, dass Sie Schritt halten. Sie können sich vorgaukeln, dass keiner am Tisch denkt, Sie gehörten zum alten Eisen. Und das fehlende Stückchen wiederzufinden geht so schnell. Keine albtraumhaften Erinnerungslücken mehr - vorbei das lange Suchen nach der Antwort, das Herumraten, die Selbstvorwürfe, der zerstreute Griff an den Kopf, das verzweifelte Fingerschnippen. Sie gehen einfach zu Google und fragen es ab.
Ihr ganzes Leben finden Sie nicht wieder (es sei denn, Sie sind in Wikipedia zu finden, wo Sie dann eine ungenaue Fassung von sich vorfänden). Aber Sie können den Namen des Schauspielers erfragen, der in diesem Film mitgespielt hat, dem über den Zweiten Weltkrieg. Und den Namen dieser Schriftstellerin, die dieses Buch geschrieben hat, das über ihre Affäre mit diesem Maler. Oder den Namen dieses Liedes, das dieser Sänger gesungen hat, dieses Lied über die Liebe.
Sie kennen es sicher.
...
Übersetzung: Ulrike Clewing
© der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Limes Verlag, München, in
der Verlagsgruppe Random House GmbH
Das eine oder andere vergesse ich eigentlich schon seit Jahren - mindestens seit ich dreißig bin. Ich kann das so genau sagen, weil ich damals schon darüber geschrieben habe. Ich kann es also beweisen. Natürlich weiß ich nicht mehr, wo oder wann genau ich darüber geschrieben habe, könnte das aber bestimmt herausbekommen, wenn ich müsste.
Als ich das eine oder andere zu vergessen begann, entglitten mir zuerst nur Wörter und Namen. Wenn das passierte, tat ich das, was man in solchen Fällen normalerweise tut: Ich blätterte in meinem mentalen Wörterbuch, versuchte mich an den Buchstaben zu erinnern, mit dem das Wort anfing, und daran, wie viele Silben es hatte. Schließlich flog mir das verloren gegangene Etwas wieder zu, wurde quasi wieder eingefangen. Vorboten einer verhängnisvolleren Entwicklung, des Älterwerdens oder gar drohender Vergreisung sah ich in diesen kleinen Ausfällen nie.
Ich wusste immer, dass mir schließlich doch wieder einfallen würde, was mir da entfallen war. Früher oder später jedenfalls. Einmal ging ich in einen Laden, um ein Buch über Alzheimer zu kaufen, hatte dessen Titel aber vergessen. Ich fand das lustig, was es auch war - zumindest damals.
Eine Sache gibt es, die ich mir noch nie merken konnte: Ich meine den Titel dieses Films mit Jeremy Irons. Ich meine den über Claus von Bülow. Sie kennen den bestimmt. Ich wusste nur noch, dass er aus sechs Wörtern bestand und etwas weiter hinten ein »von« hatte. Jahrelang hatte mich das überhaupt nicht gestört, weil auch meine Bekannten den Titel vergessen hatten. Eines Abends aber waren wir zu acht im Theater, und keinem von uns wollte dieser Filmtitel einfallen. So ist schließlich einer von uns in der Pause hinaus auf die Straße gegangen und hat ihn gegoogelt. Danach wussten wir Bescheid und gelobten alle, den Titel nie wieder zu vergessen. Daran haben sich, soviel ich weiß, die anderen sieben gehalten. Ich dagegen begnüge mich wieder mit der vagen Erinnerung, dass der Titel sechs Wörter und weiter hinten ein »von« hat.
Übrigens, nachdem wir an jenem Abend den Titel schließlich herausgefunden hatten, waren wir uns alle einig, dass es kein guter war. Kein Wunder also, dass wir ihn vergessen hatten.
Ich suche den Film mal schnell bei Google. Bin gleich wieder da.
Er heißt »Die Affäre der Sunny von B.«
Wie soll sich denn jemand diesen Titel merken? Der hat doch wirklich nichts mit auch nur irgendetwas zu tun.
Jetzt möchte ich aber zum eigentlichen Thema kommen:
Ich vergesse schon seit Jahren Dinge, neuerdings aber auf andere Weise. Früher war ich fest davon überzeugt, dass mir alles Vergessene schließlich wieder einfallen und sich mir dann einprägen würde. Inzwischen weiß ich jedoch, dass dies wohl doch nicht möglich ist. Vergessenes ist unrettbar verloren. Neues bleibt nicht hängen.
Eines Abends lernte ich einen Mann kennen, der mir erzählte, dass er ein neurologisches Problem habe und sich Gesichter von Menschen nicht merken könne, die er kennengelernt habe. Er sagte, dass er sich manchmal im Spiegel betrachte und keine Ahnung habe, wen er da vor sich hätte. Auf gar keinen Fall möchte ich das Leiden des Mannes herunterspielen, zumal ich überzeugt bin, dass es sich um ein echtes Syndrom mit einem langen Namen in Großbuchstaben handelt. Aber das Einzige, was mir dazu einfiel, war: »Willkommen in meiner Welt«. Vor ein paar Jahren gestand der Schauspieler Ryan O'Neal, dass er kürzlich, auf einer Beerdigung, Tatum, seine eigene Tochter, nicht erkannt und sich dummerweise an sie rangemacht hätte. Schnell waren alle mit einem Urteil bei der Hand, ich allerdings nicht. Einen Monat zuvor hatte ich mich selbst gerade in einem Einkaufszentrum in Las Vegas aufgehalten, als ich eine sehr sympathisch aussehende Dame lächelnd und mit ausgebreiteten Armen auf mich zukommen sah. Ich dachte: Wer ist diese Frau? Woher kenne ich sie? Als sie anfing zu reden, begriff ich, dass es meine Schwester Amy war.
Sie mögen jetzt denken: Wie hätte sie auch wissen können, dass ihre Schwester in Las Vegas war? Da muss ich Ihnen aber leider beichten, dass ich es nicht nur wusste, sondern dass sie auch genau diejenige war, mit der ich in der Mall verabredet war.
All dies macht mich traurig und mutlos, vor allem aber bewirkt es, dass ich mich alt fühle. Ich entwickle bereits viele Symptome des Alters, von den körperlichen mal ganz abgesehen. Ich wiederhole mich gelegentlich. Ich sage öfter: »Als ich noch jung war ...« Oft verstehe ich einen Witz nicht, auch wenn ich dann immer so tue, als ob. Wenn ich mir ein Theaterstück oder einen Film zum zweiten Mal ansehe, dann ist es, als hätte ich ihn noch nie gesehen, auch wenn es noch nicht lange her ist. Und ich habe keine Ahnung, wer die Leute aus der Zeitschrift People sind.
Früher dachte ich, das läge daran, dass meine Festplatte einfach voll sei. Inzwischen muss ich leider feststellen, dass eher das Gegenteil der Fall ist: Sie leert sich.
Den Tiefpunkt des Alters, das Reich der Anekdoten, habe ich noch gar nicht erreicht, bin aber auf dem besten Wege dorthin.
Ja, ich weiß, ich hätte Tagebuch führen, die Liebesbriefe aufbewahren sollen, hätte mir irgendwo in Long Island City einen Lagerraum mieten sollen für all die Papiere, von denen ich glaubte, dass ich nie wieder einen Blick darauf werfen würde.
Habe ich aber nicht.
Und manchmal muss ich leider feststellen, dass ich alles vergesse.
Ein Beispiel:
Ich habe Eleanor Roosevelt kennengelernt. Das war im Juni 1961. Ich stand kurz vor einem Praktikum im Weißen Haus in den Kennedy-Jahren. Alle Praktikanten aus den Colleges Wellesley und Vassar fuhren nach Hyde Park, um die ehemalige First Lady zu treffen. Ich bin vor Aufregung fast gestorben. In meiner Kindheit hing ein Foto von ihr im Wohnzimmer unseres Hauses, auf dem sie anlässlich eines Bühnenstücks, das meine Eltern geschrieben hatten, mit ihnen hinter den Kulissen steht. Meine Mutter trug eine Korsage, Eleanor Perlen. Für mich hatte das Foto immer etwas Ikonenhaftes, wenn ich das Wort jetzt richtig verwende, was, wenn es denn zuträfe, wohl das erste Mal wäre. Wir gehörten zu den Tausenden von Amerikanern (meist Juden), die Häuser hatten, in deren Wohnzimmern Fotos von Eleanor Roosevelt standen oder hingen. Was habe ich die Frau vergöttert! Ich konnte überhaupt nicht glauben, dass ich mit ihr zusammen in einem Raum sein würde. Natürlich werden Sie sich jetzt fragen, wie sie denn so war, an jenem Tag in Hyde Park. Ich habe keine Ahnung. Ich kann mich weder daran erinnern, was sie sagte, noch daran, was sie anhatte. Ich bekomme kaum eine Vorstellung von dem Raum zusammen, in dem wir sie getroffen haben, auch wenn ich mich vage an Vorhänge zu erinnern meine. An eines erinnere ich mich jedoch sehr genau: Ich habe mich auf dem Weg verfahren. Und seitdem muss ich immer, wenn ich auf dem Taconic State Parkway unterwegs bin, daran denken, dass ich mich auf dem Weg zu Eleanor Roosevelt verirrte. Aber von Eleanor Roosevelt selbst weiß ich nichts mehr.
1964 kamen die Beatles zum ersten Mal nach New York. Ich war da. Als Zeitungsreporterin war ich zum Flughafen geschickt worden, um über ihre Ankunft zu berichten. Das war an einem Freitag. Das ganze Wochenende war ich mit ihnen unterwegs. Sonntagabend hatten sie einen Auftritt in der Ed-Sullivan-Show. Man könnte behaupten, dass die Sechzigerjahre in dieser Nacht begonnen haben, in der Ed-Sullivan-Show. Eine historische Nacht, und ich war dabei. Ich stand hinten im Ed-SullivanTheater und sah zu. Ich weiß noch, wie die Fans außer sich waren - wie die Teenies kreischten und schrien und sich in Ekstase brachten. Jetzt werden Sie fragen, wie denn die Beatles waren. Nun, da fragen Sie die Falsche. Ich konnte sie kaum hören.
Ich war damals beim Marsch auf Washington dabei, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Das war 1967, das größte Ereignis der Antikriegsbewegung. Abertausende von Menschen waren da. Ich war mit einem Rechtsanwalt dort, mit dem ich damals zusammen war. Den größten Teil des Tages verbrachten wir im Hotelzimmer, genauer gesagt im Bett. Stolz bin ich darauf nicht, erwähne es aber, weil das erklärt, warum ich mich an die Demonstration und daran, ob ich überhaupt bis zum Pentagon gekommen bin, eigentlich nicht erinnern kann. Ich glaube, es war nicht der Fall. Ich bezweifle, dass ich überhaupt jemals am Pentagon war. Wetten würde ich darauf aber nicht, weder auf die eine noch auf die andere Möglichkeit.
Norman Mailer schrieb ein ganzes Buch über diesen Marsch. Es trägt den Titel Heere aus der Nacht, hat 447 Seiten und wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Und ich bekomme darüber nicht mehr als zwei Absätze zusammen. Würden Sie Norman Mailer und mich kennen und würde man Sie auffordern, einmal zu raten, wem von beiden Sex wichtiger war, dann würden Sie garantiert auf Norman Mailer tippen - und damit ganz schön falschliegen.
Hier also eine Liste von Leuten, die ich kennengelernt habe, ohne mich an sie zu erinnern:
• Richter Hugo Black
• Ethel Merman
• Jimmy Stewart
• Alger Hiss
• Senator Hubert Humphrey
• Cary Grant
• Benny Goodman
• Peter Ustinov
• Harry Kurnitz
• George Abbott
• Dorothy Parker
Ich habe das Tennisspiel Bobby Riggs gegen Billie Jean King besucht, konnte von meinem Sitzplatz aus allerdings nicht viel sehen.
An dem Abend, an dem Nixon seinen Rücktritt erklärte, stand ich vor dem Weißen Haus, und das Bemerkenswerteste an diesem Abend war, dass mir das Portemonnaie geklaut wurde. Ich war auf vielen legendären Rockkonzerten und verbrachte die meiste Zeit damit, mich zu fragen, wann sie enden und wo wir danach etwas essen gehen würden, ob das Restaurant noch geöffnet hätte und was ich bestellen würde.
Ich war bei mindestens hundert Spielen der Knicks und erinnere mich nur an den einen Abend, an dem Reggie Miller in den letzten neun Sekunden acht Treffer erzielte.
1973 war ich in Israel, um dort über den Krieg zu berichten, aber mein Therapeut hatte mir strengstens verboten, an die Front zu gehen.
In Woodstock war ich nicht, könnte aber genauso gut dort gewesen sein, weil ich mich sowieso nicht daran erinnern würde.
In gewisser Hinsicht habe ich mein Leben also verschwendet. Aber immerhin, wenn ich mich schon nicht daran erinnern kann, wer sonst?
Die Vergangenheit entschwindet, und die Gegenwart ist eine ständige Herausforderung. Ich kann vielleicht nicht Schritt halten. Als ich jünger war, vermochte ich meine Ablehnung gegenüber allem Neuen zu überwinden. Nach einer kurzen Phase der Negativität stürzte ich mich auf die Cuisinart-Allzweck-Küchenmaschine. Ich war neugierig auf Technik. Ich lernte, E-Mails und Blogs zu beherrschen, fand sie wild romantisch, habe sogar Filme darüber gedreht. Inzwischen aber bin ich überzeugt, dass fast alles Neue nur hienieden auf Erden kam, damit ich mich mit meinem schwindenden Gedächtnis schlecht fühle, und so habe ich eine Mauer errichtet, auf dass sie mich vor den meisten dieser Errungenschaften bewahren möge.
Auf der anderen Seite dieser Mauer befinden sich viele Dinge, die Signale aussenden. Den größten Teil dieser Signale beachte ich gar nicht. Lange kannte ich den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten nicht, aber es gab so viele Signale, dass ich mich schließlich gezwungen sah, ihn zu verstehen, wobei ich nicht umhin konnte, mich zu fragen, warum mich das überhaupt interessierte. Reichte es nicht zu wissen, dass sie einander nicht riechen konnten? Aber inzwischen habe ich es sowieso wieder vergessen.
Zu den Dingen, von denen ich zurzeit überhaupt nichts wissen möchte, zählen unter anderem:
• die früheren Sowjetrepubliken
• die Familie Kardashian
• Hausfrauen, Überlebenskünstler, amerikanische Idole und Junggesellen jeglicher Art
• Karzais Bruder
• Fußball
• Jay-Z
• sämtliche Drinks, die nach dem Cosmopolitan kreiert wurden
• besonders dieser Cocktail mit den zerstoßenen Minzeblättern. Sie werden ihn sicher kennen. Ich geh mal schnell den Namen googeln. Bin gleich wieder da ...
• Genau, der Mojito.
Ich lebe im Google-Zeitalter, das steht außer Zweifel, und es hat durchaus auch seine Vorzüge. Wenn Sie etwas vergessen, zücken Sie rasch Ihr iPhone und googeln. Erinnerungslücken werden mit Google gestopft, und Google klingt ja auch viel hübscher, moderner, jünger, zeitgemäßer, finden Sie nicht? Wenn Sie das Prinzip der Suchmaschine ein wenig verstanden haben, erbringen Sie schon fast den Beweis, dass Sie Schritt halten. Sie können sich vorgaukeln, dass keiner am Tisch denkt, Sie gehörten zum alten Eisen. Und das fehlende Stückchen wiederzufinden geht so schnell. Keine albtraumhaften Erinnerungslücken mehr - vorbei das lange Suchen nach der Antwort, das Herumraten, die Selbstvorwürfe, der zerstreute Griff an den Kopf, das verzweifelte Fingerschnippen. Sie gehen einfach zu Google und fragen es ab.
Ihr ganzes Leben finden Sie nicht wieder (es sei denn, Sie sind in Wikipedia zu finden, wo Sie dann eine ungenaue Fassung von sich vorfänden). Aber Sie können den Namen des Schauspielers erfragen, der in diesem Film mitgespielt hat, dem über den Zweiten Weltkrieg. Und den Namen dieser Schriftstellerin, die dieses Buch geschrieben hat, das über ihre Affäre mit diesem Maler. Oder den Namen dieses Liedes, das dieser Sänger gesungen hat, dieses Lied über die Liebe.
Sie kennen es sicher.
...
Übersetzung: Ulrike Clewing
© der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Limes Verlag, München, in
der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Nora Ephron
Nora Ephron (1941-2012) war eine der erfolgreichsten Frauen der Filmindustrie. Ihrer Arbeit als Drehbuchautorin, Regisseurin und/oder Produzentin haben wir so hinreißende Filme zu verdanken wie "Harry und Sally", "Schlaflos in Seattle", "E-Mail für dich", "Silkwood" und "Sodbrennen". Trotz aller Filmerfolge schrieb sie weiterhin für verschiedene namhafte Zeitschriften und war die Autorin von zum Teil sehr persönlichen Essays und Kommentaren, mit denen sie mitten ins Herz und Leben ihrer Leser traf.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Ephron
- 2011, 190 Seiten, Maße: 11,8 x 18 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Clewing, Ulrike
- Übersetzer: Ulrike Clewing
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 3809026018
- ISBN-13: 9783809026013
Rezension zu „Ich kann mir alles merken “
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