ICH NENNE DICH FINI

Tante Fini war nicht abgeneigt, Klaus in Miete zu nehmen. Der Ehemann akzeptierte ihre Entscheidung, er hoffte, seine Frau könnte den Tod ihres Sohnes endlich überwinden, wenn ein junger, unbeschwerter Mann die Stimmung im Haus nachhaltig verbessern würde. Eine Hausordnung wurde trotzdem geschaffen, sie enthielt neben unwichtigen Dingen ein Übernachtungsverbot für weibliche Besucher. Klaus empfand dies als Einschränkung seiner persönlichen Freiheit, er wollte es zu einem späteren Zeitpunkt anfechten, innerlich jedoch lachte er: 'Was wäre, wenn ich homosexuell wäre?' Ein Arbeitskollege, der einen VW-Bus besaß, half bei der sonntäglichen Übersiedlung. In wenigen Stunden hatten sie alles erledigt; wichtig für Klaus war, dem Vater nicht mehr zu begegnen. Zu Beginn hielt Klaus diskrete Distanz zur Wahlfamilie, um seine Freiheit nicht selbst zu beschneiden, indem er gezwungen gewesen wäre, aktiv am Familienleben teilzunehmen. Er wollte gehen und kommen, wann er wollte, in seinem Zimmer allein sein, lesen und tagträumen, ohne Erklärungen abgeben zu müssen. Tante Fini gab ihm das Gefühl, jederzeit für ihn da zu sein, ohne ihn mit überbordender Fürsorglichkeit einzuschränken. Mit wenigen Worten nahm sie seine Schmutzwäsche, einige Tage danach lagen die Kleidungsstücke gebügelt auf seinem Schreibtisch oder waren im Kasten verstaut. Nach dem Unterricht, vor Prüfungen, ließ er sie oft sein Wissen kontrollieren, dabei hegte Klaus den Verdacht, sie würde sich ihren ursprünglichen Wunsch, Lehrerin zu sein, verspätet erfüllen, so voll Stolz und Zufriedenheit strahlten Mimik und Augen. Klaus merkte, dass Tante Fini, wie er sie liebevoll nannte, ihn nicht nur beim Essen verwöhnte; stets verschönerte sie sein Zimmer mit Blumen oder legte weiße Schokolade auf seinen Schreibtisch. Wenn es seine Zeit erlaubte, half er ihr gerne im Haushalt oder im Garten, besonders am Wochenende suchte er ihre Nähe. Sein neues Zuhause ersetzte sehr schnell die verlorene Familie, nie fühlte er sich so

Helmut SchwetzDr. Helmut Schwetz, 1950 in Österreich geboren, ist Arzt und Schriftsteller. Studium und Ausbildung in Wien. Bis zur Pensionierung Landarzt in OÖ.