Im Sog der Tiefe
Mit einem Team von Elite-Tauchern kommen sie in den nächsten sechs Jahren Stück für Stück...
Mit einem Team von Elite-Tauchern kommen sie in den nächsten sechs Jahren Stück für Stück dem schrecklichen Geheimnis des Bootes auf die Spur. Der Preis: drei Menschenleben.
1991 bleiben Fischer vor der Küste New Jerseys mit ihren Netzen an einem großen Gegenstand hängen. Experten glauben zunächst, es sei eines der zahllosen Schiffswracks im Atlantik. Bald zeigt sich jedoch, dass es sich um ein U-Boot aus dem Zweiten Weltkrieg handelt, das auf keiner Liste verzeichnet ist. Eine willkommene Herausforderung für die passionierten Wracktaucher John Chatterton und Richie Kohler: In den folgenden sechs Jahren versuchen sie mit einem Team von Elite-Tauchern dem Mysterium des Schiffes auf die Spur zu kommen - das Unternehmen kostet drei Menschenleben.
Wassertiefen von über siebzig Metern gelten als kritisch. Höchstens zwanzig Minuten kann sich ein Taucher dort aufhalten. Eine zusätzliche Gefahr lauert im Innern des überwucherten Wracks: Die Torpedos von einer halben Tonne sind immer noch scharf. Erst beim dritten Tauchgang finden die Männer drei Teller und zwei Suppenschüsseln mit Gravuren: '1942', ein Adler, der Buchstabe 'M' und ein Hakenkreuz ...
Stück für Stück, Tauchgang für Tauchgang erschließt sich Chatterton und Kohler das schreckliche Schicksal des deutschen U-Boots, das mit allen sechsundfünfzig Besatzungsmitgliedern versank.
Im Sog derTiefe von Robert Kurson
LESEPROBE
Sicht null
Das Tauchenzu tief liegenden Wracks gehört zu den gefährlichsten Sportarten der Welt. Esgibt nur wenige andere Aktivitäten, bei denen Natur, Biologie, Ausrüstung,Instinkt und Objekt so tückisch - ohne Vorwarnung und aus allen Richtungen -zusammenwirken, um einen Menschen geistig und psychisch zugrunde zu richten.Auf Wracks wurden schon viele tote Taucher gefunden, die in ihren Flaschennoch mehr als genug Luft für den Aufstieg an die Oberfläche hatten. Sie habennicht bewusst den Tod gewählt, aber sie konnten sich einfach nicht mehrvorstellen weiterzuleben.
DieserSport hat nur oberflächlich Ähnlichkeit mit seinem Vetter, demFreizeit-Sporttauchen mit nur einer Flasche, wie es die breite Öffentlichkeitkennt. Die Unfallstatistiken sind schwer zu interpretieren, da dieWracktaucher nur einen winzigen Prozentsatz der etwa zwanzig Millionengeprüften Sporttaucher ausmachen. Ihre Unfälle schlagen daher prozentual kaumzu Buche in den Unfallstatistiken eines Sports, dessen Teilnehmer fastausnahmslos mit seichten tropischen Gewässern vorlieb nehmen, sich bei Tauchgängenzu ihrer Sicherheit auf Partner verlassen und nicht viel mehr erwarten alseine reizvolle Szenerie. Von den zehn Millionen geprüften Sporttauchern in denVereinigten Staaten tauchen vermutlich nur ein paar hundert nach tief liegendenWracks. Für diese wenigen geht es nicht darum, ob sie dem Tod ins Auge sehenwerden, sondern, ob sie ihn hinnehmen können. Wenn ein Wracktaucher den Sportlange genug betreibt, wird er sehr wahrscheinlich dem Tod nahe kommen, einenanderen Taucher sterben sehen oder selbst sterben. Und manchmal ist schwer zusagen, was davon am schlimmsten ist.
Wracktauchenist auch in anderer Hinsicht ungewöhnlich. Weil es die Urinstinkte des Menschen- Atmen, Sehen, vor Gefahr fliehen - herausfordert, braucht der Laie dieAusrüstung nicht umzuschnallen, um die Gefahren abzuschätzen. Es reicht aus,über die Gefahren nachzudenken, um sie nachzuempfinden. Und dann wird nur allzuverständlich, weshalb selbst fähige Männer unter Wasser aufgeben. Und auch,weshalb die meisten Menschen auf der Welt es nie in Betracht ziehen würden, 60 Meilen von der Küste entfernt in 60 Meter Tiefe den Positionsdaten einesFischers nachzujagen.
EinDruckluft atmender Wracktaucher unterliegt zwei großen Risiken. Erstens könnenschon ab einer Tiefe von etwas mehr als 20 Metern sein Urteilsvermögen und seine motorischenFähigkeiten beeinträchtigt sein. Diesen Zustand bezeichnet man alsTiefenrausch beziehungsweise Stickstoffnarkose. Mit zunehmender Tiefe prägensich die Symptome des Tiefenrauschs immer stärker aus. Unterhalb einer Tiefevon 30 Metern, woeinige der interessantesten Wracks liegen, ist die Beeinträchtigung bereitserheblich, und doch muss der Taucher zugleich wahre Meisterstücke vollbringenund Entscheidungen treffen, von denen sein Leben abhängt.
Zweitens kann ein Taucher, wenn etwas schief geht, nichteinfach an die Oberfläche schwimmen. Hat er eine gewisse Zeit in der Tiefeverbracht, darf er nur allmählich aufsteigen und muss in bestimmten Abständeninnehalten, damit sein Körper sich wieder an den abnehmenden Druck gewöhnt. Ermuss dies selbst dann tun, wenn er zu ersticken oder gar zu sterben glaubt. InPanik geratene Taucher, die »zur Sonne und den Möwen« hochschießen, riskierendie Dekompressionskrankheit, auch Caisson-Krankheit oder Druckfallkrankheitgenannt. In schweren Fällen führt sie zu dauerhaften Behinderungen, Lähmungenoder zum Tod. Taucher, die miterlebt haben, wie sich ein anderer Taucher beieinem schweren Anfall von Dekompressionskrankheit vor Schmerzen windet undschreit, schwören, dass sie lieber unter Wasser ersticken und auf dem Meeresgrundertrinken würden, als nach einem langen, tiefen Tauchgang ohne allmählicheDekompression aufzutauchen.
Die meistenanderen der zahllosen Gefahren, die in den tiefen Gewässern auf denWracktaucher lauern, stehen im Zusammenhang mit dem Tiefenrausch oder derDekompressionskrankheit. Beide Störungen sind druckbedingt. Auf Meereshöhe sindder atmosphärische Druck und der Druck im menschlichen Körper etwa gleich.Beim Frisbee-Spielen am Strand oder beim Busfahren sind wir dem Druck von einer»Atmosphäre« ausgesetzt; dies entspricht einer Belastung von 14,7 Pfund pro QuadratzollKörperoberfläche. Bei einer Atmosphäre hat man ein ganz normales Lebensgefühl.Die Luft, die wir auf Meereshöhe atmen, besteht aus 21 Prozent Sauerstoff und 79 Prozent Stickstoff und trittebenfalls mit einem Druck von einer Atmosphäre in unsere Lungen ein. Währendder Sauerstoff dabei Blut und Gewebe nährt, ist der Stickstoff träge und tut eigentlichgar nichts.
Das ändertsich im Wasser. Unter der Oberfläche steigt der Druck alle zehn Meter um eineAtmosphäre. Ein Sporttaucher, der in zehn Meter Tiefe auf Seepferdchenjagdgeht, ist also einem Druck von zwei Atmosphären ausgesetzt, das ist doppelt soviel wie an der Oberfläche, auch wenn er es kaum spürt. Doch die Luft, die eraus seinen Flaschen atmet, verändert sich. Zwar besteht sie nach wie vor ausSauerstoff- und Stickstoffmolekülen im Verhältnis 21:79, doch in jeder Lungenfüllung Luft,die der Taucher einatmet, befinden sich nunmehr doppelt so viele dieserMoleküle. Bei drei Atmosphären sind es dreimal so viele und so weiter.
Wenn einTaucher unter Wasser atmet, bleiben die zusätzlichen Stickstoffmoleküle, die erin seine Lunge aufnimmt, außerdem nicht träge wie an der Luft. Vielmehr gehensie in den Blutkreislauf über und von dort ins Gewebe - in Muskeln, Gelenke,Gehirn, Wirbelsäule, überallhin. Je länger und tiefer man taucht, desto mehr Stickstoffreichert sich im Gewebe an.
In einerTiefe von ungefähr drei Atmosphären oder 20 Metern beginnt der Stickstoff, der sich in denGeweben angereichert hat, den Taucher allmählich in einen narkoseartigenZustand zu versetzen. Das ist der Tiefenrausch. Manche vergleichen dieAuswirkungen des Tiefenrauschs mit einem Alkoholrausch, andere mit dem Dämmerzustandeines aus der Narkose Erwachenden, wieder andere mit der Benebelung durch Ätheroder Lachgas. In geringen Tiefen sind die Symptome relativ leicht - nachlassendesUrteilsvermögen, abgeschwächte motorische Fähigkeiten, geringere manuelle Geschicklichkeit,Verengung des indirekten Sehfeldes, Verstärkung aller Emotionen. Mitzunehmender Tiefe werden die Symptome immer stärker. Bei knapp 40 Metern oder etwa fünf Atmosphärensind die meisten Taucher stark beeinträchtigt. Manche haben dann zwei linkeHände und können auf einem Wrack nur mit Mühe so einfache Aufgaben erledigenwie einen Knoten schlingen, andere macht die Tiefe »dumm«, und sie können sichnur mit Mühe von dem überzeugen, was sie eigentlich wissen. Wenn ein Tauchernoch tiefer hinabgleitet, sagen wir, zwischen 50 und 55 Metern, beginnt er mitunter zuhalluzinieren. Dann rufen ihn Hummer beim Namen und flüstern ihm schlechteRatschläge ein. Manchmal erkennen Taucher an den Geräuschen, die siewahrnehmen, dass sie im Tiefenrausch sind. Viele hören »Buschtrommeln«, denbetäubenden Klang des eigenen Pulsschlags im Ohr, oder vielleicht nur ein einfachesSummen wie das eines surrenden Weckers unter dem Kopfkissen. Unterhalb von 60 Metern kann der Tiefenrausch normaleEmotionen wie Angst, Freude, Trauer und Enttäuschung extrem verstärken. KleineProbleme - ein verschwundenes Messer, etwas Schlamm - werden als beginnendeKatastrophen wahrgenommen und können sich bis zur Panik steigern. ErnsthafteProbleme - eine leer werdende Sauerstoffflasche oder die vergebliche Suche nachdem Ankerseil - werden dagegen als bloße Lästigkeiten empfunden. In derUmgebung eines tief liegenden Wracks, in der Fehler nicht verziehen werden,macht der Kurzschluss des Urteilsvermögens, der Emotionen und der motorischenFähigkeiten alles noch viel komplizierter. (...)
© 2004 byHoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Übersetzung:Thorsten Schmidt
- Autor: Robert Kurson
- 2004, 2, 430 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 14,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Thorsten M. Schmidt
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455094635
- ISBN-13: 9783455094633
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