Im Zeichen der Seraphim
Dieser spannende Roman enthält historisch nicht...
Dieser spannende Roman enthält historisch nicht belegbare Thesen, die von manchem Leser als verunglimpfend empfunden werden könnten.
Im Zeichen der Seraphim von John Sack
LESEPROBE
Festa diSan Remigio
1.Oktober 1271
Fra Conrad runzelte die Stirn, als eroben auf dem Pfad ankam, der sich zu seiner Hütte hinaufwand.Ein Eichhörnchen saß zeternd auf dem Fenstersims und schlug mit dem Schwanz.
Ein anderer Besucher als Rosannas Mann schien ihn in der Hütte zu erwarten.
»Ruhig, Bruder Grau!«, schalt er, während er das Bündel Reisig von seinerSchulter fallen ließ. »Heiße den Fremden willkommen, wie du mich willkommenheißt. Er könnte ein Engel Gottes sein.«
Der Eremit nahm das Eichhörnchen inseine Hände und setzte es behutsam auf den schwarzen Stamm einer nahen Pinie.Als Conrad die Hütte betrat, huschte es auf einen höheren Ast.
Der Besucher schlief tief und fest,den Kopf auf die Arme gelegt, am Tisch des Einsiedlers. Es war ein Mönch, undsein Gesicht war unter der Kapuze verborgen. Conrad brummte zufrieden.
Wenn er schon gesellig sein und sichunterhalten musste, würde es wenigstens um geistige Themen gehen. DieLedersandalen und die weiche, neue mausgraue Kutte seines Gastes erfreuten ihnweniger. Wahrscheinlich ein Konventual, einer jenerverwöhnten Mönche, die wie die schwarzen Mönche in Klöstern lebten und nichtwie die entwurzelten Söhne des San Francesco umherzogen.
Er hoffte, das Gespräch würde nichtin den alten Streit über das Wesen wahrer Armut münden, ein Gespräch, vor demer sich hütete und das ihn zugleich ermüdete. Bisher hatte ihm der Zwist nichtsals Kummer gebracht.
Er holte das mit einer Weidenruteverschnürte Bündel Reisig, das er gesammelt hatte. An Herbstnachmittagen wiediesem versank die Sonne schon früh hinter den Bergen des Apennin,und die Luft war nachts kalt. Er häufte mehrere Hände voll toteBlätter, Pinienzapfen und trockene Nadeln als Zunder in die rundeFeuerstelle aus flachen Steinen in der Mitte des Raums. Als er sie mit seinemFeuerstein entzündete, erhob sich verschlafenes Gemurmel in der Ecke.
»FraConrad da Offida?« Die Stimme klang überraschendhoch, wie die eines Chorknaben vor dem Stimmbruch. Sein Besucher war einNovize, vermutete er, und wahrscheinlich sogar noch minderjährig. Eigentlichnahm der Orden keine Kandidaten unter vierzehn auf, aber häufig missachtetendie Oberen dieses Verbot.
»Ja, ich bin FraConrad«, sagte er. »Der Friede des Herrn sei mit dir, kleiner Bruder.« Er blieb an der Feuerstelle knien.
»Und mit Euch. Ich heiße Fabiano«, nuschelte das Kind und wischte sich mit demHandrücken die Nase.
»Fabiano.Gut! Sei mir willkommen. Wenn das Feuer brennt, koche ich uns eine Suppe. Ichhabe schon Fava-Bohnen im Kessel eingeweicht.«
»Wir haben auch etwas zu essenmitgebracht«, sagte der Junge und wies mit dem Daumen auf ein Netz, das amDachsparren hing. »Käse, Brot und Trauben.«
»Wir?«
»Monna Rosannas Diener hat mich hergeführt. Seine Herrin schicktdiese Vorräte - falls Ihr nicht genügend für Euch und einen Gast habt.«
Conrad lächelte. »Das ist ganz dieliebenswürdige Art der Dame.«
Inzwischen knisterte das Feuer lautund erfüllte den Raum mit dem Duft brennender Aleppo-Pinie. Rauchschwadenkräuselten sich hinauf zum rußgeschwärzten Strohdach und durch eine kleineÖffnung in der Decke hinaus ins Freie. Die Flammen spiegelten sich in den Augendes Besuchers, die schwarz glänzend wie reife Oliven unter seiner Kapuzehervorblinzelten. Conrad stellte den Kessel aufs Feuer und nahm denProviantbeutel herunter.
Rosanna, Gott segne ihr großes Herz, hatteauch eine Zwiebel eingepackt. Er schnitt zwei Scheiben ab, um sie roh zum Käsezu essen, und viertelte den Rest für die Suppe.
»Wer hat dich zu MonnaRosanna geschickt?«, fragteConrad.
»Meine Oberen in Assisi. Ich solltesie in Ancona aufsuchen. Vor der Stadt habe ich dann zwei Mönche getroffen, diemir sagten, wo ich das Haus der Signora finde. Sie war so neugierig, alsich ihr erzählte, dass ich auf der Suche nach Euch bin « Die Bemerkung klangeher wie eine Frage.
»Wir sind zusammen aufgewachsen«,erklärte er. »Beinahe wie Bruder und Schwester. Sie - das heißt, sie und ihrMann - kümmern sich noch immer um mich, sooft sie können.«Erinnerungen zogen durch seine Gedanken - zwei Kinder, die auf einer HafenmauerKekse aßen, während die Sonne auf dem Wasser zu ihren Füßen glitzerte. Das Bildverschwamm sofort wieder, ebenso wie sich ihre Spiegelbilder an jenemNachmittag vor langer Zeit in den Wellenringen aufgelöst hatten, denn derBesucher plapperte unaufhörlich weiter.
»Seid Ihr Waise? Und habt Ihrdeshalb bei ihrer Familie gelebt?«
Conrad blies die Wangen auf undatmete dann langsam aus. »Die Vergangenheit dieser Person ist unwichtig«, sagteer. Dies war nicht der geistige Austausch, den er sich erhofft hatte. Er hättedas Thema fallen lassen, aber Fabiano sah soenttäuscht aus, dass Conrad hinzufügte:
»Nun gut. Mein Vater war Fischer inAncona. Gott hat ihn in einem Sturm zu sich gerufen, als ich noch ein ganzkleiner Junge war. Monna RosannasEltern haben mich bei sich aufgenommen. Sie wollten, dass ich eine Ausbildungerhielt, und schickten mich mit fünfzehn zu den Mönchen. Nun, vierzehn Jahrespäter, bin ich hier, und das ist meine ganze Geschichte.«Beim Umrühren der Suppe tränten ihm ein wenig die Augen. Er wischte sie mit demÄrmelaufschlag ab und wollte gerade etwas über die Schärfe der Zwiebel sagen,als der Junge ihn abermals unterbrach.
»Und wo war Eure Mutter?«
»Zweifellos im Himmel. Mein Vatersagte, sie starb mit dem Namen der Heiligen Jungfrau auf den Lippen, als siemir das Leben schenkte.«
Der Duft der brodelnden Fava-Bohnen erfüllte die Hütte. Das Kind atmete tief einund kratzte sich am Kopf. »Ich liebe es, Geschichten über das Leben andererMenschen zu hören. Ich wünschte, ich könnte mein ganzes Leben lang durch dieWelt ziehen und Geschichten sammeln. Wie Fra Salimbene. KenntIhr Fra Salimbene?«
Conrad runzelte die Augenbrauen. »Ergehört nicht gerade zu den Brüdern, denen du nacheifern solltest«, sagteer. »Warum erzählst du mir nicht, weshalb du mich suchst?«Er blickte abermals in die dunklen Augen, die plötzlich voller Mitleid waren,und Conrad begriff sofort.
»Fra Leo?«, beantwortete er seine eigene Frage.
»Ja.«
»Ist er in Frieden gestorben?«
»Ja, in derselben Hütte, in derFrancesco von uns ging.«
»Darüber war er sicherlich glücklich.«
Der Einsiedler sank auf seineFersen. Der Verlust seines Freundes und Mentors traf ihn nicht unerwartet. Leohatte schließlich über acht Jahrzehnte gesehen. Dennoch war sein Tod ein Schlag.
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© DroemerKnaur Verlag
Übersetzung: Hans Freundl, Ursula Gräfe, BarbaraSchnell u. a.
- Autor: John Sack
- 2005, 574 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426197243
- ISBN-13: 9783426197240
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