Imprimatur
Rom 1683: Nach dem Tod eines Gastes wird aus Angst vor der Pest eine Herberge unter Quarantäne gestellt. Abbé Melani, ein anderer Gast, wittert jedoch einen Mord und beginnt nach dem Täter zu suchen. Der Todesfall beginnt ungeahnte Kreise zu ziehen...
Rom 1683: Nach dem Tod eines Gastes wird aus Angst vor der Pest eine Herberge unter Quarantäne gestellt. Abbé Melani, ein anderer Gast, wittert jedoch einen Mord und beginnt nach dem Täter zu suchen. Der Todesfall beginnt ungeahnte Kreise zu ziehen und führt ins Herz politischer und kirchlicher Intrigen, die das Schicksal von ganz Europa bestimmen könnten.
Imprimatur von Monaldi & Sorti
LESEPROBE
Dritter Tag
13. SEPTEMBER 1683
Durchs Fenster drangen wohltuende Sonnenstrahlen herein, diedas ganze Zimmer hell durchfluteten und sogar über das verschwitzte undleidende Antlitz des armen Signor Pellegrino, der matt auf seinem Bett lag,ein reines, gesegnetes Licht breiteten. Die Tür öffnete sich, und Abbe Melanislächelndes Gesicht schaute herein.
»Es ist Zeit zu gehen, Junge.«
»Wo sind die anderen Gäste?«
»Alle in der Küche, um Devize zu lauschen, der Trompete spielt.«
Seltsam: Ich wusste gar nicht, dass der Gitarrist auch jeneslaute Instrument virtuos handhabte, und maxime konnte ichmir nicht erklären, warum der silbrige und mächtige Ton des Blechs nicht bis indie oberen Stockwerke zu hören war.
»Wohin gehen wir? «
»Wir müssen in den Tunnel zurück, beim letzten Mal haben wirnicht gründlich genug gesucht.«
Erneut betraten wir die Kammer, wo ich die kleine Tür hinterdem Regal öffnete. Ich fühlte, wie die feuchte Luft mein Gesicht umwehte.Widerwillig beugte ich mich vor, um mit der Lampe in den Schachthinabzuleuchten.
»Warum warten wir nicht, bis es Nacht wird? Die anderen könntenuns überraschen«, protestierte ich schwach.
Der Abbe antwortete nicht. Er zog einen Ring aus der Tasche,legte ihn mir auf die Handfläche und schloss meine Finger um das Schmuckstück,als wollte er die Wichtigkeit der Übergabe bekräftigen. Ich nickte und begannmit dem Abstieg.
Sobald wir den Backsteinsockel erreichten, zuckte ich zusammen.In der Finsternis hatte sich eine Hand auf meine rechte Schulter gelegt. Ichkonnte vor Schreck weder schreien noch mich umdrehen. Undeutlich nahm ich wahr,dass der Abbe mich aufforderte, ruhig zu bleiben. Mühsam die Lähmungbezwingend, die mich niederhielt, wandte ich mich um, um das Gesicht desdritten Kundschafters zu erkennen.
»Denk daran, dass du die Toten ehren sollst.«
Es war Signor Pellegrino, der mich mit Leidensmiene so ernstlichermahnte. Mir fehlten die Worte, um meine Verwirrung auszudrücken: Wer war dannder Schläfer, den ich in seinem Bett zurückgelassen hatte? Wie hatte Pellegrinosich so plötzlich aus unserem sonnigen Zimmer in den dunklen, feuchten Tunnelversetzen können? Während diese Fragen allmählich in meinem Geist Gestaltannahmen, sprach Pellegrino erneut.
»Ich will mehr Licht.«
Auf einmal spürte ich, wie ich nach hinten wegrutschte: Die Backsteinewaren glatt und so schlüpfrig, dass ich mich nicht auf den Beinen haltenkonnte; vielleicht hatte ich das Gleichgewicht verloren, dachte ich, als ichmich zu Pellegrino umdrehte. Langsam, aber mit all meinem Gewicht, schlitterte ichauf den Treppenschacht zu, den Rücken der Erde, den Bauch dem Himmel zugewandt(den es dort unten niemals gegeben zu haben schien). Wie durch ein Wunderrutschte ich rücklings die Stufen hinunter, ohne den geringsten Widerstand zuspüren, obwohl mir schien, ich wäre schwerer als eine Statue ausPeperinmarmor. Als Letztes sah ich, wie Atto Melani und Pellegrino mitphlegmatischer Gleichgültigkeit mein Verschwinden beobachteten, als sei ihnender Unterschied zwischen Leben und Tod ganz unbekannt. Ich fiel, von Staunen undVerzweiflung gleichermaßen überwältigt, wie eine verlorene Seele, die in denAbgrund stürzend zuletzt ihre Verdammnis erkennt.
Was mich rettete, war der Schrei, der aus einem unerkennbarenWinkel der Schöpfung zu kommen schien und der mich weckte: Er riss mich aus demAlptraum.
Ich hatte geträumt und im Traum geschrien. Ich lag im Bettund drehte mich zu dem meines Padrone um, der natürlich noch dort lag, wo ichihn am Abend gesehen hatte. Durchs Fenster drang kein schöner Sonnenscheinherein wie in dem Traumbild, sondern der rosige und gleichzeitig bläulicheSchimmer, der den Tagesanbruch verkündet. Die stechende Luft des frühen Morgensließ mich frösteln, und ich deckte mich besser zu, obgleich ich wusste, dassich nicht so leicht wieder einschlafen würde. Im Treppenhaus vernahm ich einfernes Geräusch von Schritten und spitzte die Ohren, um herauszuhören, ob sichjemand der Kammertür näherte. Es handelte sich, wie ich deutlich erkannte, umeinige Herbergsgäste, die in die Küche oder in den ersten Stockhinuntergingen. Ich unterschied auch von weitem die Stimmen von Stilone Priäsound Pater Robleda, die Cristofano fragten, ob es Neuigkeiten über PellegrinosGesundheitszustand gebe. Ich erhob mich, da ich vorhersah, dass der Arzt inKürze kommen würde, um meinen Padrone zu untersuchen. Doch der Erste, der anmeine Türe klopfte, war Bedfordi.
Als ich öffnete, sah ich ein blasses Gesicht mit großen dunklenHalbmonden unter den Augen vor mir. Über den Schultern trug Bedfordi, dervollkommen angekleidet war, einen warmen Mantel, und dennoch schüttelten ihnvom Kopf bis zum Rücken Kälteschauer, die er unter Qualen, aber vergeblich zu unterdrückensuchte. Er bat mich sogleich, ihn einzulassen, gewiss, weil er nicht von denanderen Herbergsgästen gesehen werden wollte. Ich bot ihm etwas Wasser und diePillulen an, die Cristofano uns gegeben hatte. Der Engländer lehnte ab, da es,sagte er besorgt, Pillulen gab, die zum Tod des Patienten führten. DieseAntwort traf mich unvorbereitet, doch war ich gezwungen zu insistieren.
»Ich werde dir auch sagen«, fuhr er mit plötzlich ermatteterStimme fort, »dass sogar das Opium und die Purgativa der verschiedenen Säftetödlich sein können, und erinnere dich stets daran, dass die Neger unter ihrenFingernägeln ein Gift verbergen, das mit einem einfachen Kratzer tötet, unddann sind da noch die Klapperschlangen, ja, und ich habe von einer Spinnegelesen, die ihrem Verfolger ein so mächtiges Gift ins Auge spritzte, dass erlange Zeit nichts mehr sehen konnte ... «
Er schien zu fiebern.
»Cristofano wird nichts dergleichen tun«, wandte ichein.
»... und diese Stoffe«, redete er weiter, als hätte er michgar nicht gehört, »wirken dank geheimer Kraft, doch sind die geheimen Kräftenichts anderes als der Spiegel unserer Unwissenheit. «
Ich bemerkte, dass seine Beine zitterten und er sich an den Türrahmenlehnen musste, um sich aufrecht zu halten. Auch seine Worte glichen doch sehreinem hellen Wahn. Bedfordi setzte sich aufs Bett und lächelte mich traurig an.
»Exkremente trocknen die Hornhaut aus«, deklamierte er undhob streng den Zeigefinger, wie ein Lehrer, der seine Schüler ermahnt, »dasKreuzkraut, um den Hals getragen, bringt Heilung bei Dreitagefieber. Aber beiHysterie tun mehrfach wiederholte Salzwickel um die Füße Not. Und um die ärztlicheKunst zu erlernen, das sag Signor Cristofano, wenn du ihn rufst, soll er stattGalen oder Paracelsus lieber Don Quijote lesen.«
Damit legte er sich nieder, schloss die Augen, kreuzte die Armeüber der Brust, um sich zu bedecken, und begann leicht zu zittern. Ich eilteins Treppenhaus, um Hilfe zu holen. (...)
© der deutschen Ausgabe: 2003 by Ullstein Heyne List GmbH& Co. KG, München
Übersetzung: Maja Pflug und Friederike Hausmann
- Autoren: Rita Monaldi , Francesco Sorti
- 2005, 752 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Maja Pflug, Friederike Hausmann
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548605087
- ISBN-13: 9783548605081
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