In den Armen der Finsternis / Die Chroniken der Jägerin Bd.2
Deutsche Erstveröffentlichung
Eine Dämonenjägerin, wie es noch keine gegeben hat
Ihr Leben lang hat sich Maxine Kiss in ihrem Kampf gegen die Kreaturen der Dunkelheit nur auf sich selbst verlassen - und auf ihre Dämonen, die sie tagsüber als Tattoos auf der Haut...
Ihr Leben lang hat sich Maxine Kiss in ihrem Kampf gegen die Kreaturen der Dunkelheit nur auf sich selbst verlassen - und auf ihre Dämonen, die sie tagsüber als Tattoos auf der Haut...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „In den Armen der Finsternis / Die Chroniken der Jägerin Bd.2 “
Eine Dämonenjägerin, wie es noch keine gegeben hat
Ihr Leben lang hat sich Maxine Kiss in ihrem Kampf gegen die Kreaturen der Dunkelheit nur auf sich selbst verlassen - und auf ihre Dämonen, die sie tagsüber als Tattoos auf der Haut trägt. Doch dann hat sie Grant kennengelernt, einen Mann, der mit seiner Musik alle lebenden Wesen beeinflussen kann, selbst die Kinder der Dunkelheit. Und als Grant in tödliche Gefahr gerät, hat Maxine nur eine Chance, ihn zu retten - sie muss die Kontrolle aufgeben und ihre eigenen dunklen Kräfte entfesseln ...
Düster, rasant, sexy - einfach fantastisch!
Ihr Leben lang hat sich Maxine Kiss in ihrem Kampf gegen die Kreaturen der Dunkelheit nur auf sich selbst verlassen - und auf ihre Dämonen, die sie tagsüber als Tattoos auf der Haut trägt. Doch dann hat sie Grant kennengelernt, einen Mann, der mit seiner Musik alle lebenden Wesen beeinflussen kann, selbst die Kinder der Dunkelheit. Und als Grant in tödliche Gefahr gerät, hat Maxine nur eine Chance, ihn zu retten - sie muss die Kontrolle aufgeben und ihre eigenen dunklen Kräfte entfesseln ...
Düster, rasant, sexy - einfach fantastisch!
Klappentext zu „In den Armen der Finsternis / Die Chroniken der Jägerin Bd.2 “
Eine Dämonenjägerin, wie es noch keine gegeben hatIhr Leben lang hat sich Maxine Kiss in ihrem Kampf gegen die Kreaturen der Dunkelheit nur auf sich selbst verlassen - und auf ihre Dämonen, die sie tagsüber als Tattoos auf der Haut trägt. Doch dann hat sie Grant kennengelernt, einen Mann, der mit seiner Musik alle lebenden Wesen beeinflussen kann, selbst die Kinder der Dunkelheit. Und als Grant in tödliche Gefahr gerät, hat Maxine nur eine Chance, ihn zu retten - sie muss die Kontrolle aufgeben und ihre eigenen dunklen Kräfte entfesseln ...
Lese-Probe zu „In den Armen der Finsternis / Die Chroniken der Jägerin Bd.2 “
In den Armen der Finsternis - Die Chroniken der Jägerin 2 von Marjorie M. Liu1
Zombies hatten die schlechte Angewohnheit, mir in den Kopf
zu schießen. Die meisten hüteten sich zwar davor, aber
unter ihnen gab es immer auch welche, die ihr Glück herausfordern
wollten.
Es geschah an einem verregneten Montag. Der Morgen
graute schon. Zerbrochene Laternen und Glasscherben lagen
auf der Straße, und hoch über mir türmten sich die gewaltigen
Schatten verlassener Lagerhäuser. Eine tote Stadt zu einer
toten Stunde. Seattle war ein dunkler Ort, selbst wenn die
Sonne schien. An einigen Tagen fühlte es sich so an, als lebte
man in den Nachwirkungen eines nuklearen Winters - als hätte
sich eine Pilzwolke über der Stadt aufgebläht und wäre niemals
abgezogen.
Und ruhig war es auch. Man hörte nur lautes Atmen und
dann noch ein leises Wimmern; das Scharren meiner Cowboystiefel
auf dem Beton und das Klicken von Krallen; dazu das
Rumpeln der Frachtzüge am Verschiebebahnhof jenseits des
Hafens, in das sich ein vibrierendes Grollen mischte, das mir
leise in den Ohren klang: wie stille Sinfonien von Donner. Das
war eine gute Musik, die mir ein Gefühl von Sicherheit einflößte.
Ich strich mir das nasse Haar aus den Augen. »Zee, pack ihn
fester!«
Er, das war Archie Limbaud. Ein dürrer Mann, dazu so sehnig
wie eine Viper. Sein kurzes braunes Haar klebte ihm auf
dem nassen Schädel und war von Schuppen übersät. Er war so
um die vierzig Jahre alt und roch wie das Badezimmer eines
Teenagers: ungewaschen und nach einem Hauch von Fäkalien.
... mehr
Außerdem war er ein Zombie. Aber nicht einer von der hirnfressenden,
schlurfenden Sorte. Und er war auch kein Leichnam.
Er war lediglich ein Mann, allerdings einer, der von einem
Dämon besessen war und seinen Körper wie eine Marionette
benutzte. Meiner Meinung nach war das genauso schlimm, als
wäre man tot.
Ich wollte ihn nicht berühren. Er lag am Rand eines leeren
Parkplatzes, am Fuß eines Maschendrahtzauns. Der Inhalt seiner
Brieftasche lag auf dem Boden vor mir verteilt. Mehr Kondome
als Bargeld, dazu eine Kreditkarte und ein abgelaufener
Führerschein. Noch vor wenigen Minuten hatte auch noch eine
Pistole vom Kaliber .40 daneben gelegen, mit der er auf meinen
Kopf gezielt hatte. Aber die war jetzt verschwunden.
Aufgefressen.
Ich mochte keine Pistolen. Und ich hasste Zombies. Das kam
noch zu all dem dazu, was ich über diesen besessenen Mann zu
meinen Füßen wusste - und ließ mich schwanken, ob ich weinen,
schreien oder ihm einfach nur in die Eier treten sollte.
Ich zog die Handschuhe aus, stopfte sie in meine Gesäßtasche
und streckte die Hand mit der Innenfläche nach oben
aus. Eine kleine, mit Krallen besetzte Hand reichte mir ein
Klappmesser. Es war eine hübsche Waffe mit einem perlmuttenen
Handgriff und silbernen Verzierungen. Die Klinge war
rasiermesserscharf und immer noch mit Blut verschmiert. Seine
Initialen waren darauf eingraviert: A. L. Ich wedelte mit dem
Messer vor Archies gerötetem Gesicht hin und her - seine
dunkle Aura flackerte aufgeregt über seinem Scheitel.
»Das ist vielleicht eine Nacht«, sagte ich gelassen. »Ich habe
die Leiche gefunden.«
Archie sagte nichts. Das mochte an dem Baseballschläger aus
Aluminium liegen, der sich in seinen Schlund gegraben hatte.
Vermutlich hatte er ihn von den Seattle Mariners gestohlen.
Von der Stelle aus, an der ich kauerte, konnte ich die Mauern
des Stadions auf dem Safeco Field sehen. Zee und die anderen
Jungs hatten gerade ihre Baseballphase. Babe Ruth war angesagt,
Bill Russell war out - was mir irgendwie weh tat. Wenigstens
standen meine Jungs noch auf Bon Jovi. Zu viele Veränderungen
hätte ich jetzt nicht gut ertragen können.
Zee, Rohw und Aaz hockten am Boden und nagelten Archie
auf dem Bürgersteig fest. Die Jungs waren kleine Dämonen,
winzige Bluthunde. Der Regen perlte über ihre knorrigen
Rücken, die rußig aussahen, mit Silber verschmiert. Ihre Haut
schimmerte über dem geschmeidigen Spiel ihrer Muskeln und
wirkte fast flüssig. Rasiermesserscharfe Haare auf dem Rückgrat
erstreckten sich bis zu den Schädeln hinauf, die wie gemeißelt
schienen und an denen silberfarbene Adern ruhig pulsierten.
Hätte ich mein Ohr darauf gelegt, es hätte wie der gleichbleibend
rhythmische Anschlag von Bassgitarren geklungen.
Ihre roten Augen funkelten. Ich tippte Aaz mit dem Klappmesser
auf den Hinterkopf - sein Haar schnitt durch den Stahl,
als bestünde er aus Butter. Rohw fing die Scherben der Klinge
auf, noch bevor sie auf den Beton fielen, stopfte sie sich in den
Mund und kaute hörbar.
»Pass bloß auf seine Luftröhre auf«, sagte ich zu Aaz. »Ich
möchte nicht, dass der Wirt zu Schaden kommt.«
Aaz warf dem Zombie einen obszönen Kuss zu und nahm
den Baseballschläger von der weichen, aufgescheuerten Kehle.
Archie fing zu husten an und versuchte seine Beine zu bewegen.
Doch vergeblich. Rohw saß auf seinen Knöcheln, Zee presste
seine Handgelenke auf den Beton. Es fehlte nicht viel, und er
hätte ihm die Knochen zermalmt. Meine Jungs waren nämlich
ziemlich kräftig.
»Bitte«, flüsterte Archie heiser. »Ich möchte mich bekehren lassen.«
»Lügner«, schnarrte Zee, bevor ich dazu kam, dem Zombie
zu sagen, das könne er vergessen. Der kleine Dämon beugte
sich vor und schmeckte die Luft über Archies Stirn. »Der
Schlächter lügt, Maxine. Er giert immer noch.«
»Er mordet«, erwiderte ich und packte die Reste des Klappmessers
fester mit der Faust, während das Bild eines jungen Gesichts
durch meine Gedanken blitzte, blutig und zerfetzt, eine
Gestalt mit langen braunen Gliedern, nackt auf dem Boden liegend.
Wie eine zerrissene Puppe. An Körperstellen zerfetzt, an
die ich mich nicht erinnern wollte. »Sie war noch ein Kind.«
»Sie war eine Prostituierte«, erwiderte Archie. »Sie ist schon
vorher Beute gewesen.«
Dek und Mal hatten sich auf meinen Schultern zusammengerollt,
spähten jetzt unter meinem Haar hervor und zischten
den Zombie an. Anders als die drei anderen hatten sie die Gestalt
von Schlangen, mit zwei rudimentären, winzigen Gliedmaßen,
die nur dazu dienten, sich an meinen Ohren festzuhalten.
Ihre Köpfe waren wie die von Hyänen geformt. Ihr Grinsen
wirkte bissig, dabei atmeten sie Feuer. Archie starrte sie an
und zitterte.
Ich streckte meine Hand durch seine heftig wabernde Aura
und legte sie auf seine feuchte Stirn. Er wich zwar zurück, doch
die Jungs hielten ihn fest. Unmittelbar bevor ich ihn berührte,
verdrehte er die Augen und starrte auf die zierliche Rüstung,
die den gesamten Ringfinger meiner rechten Hand umhüllte:
eine schlanke Hülle, wie aus Quecksilber, die ein winziges Gelenk
genau an meinem Knöchel aufwies, das mir erlaubte, den
Finger zu krümmen. Sie lag so eng an wie eine zweite Haut.
Manchmal vergaß ich sogar, dass es sie überhaupt gab.
»Beute«, murmelte ich. »Und was macht das aus dir?«
»Einen von einer Million«, flüsterte er bebend und starrte
mich hasserfüllt an. »Du kannst uns nicht alle töten. Wenn die
Gefängnisschleier fallen ...«
»Bist du nur ein Stück Fleisch für den Rest der Dämonen«,
unterbrach ich ihn. Ich dachte immer noch an das Mädchen,
das ich in der Gasse nur wenige Blocks von hier gefunden hatte.
Zee und die anderen hatten mich aus dem Bett geholt und dorthin
geführt, um ihren Mörder zu jagen. »Deine Art wird abgeschlachtet
werden, genauso wie die Menschen. Du bedeutest
den anderen gar nichts. Das hat sogar deine Königin gesagt.«
»Jägerin ...«, begann Archie, aber ich ließ ihn seinen Satz
nicht zu Ende sprechen. Ich kannte schon alles, was er sagen
wollte. Seit dem Mord an meiner Mutter hatte ich es bereits
tausendfach gehört, und davor auch schon viele, viele Male.
Ich würde sterben. Niemals würde ich ein hohes Alter erreichen.
Die Welt würde aufhören zu existieren.
All das stimmte. Aber dennoch. Seine Stimme tat mir im
Kopf weh. Sein säuerlicher Geruch, heiß und stechend, bereitete
mir Übelkeit - fast bis zum Erbrechen. Ich war müde, mir
war kalt bis auf die Seele, und da gab es ein Mädchen, das heute
Nacht sein Leben verloren hatte - noch dazu vollkommen
grundlos. Sie hatte einen üblen Tod erlitten, und dies nur, weil
sich der Parasit, der in diesen Mann gefahren war, an ihrem
Schmerz hatte nähren wollen. Ich kannte nicht einmal ihren
Namen. Sie hatte keinen Ausweis, sie hatte einfach gar nichts
dabeigehabt. Nun war sie für immer verloren.
Und sie war nicht die Einzige. Die Welt war groß. Es gab
zu viele Räuber: Menschen, Zombies und andere. Aber nur
einen wie mich. Eine Nomadin, als solche geboren und erzogen,
die sich in dieser Stadt länger aufgehalten hatte als in jeder
anderen. Sie hatte alle anderen aufgegeben, damit sie - und ich
ebenso - zumindest so etwas Ähnliches wie ein normales Leben
führen konnte.
Na klar, dachte ich. Ganz normal.
Ich drückte meine Handfläche noch fester gegen Archies
Stirn und hauchte ein paar leise Worte: zischend und uralt, eine
konzentrierte Sprache, die ein Kribbeln auf meiner Haut verursachte
und meine Hand zu verbrennen schien. Archies Atem
ging rasselnd oder schrillte hoch, als seine Aura anschwoll und
versuchte, mir zu entkommen.
Aber so viel Glück hatte sie nicht. Der Dämon war jung und
leicht auszutreiben. Ich zog ihn heraus und sah zu, wie sich sein
gespensterhafter Körper wie vergifteter Rauch aus dem offenen
Mund des Menschen wand. Archie erschlaffte. Rohw und
Aaz ließen seine Beine los, während Dek und Mal von meinen
Schultern glitten und sich über meine Arme zu meinen Händen
schlängelten. Ihre winzigen Klauen stachen wie Stricknadeln in
meine Haut und summten leise mit ihren hohen Stimmen Bon
Jovis Social Disease.
Als die letzte Rauchfahne des sich windenden Parasitenkörpers
den Menschen verlassen hatte, hielt ich ihn in der Hand:
Die weiche, kreischende Dunkelheit quoll durch meine Finger,
und ich fühlte ihre beißende Kälte wie einen gefrorenen
Netzhandschuh auf meiner Haut. Zee trat über Archies reg-
losen Körper, und die anderen streckten ihre rasiermesserscharfen
Krallen aus.
Ich überließ ihnen den Dämon, konnte aber nicht zusehen,
wie sie ihn fraßen.
Stattdessen kniete ich mich neben Archie und fühlte seinen
Puls. Er war kräftig und regelmäßig. Seine Lider flatterten
zwar, doch er blieb ohnmächtig. Ich trat rasch zurück und
wischte mir die nassen Handflächen an meiner Jeans ab. Ich
wusste nicht, wie dieser Mann gewesen sein mochte, bevor ihn
der Dämon besessen hatte. Aber ich vermutete, dass er nicht
gerade zu der glücklicheren Sorte gehört hatte. Ausgeglichene,
mental robuste Menschen wurden normalerweise nicht von
Dämonen befallen. Das war viel zu viel Aufwand. Sie wiesen ja
kaum Spalten und Risse auf, die man hätte ausnutzen können.
Dieser Mann jedoch, Archie Limbaud, würde als Mörder
aufwachen - und er würde es doch niemals erfahren. Dämonen
hinterließen keinerlei Erinnerungen im menschlichen Geist
ihrer Wirte. Nur Chaos und zerstörte Leben. Sowie Freunde
und Familien, die einen nie mehr auf dieselbe Art und Weise
betrachten würden.
»Maxine«, schnarrte Zee, während er sich mit dem Rücken
seiner scharfen Hand über den Mund fuhr. »Da, die Sonne
kommt.«
Ich wusste es ja. Ich konnte sie schon spüren, irgendwo hinter
dem schwarzen Himmel unter dem Regen, wie sie langsam
zum wolkenverhangenen Horizont hinaufkroch. Ich hatte nur
noch ein paar Minuten, höchstens.
»Telefon«, sagte ich zu Zee. Er gab Rohw und Aaz ein Zeichen
und schnippte mit den Krallen. Die beiden strolchten am
Rand des dunklen Parkplatzes entlang, verschwanden aber immer
wieder im Schatten. Jetzt sprangen sie heran, so dankbar
wie junge Wölfe, und flüsterten etwas in Zees Ohren. Zee legte
den Kopf schief und lauschte - einen Augenblick später streckte
er dann seinen Arm aus.
Ich sagte nichts, sondern ging nur weg, weg von Archie. Ich
beeilte mich nicht, und ich sah auch nicht zurück. Ich hatte immer
noch den Griff des Klappmessers in der Hand und schob
ihn jetzt in mein Haar. Ich hörte, wie das Metall knirschte, als
Mal kaute und schluckte. Ich hätte ihn auch zurücklassen können,
als Beweisstück.
Aber ich wollte, dass der Mann eine zweite Chance bekam.
Ich wünschte mir, dass er aufwachte, verwirrt und mit einer Gedächtnislücke,
aber ohne die Bürde eines Mordes, die auf ihm
lastete. Das verdiente niemand, obwohl ich irgendwie das Gefühl
hatte, als hätte er Blut an den Händen. Als wären seine
Hände ebenso schmutzig wie meine. Ich rieb sie unaufhörlich
an meiner nassen Jeans, und es kam mir so vor, als hinge mir
Archie Limbauds Gestank immer noch an.
Es blieb weiter ruhig, der Nieselregen machte die Straßen
und die raue, zerbrochene Umgebung weicher. Ich sog die
kalte Luft ein und genoss die Kälte meines nassen Haares, das
sich an meine geröteten Wangen schmiegte. Die Jungs glitten
durch die Schatten, bis auf das kurze Funkeln ihrer roten Augen
unsichtbar. Ich wischte mir immer weiter die Hände ab
und dachte an das tote Mädchen. Und an meine Mutter. Sie
hatte mich davor gewarnt, bevor sie starb. Sie hatte mir gesagt,
dass es genau so kommen würde. Es würde immer Opfer geben.
Überall gab es Opfer. Und ich würde niemals schnell genug
sein. Ich würde immer nur hinterherlaufen.
Zwei Blocks weiter fand ich eine Telefonzelle. Ein verbeultes
Relikt, das vollkommen von Graffiti bedeckt war. Ich wählte
die 911 und hinterließ eine kurze Nachricht in der Zentrale.
Ein toter Teenager, ermordet, einige Blocks südlich vom Safeco
Field. Dann legte ich auf. Ich wischte meine Fingerabdrücke ab,
als mir einfiel, dass ich meine Handschuhe hätte tragen können.
Ich war noch immer durcheinander und konnte nicht mehr
logisch denken. Am liebsten wäre ich zu dem toten Mädchen
zurückgegangen und hätte an ihrer Leiche gewartet - als wenn
das einen Unterschied gemacht hätte. Als wenn das irgendwie
den Schmerz und die Einsamkeit des Mordes an ihr hätte lindern
können.
Stattdessen ging ich weiter, in westlicher Richtung von dem
Verschiebebahnhof fort, nach Chinatown. Ich sah niemanden,
bemerkte jedoch das kurze Aufleuchten von Scheinwerfern, die
ferne Kreuzungen überquerten. Das Rumpeln der Züge erschien
mir lauter als vorhin. Die Luft schmeckte schärfer und
wirkte plötzlich elektrisch aufgeladen, als wären in der ganzen
Stadt sämtliche Wecker angesprungen und ich könnte den Puls
Tausender Augen spüren, die sich gleichzeitig öffneten. In meinen
Ohren summten Dek und Mal ein anderes Stück von Bon
Jovi: Have a Nice Day.
»Ihr auch«, antwortete ich heiser, griff hinauf in mein Haar
und kraulte ihre Nacken. »Bis heute Nacht.«
Ich blieb im Schatten stehen, außerhalb der Sichtweite der
Straße, und die anderen Jungs tauchten aus der Dunkelheit auf,
näherten sich mir, umschlangen meine Beine und drücken ihre
Wangen an meine Knie. Die Jungs liebten es, aufgesammelt
zu werden. Ich strich ihnen mit den Knöcheln über ihre warmen
Kiefer und genoss ihr vibrierendes Schnurren. Ihre Haut
dampfte im Regen.
Zee blickte zu mir hoch und zog an meiner Hand, bis ich
mich vor ihn hinkniete. Behutsam nahm er mein Gesicht
zwischen seine Klauen und sah mir in die Augen. Sein Blick
wirkte so traurig und mitfühlend, dass meine Augen schon
brannten.
»Maxine«, schnarrte er liebevoll, »süße Maxine. Nimm es
nicht so schwer.«
Wir hatten nur noch wenige Sekunden, nicht mehr. Ich
küsste meine Finger und drückte sie an seine knochige Stirn.
Dann dachte ich erneut an meine Mutter, mir wurde das Herz
schwer. So hatte sie den Jungs immer gute Nacht gesagt, in all
den Jahren, in denen sie ihr gehört hatten. Heute Nacht konnte
ich einfach nicht aufhören, an sie zu denken.
»Träumt«, flüsterte ich. »Schlaft fest ...«
Weiter kam ich nicht. Jemand schoss mir in den Kopf.
Einfach so. In die rechte Schläfe. Es war gar nicht laut, doch
der Einschlag erschütterte meinen ganzen Körper, und dieses
Gefühl vergrößerte sich mit quälender Klarheit, während
sich die Kugel in meinen Schädel bohrte, mit dem unausweichlichen
Druck eines kleinen, runden Objektes, das mein Leben zu
zerstören vermochte. Ich konnte es fühlen. Ich konnte es richtig
fühlen. Mein Hirn würde wie eine überreife Wassermelone
explodieren. Ich hatte nicht einmal Zeit, Angst zu haben.
Aber in diesem Augenblick, in diesem Sekundenbruchteil
zwischen Leben und Tod, da berührte die Sonne irgendwo jenseits
der Wolken den Horizont ...
... und die Jungs verschwanden in meiner Haut.
Die Kugel prallte ab. Die Wucht des Aufpralls wirbelte mich
herum ... wie eine Puppe. Ich fiel auf Hände und Knie, blieb
dort hocken, betäubt und wie erstarrt. Ich konnte den Schlag
des Geschosses immer noch spüren; die Empfindung war so
instinktiv, dass ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn ich an
meine Schläfe gegriffen und die Kugel gefunden hätte, während
sie einen Pfad in meinen Schädel grub.
Ich berührte meinen Kopf, nur um mich zu überzeugen. Ich
ertastete das Haar und die unverletzte Haut. Keinerlei Blut. Mein
rechter Arm zitterte, und ein dumpfer, gebrochener Schmerz
strahlte von meiner Stirnhöhle über die Schläfen bis zur Basis
meines Gehirns. Mein Herz hämmerte so heftig, dass ich kaum
atmen konnte. Ich sah nur den Asphalt und meine Hände.
Meine verwandelten Hände. Noch vor wenigen Augenblicken
war meine Haut blass und glatt gewesen, doch jetzt bedeckten
Tätowierungen jeden Zentimeter: schwarze verschlungene
Schatten, Schuppen und silberne Muskeln, die von
glänzenden Adern organischen Metalls durchzogen wurden.
Meine Fingernägel schimmerten wie schwarze Perlen und waren
hart genug, um ein Loch in festen Fels zu graben. Von den
Unterseiten meiner Handgelenke starrten mich rote Augen an.
Rohw und Aaz. Ich schloss die Augen, versuchte meine Atmung
unter Kontrolle zu bekommen und fühlte, wie fünf Wesen an
meiner Haut zupften. Dämonen, die in meiner Haut lebten.
Geister, Herzen und Träume, die bis zu meinem Tod an mein
Leben gebunden waren.
Meine Freunde, meine Familie. Meine gefährlichen Jungs.
In der Ferne hörte ich Sirenen. Also reagierten sie auf meinen
Anruf und waren hierhin unterwegs. Ich musste aufstehen.
Ich versuchte es und stürzte. Ich biss meine Zähne zusammen
und grub meine Nägel in den Beton. Ich versuchte es erneut.
Diesmal gelang es mir, aufrecht stehen zu bleiben. Ich ging
los, stolperte zwar, fiel jedoch nicht mehr hin. In meinem Kopf
hämmerte es. Ich krümmte mich einmal, ging dann aber weiter,
weil ich Angst hatte anzuhalten, und würgte krampfhaft. Ich
hatte zwar das Gefühl, mir komme der Magen durch den Hals
hoch, aber der Schmerz in meinem Kopf wurde nicht schlimmer,
sondern ließ langsam nach.
Zitternd berührte ich meine rechte Schläfe, ertastete die glatte
unversehrte Haut. Einen Augenblick lang erfüllte es mich mit
Ehrfurcht, dass ich noch lebte.
Man hatte schon häufiger auf mich geschossen, sehr häufig
sogar. Und überall. Ich hätte nie etwas gefühlt. Tagsüber prallten
Kugeln einfach von mir ab. Am Tag hätte mich sogar eine
Atombombe treffen können, ich hätte es trotzdem überlebt -
und zwar ohne einen Kratzer davonzutragen. Nachts war das
etwas anderes, wenn sich die Jungs von meinem Körper geschält
hatten. Ich hatte ihre Fähigkeit, mich am Leben zu erhalten,
noch nie unterschätzt.
Jedoch niemand, kein Einziger, hatte bisher die Klugheit
oder den Mut besessen zu versuchen, mich genau in diesem Augenblick
zwischen Nacht und Tag zu töten: während der Verwandlung
zwischen sterblich und unsterblich.
Das Timing war nahezu perfekt. Einen Augenblick früher,
und die Jungs hätten den Schützen getötet, noch bevor er die
Kugel hätte abfeuern können. Einen Moment später, und ich
wäre unverwundbar gewesen. Was auch genau der Fall gewesen
war. Der Bruchteil einer Sekunde hatte mich gerettet.
Das war verdammt knapp gewesen, viel zu knapp. Ich musterte
die Schatten, sah außer Lagerhäusern und dunklen Fenstern
jedoch gar nichts. Und das Funkeln der Geschäftsstadt von
Seattle im Norden. Die Lichter der Stadt wirkten wie erstarrt,
wie unbewegliche Glühwürmchen. Nichts schien ungewöhnlich.
Nirgendwo winkte ein Schütze mit einer Fahne. Aber ich
fühlte mich beobachtet. Irgendjemand befand sich irgendwo
da draußen in der Dunkelheit. Er musste weit entfernt sein,
sonst hätten die Jungs seine Anwesenheit lange vor dem Angriff
gespürt.
Ein Zombie, dachte ich. Das musste ein Zombie sein. Kein
anderer, der wusste, um was es sich bei mir handelte, würde versuchen,
mir etwas zu tun.
»Du bist fast gestorben«, sagte ich laut. Ich musste die Worte
hören, meine Stimme hören - als hätte ich irgendeinen Beweis
gebraucht, dass ich noch lebte. Maxine Kiss. Fast ausgelöscht,
mit einer Kugel in den Kopf - genau wie meine Mutter.
Ein Zombie hatte sie getötet. Aber das war etwas anderes
gewesen.
Denn damals war ihre Zeit zu sterben gekommen.
2
Ich brauchte dreißig Minuten, um zum Coop zurückzukehren.
Der Fußmarsch tat mir gut. Als ich die Hintertür der Küche
des Obdachlosenheims erreichte, hatte ich aufgehört zu zittern.
Meine Knie und Hände fühlten sich auch nicht mehr so
schwach an. Aber ich spürte noch immer, wie die Kugel versuchte,
sich in meinen Kopf zu bohren. Außerdem konnte ich
einfach nicht die Gewissheit ignorieren, dass derjenige, der auf
mich geschossen hatte, genau wusste, wo ich lebte. Das bedeutete,
dass er wahrscheinlich auch die Leute kannte, an denen
mir etwas lag.
Ich konnte die Nacht kaum erwarten.
Es war heller geworden, der Himmel war bewölkt. Aber es
war immer noch düster, und der Regen hatte sich verstärkt. Ich
selbst blieb jedoch knochentrocken. Selbst wenn sie schliefen,
liebten es die Jungs, Dinge zu verzehren. Das Wasser, das meine
Haare und meine Kleidung durchtränkt hatte, bildete da keine
Ausnahme. Nach Tagesanbruch war es innerhalb von Minuten
aufgesogen worden, und jetzt verschwanden die Regentropfen
nur Sekunden nachdem sie mich getroffen hatten. Ich konnte
nur hoffen, dass niemand allzu scharf darüber nachdachte, wie
ich es schaffte, trocken zu bleiben, obwohl doch alle anderen,
die hereinkamen, so aussahen, als wären sie in einem Wasserfass
untergetaucht worden.
Das war eben das Problem mit Geheimnissen. Es gab immer
etwas, das einen verraten konnte. Vor allem, wenn man zu lange
an einem Ort blieb.
Das Coop erstreckte sich über einen ganzen Häuserblock.
Es war eine Anordnung von Lagerhäusern, die renoviert und
miteinander verbunden worden waren, um als Zentrum für
Obdachlose zu fungieren. Es bot ihnen einen vorübergehenden
Schutz, Mahlzeiten und noch eine ganze Menge anderer
Dienste an. Firmen und auch private Spender finanzierten
einiges davon, aber längst nicht genug, um etwa Räume nach
jemandem zu benennen oder goldene Sterne zu verleihen. Fast
alle Rechnungen wurden von einem einzigen Mann bezahlt:
Grant Cooperon. Und dem war das auch ganz lieb so. Autonomie
war ja schlichtweg unbezahlbar.
Möwen kreisten kreischend über dem gesamten Komplex.
An der Verladerampe drängten sich Lieferwagen, weiße, nicht
gekennzeichnete Lieferwagen. Das Obdachlosenheim schickte
mitten in der Nacht Fahrzeuge los, die die örtlichen Bäckereien
und Lebensmittelläden abklapperten und Lebensmittel
aufsammelten, die nicht mehr als einen Tag alt waren und sonst
vermutlich einfach weggeworfen werden würden. Donuts und
Brot machten den Löwenanteil aus, aber gerade jetzt kam ich
an einigen großen Kisten mit Orangen vorbei, die durch den
Hintereingang hineingefahren wurden. Einer der neuen Freiwilligen,
eine junge Frau mit blonden Dreadlocks, die unter
ihrer gestreiften Hanfmütze herauslugten, schwankte vor mir
unter dem Gewicht zahlreicher Milchkartons, die sie in den
Armen gestapelt hatte.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2010
bei Blanvalet, einem Unternehmen
der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Marjorie M. Liu
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Redaktion: Joern Rauser
UH • Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-442-26647-0
www.blanvalet.de
Außerdem war er ein Zombie. Aber nicht einer von der hirnfressenden,
schlurfenden Sorte. Und er war auch kein Leichnam.
Er war lediglich ein Mann, allerdings einer, der von einem
Dämon besessen war und seinen Körper wie eine Marionette
benutzte. Meiner Meinung nach war das genauso schlimm, als
wäre man tot.
Ich wollte ihn nicht berühren. Er lag am Rand eines leeren
Parkplatzes, am Fuß eines Maschendrahtzauns. Der Inhalt seiner
Brieftasche lag auf dem Boden vor mir verteilt. Mehr Kondome
als Bargeld, dazu eine Kreditkarte und ein abgelaufener
Führerschein. Noch vor wenigen Minuten hatte auch noch eine
Pistole vom Kaliber .40 daneben gelegen, mit der er auf meinen
Kopf gezielt hatte. Aber die war jetzt verschwunden.
Aufgefressen.
Ich mochte keine Pistolen. Und ich hasste Zombies. Das kam
noch zu all dem dazu, was ich über diesen besessenen Mann zu
meinen Füßen wusste - und ließ mich schwanken, ob ich weinen,
schreien oder ihm einfach nur in die Eier treten sollte.
Ich zog die Handschuhe aus, stopfte sie in meine Gesäßtasche
und streckte die Hand mit der Innenfläche nach oben
aus. Eine kleine, mit Krallen besetzte Hand reichte mir ein
Klappmesser. Es war eine hübsche Waffe mit einem perlmuttenen
Handgriff und silbernen Verzierungen. Die Klinge war
rasiermesserscharf und immer noch mit Blut verschmiert. Seine
Initialen waren darauf eingraviert: A. L. Ich wedelte mit dem
Messer vor Archies gerötetem Gesicht hin und her - seine
dunkle Aura flackerte aufgeregt über seinem Scheitel.
»Das ist vielleicht eine Nacht«, sagte ich gelassen. »Ich habe
die Leiche gefunden.«
Archie sagte nichts. Das mochte an dem Baseballschläger aus
Aluminium liegen, der sich in seinen Schlund gegraben hatte.
Vermutlich hatte er ihn von den Seattle Mariners gestohlen.
Von der Stelle aus, an der ich kauerte, konnte ich die Mauern
des Stadions auf dem Safeco Field sehen. Zee und die anderen
Jungs hatten gerade ihre Baseballphase. Babe Ruth war angesagt,
Bill Russell war out - was mir irgendwie weh tat. Wenigstens
standen meine Jungs noch auf Bon Jovi. Zu viele Veränderungen
hätte ich jetzt nicht gut ertragen können.
Zee, Rohw und Aaz hockten am Boden und nagelten Archie
auf dem Bürgersteig fest. Die Jungs waren kleine Dämonen,
winzige Bluthunde. Der Regen perlte über ihre knorrigen
Rücken, die rußig aussahen, mit Silber verschmiert. Ihre Haut
schimmerte über dem geschmeidigen Spiel ihrer Muskeln und
wirkte fast flüssig. Rasiermesserscharfe Haare auf dem Rückgrat
erstreckten sich bis zu den Schädeln hinauf, die wie gemeißelt
schienen und an denen silberfarbene Adern ruhig pulsierten.
Hätte ich mein Ohr darauf gelegt, es hätte wie der gleichbleibend
rhythmische Anschlag von Bassgitarren geklungen.
Ihre roten Augen funkelten. Ich tippte Aaz mit dem Klappmesser
auf den Hinterkopf - sein Haar schnitt durch den Stahl,
als bestünde er aus Butter. Rohw fing die Scherben der Klinge
auf, noch bevor sie auf den Beton fielen, stopfte sie sich in den
Mund und kaute hörbar.
»Pass bloß auf seine Luftröhre auf«, sagte ich zu Aaz. »Ich
möchte nicht, dass der Wirt zu Schaden kommt.«
Aaz warf dem Zombie einen obszönen Kuss zu und nahm
den Baseballschläger von der weichen, aufgescheuerten Kehle.
Archie fing zu husten an und versuchte seine Beine zu bewegen.
Doch vergeblich. Rohw saß auf seinen Knöcheln, Zee presste
seine Handgelenke auf den Beton. Es fehlte nicht viel, und er
hätte ihm die Knochen zermalmt. Meine Jungs waren nämlich
ziemlich kräftig.
»Bitte«, flüsterte Archie heiser. »Ich möchte mich bekehren lassen.«
»Lügner«, schnarrte Zee, bevor ich dazu kam, dem Zombie
zu sagen, das könne er vergessen. Der kleine Dämon beugte
sich vor und schmeckte die Luft über Archies Stirn. »Der
Schlächter lügt, Maxine. Er giert immer noch.«
»Er mordet«, erwiderte ich und packte die Reste des Klappmessers
fester mit der Faust, während das Bild eines jungen Gesichts
durch meine Gedanken blitzte, blutig und zerfetzt, eine
Gestalt mit langen braunen Gliedern, nackt auf dem Boden liegend.
Wie eine zerrissene Puppe. An Körperstellen zerfetzt, an
die ich mich nicht erinnern wollte. »Sie war noch ein Kind.«
»Sie war eine Prostituierte«, erwiderte Archie. »Sie ist schon
vorher Beute gewesen.«
Dek und Mal hatten sich auf meinen Schultern zusammengerollt,
spähten jetzt unter meinem Haar hervor und zischten
den Zombie an. Anders als die drei anderen hatten sie die Gestalt
von Schlangen, mit zwei rudimentären, winzigen Gliedmaßen,
die nur dazu dienten, sich an meinen Ohren festzuhalten.
Ihre Köpfe waren wie die von Hyänen geformt. Ihr Grinsen
wirkte bissig, dabei atmeten sie Feuer. Archie starrte sie an
und zitterte.
Ich streckte meine Hand durch seine heftig wabernde Aura
und legte sie auf seine feuchte Stirn. Er wich zwar zurück, doch
die Jungs hielten ihn fest. Unmittelbar bevor ich ihn berührte,
verdrehte er die Augen und starrte auf die zierliche Rüstung,
die den gesamten Ringfinger meiner rechten Hand umhüllte:
eine schlanke Hülle, wie aus Quecksilber, die ein winziges Gelenk
genau an meinem Knöchel aufwies, das mir erlaubte, den
Finger zu krümmen. Sie lag so eng an wie eine zweite Haut.
Manchmal vergaß ich sogar, dass es sie überhaupt gab.
»Beute«, murmelte ich. »Und was macht das aus dir?«
»Einen von einer Million«, flüsterte er bebend und starrte
mich hasserfüllt an. »Du kannst uns nicht alle töten. Wenn die
Gefängnisschleier fallen ...«
»Bist du nur ein Stück Fleisch für den Rest der Dämonen«,
unterbrach ich ihn. Ich dachte immer noch an das Mädchen,
das ich in der Gasse nur wenige Blocks von hier gefunden hatte.
Zee und die anderen hatten mich aus dem Bett geholt und dorthin
geführt, um ihren Mörder zu jagen. »Deine Art wird abgeschlachtet
werden, genauso wie die Menschen. Du bedeutest
den anderen gar nichts. Das hat sogar deine Königin gesagt.«
»Jägerin ...«, begann Archie, aber ich ließ ihn seinen Satz
nicht zu Ende sprechen. Ich kannte schon alles, was er sagen
wollte. Seit dem Mord an meiner Mutter hatte ich es bereits
tausendfach gehört, und davor auch schon viele, viele Male.
Ich würde sterben. Niemals würde ich ein hohes Alter erreichen.
Die Welt würde aufhören zu existieren.
All das stimmte. Aber dennoch. Seine Stimme tat mir im
Kopf weh. Sein säuerlicher Geruch, heiß und stechend, bereitete
mir Übelkeit - fast bis zum Erbrechen. Ich war müde, mir
war kalt bis auf die Seele, und da gab es ein Mädchen, das heute
Nacht sein Leben verloren hatte - noch dazu vollkommen
grundlos. Sie hatte einen üblen Tod erlitten, und dies nur, weil
sich der Parasit, der in diesen Mann gefahren war, an ihrem
Schmerz hatte nähren wollen. Ich kannte nicht einmal ihren
Namen. Sie hatte keinen Ausweis, sie hatte einfach gar nichts
dabeigehabt. Nun war sie für immer verloren.
Und sie war nicht die Einzige. Die Welt war groß. Es gab
zu viele Räuber: Menschen, Zombies und andere. Aber nur
einen wie mich. Eine Nomadin, als solche geboren und erzogen,
die sich in dieser Stadt länger aufgehalten hatte als in jeder
anderen. Sie hatte alle anderen aufgegeben, damit sie - und ich
ebenso - zumindest so etwas Ähnliches wie ein normales Leben
führen konnte.
Na klar, dachte ich. Ganz normal.
Ich drückte meine Handfläche noch fester gegen Archies
Stirn und hauchte ein paar leise Worte: zischend und uralt, eine
konzentrierte Sprache, die ein Kribbeln auf meiner Haut verursachte
und meine Hand zu verbrennen schien. Archies Atem
ging rasselnd oder schrillte hoch, als seine Aura anschwoll und
versuchte, mir zu entkommen.
Aber so viel Glück hatte sie nicht. Der Dämon war jung und
leicht auszutreiben. Ich zog ihn heraus und sah zu, wie sich sein
gespensterhafter Körper wie vergifteter Rauch aus dem offenen
Mund des Menschen wand. Archie erschlaffte. Rohw und
Aaz ließen seine Beine los, während Dek und Mal von meinen
Schultern glitten und sich über meine Arme zu meinen Händen
schlängelten. Ihre winzigen Klauen stachen wie Stricknadeln in
meine Haut und summten leise mit ihren hohen Stimmen Bon
Jovis Social Disease.
Als die letzte Rauchfahne des sich windenden Parasitenkörpers
den Menschen verlassen hatte, hielt ich ihn in der Hand:
Die weiche, kreischende Dunkelheit quoll durch meine Finger,
und ich fühlte ihre beißende Kälte wie einen gefrorenen
Netzhandschuh auf meiner Haut. Zee trat über Archies reg-
losen Körper, und die anderen streckten ihre rasiermesserscharfen
Krallen aus.
Ich überließ ihnen den Dämon, konnte aber nicht zusehen,
wie sie ihn fraßen.
Stattdessen kniete ich mich neben Archie und fühlte seinen
Puls. Er war kräftig und regelmäßig. Seine Lider flatterten
zwar, doch er blieb ohnmächtig. Ich trat rasch zurück und
wischte mir die nassen Handflächen an meiner Jeans ab. Ich
wusste nicht, wie dieser Mann gewesen sein mochte, bevor ihn
der Dämon besessen hatte. Aber ich vermutete, dass er nicht
gerade zu der glücklicheren Sorte gehört hatte. Ausgeglichene,
mental robuste Menschen wurden normalerweise nicht von
Dämonen befallen. Das war viel zu viel Aufwand. Sie wiesen ja
kaum Spalten und Risse auf, die man hätte ausnutzen können.
Dieser Mann jedoch, Archie Limbaud, würde als Mörder
aufwachen - und er würde es doch niemals erfahren. Dämonen
hinterließen keinerlei Erinnerungen im menschlichen Geist
ihrer Wirte. Nur Chaos und zerstörte Leben. Sowie Freunde
und Familien, die einen nie mehr auf dieselbe Art und Weise
betrachten würden.
»Maxine«, schnarrte Zee, während er sich mit dem Rücken
seiner scharfen Hand über den Mund fuhr. »Da, die Sonne
kommt.«
Ich wusste es ja. Ich konnte sie schon spüren, irgendwo hinter
dem schwarzen Himmel unter dem Regen, wie sie langsam
zum wolkenverhangenen Horizont hinaufkroch. Ich hatte nur
noch ein paar Minuten, höchstens.
»Telefon«, sagte ich zu Zee. Er gab Rohw und Aaz ein Zeichen
und schnippte mit den Krallen. Die beiden strolchten am
Rand des dunklen Parkplatzes entlang, verschwanden aber immer
wieder im Schatten. Jetzt sprangen sie heran, so dankbar
wie junge Wölfe, und flüsterten etwas in Zees Ohren. Zee legte
den Kopf schief und lauschte - einen Augenblick später streckte
er dann seinen Arm aus.
Ich sagte nichts, sondern ging nur weg, weg von Archie. Ich
beeilte mich nicht, und ich sah auch nicht zurück. Ich hatte immer
noch den Griff des Klappmessers in der Hand und schob
ihn jetzt in mein Haar. Ich hörte, wie das Metall knirschte, als
Mal kaute und schluckte. Ich hätte ihn auch zurücklassen können,
als Beweisstück.
Aber ich wollte, dass der Mann eine zweite Chance bekam.
Ich wünschte mir, dass er aufwachte, verwirrt und mit einer Gedächtnislücke,
aber ohne die Bürde eines Mordes, die auf ihm
lastete. Das verdiente niemand, obwohl ich irgendwie das Gefühl
hatte, als hätte er Blut an den Händen. Als wären seine
Hände ebenso schmutzig wie meine. Ich rieb sie unaufhörlich
an meiner nassen Jeans, und es kam mir so vor, als hinge mir
Archie Limbauds Gestank immer noch an.
Es blieb weiter ruhig, der Nieselregen machte die Straßen
und die raue, zerbrochene Umgebung weicher. Ich sog die
kalte Luft ein und genoss die Kälte meines nassen Haares, das
sich an meine geröteten Wangen schmiegte. Die Jungs glitten
durch die Schatten, bis auf das kurze Funkeln ihrer roten Augen
unsichtbar. Ich wischte mir immer weiter die Hände ab
und dachte an das tote Mädchen. Und an meine Mutter. Sie
hatte mich davor gewarnt, bevor sie starb. Sie hatte mir gesagt,
dass es genau so kommen würde. Es würde immer Opfer geben.
Überall gab es Opfer. Und ich würde niemals schnell genug
sein. Ich würde immer nur hinterherlaufen.
Zwei Blocks weiter fand ich eine Telefonzelle. Ein verbeultes
Relikt, das vollkommen von Graffiti bedeckt war. Ich wählte
die 911 und hinterließ eine kurze Nachricht in der Zentrale.
Ein toter Teenager, ermordet, einige Blocks südlich vom Safeco
Field. Dann legte ich auf. Ich wischte meine Fingerabdrücke ab,
als mir einfiel, dass ich meine Handschuhe hätte tragen können.
Ich war noch immer durcheinander und konnte nicht mehr
logisch denken. Am liebsten wäre ich zu dem toten Mädchen
zurückgegangen und hätte an ihrer Leiche gewartet - als wenn
das einen Unterschied gemacht hätte. Als wenn das irgendwie
den Schmerz und die Einsamkeit des Mordes an ihr hätte lindern
können.
Stattdessen ging ich weiter, in westlicher Richtung von dem
Verschiebebahnhof fort, nach Chinatown. Ich sah niemanden,
bemerkte jedoch das kurze Aufleuchten von Scheinwerfern, die
ferne Kreuzungen überquerten. Das Rumpeln der Züge erschien
mir lauter als vorhin. Die Luft schmeckte schärfer und
wirkte plötzlich elektrisch aufgeladen, als wären in der ganzen
Stadt sämtliche Wecker angesprungen und ich könnte den Puls
Tausender Augen spüren, die sich gleichzeitig öffneten. In meinen
Ohren summten Dek und Mal ein anderes Stück von Bon
Jovi: Have a Nice Day.
»Ihr auch«, antwortete ich heiser, griff hinauf in mein Haar
und kraulte ihre Nacken. »Bis heute Nacht.«
Ich blieb im Schatten stehen, außerhalb der Sichtweite der
Straße, und die anderen Jungs tauchten aus der Dunkelheit auf,
näherten sich mir, umschlangen meine Beine und drücken ihre
Wangen an meine Knie. Die Jungs liebten es, aufgesammelt
zu werden. Ich strich ihnen mit den Knöcheln über ihre warmen
Kiefer und genoss ihr vibrierendes Schnurren. Ihre Haut
dampfte im Regen.
Zee blickte zu mir hoch und zog an meiner Hand, bis ich
mich vor ihn hinkniete. Behutsam nahm er mein Gesicht
zwischen seine Klauen und sah mir in die Augen. Sein Blick
wirkte so traurig und mitfühlend, dass meine Augen schon
brannten.
»Maxine«, schnarrte er liebevoll, »süße Maxine. Nimm es
nicht so schwer.«
Wir hatten nur noch wenige Sekunden, nicht mehr. Ich
küsste meine Finger und drückte sie an seine knochige Stirn.
Dann dachte ich erneut an meine Mutter, mir wurde das Herz
schwer. So hatte sie den Jungs immer gute Nacht gesagt, in all
den Jahren, in denen sie ihr gehört hatten. Heute Nacht konnte
ich einfach nicht aufhören, an sie zu denken.
»Träumt«, flüsterte ich. »Schlaft fest ...«
Weiter kam ich nicht. Jemand schoss mir in den Kopf.
Einfach so. In die rechte Schläfe. Es war gar nicht laut, doch
der Einschlag erschütterte meinen ganzen Körper, und dieses
Gefühl vergrößerte sich mit quälender Klarheit, während
sich die Kugel in meinen Schädel bohrte, mit dem unausweichlichen
Druck eines kleinen, runden Objektes, das mein Leben zu
zerstören vermochte. Ich konnte es fühlen. Ich konnte es richtig
fühlen. Mein Hirn würde wie eine überreife Wassermelone
explodieren. Ich hatte nicht einmal Zeit, Angst zu haben.
Aber in diesem Augenblick, in diesem Sekundenbruchteil
zwischen Leben und Tod, da berührte die Sonne irgendwo jenseits
der Wolken den Horizont ...
... und die Jungs verschwanden in meiner Haut.
Die Kugel prallte ab. Die Wucht des Aufpralls wirbelte mich
herum ... wie eine Puppe. Ich fiel auf Hände und Knie, blieb
dort hocken, betäubt und wie erstarrt. Ich konnte den Schlag
des Geschosses immer noch spüren; die Empfindung war so
instinktiv, dass ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn ich an
meine Schläfe gegriffen und die Kugel gefunden hätte, während
sie einen Pfad in meinen Schädel grub.
Ich berührte meinen Kopf, nur um mich zu überzeugen. Ich
ertastete das Haar und die unverletzte Haut. Keinerlei Blut. Mein
rechter Arm zitterte, und ein dumpfer, gebrochener Schmerz
strahlte von meiner Stirnhöhle über die Schläfen bis zur Basis
meines Gehirns. Mein Herz hämmerte so heftig, dass ich kaum
atmen konnte. Ich sah nur den Asphalt und meine Hände.
Meine verwandelten Hände. Noch vor wenigen Augenblicken
war meine Haut blass und glatt gewesen, doch jetzt bedeckten
Tätowierungen jeden Zentimeter: schwarze verschlungene
Schatten, Schuppen und silberne Muskeln, die von
glänzenden Adern organischen Metalls durchzogen wurden.
Meine Fingernägel schimmerten wie schwarze Perlen und waren
hart genug, um ein Loch in festen Fels zu graben. Von den
Unterseiten meiner Handgelenke starrten mich rote Augen an.
Rohw und Aaz. Ich schloss die Augen, versuchte meine Atmung
unter Kontrolle zu bekommen und fühlte, wie fünf Wesen an
meiner Haut zupften. Dämonen, die in meiner Haut lebten.
Geister, Herzen und Träume, die bis zu meinem Tod an mein
Leben gebunden waren.
Meine Freunde, meine Familie. Meine gefährlichen Jungs.
In der Ferne hörte ich Sirenen. Also reagierten sie auf meinen
Anruf und waren hierhin unterwegs. Ich musste aufstehen.
Ich versuchte es und stürzte. Ich biss meine Zähne zusammen
und grub meine Nägel in den Beton. Ich versuchte es erneut.
Diesmal gelang es mir, aufrecht stehen zu bleiben. Ich ging
los, stolperte zwar, fiel jedoch nicht mehr hin. In meinem Kopf
hämmerte es. Ich krümmte mich einmal, ging dann aber weiter,
weil ich Angst hatte anzuhalten, und würgte krampfhaft. Ich
hatte zwar das Gefühl, mir komme der Magen durch den Hals
hoch, aber der Schmerz in meinem Kopf wurde nicht schlimmer,
sondern ließ langsam nach.
Zitternd berührte ich meine rechte Schläfe, ertastete die glatte
unversehrte Haut. Einen Augenblick lang erfüllte es mich mit
Ehrfurcht, dass ich noch lebte.
Man hatte schon häufiger auf mich geschossen, sehr häufig
sogar. Und überall. Ich hätte nie etwas gefühlt. Tagsüber prallten
Kugeln einfach von mir ab. Am Tag hätte mich sogar eine
Atombombe treffen können, ich hätte es trotzdem überlebt -
und zwar ohne einen Kratzer davonzutragen. Nachts war das
etwas anderes, wenn sich die Jungs von meinem Körper geschält
hatten. Ich hatte ihre Fähigkeit, mich am Leben zu erhalten,
noch nie unterschätzt.
Jedoch niemand, kein Einziger, hatte bisher die Klugheit
oder den Mut besessen zu versuchen, mich genau in diesem Augenblick
zwischen Nacht und Tag zu töten: während der Verwandlung
zwischen sterblich und unsterblich.
Das Timing war nahezu perfekt. Einen Augenblick früher,
und die Jungs hätten den Schützen getötet, noch bevor er die
Kugel hätte abfeuern können. Einen Moment später, und ich
wäre unverwundbar gewesen. Was auch genau der Fall gewesen
war. Der Bruchteil einer Sekunde hatte mich gerettet.
Das war verdammt knapp gewesen, viel zu knapp. Ich musterte
die Schatten, sah außer Lagerhäusern und dunklen Fenstern
jedoch gar nichts. Und das Funkeln der Geschäftsstadt von
Seattle im Norden. Die Lichter der Stadt wirkten wie erstarrt,
wie unbewegliche Glühwürmchen. Nichts schien ungewöhnlich.
Nirgendwo winkte ein Schütze mit einer Fahne. Aber ich
fühlte mich beobachtet. Irgendjemand befand sich irgendwo
da draußen in der Dunkelheit. Er musste weit entfernt sein,
sonst hätten die Jungs seine Anwesenheit lange vor dem Angriff
gespürt.
Ein Zombie, dachte ich. Das musste ein Zombie sein. Kein
anderer, der wusste, um was es sich bei mir handelte, würde versuchen,
mir etwas zu tun.
»Du bist fast gestorben«, sagte ich laut. Ich musste die Worte
hören, meine Stimme hören - als hätte ich irgendeinen Beweis
gebraucht, dass ich noch lebte. Maxine Kiss. Fast ausgelöscht,
mit einer Kugel in den Kopf - genau wie meine Mutter.
Ein Zombie hatte sie getötet. Aber das war etwas anderes
gewesen.
Denn damals war ihre Zeit zu sterben gekommen.
2
Ich brauchte dreißig Minuten, um zum Coop zurückzukehren.
Der Fußmarsch tat mir gut. Als ich die Hintertür der Küche
des Obdachlosenheims erreichte, hatte ich aufgehört zu zittern.
Meine Knie und Hände fühlten sich auch nicht mehr so
schwach an. Aber ich spürte noch immer, wie die Kugel versuchte,
sich in meinen Kopf zu bohren. Außerdem konnte ich
einfach nicht die Gewissheit ignorieren, dass derjenige, der auf
mich geschossen hatte, genau wusste, wo ich lebte. Das bedeutete,
dass er wahrscheinlich auch die Leute kannte, an denen
mir etwas lag.
Ich konnte die Nacht kaum erwarten.
Es war heller geworden, der Himmel war bewölkt. Aber es
war immer noch düster, und der Regen hatte sich verstärkt. Ich
selbst blieb jedoch knochentrocken. Selbst wenn sie schliefen,
liebten es die Jungs, Dinge zu verzehren. Das Wasser, das meine
Haare und meine Kleidung durchtränkt hatte, bildete da keine
Ausnahme. Nach Tagesanbruch war es innerhalb von Minuten
aufgesogen worden, und jetzt verschwanden die Regentropfen
nur Sekunden nachdem sie mich getroffen hatten. Ich konnte
nur hoffen, dass niemand allzu scharf darüber nachdachte, wie
ich es schaffte, trocken zu bleiben, obwohl doch alle anderen,
die hereinkamen, so aussahen, als wären sie in einem Wasserfass
untergetaucht worden.
Das war eben das Problem mit Geheimnissen. Es gab immer
etwas, das einen verraten konnte. Vor allem, wenn man zu lange
an einem Ort blieb.
Das Coop erstreckte sich über einen ganzen Häuserblock.
Es war eine Anordnung von Lagerhäusern, die renoviert und
miteinander verbunden worden waren, um als Zentrum für
Obdachlose zu fungieren. Es bot ihnen einen vorübergehenden
Schutz, Mahlzeiten und noch eine ganze Menge anderer
Dienste an. Firmen und auch private Spender finanzierten
einiges davon, aber längst nicht genug, um etwa Räume nach
jemandem zu benennen oder goldene Sterne zu verleihen. Fast
alle Rechnungen wurden von einem einzigen Mann bezahlt:
Grant Cooperon. Und dem war das auch ganz lieb so. Autonomie
war ja schlichtweg unbezahlbar.
Möwen kreisten kreischend über dem gesamten Komplex.
An der Verladerampe drängten sich Lieferwagen, weiße, nicht
gekennzeichnete Lieferwagen. Das Obdachlosenheim schickte
mitten in der Nacht Fahrzeuge los, die die örtlichen Bäckereien
und Lebensmittelläden abklapperten und Lebensmittel
aufsammelten, die nicht mehr als einen Tag alt waren und sonst
vermutlich einfach weggeworfen werden würden. Donuts und
Brot machten den Löwenanteil aus, aber gerade jetzt kam ich
an einigen großen Kisten mit Orangen vorbei, die durch den
Hintereingang hineingefahren wurden. Einer der neuen Freiwilligen,
eine junge Frau mit blonden Dreadlocks, die unter
ihrer gestreiften Hanfmütze herauslugten, schwankte vor mir
unter dem Gewicht zahlreicher Milchkartons, die sie in den
Armen gestapelt hatte.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2010
bei Blanvalet, einem Unternehmen
der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Marjorie M. Liu
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Redaktion: Joern Rauser
UH • Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-442-26647-0
www.blanvalet.de
... weniger
Autoren-Porträt von Marjorie M. Liu
Marjorie M. Liu ist eine außergewöhnlich optimistische junge Frau, die fest daran glaubt, allem im Leben mit einem Lächeln begegnen zu können. In ihrer Freizeit betreibt sie einen Taxiservice für Pudel.Wolfgang Thon lebt als freier Übersetzer in Hamburg. Er hat viele Thriller, u. a. von Brad Meltzer, Joseph Finder und Paul Grossman ins Deutsche übertragen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Marjorie M. Liu
- 2010, 414 Seiten, Maße: 12,6 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Thon, Wolfgang
- Übersetzer: Wolfgang Thon
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442266475
- ISBN-13: 9783442266470
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