In meinem Schatten
Tagebücher. Mit einem Interview v. Pascal Bonitzer
"Dünne Hefte, stille Mitwisser meiner Zweifel. Ein paar Gewissensbisse vielleicht. Nichts zu bedauern", schreibt Catherine Deneuve im Vorwort zu ihren Tagebüchern, in denen sie von ihrer Arbeit als Schauspielerin und ihren Erfahrungen in fremden Ländern...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „In meinem Schatten “
"Dünne Hefte, stille Mitwisser meiner Zweifel. Ein paar Gewissensbisse vielleicht. Nichts zu bedauern", schreibt Catherine Deneuve im Vorwort zu ihren Tagebüchern, in denen sie von ihrer Arbeit als Schauspielerin und ihren Erfahrungen in fremden Ländern berichtet. Ein vollkommen unverstellter Blick auf die vielleicht berühmteste Französin.
Lese-Probe zu „In meinem Schatten “
Dancer in the Dark1999
Drehbuch und Regie: Lars von Trier
Darsteller: Björk (Selma), Catherine Deneuve (Kathy), David Morse
(Bill), Peter Stormare (Jeff), Jean-Marc Barr (Norman)
Kamera: Robby Müller
Musik: Björk
Premiere in Frankreich: 18. Oktober 2000
Abflug nach Kopenhagen. Die Rapsfelder sehen vom Flugzeug aus wie Bilder von Poliakoff. Starke Halsschmerzen, fühle mich fiebrig. Es regnet, als ich im Hotel eintreffe. Oberstes Stockwerk, Holzterrasse. Jeder, der hier oben zu seinem Zimmer will, geht an meinen Fenstern vorbei! Treffen mit Lars bei ihm zu Hause, in seinem kleinen Holzhaus am Ende des Gartens. Wir sollen eine Leseprobe mit Björk machen, aber sie ist krank und deshalb in der Stadt geblieben. Ihr Agent ruft aus London an, um uns mitzuteilen, dass sie nicht kommen kann. Ich rede ein wenig mit Lars, merke aber, dass er Mühe hat, seine "Motivation" mit Worten zu erklären. Ich kehre bald ins Hotel zurück und verbringe da den Abend. Furchtbar schlechtes Wetter, passend zu meiner Stimmung.
Tags drauf fahre ich zum Studio. Offizielle Besichtigung des zukünftigen Drehorts. Sehr schöne Backsteingebäude zwanzig Minuten von der Stadt entfernt. Eine ehemalige Kaserne, angekauft, um Filmstudios, Büros, die Kantine und die Baubühne für die Kulissen daraus zu machen. Ganz hinten auf dem Gelände das Büro von Lars, halb unter der Erde wie ein Bunker. Vor dem Eingang stehen lauter leere Munitionskisten! Man müsste den großen Erdhaufen vor seinem Fenster noch abtragen.
Später. Das Studiogelände ist erst im Begriff, fertig zu werden. Und alle Anstrengungen müssen jetzt den Dreharbeiten gelten. Leseprobe mit Björk, die im Anorak, mit Ringelsocken und Clogs erscheint. Wild und schüchtern, aber gut aufgelegt für diese eher inoffizielle Leseprobe. Jean-Marc Barr ist auch da, extra für diesen Tag aus Paris eingeflogen. Keiner hat besondere Fragen. Lars scheint einigermaßen zufrieden zu sein. Kein Wort über Kostüme. Fühle mich krank. Wegen meiner
... mehr
Grippe bleibe ich nicht lange, kehre fast ein wenig erleichtert nach Frankreich zurück, beunruhigt, unsicher über den Realitätsgrad von all dem. Habe ich den Vertrag schon unterschrieben?
Zurück in Kopenhagen für eine erste Probe der Musicalszene in der Fabrik, Maß und Anprobe der Kostüme. Zumindest die Drehpläne sind klar und präzise. Eine Unmenge Leute scheint im Studio zu arbeiten. Hämmern an allen Ecken und Enden. Dabei herrscht eine gewisse Konfusion, vieles bleibt vage. Ich werde noch einige Zeit brauchen, um herauszufinden, dass Lars offenbar immer so arbeitet. Das Projekt ist gewaltig, die Vorbereitungen hängen jetzt schon hinterher, und sein Bedürfnis, den Dreharbeiten immer wieder neue "Frische" zu geben und diese auch zu bewahren, ist sehr groß.
Die zeitgenössischen Kleidungsstücke kommen fast alle aus Seattle in den Vereinigten Staaten. Die Vorstellung, nicht "herausgeputzt" sein zu müssen, ist reizvoll. Aber die Schnitte, die Stoffe, die Farbtöne, das ist doch alles recht armselig. Was werde ich wohl in zwei Monaten darüber denken?
Abendessen mit Lars und der Produzentin im Restaurant. Lars bricht vorzeitig auf, es dauert ihm zu lang. Noch vor kurzem war seine physische Aversion gegen Restaurants so stark, dass er keins betreten konnte. Ein anderes Mal essen wir mit Björk zu Abend. Wir trinken Wein. Sie ist sehr lustig, dabei schüchtern und für alles zu begeistern. Ich beobachte Lars. Soviel ich weiß, hat sie ihn ziemlich lange hingehalten, und man merkt, wie er den Zorn, der in ihm aufsteigt, herunterschluckt. Ich habe den Eindruck, alles verläuft hier sehr professionell, weil Lars weiß, was er will. Alle folgen ihm. Das muss für ihn manchmal eine ziemliche Last sein. Für die Firma ist das zweifellos die erste richtig große Produktion. Die Dreharbeiten sind zwei Mal verschoben worden. Mein erster Drehtag ist nun endgültig der 1. Juni. Ich fahre dafür nach Göteborg in Schweden. Sie haben bereits die Zug-Szene mit den hundert Kameras gedreht. Zusätzliche Schwierigkeit: Der Zug fährt. Natürlich müssen die Kameras alle gut versteckt werden, denn er filmt in 360°. Furchtbare Drehzeiten, wahnsinniger Zeitdruck, also so ziemlich das ganze Programm. Björk ist völlig erschöpft. Ihretwegen müssen sie zwei Tage Pause machen. Ich beginne mit ihr in der Bus-Szene. Lars schnauzt einige Leute an, dann erklärt er die Szene und entschließt sich, gleich die "Probe" zu filmen. Das macht er später ständig. Lars filmt einfach überall und immer. Das begeistert ihn. Mit diesem Material will er die schriftliche Fassung der Szene etwas auflockern. Er sagte mir sogar, der geschriebene Text habe keinerlei Bedeutung. Es geht ihm um den Tonfall, die Lebendigkeit unserer Beziehung. Das will er haben, und ich kann ihn verstehen.
Björk fragt mich, ob Dreharbeiten immer so sind. Dann sagt sie "o. k.", schlägt die Augen nieder und stürzt sich in die Szene. Ich war schon bei der ersten Leseprobe erstaunt. Er hat uns zwei allein mit dem Schauspielcoach in seinem Büro improvisieren lassen. Ich versuchte, sie zu beruhigen, das sei auch für mich eine neue Erfahrung, aber sie war überhaupt nicht irritiert. Sie setzt unglaublich echte Emotionen frei, ist ganz unverstellt, wie das "petit cheval blanc", das kleine weiße Pferd aus dem Chanson von Brassens.
An diesem Tag drehen wir einige Pick-ups im Bus und dann am Nachmittag die Szene im Juwelierladen, in der ich ihr stumme Vorwürfe mache. Klare Ansage von Lars, dass ich sie die ganze Zeit ansehen soll und nicht den Juwelier, so als wollte ich, dass sie sieht, wie merkwürdig ich ihr Verhalten finde. Absolutes Vertrauen. Fast drei Stunden drehen wir an dieser Szene. Die ganze Zeit wird eigentlich nicht geprobt, und am Ende mache ich fast das Gegenteil von dem, was im Drehbuch steht. Ganz schön schwer, auf Englisch zu improvisieren, der Schauspielcoach korrigiert mich unentwegt, weil ich "no?" wie im Französischen als Frage betone. Und Björk rollt das "r" wie eine Schottin! Heute Morgen habe ich sie in ihr Wohnmobil gehen sehen. Sie schminkt sich nicht, rollt ihre Haare zu dicken Zopfschnecken und fixiert sie, während sie spricht, mit Haarspangen, ohne dabei in den Spiegel zu schauen. Sie wollte sich nicht für den Film die Haare schneiden lassen, wie das eigentlich für die Zeit, in der die Geschichte spielt, nötig gewesen wäre. Also steckt sie die Haare hoch, so gut es geht.
Abendessen mit Lars im Hotel. Er ist guter Laune, Bier und Aquavit. Wir essen schon um halb acht, weil wir früh aufstehen müssen. Wir brauchen den Schlaf. Ich schlafe allerdings schlecht in diesem Bett, das sich in einer Art Alkoven befindet. Außerdem sind die Vorhänge nicht dicht genug, und ich brauche absolute Dunkelheit. Ich habe wilde blaue Lupinen gepflückt. Der Sommer ist hier in Schweden mindestens einen Monat später dran als in Frankreich. In dem antiken Champagnerkübel, den ich hier erstanden habe, verleihen die Blumen meinem Zimmer eine festliche Stimmung.
Ein Tag in Göteborg, sehr kalt. Studenten, Jungen wie Mädchen mit weißen Mützen, feiern den Abschluss des Studienjahres mit einem Autokorso, singend und johlend. Stimmung wie bei einem Karnevalszug. Das Licht ist wunderbar. Keine Luftverschmutzung, und die hübschen, sauberen Holzhäuser sind meist in dieser erstaunlichen Farbe gestrichen, einem samtigen, sehr dunklen, fast schwarzen Rotocker. Ich erkundige mich danach. Es gibt hier viel Eisenoxid. Diese Erdpigmente, die man nur hier findet, nennen sie "falnrödfarg". Ich muss davon unbedingt etwas mitnehmen, um meinen Schafstall zu streichen.
Weiter im Norden ist das Land noch schöner. Sanfte Hügel, fast keine Autos und keine Züge, nichts. Eine Landschaft wie aus einem anderen Jahrhundert. Alles sehr grün, es regnet fast jeden Tag, und dann diese riesigen Seen. Trotz des feinen Regens und der zweieinhalb Stunden Autofahrt gehe ich direkt nach meiner Ankunft zum See herunter. Es ist ein bisschen wie in Irland. Ein wunderschönes Hotel, kein Telefon auf den Zimmern, geräumig, weit und breit kein Mensch. Eine Atmosphäre wie in den Bergen. Ich habe nur einen Drehtag hier. Keine Proben, wir sind viele in der Szene. Selma, ihr Sohn, Jeff, Bill, seine Frau und ich. Die Szene wird zunehmend improvisiert. Wir entfernen uns immer weiter vom Text. Die Stimmung einer bescheidenen Überraschungsparty, auf der das Kind sein Fahrrad geschenkt bekommt. Zum Schluss habe ich den Eindruck, die Szene hat fast zwanzig Minuten gedauert. Lars ist begeistert. Er kommt auch später in Kopenhagen immer wieder darauf zu sprechen. Ich wünschte mir diese Atmosphäre auch in Kopenhagen, diese Energie, die Konzentration und zugleich diese Selbstvergessenheit.
Rückkehr nach Kopenhagen, um drei Tage zu proben. Die Choreografie im Gerichtssaal. Wir sind unglaublich viele. Schon am zweiten Tag muss ich mir Mühe geben, mich zu konzentrieren. Die Choreografie ist sehr genau, der Platz ist äußerst beschränkt, und ich habe nicht viel zu tun, fühle mich nicht sehr einbezogen. Viel zu viel Zeit für zu wenig Ergebnis. Außerdem wird die Szene erst in einem Monat gedreht. Ich fliege nach Paris zurück.
Sonntag, 20.
Zurück in Kopenhagen für die Proben in der Fabrik. Ich habe einiges vergessen, aber der Körper erinnert sich und findet schnell wieder in die Abläufe hinein. Auch wenn das für mich kein schwieriger Part ist, die Choreografie ist sehr genau, und es sind alles professionelle Tänzer. Man sollte also ein gewisses Niveau nicht unterschreiten. Bei den ersten Proben ist mir das leicht gefallen, und ich war ziemlich stolz darauf. Diesmal eher weniger, auch wenn ich mir einrede, dass man alle Energie für die Dreharbeiten aufbewahren und dann erst auf den Punkt bringen muss. Hundert Kameras. Aus Neugierde versuche ich sie ausfindig zu machen und zu zählen. Sie sind gut versteckt, damit man über alle Achsen hinweg filmen kann. Lars will die Szene nur zwei-oder dreimal drehen, ohne Pick-ups. Er findet, dass bei zu vielen Wiederholungen etwas Wesentliches verloren gehe. Wegen Björk musste er allerdings schon bei zwei wichtigen Szenen von diesem Prinzip abrücken. Sie schaffte es nicht, Bill niederzuschlagen, bevor sie ihn erschießt, und ihren Sohn konnte sie auch nicht ohrfeigen. Ich hab sie gesehen. Sie brachte das einfach nicht fertig. Schließlich gab es die klassische Filmohrfeige: Der Geschlagene begleitet die Bewegung mit dem Kopf, aber ich bin nicht sicher, ob Lars diese Aufnahmen nimmt. Selmas Sohn wird von einem jungen Serben gespielt, zukünftiger Boxer, gleichermaßen sensibel und aggressiv.
Die Maschinen sind dreckig und ölig. Ich bediene Hebel, um Ränder in Spülbecken zu stanzen. Es sind riesige Maschinen, die einen unglaublichen Krach machen, sehr alt schon, wahrscheinlich aus den Fünfzigern.
Die Musik von Björk für diesen Film ist großartig. Ich muss mich beeilen, um die Vorführung nicht zu verpassen. Leider nur auf einem Fernseher, denn das Material muss anschließend auf CinemaScope aufgeblasen werden. Dank der hundert Kameras haben sie auch in Schweden einige Sekunden des Drehs sehen können. Das Ergebnis scheint großartig zu sein. Die Farben sind ungewöhnlich, und durch das Aufblasen wird alles etwas weich gezeichnet aussehen. Wie in alten Filmen, meint Lars. In der Szene mit Björk im Fluss hat er sogar eine Unterwasserkamera eingesetzt.
Rückkehr ins Hotel "Admiral". Ich liebe dieses Zimmer im obersten Stock mit Blick auf den Hafen. Drei Fenster, schönes Licht. Ich sehe die Frachtschiffe ablegen, die Fischerboote zurückkehren. Mir ist ziemlich schnell klar geworden, dass es nichts bringt, von Lars Erklärungen zu der Figur einzufordern, die ich spiele. Dafür habe ich auch nicht genug Szenen. Ich muss selbst versuchen, diesen Charakter, der mit mir so wenig zu tun hat, zum Leben zu erwecken. Diese Kathy wird das sein, was ich aus ihr mache, was ich ihr in der Improvisation mitgebe. Es ist fast wie bei einem Wettkampf: Man kennt den Ausgangspunkt, aber nicht das Ergebnis. Björk ist natürlich allgegenwärtig, für die anderen Darsteller hängt es sehr davon ab, was sie selbst aus ihren Charakteren machen. Ich weiß, dass Lars nur Aufnahmen für den Film nehmen wird, die ihm echt und lebendig erscheinen. Das ist ein ziemlicher Ansporn.
Montag, 21. Juni.
Probe in Kostümen in der Fabrik. Habe in dem einen Monat fast alles vergessen. Die Tänzer behaupten das Gleiche, aber sie kommen viel schneller wieder rein. Ich habe nicht die alte Energie. Ich muss früher schlafen gehen, denn die Drehtage sind lang und die Tagesabläufe zerrissen.
Zweiter Tag. Noch schwieriger, unangenehmer. Habe nicht den Eindruck, Fortschritte zu machen. Ich spüre, dass Björk durch eine Bemerkung von Lars aus dem Gleichgewicht geraten ist. Er sprach von "Großzügigkeit",wo er besser "gegenseitiges Einverständnis" hätte sagen sollen. Ich habe versucht, das Missverständnis aus der Welt zu schaffen, aber sie scheint weiterhin bedrückt zu sein. Bevor ich um drei Uhr gehe, umarme ich sie. Sie wirkt müde, fast teilnahmslos, und am Abend bin ich selbst niedergeschlagen.
Mittwoch, 23.
Drehtag in der Fabrik. Zum Glück ist es heute nicht zu warm. Nach jedem Take bin ich völlig außer Atem. Die Szene wird in einem durch gedreht. Ich hoffe, bei den hundert Kameras behält er nur die besten Aufnahmen. Wird er genügend Totalen dabeihaben?
Donnerstag, 24.
Die Maschinen, die Arbeit in der Fabrik, andere Einstellungen mit den Tänzern. Ein unglaublicher Krach. Man muss sehr laut reden, um sich dagegen durchzusetzen. Alles improvisiert, aber Lars verliert nie den Überblick, hat immer die Wahrhaftigkeit seiner Charaktere im Auge. Seine Kamera ist wegen des Objektivs unglaublich schwer, ungefähr fünfzehn Kilo, und das ist bei Einstellungen, deren Dreh manchmal dreißig oder vierzig Minuten dauert, auch mit dem Tragegurt eine echte Herausforderung. Ich sehe ihn manchmal morgens bei den Kameraproben sein T-Shirt hochziehen, um das Kameragestell fester zu schnallen. Er hat einen schmalen und weißhäutigen Oberkörper, wie die Badepuppe meiner Kindertage. Seine Kraft nimmt er woanders her, aber was für eine Zähigkeit! Immer ist er zu irgendeinem Scherz aufgelegt.
Abstecher zum Museum Louisiana direkt am Strand. Eine sehr wichtige Sammlung, sehr schöne Skulpturen im Garten, im Hintergrund das Meer. Ein wunderbarer Ort, sehr einladend. Ich liebe die Stimmung in den Cafés und Restaurants. Immer brennen Kerzen, selbst mittags, das gibt ein schönes Licht. Man ist daran gewöhnt, drinnen zu leben, denn die Tage hier sind recht kurz. Die Stadt ist hübsch, schöne Gebäude, ehemalige Lagerhäuser, die in Wohnungen umgewandelt worden sind, wie mein Hotel, das "Admiral".
28. Juni.
Bald ist das Motiv abgedreht. Für meine Ohren wird das eine Wohltat sein. Was für eine Fabrik! Alle Maschinen sind in Betrieb, und für jede Szene sind alle in Aktion, die Tänzer ebenso wie die Techniker. Ständige Unruhe. Ich ärgere mich über mich selbst in dieser einen Szene. Wie üblich ohne Probe, und ich soll wütend werden. Ziemlich mäßige Darbietung, nicht wirklich vom Text gelöst. Warum lerne ich den Text immer nur oberflächlich? Nie bin ich textsicher. Ich verstehe das nicht. Aus Faulheit? Angst davor, mechanisch zu wirken? Ich muss immer wieder an André Téchiné denken und an diese furchtbare Szene in Diebe der Nacht in Lyon. Er hatte Recht und Unrecht zugleich, aber seine Vorwürfe haben mich damals sehr verletzt.
Es ist bei Lars sehr schwierig, sich vorzubereiten. Man muss immer auf der Hut sein und gleichzeitig in der Lage, aus dem Stand heraus Vollgas zu geben. Also nichts vorbereiten, eher versuchen, in ein osmotisches Verhältnis zu ihm zu gelangen. Man muss ihm folgen. Interaktiv. Kurz gesagt: Auf diesen Tag bin
ich nicht stolz. Lars ist zufrieden, aber auch nicht mehr. Ich
will unbedingt vor dem Mittagessen noch mit ihm reden. Er
sagt, dass er die Szene vielleicht kürzt, aber auf jeden Fall drin lässt. Die Dialoge des Drehbuchs sind manchmal einfach nicht
gut, zu erklärend, zumindest in der englischen Übersetzung.
Deshalb legt er so viel Wert darauf, dass wir improvisieren und
uns davon lösen.
Ich liebe dieses Zimmer im "Admiral", die Balken, die schlichten Möbel, den Blick auf den Hafen. Jeden Abend legt die Crown of Scandinavia Richtung Schweden ab. Es ist so schön geräumig hier. Hotelzimmer sind oft mit sinnlosen Möbeln voll gestellt, die einen erdrücken. Meine Kerze, die wunderschönen Vasen mit Gravur, ein kleines Kissen und frische Blumen - voilà.
Rückflug nach Paris am 5. Juli. Am Flughafen treffe ich Lars. Er wartet auf Vibeke, die Produzentin. Er hat den ganzen Tag nicht drehen können, ist völlig fertig wegen der konfliktreichen, schwierigen Situation mit Björk. Vor Wut hat er einen Fernseher zertrümmert. Letzte Woche hat sie ihn noch als Tyrannen beschimpft, dann als Schlappschwanz und an diesem Montag konnte er ihretwegen überhaupt nicht drehen. Vibeke wird als Krisenmanagerin aus Italien eingeflogen. Heute Abend soll es ein Gipfeltreffen geben, um elf bei Björk. Lars behauptet, die Lage habe sich schon wieder etwas entspannt. Morgen will sie wieder drehen.
Montag, 12. Juli.Acht Stunden im Studio. Alles ist vorbereitet, und dann die Nachricht, dass sie nicht kommt. Sie will das Recht, den final cut der Musicalszenen in letzter Instanz abnehmen zu dürfen. Obwohl ihr das aufgrund der Vertragslage gar nicht zusteht, hat ihr englischer Agent ihr geraten, nicht im Studio zu erscheinen, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. Was für eine Inkonsequenz der ganzen Produktion gegenüber. Fünfunddreißig Tänzer sind heute hier. Wie ist so etwas möglich? Allein die Vorstellung, ich hätte meinen Agenten Bertrand heute früh um sechs geweckt, um ihm eine solche Forderung zu unterbreiten! Sie ist gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, und will alles kontrollieren. Im Studio-Café ist gegen elf eine Krisensitzung anberaumt. Aber zuerst müssen die Anwälte genau prüfen, wer welche Rechte an der Musik hat. Wem was gehört, falls Björk nicht weiterdreht. Ein paar Stunden später taucht Lars auf. Fieberhaft sucht er nach einer Lösung. Er braucht noch mindestens acht Drehtage, um den Film abschließen zu können. Das ist wenig und scheint doch viel. Vorgesehen waren noch drei Wochen. Er ist äußerst beunruhigt, verletzt, mutlos, dann auch wieder sehr wütend.
Zurück in Kopenhagen für eine erste Probe der Musicalszene in der Fabrik, Maß und Anprobe der Kostüme. Zumindest die Drehpläne sind klar und präzise. Eine Unmenge Leute scheint im Studio zu arbeiten. Hämmern an allen Ecken und Enden. Dabei herrscht eine gewisse Konfusion, vieles bleibt vage. Ich werde noch einige Zeit brauchen, um herauszufinden, dass Lars offenbar immer so arbeitet. Das Projekt ist gewaltig, die Vorbereitungen hängen jetzt schon hinterher, und sein Bedürfnis, den Dreharbeiten immer wieder neue "Frische" zu geben und diese auch zu bewahren, ist sehr groß.
Die zeitgenössischen Kleidungsstücke kommen fast alle aus Seattle in den Vereinigten Staaten. Die Vorstellung, nicht "herausgeputzt" sein zu müssen, ist reizvoll. Aber die Schnitte, die Stoffe, die Farbtöne, das ist doch alles recht armselig. Was werde ich wohl in zwei Monaten darüber denken?
Abendessen mit Lars und der Produzentin im Restaurant. Lars bricht vorzeitig auf, es dauert ihm zu lang. Noch vor kurzem war seine physische Aversion gegen Restaurants so stark, dass er keins betreten konnte. Ein anderes Mal essen wir mit Björk zu Abend. Wir trinken Wein. Sie ist sehr lustig, dabei schüchtern und für alles zu begeistern. Ich beobachte Lars. Soviel ich weiß, hat sie ihn ziemlich lange hingehalten, und man merkt, wie er den Zorn, der in ihm aufsteigt, herunterschluckt. Ich habe den Eindruck, alles verläuft hier sehr professionell, weil Lars weiß, was er will. Alle folgen ihm. Das muss für ihn manchmal eine ziemliche Last sein. Für die Firma ist das zweifellos die erste richtig große Produktion. Die Dreharbeiten sind zwei Mal verschoben worden. Mein erster Drehtag ist nun endgültig der 1. Juni. Ich fahre dafür nach Göteborg in Schweden. Sie haben bereits die Zug-Szene mit den hundert Kameras gedreht. Zusätzliche Schwierigkeit: Der Zug fährt. Natürlich müssen die Kameras alle gut versteckt werden, denn er filmt in 360°. Furchtbare Drehzeiten, wahnsinniger Zeitdruck, also so ziemlich das ganze Programm. Björk ist völlig erschöpft. Ihretwegen müssen sie zwei Tage Pause machen. Ich beginne mit ihr in der Bus-Szene. Lars schnauzt einige Leute an, dann erklärt er die Szene und entschließt sich, gleich die "Probe" zu filmen. Das macht er später ständig. Lars filmt einfach überall und immer. Das begeistert ihn. Mit diesem Material will er die schriftliche Fassung der Szene etwas auflockern. Er sagte mir sogar, der geschriebene Text habe keinerlei Bedeutung. Es geht ihm um den Tonfall, die Lebendigkeit unserer Beziehung. Das will er haben, und ich kann ihn verstehen.
Björk fragt mich, ob Dreharbeiten immer so sind. Dann sagt sie "o. k.", schlägt die Augen nieder und stürzt sich in die Szene. Ich war schon bei der ersten Leseprobe erstaunt. Er hat uns zwei allein mit dem Schauspielcoach in seinem Büro improvisieren lassen. Ich versuchte, sie zu beruhigen, das sei auch für mich eine neue Erfahrung, aber sie war überhaupt nicht irritiert. Sie setzt unglaublich echte Emotionen frei, ist ganz unverstellt, wie das "petit cheval blanc", das kleine weiße Pferd aus dem Chanson von Brassens.
An diesem Tag drehen wir einige Pick-ups im Bus und dann am Nachmittag die Szene im Juwelierladen, in der ich ihr stumme Vorwürfe mache. Klare Ansage von Lars, dass ich sie die ganze Zeit ansehen soll und nicht den Juwelier, so als wollte ich, dass sie sieht, wie merkwürdig ich ihr Verhalten finde. Absolutes Vertrauen. Fast drei Stunden drehen wir an dieser Szene. Die ganze Zeit wird eigentlich nicht geprobt, und am Ende mache ich fast das Gegenteil von dem, was im Drehbuch steht. Ganz schön schwer, auf Englisch zu improvisieren, der Schauspielcoach korrigiert mich unentwegt, weil ich "no?" wie im Französischen als Frage betone. Und Björk rollt das "r" wie eine Schottin! Heute Morgen habe ich sie in ihr Wohnmobil gehen sehen. Sie schminkt sich nicht, rollt ihre Haare zu dicken Zopfschnecken und fixiert sie, während sie spricht, mit Haarspangen, ohne dabei in den Spiegel zu schauen. Sie wollte sich nicht für den Film die Haare schneiden lassen, wie das eigentlich für die Zeit, in der die Geschichte spielt, nötig gewesen wäre. Also steckt sie die Haare hoch, so gut es geht.
Abendessen mit Lars im Hotel. Er ist guter Laune, Bier und Aquavit. Wir essen schon um halb acht, weil wir früh aufstehen müssen. Wir brauchen den Schlaf. Ich schlafe allerdings schlecht in diesem Bett, das sich in einer Art Alkoven befindet. Außerdem sind die Vorhänge nicht dicht genug, und ich brauche absolute Dunkelheit. Ich habe wilde blaue Lupinen gepflückt. Der Sommer ist hier in Schweden mindestens einen Monat später dran als in Frankreich. In dem antiken Champagnerkübel, den ich hier erstanden habe, verleihen die Blumen meinem Zimmer eine festliche Stimmung.
Ein Tag in Göteborg, sehr kalt. Studenten, Jungen wie Mädchen mit weißen Mützen, feiern den Abschluss des Studienjahres mit einem Autokorso, singend und johlend. Stimmung wie bei einem Karnevalszug. Das Licht ist wunderbar. Keine Luftverschmutzung, und die hübschen, sauberen Holzhäuser sind meist in dieser erstaunlichen Farbe gestrichen, einem samtigen, sehr dunklen, fast schwarzen Rotocker. Ich erkundige mich danach. Es gibt hier viel Eisenoxid. Diese Erdpigmente, die man nur hier findet, nennen sie "falnrödfarg". Ich muss davon unbedingt etwas mitnehmen, um meinen Schafstall zu streichen.
Weiter im Norden ist das Land noch schöner. Sanfte Hügel, fast keine Autos und keine Züge, nichts. Eine Landschaft wie aus einem anderen Jahrhundert. Alles sehr grün, es regnet fast jeden Tag, und dann diese riesigen Seen. Trotz des feinen Regens und der zweieinhalb Stunden Autofahrt gehe ich direkt nach meiner Ankunft zum See herunter. Es ist ein bisschen wie in Irland. Ein wunderschönes Hotel, kein Telefon auf den Zimmern, geräumig, weit und breit kein Mensch. Eine Atmosphäre wie in den Bergen. Ich habe nur einen Drehtag hier. Keine Proben, wir sind viele in der Szene. Selma, ihr Sohn, Jeff, Bill, seine Frau und ich. Die Szene wird zunehmend improvisiert. Wir entfernen uns immer weiter vom Text. Die Stimmung einer bescheidenen Überraschungsparty, auf der das Kind sein Fahrrad geschenkt bekommt. Zum Schluss habe ich den Eindruck, die Szene hat fast zwanzig Minuten gedauert. Lars ist begeistert. Er kommt auch später in Kopenhagen immer wieder darauf zu sprechen. Ich wünschte mir diese Atmosphäre auch in Kopenhagen, diese Energie, die Konzentration und zugleich diese Selbstvergessenheit.
Rückkehr nach Kopenhagen, um drei Tage zu proben. Die Choreografie im Gerichtssaal. Wir sind unglaublich viele. Schon am zweiten Tag muss ich mir Mühe geben, mich zu konzentrieren. Die Choreografie ist sehr genau, der Platz ist äußerst beschränkt, und ich habe nicht viel zu tun, fühle mich nicht sehr einbezogen. Viel zu viel Zeit für zu wenig Ergebnis. Außerdem wird die Szene erst in einem Monat gedreht. Ich fliege nach Paris zurück.
Sonntag, 20.
Zurück in Kopenhagen für die Proben in der Fabrik. Ich habe einiges vergessen, aber der Körper erinnert sich und findet schnell wieder in die Abläufe hinein. Auch wenn das für mich kein schwieriger Part ist, die Choreografie ist sehr genau, und es sind alles professionelle Tänzer. Man sollte also ein gewisses Niveau nicht unterschreiten. Bei den ersten Proben ist mir das leicht gefallen, und ich war ziemlich stolz darauf. Diesmal eher weniger, auch wenn ich mir einrede, dass man alle Energie für die Dreharbeiten aufbewahren und dann erst auf den Punkt bringen muss. Hundert Kameras. Aus Neugierde versuche ich sie ausfindig zu machen und zu zählen. Sie sind gut versteckt, damit man über alle Achsen hinweg filmen kann. Lars will die Szene nur zwei-oder dreimal drehen, ohne Pick-ups. Er findet, dass bei zu vielen Wiederholungen etwas Wesentliches verloren gehe. Wegen Björk musste er allerdings schon bei zwei wichtigen Szenen von diesem Prinzip abrücken. Sie schaffte es nicht, Bill niederzuschlagen, bevor sie ihn erschießt, und ihren Sohn konnte sie auch nicht ohrfeigen. Ich hab sie gesehen. Sie brachte das einfach nicht fertig. Schließlich gab es die klassische Filmohrfeige: Der Geschlagene begleitet die Bewegung mit dem Kopf, aber ich bin nicht sicher, ob Lars diese Aufnahmen nimmt. Selmas Sohn wird von einem jungen Serben gespielt, zukünftiger Boxer, gleichermaßen sensibel und aggressiv.
Die Maschinen sind dreckig und ölig. Ich bediene Hebel, um Ränder in Spülbecken zu stanzen. Es sind riesige Maschinen, die einen unglaublichen Krach machen, sehr alt schon, wahrscheinlich aus den Fünfzigern.
Die Musik von Björk für diesen Film ist großartig. Ich muss mich beeilen, um die Vorführung nicht zu verpassen. Leider nur auf einem Fernseher, denn das Material muss anschließend auf CinemaScope aufgeblasen werden. Dank der hundert Kameras haben sie auch in Schweden einige Sekunden des Drehs sehen können. Das Ergebnis scheint großartig zu sein. Die Farben sind ungewöhnlich, und durch das Aufblasen wird alles etwas weich gezeichnet aussehen. Wie in alten Filmen, meint Lars. In der Szene mit Björk im Fluss hat er sogar eine Unterwasserkamera eingesetzt.
Rückkehr ins Hotel "Admiral". Ich liebe dieses Zimmer im obersten Stock mit Blick auf den Hafen. Drei Fenster, schönes Licht. Ich sehe die Frachtschiffe ablegen, die Fischerboote zurückkehren. Mir ist ziemlich schnell klar geworden, dass es nichts bringt, von Lars Erklärungen zu der Figur einzufordern, die ich spiele. Dafür habe ich auch nicht genug Szenen. Ich muss selbst versuchen, diesen Charakter, der mit mir so wenig zu tun hat, zum Leben zu erwecken. Diese Kathy wird das sein, was ich aus ihr mache, was ich ihr in der Improvisation mitgebe. Es ist fast wie bei einem Wettkampf: Man kennt den Ausgangspunkt, aber nicht das Ergebnis. Björk ist natürlich allgegenwärtig, für die anderen Darsteller hängt es sehr davon ab, was sie selbst aus ihren Charakteren machen. Ich weiß, dass Lars nur Aufnahmen für den Film nehmen wird, die ihm echt und lebendig erscheinen. Das ist ein ziemlicher Ansporn.
Montag, 21. Juni.
Probe in Kostümen in der Fabrik. Habe in dem einen Monat fast alles vergessen. Die Tänzer behaupten das Gleiche, aber sie kommen viel schneller wieder rein. Ich habe nicht die alte Energie. Ich muss früher schlafen gehen, denn die Drehtage sind lang und die Tagesabläufe zerrissen.
Zweiter Tag. Noch schwieriger, unangenehmer. Habe nicht den Eindruck, Fortschritte zu machen. Ich spüre, dass Björk durch eine Bemerkung von Lars aus dem Gleichgewicht geraten ist. Er sprach von "Großzügigkeit",wo er besser "gegenseitiges Einverständnis" hätte sagen sollen. Ich habe versucht, das Missverständnis aus der Welt zu schaffen, aber sie scheint weiterhin bedrückt zu sein. Bevor ich um drei Uhr gehe, umarme ich sie. Sie wirkt müde, fast teilnahmslos, und am Abend bin ich selbst niedergeschlagen.
Mittwoch, 23.
Drehtag in der Fabrik. Zum Glück ist es heute nicht zu warm. Nach jedem Take bin ich völlig außer Atem. Die Szene wird in einem durch gedreht. Ich hoffe, bei den hundert Kameras behält er nur die besten Aufnahmen. Wird er genügend Totalen dabeihaben?
Donnerstag, 24.
Die Maschinen, die Arbeit in der Fabrik, andere Einstellungen mit den Tänzern. Ein unglaublicher Krach. Man muss sehr laut reden, um sich dagegen durchzusetzen. Alles improvisiert, aber Lars verliert nie den Überblick, hat immer die Wahrhaftigkeit seiner Charaktere im Auge. Seine Kamera ist wegen des Objektivs unglaublich schwer, ungefähr fünfzehn Kilo, und das ist bei Einstellungen, deren Dreh manchmal dreißig oder vierzig Minuten dauert, auch mit dem Tragegurt eine echte Herausforderung. Ich sehe ihn manchmal morgens bei den Kameraproben sein T-Shirt hochziehen, um das Kameragestell fester zu schnallen. Er hat einen schmalen und weißhäutigen Oberkörper, wie die Badepuppe meiner Kindertage. Seine Kraft nimmt er woanders her, aber was für eine Zähigkeit! Immer ist er zu irgendeinem Scherz aufgelegt.
Abstecher zum Museum Louisiana direkt am Strand. Eine sehr wichtige Sammlung, sehr schöne Skulpturen im Garten, im Hintergrund das Meer. Ein wunderbarer Ort, sehr einladend. Ich liebe die Stimmung in den Cafés und Restaurants. Immer brennen Kerzen, selbst mittags, das gibt ein schönes Licht. Man ist daran gewöhnt, drinnen zu leben, denn die Tage hier sind recht kurz. Die Stadt ist hübsch, schöne Gebäude, ehemalige Lagerhäuser, die in Wohnungen umgewandelt worden sind, wie mein Hotel, das "Admiral".
28. Juni.
Bald ist das Motiv abgedreht. Für meine Ohren wird das eine Wohltat sein. Was für eine Fabrik! Alle Maschinen sind in Betrieb, und für jede Szene sind alle in Aktion, die Tänzer ebenso wie die Techniker. Ständige Unruhe. Ich ärgere mich über mich selbst in dieser einen Szene. Wie üblich ohne Probe, und ich soll wütend werden. Ziemlich mäßige Darbietung, nicht wirklich vom Text gelöst. Warum lerne ich den Text immer nur oberflächlich? Nie bin ich textsicher. Ich verstehe das nicht. Aus Faulheit? Angst davor, mechanisch zu wirken? Ich muss immer wieder an André Téchiné denken und an diese furchtbare Szene in Diebe der Nacht in Lyon. Er hatte Recht und Unrecht zugleich, aber seine Vorwürfe haben mich damals sehr verletzt.
Es ist bei Lars sehr schwierig, sich vorzubereiten. Man muss immer auf der Hut sein und gleichzeitig in der Lage, aus dem Stand heraus Vollgas zu geben. Also nichts vorbereiten, eher versuchen, in ein osmotisches Verhältnis zu ihm zu gelangen. Man muss ihm folgen. Interaktiv. Kurz gesagt: Auf diesen Tag bin
ich nicht stolz. Lars ist zufrieden, aber auch nicht mehr. Ich
will unbedingt vor dem Mittagessen noch mit ihm reden. Er
sagt, dass er die Szene vielleicht kürzt, aber auf jeden Fall drin lässt. Die Dialoge des Drehbuchs sind manchmal einfach nicht
gut, zu erklärend, zumindest in der englischen Übersetzung.
Deshalb legt er so viel Wert darauf, dass wir improvisieren und
uns davon lösen.
Ich liebe dieses Zimmer im "Admiral", die Balken, die schlichten Möbel, den Blick auf den Hafen. Jeden Abend legt die Crown of Scandinavia Richtung Schweden ab. Es ist so schön geräumig hier. Hotelzimmer sind oft mit sinnlosen Möbeln voll gestellt, die einen erdrücken. Meine Kerze, die wunderschönen Vasen mit Gravur, ein kleines Kissen und frische Blumen - voilà.
Rückflug nach Paris am 5. Juli. Am Flughafen treffe ich Lars. Er wartet auf Vibeke, die Produzentin. Er hat den ganzen Tag nicht drehen können, ist völlig fertig wegen der konfliktreichen, schwierigen Situation mit Björk. Vor Wut hat er einen Fernseher zertrümmert. Letzte Woche hat sie ihn noch als Tyrannen beschimpft, dann als Schlappschwanz und an diesem Montag konnte er ihretwegen überhaupt nicht drehen. Vibeke wird als Krisenmanagerin aus Italien eingeflogen. Heute Abend soll es ein Gipfeltreffen geben, um elf bei Björk. Lars behauptet, die Lage habe sich schon wieder etwas entspannt. Morgen will sie wieder drehen.
Montag, 12. Juli.Acht Stunden im Studio. Alles ist vorbereitet, und dann die Nachricht, dass sie nicht kommt. Sie will das Recht, den final cut der Musicalszenen in letzter Instanz abnehmen zu dürfen. Obwohl ihr das aufgrund der Vertragslage gar nicht zusteht, hat ihr englischer Agent ihr geraten, nicht im Studio zu erscheinen, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. Was für eine Inkonsequenz der ganzen Produktion gegenüber. Fünfunddreißig Tänzer sind heute hier. Wie ist so etwas möglich? Allein die Vorstellung, ich hätte meinen Agenten Bertrand heute früh um sechs geweckt, um ihm eine solche Forderung zu unterbreiten! Sie ist gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, und will alles kontrollieren. Im Studio-Café ist gegen elf eine Krisensitzung anberaumt. Aber zuerst müssen die Anwälte genau prüfen, wer welche Rechte an der Musik hat. Wem was gehört, falls Björk nicht weiterdreht. Ein paar Stunden später taucht Lars auf. Fieberhaft sucht er nach einer Lösung. Er braucht noch mindestens acht Drehtage, um den Film abschließen zu können. Das ist wenig und scheint doch viel. Vorgesehen waren noch drei Wochen. Er ist äußerst beunruhigt, verletzt, mutlos, dann auch wieder sehr wütend.
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Autoren-Porträt von Catherine Deneuve
Catherine Deneuve wurde 1943 als Tochter eines Bühnenautors und einer Schauspielerin geboren. 1963 gelang ihr mit Demys "Die Regenschirme von Cherbourg" der internationale Durchbruch. Seit Mitte der sechziger Jahre war sie die favorisierte Hauptdarstellerin von Bunuel und Truffaut, der ihr in "Das Geheimnis der falschen Braut" und "Die letzte Metro" Referenz erwies. Zuletzt war sie in Lars von Triers "Dancer in the Dark" und Ozons "8 Frauen" zu sehen. An ein bestimmtes Genre hat sie sich nie binden lassen. Ob Thriller, Musical, Melodram oder Komödie - jedem ihrer Filme verlieh sie das spezifische "Deneuve-Charisma".
Bibliographische Angaben
- Autor: Catherine Deneuve
- 2005, 221 Seiten, teilweise farbige Abbildungen, Maße: 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 345335107X
- ISBN-13: 9783453351073
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