Insepektor Jury gerät unter Verdacht
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Inspektor Jury gerät unter Verdacht von Martha Grimes
LESEPROBE
MELROSE PLANT FÜHLTE SICH wie Lambert Strether und sah überden Rand der Gesandten, die er sich extra für diese Reise gekauft hatte, in RichtungAdria.
Neben ihmließ Trueblood sein Buch zuklappen und seufzte. «Was für ein Reißer!»
Melrose kniff die Augen fast zu. «Das habe ich auch noch nieerlebt - daß jemand den Tod in Venedig als Reißer bezeichnet. Warten Sie, bis Sie zum Schlußkommen, wo Aschenbach in seinem Liegestuhl stirbt.» Er sah auf die buntgestreiftenStrandkörbe. Kein Liegestuhl weit und breit.
«Da bin ich schon, alter junge. Ich gebe ja zu, das mit der Pestist nicht gerade lustig, aber dann kommt der wunderschöne Jüngling und stehtam Meer. Diese ausdrucksvolle, sonnendurchflutete Schilderung.»
«Nehmen Sie den orangen Schal ab. Er ruiniert die ganze Wirkung»,sagte Melrose. Sie trugen beide Weiß - ArmaniWeiß. Glücklicherweise machte derDesigner auch naturweiße Kleidung, denn Trueblood hatte gesagt, nur über MelrosesLeiche würde er Weiß tragen.
Dieser lächerliche Streit hatte in der Calle dei Fabbrihinter San Marco stattgefunden. Trueblood war plötzlich stocksteif stehengebliebenund hatte einen Zusammenstoß von vier schwarzverschleierten alten Frauenverursacht, die sie darauf mit italienischen Beschimpfungen überschüttethatten.
Die Giorgio-Armani-Boutique. Trueblood starrte mit solchinbrünstiger Ehrfurcht in die Schaufenster, daß Melrose fast einenGebetsteppich ausgerollt hätte. Die Suche nach der heiligen Stätte hatteTrueblood eine gute Stunde durch die Gegend getrieben, aber Melrose erblickteden locker geschnittenen naturweißen Wolle-Seiden-Anzug erst, als Trueblood seineReiseschecks zückte. Nur wenn es Armani war, trug Trueblood Weiß.
«Und rollen Sie die Ärmel herunter. Sie sehen aus, als wärenSie in Wimbledon.» Zuerst der orangefarbene Schal, und jetzt sah Melrose auchnoch, daß ein jadegrünes Tuch in der Jackettasche steckte. «Und in GottesNamen, nehmen Sie das Taschentuch heraus. Sie zerstören das ganze morbideFlair.»
«Ich sehe nicht ein», sagte Trueblood und stopfte die jadegrüneSeide tief in die Tasche, «wieso die Giappinos nie krank werden. Warum muß esimmer unser Zweig der Familie sein?»
In Vivians jahrelanger Verlobungszeit hatten sie um diese Italiener,denen sie nie begegnet waren, so viele Geschichten gewoben, daß sie fast LongPiddletons zweite Familie geworden waren.
«Wir sindnicht krank; sind wir nie gewesen», ermahnte Melrose ihn.
Truebloodbestand darauf, im Vaporetto hinter Melrose zu sitzen.
Als sie sich Venedig näherten, dachte Melrose, daß dieStadt, wie sie dort in der Ferne im Wasser lag, vielleicht doch die schönsteder Welt sei - wie es die Reiseführer eben behaupten. Als seien alle Engel imHimmel auf einmal eingeschlafen und als sei Venedig ihr gemeinsamer Traum.
«Und vergessen Sie nicht zu husten!» rief er Trueblood zu, währendder Vaporetto schlingerte und sein Gesicht naßgespritzt wurde.
«Husten?Warum sollte ich husten?» schrie Trueblood
durch denMotorenlärm, das Klatschen des Wassers, durch fremde Sprachen und gebrabbelteDialekte.
Auf dem Boot drängten sich Europäer (dem Aussehen nach hauptsächlichOsteuropäer), die aus Rom herangeströmt waren. Für März waren überraschendviele Touristen da.
«Wegen der Lungenentzündung, zum Teufel! Sie erholen sichdoch gerade erst davon!» Konnte der Mann sich denn überhaupt nichts merken?
Marshall rief zurück: «Sie sind der mit der Lungenentzündung.Ich bin der, der von einem Lastwagen angefahren worden ist -»
Flücheverloren sich im Wind.
«Oh, Verzeihung.» Melrose schämte sich, vergab sich aber schnell,als er sah, wie ein Regenbogen seine Palette blasser Violett- und Rosatöne übereiner Stadt verschwendete, die doch auch so schon schön genug war.
Seit Vivian Rivington an einem Januarmorgen von der VictoriaStation abgefahren war, hatten Melrose Plant und Marshall Trueblood natürlichnur in Northamptonshire herumgesessen, entweder über einem Old Peculier in derHammerschmiede oder bei Portwein in Ardry End, dem Familiensitz der Earls ofCaverness, oder über Queen Annes und Laliques in TruebloodsAntiquitätengeschäft.
Und hatten Pläne ausgeheckt. Pläne, wie sie die Hochzeit vonVivian Rivington mit Graf Dracula hinauszögern konnten. Da Vivian selbst ihreVerlobungszeit mit Franco Giappino ewig verlängerte - wie viele Jahre waren esschon? drei? vier? -, waren Plant und Trueblood überzeugt, daß ein bißchen moralischeUnterstützung aus Northants nicht ungelegen kommen würde.
Vivian war sentimental. Nur im Kreise ihrer alten Freunde aus Long Piddletonwürde sie ihre Hochzeit feiern.
(...)
© 1995 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Susanne Baum
Autoren-Porträt von Martha Grimes
Martha Grimes wurde in Pittsburgh geboren und studierte an derUniversity of Maryland. Sie unterrichtete lange Zeit kreatives Schreiben an derJohns-Hopkins-University und lebt heute abwechselndin Washington, D.C., und in Santa Fe, New Mexico.
Interview mit Martha Grimes
Sie sind Amerikanerin, aber Ihre Krimis spielten bisher fastimmer in Großbritannien. In "Fremde Federn" reist Inspektor Jury zumersten Mal nach Amerika, um dort einen Fall aufzuklären. Gab es einenbesonderen Grund für Sie, mit diesem Buch den Schritt über den großen Teich zutun?
Der Grund, warum Inspektor Jury in "FremdeFedern" (engl.: "The HorseYou Came in on") nachAmerika reist, um dort zu ermitteln, ist folgender: In Baltimore gibt es eineKneipe, die zum regelmäßigen Treffpunkt meiner Hauptfiguren wird. Sie heißt "The Horse YouCame in on". Dieser Name ist so absolut amerikanisch und doch britischenKneipennamen so ähnlich, dass ich einfach nicht widerstehen konnte.
Inspektor Jury, der liebenswerte, hypochondrische Sergeant Wiggins, Melrose Plant, der ehemalige Earl oder dasGlamour-Girl Carole-Anne Palutskitauchen in Ihren Krimis immer wieder auf. Hatten Sie diese Figuren von Anfangan im Kopf oder wurde eine nach der anderen "geboren"?
Richard Jury und Melrose Plant waren von Anfang angenauso in meinem Kopf. Auch Sergeant Wiggins, Mrs. Wasserman, Fiona und CS Racerhatte ich schon für das erste Buch geplant, zusammen mit allen anderen Long Piddelton Charakteren (z.B. Agatha). Andere, etwa Carole-Anne, die im siebten Buch "Inspektor Juryspielt Katz und Maus" zum ersten Mal auftaucht, kamen eher nach und nach dazu.
Man schreibt über Sie, Sie hätten "Freude daran,hintergründige Mordgeschichten aufzubauen, die Ihre Leser zum Mitdenkenverführen" (Frankfurter Rundschau). Erkennen Sie sich in dieserCharakterisierung wieder?
Wenn Sie mit "hintergründig" intellektuell undvielschichtig meinen, dann würde ich die Frage auf jeden Fall mit"Ja" beantworten. Ich erwarte von meinen Lesern, dass sie über dieGeschichte, die sie lesen, nachdenken. Kriminalromane sind häufig sehr stark amPlot, d.h. an der Kernhandlung orientiert. Ich finde das sehr langweilig. MeineKrimis sollen eher von den Charakteren geleitet werden als vom bloßenHandlungsablauf. Ich glaube, meine Bücher sind deshalb gerade in Deutschland soerfolgreich, weil die deutschen Leser gerne ihren Verstand einsetzen. Es istfür sie oft leichter, die Oberfläche der Dinge zu durchschauen.
Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen? Und kommt es auch vor,dass Ihnen mal die Ideen ausgehen?
Nein. Auch wenn es vielleicht etwas komisch klingen mag,aber ich habe eher zu viele Ideen. Und alles, was ich schreibe, scheint sichirgendwie ungewollt zu einer Serie von Büchern zu entwickeln. Die Bücher"Hotel am See" und "Cold Flat Junction", in denen Inspektor Jury nicht auftaucht,die ich also außerhalb der Reihe geschrieben habe, sollten jeweils einzelne,für sich stehende Geschichten sein. Jetzt sind daraus mittlerweile schon dreiFolgen geworden. Ich finde es sehr schwer, bestimmte Personen einfach so gehenzu lassen. Und bezüglich meiner Kreativität: Ich weiß nicht wirklich, woher siekommt. Sie ist einfach da. Selbst beim Schreiben habe ich unentwegt neue Ideen.
Träumen Sie nachts manchmal von den Verbrechern, die Sieerfunden haben?
Nein, in meinen Träumen treffe ich niemals mitVerbrechern zusammen. Es kommt tatsächlich äußerst selten vor, dass ich voneiner meiner Romanfiguren träume. Und ich glaube, das ist deswegen so, weilmein Unterbewusstsein durch meine Arbeit, d.h. mein Schreiben, bereits beruhigtund ausgeglichen ist. Da meiner Ansicht nach das Schreiben sowieso imUnbewussten verankert ist, schleichen sich diese unbewussten Elemente in meineBücher.
Die Fragen stellteMathias Voigt, literaturtest.de.
- Autor: Martha Grimes
- 2004, Neuausg., 395 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Baum, Susanne
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 349926501X
- ISBN-13: 9783499265013
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Insepektor Jury gerät unter Verdacht".
Kommentar verfassen