Jenseits der Nacht / Stormwalker Bd.1
Roman, Deutsche Erstausgabe
Als Stormwalker gebietet Janet Begay über die Elemente. Doch diese Fähigkeit ist Segen und Fluch zugleich. Nur ihr Ex-Geliebter Mick kann die Wogen des Sturms in ihrem Inneren besänftigen. Als die Tochter des Polizeichefs des Städtchens Magellan vermisst...
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Produktinformationen zu „Jenseits der Nacht / Stormwalker Bd.1 “
Klappentext zu „Jenseits der Nacht / Stormwalker Bd.1 “
Als Stormwalker gebietet Janet Begay über die Elemente. Doch diese Fähigkeit ist Segen und Fluch zugleich. Nur ihr Ex-Geliebter Mick kann die Wogen des Sturms in ihrem Inneren besänftigen. Als die Tochter des Polizeichefs des Städtchens Magellan vermisst wird, nimmt Janet ihre Spur auf. Doch über Magellan zieht weitaus größeres Unheil herauf: Janets Mutter will ein unglaublich mächtiges magisches Tor öffnen, und Janet ist die Einzige, die sie daran hindern kann.
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Stormwalker - Jenseits der Nacht von Allyson James1
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Es war schon dunkel geworden, als ich aus den Bergen nach Osten auf die Wüste und die Kleinstadt Magellan zufuhr. Das Gelände fiel steil ab. Ich ließ das kühle, pinienbewachsene Hochland hinter mir zurück, und die Hitze kam wieder. Tief im Süden blitzte es heftig, der aufziehende Sturm schickte mir ein Prickeln durch den Körper wie die Berührung eines Geliebten.
Bis ich Winslow erreicht hatte und von Ampel zu Ampel glitt, waren die Sterne hinter dichten Wolken verschwunden, aber immer noch regnete es nicht. Ich nahm die Straße unter der Eisenbahnbrücke hindurch, gerade als ein Güterzug darüber hinwegdonnerte, und fuhr dann nach Süden auf die Wüste zu. Meine Harley knatterte durch die Stille.
Der erste Blitz entzündete die Wolken mit seinen grellweißen Lichtfingern, und ich leckte seine Überreste auf wie eine ausgehungerte Katze. Ich bin ein Stormwalker. So nennt das Volk meines Vaters diejenigen, die wie ich die Fähigkeit besitzen, die Energie der Stürme anzuziehen und für sich nutzbar zu machen. An einem ruhigen Tag bekomme ich höchstens ein paar einfache Zauber hin, aber sobald ein Gewitter in der Nähe ist, kann ich den Wind, die Blitze und den Regen lenken und zum Tanzen bringen. Darin bin ich richtig gut. Tödlich.
Gewittermagie macht mich verrückt und beschert mir immer einen schlimmeren Kater als eine dreitägige Sauftour, aber wenn die Stürme zu lange auf sich warten lassen, hat das die gleichen Auswirkungen.
Ich hatte keinen Sturm mehr gehabt, seit ich vor zwei Wochen nach Magellan gezogen war, um im Fall des Verschwindens von Amy McGuire, der Tochter des Polizeichefs, zu ermitteln. Ich lechzte nach meiner nächsten Dosis.
Ich nahm die Abzweigung nach Magellan. Die verschwommenen Lichter der Kleinstadt lockten mich aus zwanzig Meilen Entfernung, und etwas weiter nördlich glitzerten die helleren Lichter der Kreisstadt Flat Mesa. Vor mir schaukelten die roten Rücklichter eines Transporters auf und ab, als die Straße durch mehrere Trockentäler führte. Das linke Rücklicht war beschädigt, was dem Pritschenwagen ein asymmetrisches Aussehen gab. Außer uns war niemand auf der Straße.
Ein plötzlicher Windstoß hätte mich fast von meiner Maschine gerissen und brachte aus der dunklen Wüste eine Stimme mit. Janet.
Ich vollführte eine schlitternde Vollbremsung, mein Herz raste, und ich nahm den Helm ab. Wind umtoste mich. Dicke Wolken rasten auf mich zu.
Tochter. Es war eine Frauenstimme. Das Flüstern war leise, fast liebevoll.
Ach, der Teufel sollte sie holen!
Der andere Grund, warum ich nach Magellan gekommen war, war meine Mutter. Ich wollte ihr entgegentreten und ihrem Treiben ein Ende setzen, wie ich es schon vor Jahren hätte tun sollen. Aber damals war ich noch zu jung und zu verängstigt gewesen. Als ich gebeten wurde, Ermittlungen zu Amys Verschwinden anzustellen, bot sich mir eine Gelegenheit zurückzukommen, und dieses Mal würde ich es mit meiner Mutter aufnehmen. Sobald ich nur herausgefunden hatte, wie.
Sechs Jahre waren vergangen, seit ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, ausgerechnet in einem Diner in Holbrook, wo sie mir eine Höllenangst eingejagt hatte. Hinter den schwer gesicherten Mauern meines Hotels konnte ich mir leicht einreden, dass ich das Zeug dazu hatte, ihr entgegenzutreten, aber nicht hier draußen in der offenen Wüste mit den Wirbeln, die mich riefen. Hier in der Dunkelheit, allein unter diesem weiten Himmel, musste ich zugeben, dass sie mir immer noch eine Höllenangst einjagte.
Komm zu mir.
»Einen Dreck werd ich.« Als ich meine Mutter getroffen hatte, hatte sie ihr Bestes gegeben, mich zu ihrer willigen Sklavin zu machen, aber ich hatte nun mal dieses Problem mit dem freien Willen - mir lag etwas daran.
Janet.
»Dieses Mal nicht!«, schrie ich.
Das Flüstern erstarb mit dem Wind, und ein greller Blitz zuckte. Die elektrische Spannung schickte mir Funken durch die Finger und schwirrte über meinen Helm.
Die Gewittermagie war Erdmagie, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte, einer kleinen Navajo-Frau, die viel stärker war, als sie aussah. Meine Mutter kam aus der Unteren Welt, dem Reich, aus dem die Skinwalker stammen, und auch sie hatte mir magische Kräfte vererbt.
Meine Mutter mochte Erdmagie nicht sonderlich. Für meine Geburt war sie zwar unumgänglich gewesen, aber sie machte mich auch stark genug, meiner Mom Widerstand zu leisten.
Mit zitternden Händen setzte ich den Helm auf und fuhr wieder los. Ein Regenvorhang fegte über mich hinweg; die plötzliche Kühle war mir willkommen. Ich holte den Pick-up wieder ein. Wer immer darin saß, fuhr langsam, und ich erkannte, dass das Zusammentreffen nur wenige Minuten gedauert haben konnte.
Ich wechselte auf die andere Spur, um den Pritschenwagen zu überholen. Wieder flammte Wetterleuchten über den Himmel, von den Mesas bis in den Süden. Es breitete sich in alle Richtungen aus und tauchte die Wolken in kaltes weißes Licht. In diesem Licht sah ich, wie plötzlich eine riesige Gestalt am Straßenrand auftauchte und auf mich zustürzte.
Ich bremste abrupt, riss meine Maschine zur Seite und versuchte verzweifelt, den Zusammenstoß zu vermeiden. Ein schrecklicher Gestank erfüllte die Luft, als die Gestalt mein Vorderrad verfehlte und mit einem gewaltigen Rums mit dem Pick-up zusammenprallte.
Auf dem regennassen Asphalt rutschte mir mein Hinterrad weg. Gleichzeitig wurde der Transporter fast wie in Zeitlupe in die Luft geschleudert, überschlug sich zweimal und landete krachend mit der Fahrerkabine auf dem Asphalt. So schlitterte er kreischend noch ein paar Meter weiter, Funken sprühten in die Nacht, dann blieb er still wie ein totes Tier liegen.
Meine Maschine rutschte weiter. Ich verfehlte den Pick-up nur knapp, wurde von meiner Harley geschleudert und landete, den Kopf voran, im Graben, der sich schnell mit Regenwasser füllte.
Ich lag mit gesprungenem Visier reglos im Matsch, meine Maschine mit verbogenem Vorderrad daneben, und meine Beine fühlten sich genauso verdreht an.
Im Pick-up rührte sich nichts. Es war stockdunkel hier draußen, sodass ich nicht einmal seine Farbe erkennen konnte. Aber immer noch konnte ich den Skinwalker riechen, der in der Dunkelheit auf uns lauerte. Meine Mutter konnte diese Kreaturen kontrollieren, die sich von der Energie der Wirbel nährten, und hatte mir diesen geschickt, um mir eine Lektion zu erteilen. Nicht, um mich zu töten - ich wusste, dass sie das nicht wollte -, aber um meinen Gehorsam zu erzwingen. Tot hatte sie keine Verwendung mehr für mich.
Mühsam kämpfte ich mich aus dem Helm. Meine Handschuhe waren zerrissen und meine Hände rutschig vom Blut.
Unter Schmerzen streckte ich mich und kam dann langsam auf die Beine. Mein Atem ging mühsam, jeder Atemzug schmerzte.
Ich hörte, wie der Skinwalker zurückkam. Die Legenden meines Volkes besagten, dass Skinwalker Menschen waren, die mit schwarzer Magie experimentierten und sich in die Häute toter Tiere hüllten, um die Eigenschaften dieser Tiere anzunehmen. Was die Tiere anging, die normalerweise zu Tode gefoltert wurden, stimmte das auch; aber die Skinwalker waren keine Menschen. Sie waren Überbleibsel aus der vorigen Welt, der Unteren Welt, in der meine Mutter eine Göttin war. Skinwalker waren böse wie Dämonen und hätten es nie mit dem Rest der Menschheit in diese Welt schaffen dürfen. Aber sie hatten sich mit ihren Klauen herausgekämpft und sich über Generationen fortgepflanzt.
Das Ding griff mich an. Es war riesig, etwa zweieinhalb Meter groß und, soweit ich sehen konnte, in die Haut eines toten Bären gehüllt. Es war blitzschnell und stank schlimmer als die schlimmste Leichenhalle. Es hob mich hoch und warf mich mit voller Wucht auf den Asphalt. Ich schlug und trat um mich, richtete aber in etwa so viel aus wie gegen eine Wand. Der Skinwalker hielt seine widerliche Fratze nah an mein Gesicht, bleckte die Lippen und fletschte die gelben Zähne.
Ich schrie. Nicht, dass mir das etwas genützt hätte. Hier draußen wohnte niemand, und wer auch immer in diesem Pick-up saß, stieg nicht aus.
Der Sturm antwortete mir. Donner grollte in der Ferne, und ich griff verzweifelt nach dem Blitz. Ich konnte Gewitter nicht auslösen oder bewegen, sondern nutzte, was die Natur mir gab, und wenn der Sturm nahe genug war...
Ein Blitz zuckte aus der schwarzen Wolke direkt in meine ausgestreckten Hände. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er war nicht sehr stark, der Sturm noch zu weit entfernt, aber besser als nichts. Ich sammelte so viel von der Energie des Blitzes, wie ich nur konnte, und schleuderte sie auf den Skinwalker. Er grunzte unter dem Aufprall und tänzelte etwa einen Meter zurück, doch das war auch schon alles. Hastig stand ich auf.
Skinwalker sind verdammt schwer zu töten. Dieser watschelte schon wieder auf mich zu. Ich griff nach dem Wind, hob die Hände und richtete ihn auf die ekelhafte Kreatur. Der Skinwalker taumelte. Ich schlug ihn mehrmals mit der Kraft des Windes und verpasste ihm auch noch eine Dosis elektrische Funken.
Wieder kam der Skinwalker auf mich zu. Ich glaubte wirklich nicht, dass meine Mutter mich töten wollte, aber ob das Ding das auch wusste?
Die Kreatur war wieder auf der Straße angelangt. Statt mich zu schlagen, drehte sie sich um und trat gegen meine Harley.
»Nein!«, schrie ich. Diese Maschine war mein Baby. Das alte Mädchen und ich hatten zusammen eine Menge Meilen auf dem Buckel. Sie war das Symbol meiner Freiheit, meiner Unabhängigkeit, für mich selbst. Ich packte eine Handvoll Blitze und schleuderte sie auf den Skinwalker. Elektrische Spannung tanzte um ihn, aber immer noch starb er nicht.
In Momenten wie diesen bedauerte ich, meinen Ex Mick verlassen zu haben, den Mann mit der wilden Feuermagie. Ich hatte ihn mal einen Skinwalker verbrennen sehen, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen. Mick hatte mich verrückt gemacht mit seiner Mischung aus Böse-Jungen-Charme, Fürsorglichkeit und ausweichendem Verhalten, doch die Zeit mit ihm war trotzdem die beste meines Lebens gewesen.
Bevor wir uns getrennt hatten, hatte Mick mir sechs magische Kugeln gegeben, ein Lichtzauber, der in kleine Silberkugeln eingeschlossen war. Ich hatte gerade eine in der Tasche, eine der beiden, die mir noch geblieben waren. Wenn die Kugeln aktiviert wurden, strahlten sie ein weißes Licht aus, das jeden Schatten vertrieb - zumindest vorübergehend. Sie entwickelten nur Licht und keine Hitze, aber in Notfällen waren sie nützlich gegen die lichtscheuen Kreaturen - Skinwalker, Dämonen und Nightwalker.
Die elektrische Spannung ebbte ab, der Sturm legte sich wieder. Der Skinwalker kam auf mich zu, Mordlust in den roten Augen.
Definitiv ein Notfall, entschied ich. Ich griff in die Tasche und zog den Lichtzauber heraus, etwa so groß wie die Kugel eines Kugellagers. Es war nicht viel Magie nötig, um ihn zu aktivieren, was bedeutete, dass ich ihn auch dann einsetzen konnte, wenn gerade kein praktischer Sturm zur Hand war.
Der Skinwalker überragte mich und hob die riesigen Fäuste, um mich zu zerquetschen. Ich hob den Lichtzauber, aber bevor ich ihn aktivieren konnte, stieß der Skinwalker plötzlich einen Schmerzensschrei aus. Ein blauer Strahlenkranz flackerte um ihn auf, den nicht ich geschaffen hatte. Der Skinwalker versuchte, sich herauszukämpfen, während ich mit ausgestreckter Handfläche dabeistand und verblüfft zuschaute.
Dann rannte der Skinwalker, immer noch von diesem blauen Schein umgeben, in die Dunkelheit davon außer Sichtweite. Ich atmete erleichtert auf und steckte den Lichtzauber wieder ein.
Der Gestank ließ nach, ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Kreatur tatsächlich fort war. Hatte Mom etwa ihr Haustier zurückgepfiffen? Oder hatte ein anderes Wesen eingegriffen? Ich wusste es nicht, und im Augenblick war es mir auch egal.
Ich hinkte auf den Pick-up zu. Der nächste Blitz enthüllte einen staubigen roten Pritschenwagen, der mir bekannt vorkam, und das Herz rutschte mir in die Hose, als ich den Schriftzug auf der Fahrertür las, der wie das ganze Auto auf dem Kopf stand:
Fremont Hansen, Installation und Reparaturen
»Scheiße«, flüsterte ich. Fremont war der Klempner, der mir bei der Renovierung des verfallenen Hotels half, das ich am Stadtrand von Magellan gekauft hatte. Er war ein netter Kerl mit beginnender Stirnglatze und unschuldigen braunen Augen, der behauptete, selbst ein paar magische Fähigkeiten zu besitzen. »Ich kann alles reparieren«, hatte er geprahlt und mit den Fingern gewackelt.
Ich schloss die blutige Hand um mein Handy, aber es war bei dem Sturz zerbrochen. Plastikscherben klebten an meinen Fingern, und der Akku baumelte an nutzlosen Kabeln.
Ich warf das Handy weg und kauerte mich neben der Fahrerseite auf die Straße. Das Fenster war innen blutverschmiert, und ein Kopf presste sich dagegen.
»Fremont.« Ich rüttelte an der Tür, aber sie rührte sich nicht. Mühsam hinkte ich um den Pritschenwagen herum auf die andere Seite, mein Bein tat höllisch weh. Die Beifahrertür war nicht verriegelt. Ich sah keine Glasscherben glänzen, also musste das Fenster schon vor dem Unfall offen gewesen sein. Der Mann lag kopfüber in der Dunkelheit, den Hals in einem unnatürlichen Winkel verrenkt.
Ich tastete in den Trümmern im Wagen herum und fand kein Handy. Die Karosserie war so gequetscht, dass sich das Handschuhfach nicht mehr öffnen ließ. Ich zog mich wieder zurück und rümpfte die Nase. Es roch nach Tod.
Wieder erhellte ein Blitz den Himmel, allerdings weiter im Osten. Der Sturm zog weiter. Der Blitz erlosch. Dafür glommen rote und blaue Lichter auf, die vom Heulen einer Sirene begleitet wurden. Ich setzte mich erschöpft auf den Boden, den Rücken an den Pick-up gelehnt, als ein Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf mich zugerast kam.
Ein Geländewagen mit dem Schriftzug Hopi County Sheriff's Department blieb anderthalb Meter vor mir stehen, die Reifen rutschten etwas auf der regennassen Straße. Die Tür sprang auf, und Stiefelsohlen knallten auf den Asphalt. Die Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Eigentlich seltsam für einen Mann, der den ganzen Tag in der staubigen Wüste unterwegs ist, dachte ich. Über den Stiefelschäften erblickte ich eine Khakihose mit scharfer Bügelfalte.
Nash Jones, der Sheriff des winzigen Hopi County, ging neben mir in die Hocke und sah mich im Licht seiner Scheinwerfer an. Benebelt hörte ich, wie ein weiterer Wagen neben uns anhielt und ein zweites Stiefelpaar auf Schmutz und Asphalt knirschte.
»Janet Begay.« Nashs Stimme war ausdruckslos und hart, die eisgrauen Augen unbewegt. Er war nicht gut auf mich zu sprechen. Als ich frisch in Magellan angekommen war, hatte ich versucht, mit ihm über Amy McGuire zu reden, und er hatte mich abgeschmettert, noch bevor ich über die Begrüßung hinausgekommen war. Amy McGuire war seine Verlobte gewesen. Jones hatte mich schon gehasst, bevor er mich getroffen hatte.
Er schaltete eine dünne Taschenlampe ein und richtete den Lichtstrahl auf meine Augen. »Sind Sie okay?«
»Ich lebe noch«, krächzte ich.
»Sie haben ihn mit ihrem Motorrad gerammt.« In seiner Stimme lag keinerlei Sympathie. »Der Aufprall hat den Pritschenwagen umgeworfen. Habe ich recht?«
»Etwas ist mit ihm zusammengeprallt. Ich war's nicht.«
Er glaubte mir nicht. »Können Sie aufstehen? Brauchen Sie einen Krankenwagen?«
»Ich komme schon klar.«
Auch das glaubte Nash mir nicht. Auf sein Zeichen kam eine Frau in einem schwarzen Overall herüber und half mir aufzustehen. Nash verließ mich, während die Frau mich unterhakte, in den Notarztwagen brachte und mir das Blut von den Händen wusch. Sie untersuchte mich, maß meinen Blutdruck, tastete meine Arme und Beine nach Knochenbrüchen ab und fragte mich, ob ich ins Krankenhaus wollte. Ich verneinte, bat sie aber, mich in die Stadt mitzunehmen, da das Vorderrad meines Motorrads verbogen war. Sie war einverstanden, sagte jedoch, dass der Sheriff dafür grünes Licht geben musste.
Ich fühlte mich innerlich ganz leer. Fremont lag tot in diesem Kleinlaster. Tot, weil ein Skinwalker, den meine Mutter eigentlich mir geschickt hatte, mich verfehlt hatte und mit ihm kollidiert war.
Nash Jones und seine Deputies inspizierten den Unfallort und begannen, die Leiche aus dem Pritschenwagen herauszuschneiden. Ich saß da und kämpfte gegen die Übelkeit an. Der Sturm legte sich, und ich war erschöpft und fühlte mich elend, wie üblich in solchen Momenten. Jetzt brauchte ich unbedingt einen Kaffee. Oder einen steifen Drink. Ich trank nur mäßig, weil ich nicht viel vertrug, aber heute Nacht würde ich eine Ausnahme machen.
Nash kam zu mir zurück und winkte mich mit einer knappen Geste zu sich. »Begay. Mitkommen.«
Dass er nicht handgreiflich wurde, verdankte ich wahrscheinlich nur der Sanitäterin, die sich beschweren würde. Bei meiner Ankunft in Magellan hatte Nash Jones klargestellt, dass meine Anwesenheit und die Tatsache, dass Chief McGuire mich hergebeten hatte, ihm absolut zuwider waren. Nash war wegen Amys Verschwinden nie offiziell angeklagt, aber als Verdächtiger verhört worden, und in der Stadt war man sich einig, dass der Tatverdacht nicht unbegründet war. Was Chief McGuire mir über Sheriff Jones erzählt hatte, war ... interessant.
Nash fasste mich nicht an, doch er ließ mich vor sich her zu seinem Geländewagen humpeln und öffnete die hintere Tür. »Rein mit Ihnen.«
»Warum? Die nette Dame mit der Blutdruckmanschette fährt mich nach Hause.«
»Ich bringe Sie auf die Wache. Wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und rücksichtslosen Fahrverhaltens mit potenzieller Todesfolge.«
»Sie machen wohl Witze?«
»Ist nicht meine Art.« Jones funkelte mich wütend an. Seine grauen Augen konnten sich mit der Intensität einer Supernova auf einen richten. Er hatte schwarzes Haar, das er seit seinem Armeedienst im Irak im Bürstenschnitt trug, und ein kantiges, gut aussehendes Gesicht. Ich hatte beobachtet, wie Frauen in Magellan und Flat Mesa sich nach ihm umdrehten, wenn er vorbeiging. Sein gutes Aussehen wurde nur etwas beeinträchtigt von einer Narbe auf der Oberlippe.
»Da draußen ist was«, sagte ich. »Es ist mit Fremonts Laster zusammengestoßen, mit solcher Wucht, dass er sich überschlagen hat. Dann ist es weggerannt, aber der Sturm legt sich, und das Ding kann jederzeit zurückkommen. So ein Skinwalker ist verdammt stark. Wenn er will, kann er diesen Geländewagen zerfetzen wie eine Papiertüte.«
Statt einer Antwort starrte Nash mich nur ausdruckslos an. Nash Jones war ein Ungläubiger, einer der Leute, die nicht daran glaubten, dass Magellan nahe an einem mystischen Zusammenfluss von energetischen Wirbeln stand, wo das Übernatürliche normal war. Er war hier aufgewachsen, verachtete aber diejenigen, die von den Touristen lebten, die auf der Suche nach paranormalen Phänomenen scharenweise nach Hopi County kamen.
»Einsteigen, bevor ich nachhelfe.«
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Es war schon dunkel geworden, als ich aus den Bergen nach Osten auf die Wüste und die Kleinstadt Magellan zufuhr. Das Gelände fiel steil ab. Ich ließ das kühle, pinienbewachsene Hochland hinter mir zurück, und die Hitze kam wieder. Tief im Süden blitzte es heftig, der aufziehende Sturm schickte mir ein Prickeln durch den Körper wie die Berührung eines Geliebten.
Bis ich Winslow erreicht hatte und von Ampel zu Ampel glitt, waren die Sterne hinter dichten Wolken verschwunden, aber immer noch regnete es nicht. Ich nahm die Straße unter der Eisenbahnbrücke hindurch, gerade als ein Güterzug darüber hinwegdonnerte, und fuhr dann nach Süden auf die Wüste zu. Meine Harley knatterte durch die Stille.
Der erste Blitz entzündete die Wolken mit seinen grellweißen Lichtfingern, und ich leckte seine Überreste auf wie eine ausgehungerte Katze. Ich bin ein Stormwalker. So nennt das Volk meines Vaters diejenigen, die wie ich die Fähigkeit besitzen, die Energie der Stürme anzuziehen und für sich nutzbar zu machen. An einem ruhigen Tag bekomme ich höchstens ein paar einfache Zauber hin, aber sobald ein Gewitter in der Nähe ist, kann ich den Wind, die Blitze und den Regen lenken und zum Tanzen bringen. Darin bin ich richtig gut. Tödlich.
Gewittermagie macht mich verrückt und beschert mir immer einen schlimmeren Kater als eine dreitägige Sauftour, aber wenn die Stürme zu lange auf sich warten lassen, hat das die gleichen Auswirkungen.
Ich hatte keinen Sturm mehr gehabt, seit ich vor zwei Wochen nach Magellan gezogen war, um im Fall des Verschwindens von Amy McGuire, der Tochter des Polizeichefs, zu ermitteln. Ich lechzte nach meiner nächsten Dosis.
Ich nahm die Abzweigung nach Magellan. Die verschwommenen Lichter der Kleinstadt lockten mich aus zwanzig Meilen Entfernung, und etwas weiter nördlich glitzerten die helleren Lichter der Kreisstadt Flat Mesa. Vor mir schaukelten die roten Rücklichter eines Transporters auf und ab, als die Straße durch mehrere Trockentäler führte. Das linke Rücklicht war beschädigt, was dem Pritschenwagen ein asymmetrisches Aussehen gab. Außer uns war niemand auf der Straße.
Ein plötzlicher Windstoß hätte mich fast von meiner Maschine gerissen und brachte aus der dunklen Wüste eine Stimme mit. Janet.
Ich vollführte eine schlitternde Vollbremsung, mein Herz raste, und ich nahm den Helm ab. Wind umtoste mich. Dicke Wolken rasten auf mich zu.
Tochter. Es war eine Frauenstimme. Das Flüstern war leise, fast liebevoll.
Ach, der Teufel sollte sie holen!
Der andere Grund, warum ich nach Magellan gekommen war, war meine Mutter. Ich wollte ihr entgegentreten und ihrem Treiben ein Ende setzen, wie ich es schon vor Jahren hätte tun sollen. Aber damals war ich noch zu jung und zu verängstigt gewesen. Als ich gebeten wurde, Ermittlungen zu Amys Verschwinden anzustellen, bot sich mir eine Gelegenheit zurückzukommen, und dieses Mal würde ich es mit meiner Mutter aufnehmen. Sobald ich nur herausgefunden hatte, wie.
Sechs Jahre waren vergangen, seit ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, ausgerechnet in einem Diner in Holbrook, wo sie mir eine Höllenangst eingejagt hatte. Hinter den schwer gesicherten Mauern meines Hotels konnte ich mir leicht einreden, dass ich das Zeug dazu hatte, ihr entgegenzutreten, aber nicht hier draußen in der offenen Wüste mit den Wirbeln, die mich riefen. Hier in der Dunkelheit, allein unter diesem weiten Himmel, musste ich zugeben, dass sie mir immer noch eine Höllenangst einjagte.
Komm zu mir.
»Einen Dreck werd ich.« Als ich meine Mutter getroffen hatte, hatte sie ihr Bestes gegeben, mich zu ihrer willigen Sklavin zu machen, aber ich hatte nun mal dieses Problem mit dem freien Willen - mir lag etwas daran.
Janet.
»Dieses Mal nicht!«, schrie ich.
Das Flüstern erstarb mit dem Wind, und ein greller Blitz zuckte. Die elektrische Spannung schickte mir Funken durch die Finger und schwirrte über meinen Helm.
Die Gewittermagie war Erdmagie, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte, einer kleinen Navajo-Frau, die viel stärker war, als sie aussah. Meine Mutter kam aus der Unteren Welt, dem Reich, aus dem die Skinwalker stammen, und auch sie hatte mir magische Kräfte vererbt.
Meine Mutter mochte Erdmagie nicht sonderlich. Für meine Geburt war sie zwar unumgänglich gewesen, aber sie machte mich auch stark genug, meiner Mom Widerstand zu leisten.
Mit zitternden Händen setzte ich den Helm auf und fuhr wieder los. Ein Regenvorhang fegte über mich hinweg; die plötzliche Kühle war mir willkommen. Ich holte den Pick-up wieder ein. Wer immer darin saß, fuhr langsam, und ich erkannte, dass das Zusammentreffen nur wenige Minuten gedauert haben konnte.
Ich wechselte auf die andere Spur, um den Pritschenwagen zu überholen. Wieder flammte Wetterleuchten über den Himmel, von den Mesas bis in den Süden. Es breitete sich in alle Richtungen aus und tauchte die Wolken in kaltes weißes Licht. In diesem Licht sah ich, wie plötzlich eine riesige Gestalt am Straßenrand auftauchte und auf mich zustürzte.
Ich bremste abrupt, riss meine Maschine zur Seite und versuchte verzweifelt, den Zusammenstoß zu vermeiden. Ein schrecklicher Gestank erfüllte die Luft, als die Gestalt mein Vorderrad verfehlte und mit einem gewaltigen Rums mit dem Pick-up zusammenprallte.
Auf dem regennassen Asphalt rutschte mir mein Hinterrad weg. Gleichzeitig wurde der Transporter fast wie in Zeitlupe in die Luft geschleudert, überschlug sich zweimal und landete krachend mit der Fahrerkabine auf dem Asphalt. So schlitterte er kreischend noch ein paar Meter weiter, Funken sprühten in die Nacht, dann blieb er still wie ein totes Tier liegen.
Meine Maschine rutschte weiter. Ich verfehlte den Pick-up nur knapp, wurde von meiner Harley geschleudert und landete, den Kopf voran, im Graben, der sich schnell mit Regenwasser füllte.
Ich lag mit gesprungenem Visier reglos im Matsch, meine Maschine mit verbogenem Vorderrad daneben, und meine Beine fühlten sich genauso verdreht an.
Im Pick-up rührte sich nichts. Es war stockdunkel hier draußen, sodass ich nicht einmal seine Farbe erkennen konnte. Aber immer noch konnte ich den Skinwalker riechen, der in der Dunkelheit auf uns lauerte. Meine Mutter konnte diese Kreaturen kontrollieren, die sich von der Energie der Wirbel nährten, und hatte mir diesen geschickt, um mir eine Lektion zu erteilen. Nicht, um mich zu töten - ich wusste, dass sie das nicht wollte -, aber um meinen Gehorsam zu erzwingen. Tot hatte sie keine Verwendung mehr für mich.
Mühsam kämpfte ich mich aus dem Helm. Meine Handschuhe waren zerrissen und meine Hände rutschig vom Blut.
Unter Schmerzen streckte ich mich und kam dann langsam auf die Beine. Mein Atem ging mühsam, jeder Atemzug schmerzte.
Ich hörte, wie der Skinwalker zurückkam. Die Legenden meines Volkes besagten, dass Skinwalker Menschen waren, die mit schwarzer Magie experimentierten und sich in die Häute toter Tiere hüllten, um die Eigenschaften dieser Tiere anzunehmen. Was die Tiere anging, die normalerweise zu Tode gefoltert wurden, stimmte das auch; aber die Skinwalker waren keine Menschen. Sie waren Überbleibsel aus der vorigen Welt, der Unteren Welt, in der meine Mutter eine Göttin war. Skinwalker waren böse wie Dämonen und hätten es nie mit dem Rest der Menschheit in diese Welt schaffen dürfen. Aber sie hatten sich mit ihren Klauen herausgekämpft und sich über Generationen fortgepflanzt.
Das Ding griff mich an. Es war riesig, etwa zweieinhalb Meter groß und, soweit ich sehen konnte, in die Haut eines toten Bären gehüllt. Es war blitzschnell und stank schlimmer als die schlimmste Leichenhalle. Es hob mich hoch und warf mich mit voller Wucht auf den Asphalt. Ich schlug und trat um mich, richtete aber in etwa so viel aus wie gegen eine Wand. Der Skinwalker hielt seine widerliche Fratze nah an mein Gesicht, bleckte die Lippen und fletschte die gelben Zähne.
Ich schrie. Nicht, dass mir das etwas genützt hätte. Hier draußen wohnte niemand, und wer auch immer in diesem Pick-up saß, stieg nicht aus.
Der Sturm antwortete mir. Donner grollte in der Ferne, und ich griff verzweifelt nach dem Blitz. Ich konnte Gewitter nicht auslösen oder bewegen, sondern nutzte, was die Natur mir gab, und wenn der Sturm nahe genug war...
Ein Blitz zuckte aus der schwarzen Wolke direkt in meine ausgestreckten Hände. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er war nicht sehr stark, der Sturm noch zu weit entfernt, aber besser als nichts. Ich sammelte so viel von der Energie des Blitzes, wie ich nur konnte, und schleuderte sie auf den Skinwalker. Er grunzte unter dem Aufprall und tänzelte etwa einen Meter zurück, doch das war auch schon alles. Hastig stand ich auf.
Skinwalker sind verdammt schwer zu töten. Dieser watschelte schon wieder auf mich zu. Ich griff nach dem Wind, hob die Hände und richtete ihn auf die ekelhafte Kreatur. Der Skinwalker taumelte. Ich schlug ihn mehrmals mit der Kraft des Windes und verpasste ihm auch noch eine Dosis elektrische Funken.
Wieder kam der Skinwalker auf mich zu. Ich glaubte wirklich nicht, dass meine Mutter mich töten wollte, aber ob das Ding das auch wusste?
Die Kreatur war wieder auf der Straße angelangt. Statt mich zu schlagen, drehte sie sich um und trat gegen meine Harley.
»Nein!«, schrie ich. Diese Maschine war mein Baby. Das alte Mädchen und ich hatten zusammen eine Menge Meilen auf dem Buckel. Sie war das Symbol meiner Freiheit, meiner Unabhängigkeit, für mich selbst. Ich packte eine Handvoll Blitze und schleuderte sie auf den Skinwalker. Elektrische Spannung tanzte um ihn, aber immer noch starb er nicht.
In Momenten wie diesen bedauerte ich, meinen Ex Mick verlassen zu haben, den Mann mit der wilden Feuermagie. Ich hatte ihn mal einen Skinwalker verbrennen sehen, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen. Mick hatte mich verrückt gemacht mit seiner Mischung aus Böse-Jungen-Charme, Fürsorglichkeit und ausweichendem Verhalten, doch die Zeit mit ihm war trotzdem die beste meines Lebens gewesen.
Bevor wir uns getrennt hatten, hatte Mick mir sechs magische Kugeln gegeben, ein Lichtzauber, der in kleine Silberkugeln eingeschlossen war. Ich hatte gerade eine in der Tasche, eine der beiden, die mir noch geblieben waren. Wenn die Kugeln aktiviert wurden, strahlten sie ein weißes Licht aus, das jeden Schatten vertrieb - zumindest vorübergehend. Sie entwickelten nur Licht und keine Hitze, aber in Notfällen waren sie nützlich gegen die lichtscheuen Kreaturen - Skinwalker, Dämonen und Nightwalker.
Die elektrische Spannung ebbte ab, der Sturm legte sich wieder. Der Skinwalker kam auf mich zu, Mordlust in den roten Augen.
Definitiv ein Notfall, entschied ich. Ich griff in die Tasche und zog den Lichtzauber heraus, etwa so groß wie die Kugel eines Kugellagers. Es war nicht viel Magie nötig, um ihn zu aktivieren, was bedeutete, dass ich ihn auch dann einsetzen konnte, wenn gerade kein praktischer Sturm zur Hand war.
Der Skinwalker überragte mich und hob die riesigen Fäuste, um mich zu zerquetschen. Ich hob den Lichtzauber, aber bevor ich ihn aktivieren konnte, stieß der Skinwalker plötzlich einen Schmerzensschrei aus. Ein blauer Strahlenkranz flackerte um ihn auf, den nicht ich geschaffen hatte. Der Skinwalker versuchte, sich herauszukämpfen, während ich mit ausgestreckter Handfläche dabeistand und verblüfft zuschaute.
Dann rannte der Skinwalker, immer noch von diesem blauen Schein umgeben, in die Dunkelheit davon außer Sichtweite. Ich atmete erleichtert auf und steckte den Lichtzauber wieder ein.
Der Gestank ließ nach, ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Kreatur tatsächlich fort war. Hatte Mom etwa ihr Haustier zurückgepfiffen? Oder hatte ein anderes Wesen eingegriffen? Ich wusste es nicht, und im Augenblick war es mir auch egal.
Ich hinkte auf den Pick-up zu. Der nächste Blitz enthüllte einen staubigen roten Pritschenwagen, der mir bekannt vorkam, und das Herz rutschte mir in die Hose, als ich den Schriftzug auf der Fahrertür las, der wie das ganze Auto auf dem Kopf stand:
Fremont Hansen, Installation und Reparaturen
»Scheiße«, flüsterte ich. Fremont war der Klempner, der mir bei der Renovierung des verfallenen Hotels half, das ich am Stadtrand von Magellan gekauft hatte. Er war ein netter Kerl mit beginnender Stirnglatze und unschuldigen braunen Augen, der behauptete, selbst ein paar magische Fähigkeiten zu besitzen. »Ich kann alles reparieren«, hatte er geprahlt und mit den Fingern gewackelt.
Ich schloss die blutige Hand um mein Handy, aber es war bei dem Sturz zerbrochen. Plastikscherben klebten an meinen Fingern, und der Akku baumelte an nutzlosen Kabeln.
Ich warf das Handy weg und kauerte mich neben der Fahrerseite auf die Straße. Das Fenster war innen blutverschmiert, und ein Kopf presste sich dagegen.
»Fremont.« Ich rüttelte an der Tür, aber sie rührte sich nicht. Mühsam hinkte ich um den Pritschenwagen herum auf die andere Seite, mein Bein tat höllisch weh. Die Beifahrertür war nicht verriegelt. Ich sah keine Glasscherben glänzen, also musste das Fenster schon vor dem Unfall offen gewesen sein. Der Mann lag kopfüber in der Dunkelheit, den Hals in einem unnatürlichen Winkel verrenkt.
Ich tastete in den Trümmern im Wagen herum und fand kein Handy. Die Karosserie war so gequetscht, dass sich das Handschuhfach nicht mehr öffnen ließ. Ich zog mich wieder zurück und rümpfte die Nase. Es roch nach Tod.
Wieder erhellte ein Blitz den Himmel, allerdings weiter im Osten. Der Sturm zog weiter. Der Blitz erlosch. Dafür glommen rote und blaue Lichter auf, die vom Heulen einer Sirene begleitet wurden. Ich setzte mich erschöpft auf den Boden, den Rücken an den Pick-up gelehnt, als ein Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf mich zugerast kam.
Ein Geländewagen mit dem Schriftzug Hopi County Sheriff's Department blieb anderthalb Meter vor mir stehen, die Reifen rutschten etwas auf der regennassen Straße. Die Tür sprang auf, und Stiefelsohlen knallten auf den Asphalt. Die Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Eigentlich seltsam für einen Mann, der den ganzen Tag in der staubigen Wüste unterwegs ist, dachte ich. Über den Stiefelschäften erblickte ich eine Khakihose mit scharfer Bügelfalte.
Nash Jones, der Sheriff des winzigen Hopi County, ging neben mir in die Hocke und sah mich im Licht seiner Scheinwerfer an. Benebelt hörte ich, wie ein weiterer Wagen neben uns anhielt und ein zweites Stiefelpaar auf Schmutz und Asphalt knirschte.
»Janet Begay.« Nashs Stimme war ausdruckslos und hart, die eisgrauen Augen unbewegt. Er war nicht gut auf mich zu sprechen. Als ich frisch in Magellan angekommen war, hatte ich versucht, mit ihm über Amy McGuire zu reden, und er hatte mich abgeschmettert, noch bevor ich über die Begrüßung hinausgekommen war. Amy McGuire war seine Verlobte gewesen. Jones hatte mich schon gehasst, bevor er mich getroffen hatte.
Er schaltete eine dünne Taschenlampe ein und richtete den Lichtstrahl auf meine Augen. »Sind Sie okay?«
»Ich lebe noch«, krächzte ich.
»Sie haben ihn mit ihrem Motorrad gerammt.« In seiner Stimme lag keinerlei Sympathie. »Der Aufprall hat den Pritschenwagen umgeworfen. Habe ich recht?«
»Etwas ist mit ihm zusammengeprallt. Ich war's nicht.«
Er glaubte mir nicht. »Können Sie aufstehen? Brauchen Sie einen Krankenwagen?«
»Ich komme schon klar.«
Auch das glaubte Nash mir nicht. Auf sein Zeichen kam eine Frau in einem schwarzen Overall herüber und half mir aufzustehen. Nash verließ mich, während die Frau mich unterhakte, in den Notarztwagen brachte und mir das Blut von den Händen wusch. Sie untersuchte mich, maß meinen Blutdruck, tastete meine Arme und Beine nach Knochenbrüchen ab und fragte mich, ob ich ins Krankenhaus wollte. Ich verneinte, bat sie aber, mich in die Stadt mitzunehmen, da das Vorderrad meines Motorrads verbogen war. Sie war einverstanden, sagte jedoch, dass der Sheriff dafür grünes Licht geben musste.
Ich fühlte mich innerlich ganz leer. Fremont lag tot in diesem Kleinlaster. Tot, weil ein Skinwalker, den meine Mutter eigentlich mir geschickt hatte, mich verfehlt hatte und mit ihm kollidiert war.
Nash Jones und seine Deputies inspizierten den Unfallort und begannen, die Leiche aus dem Pritschenwagen herauszuschneiden. Ich saß da und kämpfte gegen die Übelkeit an. Der Sturm legte sich, und ich war erschöpft und fühlte mich elend, wie üblich in solchen Momenten. Jetzt brauchte ich unbedingt einen Kaffee. Oder einen steifen Drink. Ich trank nur mäßig, weil ich nicht viel vertrug, aber heute Nacht würde ich eine Ausnahme machen.
Nash kam zu mir zurück und winkte mich mit einer knappen Geste zu sich. »Begay. Mitkommen.«
Dass er nicht handgreiflich wurde, verdankte ich wahrscheinlich nur der Sanitäterin, die sich beschweren würde. Bei meiner Ankunft in Magellan hatte Nash Jones klargestellt, dass meine Anwesenheit und die Tatsache, dass Chief McGuire mich hergebeten hatte, ihm absolut zuwider waren. Nash war wegen Amys Verschwinden nie offiziell angeklagt, aber als Verdächtiger verhört worden, und in der Stadt war man sich einig, dass der Tatverdacht nicht unbegründet war. Was Chief McGuire mir über Sheriff Jones erzählt hatte, war ... interessant.
Nash fasste mich nicht an, doch er ließ mich vor sich her zu seinem Geländewagen humpeln und öffnete die hintere Tür. »Rein mit Ihnen.«
»Warum? Die nette Dame mit der Blutdruckmanschette fährt mich nach Hause.«
»Ich bringe Sie auf die Wache. Wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und rücksichtslosen Fahrverhaltens mit potenzieller Todesfolge.«
»Sie machen wohl Witze?«
»Ist nicht meine Art.« Jones funkelte mich wütend an. Seine grauen Augen konnten sich mit der Intensität einer Supernova auf einen richten. Er hatte schwarzes Haar, das er seit seinem Armeedienst im Irak im Bürstenschnitt trug, und ein kantiges, gut aussehendes Gesicht. Ich hatte beobachtet, wie Frauen in Magellan und Flat Mesa sich nach ihm umdrehten, wenn er vorbeiging. Sein gutes Aussehen wurde nur etwas beeinträchtigt von einer Narbe auf der Oberlippe.
»Da draußen ist was«, sagte ich. »Es ist mit Fremonts Laster zusammengestoßen, mit solcher Wucht, dass er sich überschlagen hat. Dann ist es weggerannt, aber der Sturm legt sich, und das Ding kann jederzeit zurückkommen. So ein Skinwalker ist verdammt stark. Wenn er will, kann er diesen Geländewagen zerfetzen wie eine Papiertüte.«
Statt einer Antwort starrte Nash mich nur ausdruckslos an. Nash Jones war ein Ungläubiger, einer der Leute, die nicht daran glaubten, dass Magellan nahe an einem mystischen Zusammenfluss von energetischen Wirbeln stand, wo das Übernatürliche normal war. Er war hier aufgewachsen, verachtete aber diejenigen, die von den Touristen lebten, die auf der Suche nach paranormalen Phänomenen scharenweise nach Hopi County kamen.
»Einsteigen, bevor ich nachhelfe.«
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Allyson James
Katrin Kremmler, M.A., geboren 1972, Cartoonistin und Ethnologin, hat die Budapester Lesbenszene wissenschaftlich erforscht und die besten Jahre ihres Erwachsenenlebens dort verbracht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Allyson James
- 2012, 398 Seiten, Maße: 12,8 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Kremmler, Katrin
- Übersetzer: Katrin Kremmler
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802585119
- ISBN-13: 9783802585111
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