Jimmi Nightwalker - Das unheimliche Schiff
Auf der Suche nach Jimmis wahrer Identität sind die vier Freunde in einen Hinterhalt geraten. Gefangen im Laderaum der WEGA spüren Jimmi, Jojo, Murat und Mai Lyn, wie das Schiff sich in Bewegung setzt. Hat der geheimnisvolle schwarze Kasten, den...
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Produktinformationen zu „Jimmi Nightwalker - Das unheimliche Schiff “
Auf der Suche nach Jimmis wahrer Identität sind die vier Freunde in einen Hinterhalt geraten. Gefangen im Laderaum der WEGA spüren Jimmi, Jojo, Murat und Mai Lyn, wie das Schiff sich in Bewegung setzt. Hat der geheimnisvolle schwarze Kasten, den sie kurz zuvor hier unten entdeckt haben, etwas damit zu tun? Es bleibt ihnen keine Zeit, lange zu grübeln, denn sie geraten geradewegs in einen heftigen Sturm. In letzter Sekunde gelingt es ihnen, sich an Land zu retten. Da taucht ein seltsamer Fremder auf ...
Klappentext zu „Jimmi Nightwalker - Das unheimliche Schiff “
Gefangen im Frachtraum der Wega spüren die Kinder plötzlich, wie sich das Schiff in Bewegung setzt. Hat der geheimnisvolle schwarze Kasten vielleicht etwas damit zu tun, den Jimmi, JoJo, Murat und Mai Lyn kurz zuvor hier unten entdeckt haben? Doch es bleibt ihnen keine Zeit, das herausuzfinden, denn das Schiff gerät in einen heftigen Sturm, der es schon bald zum Kentern bringt! Nur in letzter Sekunde gelingt es den Kindern, sich durch die eisigen Elbfluten an Land zu retten. Da taucht ein unheimlicher Fremder auf, der ihnen seine Hilfe anbietet. Aber können sie ihm auch wirklich trauen?
Lese-Probe zu „Jimmi Nightwalker - Das unheimliche Schiff “
Das unheimliche Schiff von Jürgen BanscherusErstes Kapitel
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Es gibt Menschen, die auf Schiffsreisen keinen größeren Spaß kennen, als bei Sturm und haushohen Wellen Tango zu tanzen. Und es gibt andere, die in einem solchen Moment am liebsten über Bord springen würden, weil ihnen sterbensübel ist. Wer weiß, dass er schnell seekrank wird, sollte sich an Deck mittschiffs in den Wind stellen. Erstens wird ihm die frische Luft guttun. Zweitens schaukelt es dort weniger. Und drittens hilft es gegen die Übelkeit, wenn sich die Augen an etwas festhalten können, das nicht mitschaukelt - am Horizont zum Beispiel oder an einer Wolke.
Aber was ist, wenn man im stockfinsteren Laderaum eines Schiffs eingeschlossen ist? Wenn man vergeblich darum gebettelt hat, dass jemand kommt und einen wieder herauslässt? Dann ist einem nicht nur übel. Dann verliert man auch jedes Zeitgefühl. Dann glaubt man, bereits seit einer Ewigkeit in seinem Verlies festzusitzen, obwohl in Wirklichkeit kaum mehr als eine Viertelstunde vergangen ist.
Genau das war JoJo, Murat, Mai Lyn und Jimmi passiert. Die vier Kinder waren im Hamburger Hafen zusammen mit dem alten Willi Kowalski, der sich Winnetou nannte und auch ein bisschen so aussah, in den Laderaum der WEGA geklettert. Kaum hatten sie sich dort unten ein wenig umgeschaut, hatte jemand die Leiter hochgezogen und die Ladeluke ver schlossen. Kurze Zeit später hatte das geheimnisvolle Schiff, das über keinen der üblichen Dieselmotoren verfügte, abgelegt. Nachdem es aus dem Hafenbecken heraus war, hatte das Schiff Fahrt aufgenommen. Um die Kinder abzulenken, hatte Willi Kowalski von Monsterwellen vor Kap Hoorn und Monsterkraken zwischen Australien und Neuseeland erzählt, von Piratenüberfällen vor Somalia und Meutereien irgendwo auf dem Meer zwischen Sumatra und den Philippinen. Aber JoJo und seine Freunde hatten dem alten Mann angemerkt, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen war.
Dann war plötzlich Sturm aufgekommen, der Orkan hatte die Wellen zu gewaltigen Gebirgen aufgetürmt. Von einer Sekunde zur anderen war die WEGA langsamer geworden. Sobald das rote Schiff in eine der Wasserwände krachte, waren die Kinder und der alte Mann kreuz und quer durch den riesigen Laderaum geschleudert worden. Bis jetzt war es zum Glück bei blauen Flecken geblieben.
»Ich muss kotzen«, murmelte Murat, wäh rend er seinen schmerzenden Arm rieb. Er hatte ihn sich an dem großen schwarzen Klotz gestoßen, der auf dem Boden stand.
JoJo hatte den Verdacht, dass irgendetwas in der gleichmäßig summenden Kiste für die erstaunliche Beschleunigung der WEGA sorgte. Er tippte auf starke Magnete, konnte sich aber nicht erklären, wie sie ein- und ausgeschaltet wurden. Mai Lyn hielt nichts von JoJos Vermutung. Sie ging davon aus, dass sie im Bauch eines Geisterschiffs eingeschlossen waren.
»Reiß dich zusammen, Murat!«, ertönte ihre Stimme aus der Finsternis. Mai Lyn machte es so wenig Spaß wie den anderen, eingesperrt zu sein. Und natürlich wollte auch sie wissen, wohin das Schiff unterwegs war. Außerdem hätte sie ihren Eltern gern Bescheid gegeben, dass sie in dieser Nacht mit einiger Sicherheit nicht nach Hause kommen würde. Doch abgesehen davon genoss sie die wilde Fahrt. Schon als kleines Kind hatte sie Achterbahnfahren geliebt.
In diesem Augenblick krachte die WEGA mit voller Wucht in ein gewaltiges Wellengebirge. Sämtliche Nieten und Bolzen, die den Schiffskörper zusammenhielten, stöhnten gequält auf. JoJo wartete voller Angst darauf, dass das Boot in seine Einzelteile zerfiel. Als sich das Schiff nach einer halben Ewigkeit wieder aufrichtete, warf es sie in eine Ecke des Laderaums.
»Du sitzt auf meiner Nase!«, flüsterte Winnetou JoJo zu, als der Junge endlich Arme und Beine sortiert und festgestellt hatte, dass er ohne größere Schäden davongekommen war.
»Entschuldigung«, sagte JoJo und stand a uf.
»Geht's euch gut?«, fragte der alte Mann.
Seiner Stimme war anzuhören, dass es ihm überhaupt nicht gut ging.
»Ich bin okay«, antwortete JoJo. Das war nicht einmal gelogen. Der Inhalator mit dem Asthmamittel steckte in seiner Hosentasche. Seine kranke Lunge arbeitete zuverlässig wie ein nagelneuer Blasebalg.
»Alles in Ordnung«, sagte Mai Lyn.
»Mir ist schlecht«, stöhnte Murat, der sich beim Flug durch den Laderaum auch noch eine Beule an der Stirn zugezogen hatte. »Ich muss kot ... «
»Musst du nicht«, unterbrach ihn Winnetou. »Pass auf, mein Junge: Du nimmst Daumen und Zeigefinger deiner rechten Hand und presst damit das oberste Glied des kleinen Fingers deiner linken Hand. Drück zu, so fest du kannst! Alter Seebärentrick«, fügte er hinzu.
Murat gehorchte.
»Und?«, fragte Willi Kowalski nach einer Weile. »Geht's dir jetzt besser?«
»Ein bisschen.«
»Hier kommt Wasser rein«, hörten sie jetzt Jimmis Stimme. Es klang, als säße er an der gegenüberliegenden Wand des Laderaums. »Ich glaube, wir sinken«, fuhr er gleichmütig fort. JoJo fragte sich, ob den Jungen über haupt irgendwas aus der Ruhe bringen konnte. Hätte die WEGA schon tief unten auf dem Grund des Meeres gelegen, hätte der Graukopf wahrscheinlich auch nicht anders geklungen.
»Quatsch«, sagte Winnetou und kroch zu Jimmi hinüber.
Nachdem er den Boden des Laderaums untersucht hatte, musste er jedoch feststellen:
»Tatsächlich, da ist Wasser. Zum Glück nicht sehr viel.«
»Und was hat das zu bedeuten?«, wollte JoJo wissen.
»In jedem Schiff gibt es Wasser, mein Junge, vor allem im Kiel. Normalerweise schaffen es die Pumpen raus«, antwortete Willi Kowalski. »Der Laderaum sollte allerdings trocken sein«, fuhr er fort. »Wenn man zum Beispiel Getreide transportiert, schimmelt es, wenn es nass ...«
»Was heißt das?«, unterbrach JoJo den Rede fluss des Alten. »Werden wir« - er schluckte - »werden wir sinken?«
Bevor Winnetou JoJos Frage beantworten konnte, sagte Jimmi: »Der Sturm lässt nach.«
Und tatsächlich - so plötzlich, wie der Orkan ausgebrochen war, legte er sich wieder. Auf einmal hörte es sich an, als wolle der Wind das Schiff bloß streicheln.
»Heiliger Strohsack«, stöhnte Murat. »Eine Minute länger und ich hätte echt gek ...«
»Halt bloß die Klappe!«, rief JoJo. Ihm war selbst ein bisschen übel und er hatte Angst, dass es ihm noch schlechter gehen würde, sollte Murat das Wort aussprechen. Außerdem gab es jetzt Wichtigeres als Murats Mageninhalt, viel Wichtigeres.
»Werden wir sinken?«, wiederholte JoJo seine Frage.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Winnetou. »Ist der Boden bei euch auch nass?«, rief er in die Dunkelheit hinein.
»Nein«, antwortete Mai Lyn.
»Nicht gut, gar nicht gut«, murmelte der alte Indianer. »Das bedeutet, dass die WEGA schon schief liegt. Und wenn sich ein Schiff erst mal auf die Seite legt ...« Er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Aber JoJo war klar, was Winnetou hatte sagen wollen. Vor Angst krampfte sich sein Magen zusammen. Zum Glück war es nicht die Lunge. Die hielt immer noch still. Trotzdem sprühte er sich eine Dosis Asthmamittel in den Mund. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste.
»Und jetzt?«, fragte Mai Lyn. Ihre Stimme zitterte. Das passierte nicht oft. Normalerweise war das Mädchen mutiger als jeder Junge, vielleicht mit Ausnahme von Murat und Jimmi. »Hat einer einen Vorschlag? Wenn wir hier unten nicht rauskommen, müssen wir ertrinken!«
»Nur die Ruhe, Deern«, unterbrach Winnetou sie. »Das Wasser steigt langsam. Sehr langsam. Vielleicht lassen uns die da oben ja auch wieder frei.«
Wie aufs Stichwort wurde in diesem Moment die Luke des Laderaums aufgeklappt. Gleißend helles Tageslicht fiel herein und zwang die fünf Gefangenen, die Augen zu schließen. Als sie sie vorsichtig öffneten, sahen sie, wie die stählerne Leiter heruntergelassen wurde. Dann war es wieder still, auch das Summen des schwarzen Klotzes in der Mitte des Raums hatte aufgehört.
JoJo schaute auf seine Armbanduhr. Sie zeigte kurz nach fünf. Seitdem sie das Deck der WEGA betreten hatten, war kaum eine Stunde vergangen. Ihm war es wie eine Ewigkeit vorgekommen.
Mai Lyn setzte ihren Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter. »Dann mal los!«, kommandierte sie. Als die anderen zögerten, fragte sie: »Oder wollt ihr lieber hier unten bleiben und ersaufen?«
»Vielleicht ist es ein Trick«, gab JoJo zu bedenken. »Vielleicht werfen sie uns über Bord, sobald wir alle an Deck sind!«
»Was hätten sie davon?« Mai Lyns Stimme zitterte nun nicht mehr. »Kommt schon! Wir müssen verschwinden!«
Was auch immer die Kinder an Deck erwartet hatten - die Kakamura-Zwillinge, Piraten mit goldenen Ringen in den Ohrläppchen und schartigen Messern zwischen den Zähnen, kleine grüne Marsmännchen, einen Haufen klapperdürrer Gespenster oder einfach ganz normale Seeleute -, nichts davon bekamen sie zu Gesicht. Das Deck war vollständig leer, abgesehen von ein paar Pfützen, in denen sich Meerwasser gesammelt hatte. Eine Scheibe des Steuerhauses hatte während des Sturms einen Riss erhalten, die Reling war auf einer Länge von etwa fünf Metern ein Opfer der Wellen geworden. Außerdem hatte die wütende See an einigen Stellen die nur nachlässig aufgebrachte rote Farbe abgerissen. Darunter kamen rostig braune Eisenplatten zum Vorschein.
Am Horizont glaubte JoJo einen Streifen Land zu erkennen. Doch es konnte sich auch genauso gut um eine schmale dunkle Wolke handeln. Die weißen Schaumkronen tanzten im Licht der Sonne, die von einem strahlend blauen Himmel herunterbrannte. Die Wellen schlugen immer noch hoch.
»Haltet euch um Gottes willen bloß gut an der Reling fest«, sagte Winnetou. »Die Haie warten bloß darauf, dass ihr sie besuchen kommt!«
»Haie? Hier?«, rief Mai Lyn und lachte. Dabei war ihr eigentlich gar nicht zum Lachen zu-
mute. »Wissen Sie, wo wir sind?«, fragte sie den alten Indianer.
Der schüttelte den Kopf. »Wenn man we nigs tens den Hamburger Michel sehen könnte«, murmelte er. »Oder die Ladekräne im Containerhafen. Oder die Kirchen von Stade. Oder irgendeine verdammte Leuchtboje. Nee, Deern, ich hab keinen Schimmer. Ich weiß nur, dass wir schon ziemlich weit draußen sein müssen.«
»Auf dem Schiff ist niemand mehr«, stellte Murat fest. »Vielleicht hat Mai Lyn ja mit ihren Geistern doch recht.«
»Hat sie nicht!«, rief JoJo. »Nur Babys glauben an Geister!«
»Nicht nur Babys«, murmelte der alte Indianer. Dann schimpfte er plötzlich los: »Es gibt nicht mal ein Rettungsboot! Verbrecher sind das! Da soll doch gleich der Klabautermann dreinschlagen!«
»Ich will jetzt sofort wissen, wie es weitergeht«, sagte Mai Lyn.
Als die anderen schwiegen, rief sie: »Gut, dann springe ich über Bord! So weit weg von Hamburg können wir ja nun nicht sein!«
»Du bleibst brav hier, Deern.« Winnetou hielt sie am Arm fest. Obwohl er über 80 war, gab es aus seinem Griff kein Entkommen. »Solange der Pott nicht schneller Wasser fasst, sind wir sicher. Die Nordsee ist verdammt kalt, auch im Sommer. Bestimmt kommt bald ein Schiff vorbei, das uns an Bord nehmen kann. Wir müssen irgendwo in der Elbmündung sein. Bis zur offenen See haben wir es bestimmt nicht geschafft. Dann hätte die WEGA fliegen müssen.«
1. Auflage 2010
© 2010 cbj Verlag, München
Es gibt Menschen, die auf Schiffsreisen keinen größeren Spaß kennen, als bei Sturm und haushohen Wellen Tango zu tanzen. Und es gibt andere, die in einem solchen Moment am liebsten über Bord springen würden, weil ihnen sterbensübel ist. Wer weiß, dass er schnell seekrank wird, sollte sich an Deck mittschiffs in den Wind stellen. Erstens wird ihm die frische Luft guttun. Zweitens schaukelt es dort weniger. Und drittens hilft es gegen die Übelkeit, wenn sich die Augen an etwas festhalten können, das nicht mitschaukelt - am Horizont zum Beispiel oder an einer Wolke.
Aber was ist, wenn man im stockfinsteren Laderaum eines Schiffs eingeschlossen ist? Wenn man vergeblich darum gebettelt hat, dass jemand kommt und einen wieder herauslässt? Dann ist einem nicht nur übel. Dann verliert man auch jedes Zeitgefühl. Dann glaubt man, bereits seit einer Ewigkeit in seinem Verlies festzusitzen, obwohl in Wirklichkeit kaum mehr als eine Viertelstunde vergangen ist.
Genau das war JoJo, Murat, Mai Lyn und Jimmi passiert. Die vier Kinder waren im Hamburger Hafen zusammen mit dem alten Willi Kowalski, der sich Winnetou nannte und auch ein bisschen so aussah, in den Laderaum der WEGA geklettert. Kaum hatten sie sich dort unten ein wenig umgeschaut, hatte jemand die Leiter hochgezogen und die Ladeluke ver schlossen. Kurze Zeit später hatte das geheimnisvolle Schiff, das über keinen der üblichen Dieselmotoren verfügte, abgelegt. Nachdem es aus dem Hafenbecken heraus war, hatte das Schiff Fahrt aufgenommen. Um die Kinder abzulenken, hatte Willi Kowalski von Monsterwellen vor Kap Hoorn und Monsterkraken zwischen Australien und Neuseeland erzählt, von Piratenüberfällen vor Somalia und Meutereien irgendwo auf dem Meer zwischen Sumatra und den Philippinen. Aber JoJo und seine Freunde hatten dem alten Mann angemerkt, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen war.
Dann war plötzlich Sturm aufgekommen, der Orkan hatte die Wellen zu gewaltigen Gebirgen aufgetürmt. Von einer Sekunde zur anderen war die WEGA langsamer geworden. Sobald das rote Schiff in eine der Wasserwände krachte, waren die Kinder und der alte Mann kreuz und quer durch den riesigen Laderaum geschleudert worden. Bis jetzt war es zum Glück bei blauen Flecken geblieben.
»Ich muss kotzen«, murmelte Murat, wäh rend er seinen schmerzenden Arm rieb. Er hatte ihn sich an dem großen schwarzen Klotz gestoßen, der auf dem Boden stand.
JoJo hatte den Verdacht, dass irgendetwas in der gleichmäßig summenden Kiste für die erstaunliche Beschleunigung der WEGA sorgte. Er tippte auf starke Magnete, konnte sich aber nicht erklären, wie sie ein- und ausgeschaltet wurden. Mai Lyn hielt nichts von JoJos Vermutung. Sie ging davon aus, dass sie im Bauch eines Geisterschiffs eingeschlossen waren.
»Reiß dich zusammen, Murat!«, ertönte ihre Stimme aus der Finsternis. Mai Lyn machte es so wenig Spaß wie den anderen, eingesperrt zu sein. Und natürlich wollte auch sie wissen, wohin das Schiff unterwegs war. Außerdem hätte sie ihren Eltern gern Bescheid gegeben, dass sie in dieser Nacht mit einiger Sicherheit nicht nach Hause kommen würde. Doch abgesehen davon genoss sie die wilde Fahrt. Schon als kleines Kind hatte sie Achterbahnfahren geliebt.
In diesem Augenblick krachte die WEGA mit voller Wucht in ein gewaltiges Wellengebirge. Sämtliche Nieten und Bolzen, die den Schiffskörper zusammenhielten, stöhnten gequält auf. JoJo wartete voller Angst darauf, dass das Boot in seine Einzelteile zerfiel. Als sich das Schiff nach einer halben Ewigkeit wieder aufrichtete, warf es sie in eine Ecke des Laderaums.
»Du sitzt auf meiner Nase!«, flüsterte Winnetou JoJo zu, als der Junge endlich Arme und Beine sortiert und festgestellt hatte, dass er ohne größere Schäden davongekommen war.
»Entschuldigung«, sagte JoJo und stand a uf.
»Geht's euch gut?«, fragte der alte Mann.
Seiner Stimme war anzuhören, dass es ihm überhaupt nicht gut ging.
»Ich bin okay«, antwortete JoJo. Das war nicht einmal gelogen. Der Inhalator mit dem Asthmamittel steckte in seiner Hosentasche. Seine kranke Lunge arbeitete zuverlässig wie ein nagelneuer Blasebalg.
»Alles in Ordnung«, sagte Mai Lyn.
»Mir ist schlecht«, stöhnte Murat, der sich beim Flug durch den Laderaum auch noch eine Beule an der Stirn zugezogen hatte. »Ich muss kot ... «
»Musst du nicht«, unterbrach ihn Winnetou. »Pass auf, mein Junge: Du nimmst Daumen und Zeigefinger deiner rechten Hand und presst damit das oberste Glied des kleinen Fingers deiner linken Hand. Drück zu, so fest du kannst! Alter Seebärentrick«, fügte er hinzu.
Murat gehorchte.
»Und?«, fragte Willi Kowalski nach einer Weile. »Geht's dir jetzt besser?«
»Ein bisschen.«
»Hier kommt Wasser rein«, hörten sie jetzt Jimmis Stimme. Es klang, als säße er an der gegenüberliegenden Wand des Laderaums. »Ich glaube, wir sinken«, fuhr er gleichmütig fort. JoJo fragte sich, ob den Jungen über haupt irgendwas aus der Ruhe bringen konnte. Hätte die WEGA schon tief unten auf dem Grund des Meeres gelegen, hätte der Graukopf wahrscheinlich auch nicht anders geklungen.
»Quatsch«, sagte Winnetou und kroch zu Jimmi hinüber.
Nachdem er den Boden des Laderaums untersucht hatte, musste er jedoch feststellen:
»Tatsächlich, da ist Wasser. Zum Glück nicht sehr viel.«
»Und was hat das zu bedeuten?«, wollte JoJo wissen.
»In jedem Schiff gibt es Wasser, mein Junge, vor allem im Kiel. Normalerweise schaffen es die Pumpen raus«, antwortete Willi Kowalski. »Der Laderaum sollte allerdings trocken sein«, fuhr er fort. »Wenn man zum Beispiel Getreide transportiert, schimmelt es, wenn es nass ...«
»Was heißt das?«, unterbrach JoJo den Rede fluss des Alten. »Werden wir« - er schluckte - »werden wir sinken?«
Bevor Winnetou JoJos Frage beantworten konnte, sagte Jimmi: »Der Sturm lässt nach.«
Und tatsächlich - so plötzlich, wie der Orkan ausgebrochen war, legte er sich wieder. Auf einmal hörte es sich an, als wolle der Wind das Schiff bloß streicheln.
»Heiliger Strohsack«, stöhnte Murat. »Eine Minute länger und ich hätte echt gek ...«
»Halt bloß die Klappe!«, rief JoJo. Ihm war selbst ein bisschen übel und er hatte Angst, dass es ihm noch schlechter gehen würde, sollte Murat das Wort aussprechen. Außerdem gab es jetzt Wichtigeres als Murats Mageninhalt, viel Wichtigeres.
»Werden wir sinken?«, wiederholte JoJo seine Frage.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Winnetou. »Ist der Boden bei euch auch nass?«, rief er in die Dunkelheit hinein.
»Nein«, antwortete Mai Lyn.
»Nicht gut, gar nicht gut«, murmelte der alte Indianer. »Das bedeutet, dass die WEGA schon schief liegt. Und wenn sich ein Schiff erst mal auf die Seite legt ...« Er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Aber JoJo war klar, was Winnetou hatte sagen wollen. Vor Angst krampfte sich sein Magen zusammen. Zum Glück war es nicht die Lunge. Die hielt immer noch still. Trotzdem sprühte er sich eine Dosis Asthmamittel in den Mund. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste.
»Und jetzt?«, fragte Mai Lyn. Ihre Stimme zitterte. Das passierte nicht oft. Normalerweise war das Mädchen mutiger als jeder Junge, vielleicht mit Ausnahme von Murat und Jimmi. »Hat einer einen Vorschlag? Wenn wir hier unten nicht rauskommen, müssen wir ertrinken!«
»Nur die Ruhe, Deern«, unterbrach Winnetou sie. »Das Wasser steigt langsam. Sehr langsam. Vielleicht lassen uns die da oben ja auch wieder frei.«
Wie aufs Stichwort wurde in diesem Moment die Luke des Laderaums aufgeklappt. Gleißend helles Tageslicht fiel herein und zwang die fünf Gefangenen, die Augen zu schließen. Als sie sie vorsichtig öffneten, sahen sie, wie die stählerne Leiter heruntergelassen wurde. Dann war es wieder still, auch das Summen des schwarzen Klotzes in der Mitte des Raums hatte aufgehört.
JoJo schaute auf seine Armbanduhr. Sie zeigte kurz nach fünf. Seitdem sie das Deck der WEGA betreten hatten, war kaum eine Stunde vergangen. Ihm war es wie eine Ewigkeit vorgekommen.
Mai Lyn setzte ihren Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter. »Dann mal los!«, kommandierte sie. Als die anderen zögerten, fragte sie: »Oder wollt ihr lieber hier unten bleiben und ersaufen?«
»Vielleicht ist es ein Trick«, gab JoJo zu bedenken. »Vielleicht werfen sie uns über Bord, sobald wir alle an Deck sind!«
»Was hätten sie davon?« Mai Lyns Stimme zitterte nun nicht mehr. »Kommt schon! Wir müssen verschwinden!«
Was auch immer die Kinder an Deck erwartet hatten - die Kakamura-Zwillinge, Piraten mit goldenen Ringen in den Ohrläppchen und schartigen Messern zwischen den Zähnen, kleine grüne Marsmännchen, einen Haufen klapperdürrer Gespenster oder einfach ganz normale Seeleute -, nichts davon bekamen sie zu Gesicht. Das Deck war vollständig leer, abgesehen von ein paar Pfützen, in denen sich Meerwasser gesammelt hatte. Eine Scheibe des Steuerhauses hatte während des Sturms einen Riss erhalten, die Reling war auf einer Länge von etwa fünf Metern ein Opfer der Wellen geworden. Außerdem hatte die wütende See an einigen Stellen die nur nachlässig aufgebrachte rote Farbe abgerissen. Darunter kamen rostig braune Eisenplatten zum Vorschein.
Am Horizont glaubte JoJo einen Streifen Land zu erkennen. Doch es konnte sich auch genauso gut um eine schmale dunkle Wolke handeln. Die weißen Schaumkronen tanzten im Licht der Sonne, die von einem strahlend blauen Himmel herunterbrannte. Die Wellen schlugen immer noch hoch.
»Haltet euch um Gottes willen bloß gut an der Reling fest«, sagte Winnetou. »Die Haie warten bloß darauf, dass ihr sie besuchen kommt!«
»Haie? Hier?«, rief Mai Lyn und lachte. Dabei war ihr eigentlich gar nicht zum Lachen zu-
mute. »Wissen Sie, wo wir sind?«, fragte sie den alten Indianer.
Der schüttelte den Kopf. »Wenn man we nigs tens den Hamburger Michel sehen könnte«, murmelte er. »Oder die Ladekräne im Containerhafen. Oder die Kirchen von Stade. Oder irgendeine verdammte Leuchtboje. Nee, Deern, ich hab keinen Schimmer. Ich weiß nur, dass wir schon ziemlich weit draußen sein müssen.«
»Auf dem Schiff ist niemand mehr«, stellte Murat fest. »Vielleicht hat Mai Lyn ja mit ihren Geistern doch recht.«
»Hat sie nicht!«, rief JoJo. »Nur Babys glauben an Geister!«
»Nicht nur Babys«, murmelte der alte Indianer. Dann schimpfte er plötzlich los: »Es gibt nicht mal ein Rettungsboot! Verbrecher sind das! Da soll doch gleich der Klabautermann dreinschlagen!«
»Ich will jetzt sofort wissen, wie es weitergeht«, sagte Mai Lyn.
Als die anderen schwiegen, rief sie: »Gut, dann springe ich über Bord! So weit weg von Hamburg können wir ja nun nicht sein!«
»Du bleibst brav hier, Deern.« Winnetou hielt sie am Arm fest. Obwohl er über 80 war, gab es aus seinem Griff kein Entkommen. »Solange der Pott nicht schneller Wasser fasst, sind wir sicher. Die Nordsee ist verdammt kalt, auch im Sommer. Bestimmt kommt bald ein Schiff vorbei, das uns an Bord nehmen kann. Wir müssen irgendwo in der Elbmündung sein. Bis zur offenen See haben wir es bestimmt nicht geschafft. Dann hätte die WEGA fliegen müssen.«
1. Auflage 2010
© 2010 cbj Verlag, München
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Autoren-Porträt von Jürgen Banscherus
Jürgen Banscherus, geb. 1949, arbeitete nach geistes- und sozialwissenschaftlichem Studium als Journalist, Lektor und Dozent in der Erwachsenenbildung. Er ist Mitglied im PEN und Vorsitzender der Jury beim Bundesentscheid des Vorlesewettbewerbs. Seit mehr als 20 Jahren schreibt er erfolgreich für Kinder und Jugendliche. Seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet und sind in 21 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau und seiner Familie im Ruhrgebiet. 2010 wurde Jürgen Banscherus mit dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jürgen Banscherus
- Altersempfehlung: 8 - 10 Jahre
- 2010, 112 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 16 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570135799
- ISBN-13: 9783570135792
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