Johannes Paul II
Seine Biografie lüftet so manches...
Seine Biografie lüftet so manches Geheimnis um den Heiligen Vater.
'"Andreas Englisch ist ein erstklassiger Reporter, der den Papst aus nächster Nähe beobachtet."
New York Times
Johannes Paul II. von Andreas Englisch
LESEPROBE
IM POOL DES PAPSTES
Es war ein seltsamesGefühl, als ich zum ersten Mal den vatikanischen Pressesaal am Petersdombetrat, um mich als Reporter im Gefolge des Papstes akkreditieren zu lassen.Die Presseabteilung des Kirchenstaates sah wie eine Behörde aus. Ich hatte denEindruck, Gott wäre unter den Papierbergen des Büros begraben worden. Währendder ersten Mittwochs-Audienzen, zu denen ich nach meiner Aufnahme in denPresseclub Zugang hatte, sah ich das, was ich erwartet hatte: Einen schlanken,athletischen, energischen Papst, der mit fester Stimme sprach und von einerunkritischen Masse bejubelt wurde. Da war er also, der Mann, der den antikenrömischen Titel für religiöse Führer tragen durfte: »Pontifex«, also»Brückenmacher« zwischen zwei Welten. Offiziell trägt ein Papst neun Titel:Bischof von Rom, Vikar Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Pontifex(Papst) der Universalen Kirche, Patriarch des Westens, Primat Italiens,Erzbischof und Metropolit der Provinz Rom, Oberhaupt des Staats derVatikanstadt, Diener der Diener Gottes. Ich fand, das waren ein paar Titel zuviel. Die Menschen hielten ihre Rosenkränze hoch, damit der Papst sie segnenkonnte. Mir kam das Ganze lächerlich vor. Ich verstand auch nicht, wie es sovielen Polen gelingen konnte, durch den eisernen Vorhang zu schlüpfen und anden Audienzen teilzunehmen. Damals wusste ich noch nicht, dass die Stadt mitder größten polnischstämmigen Bevölkerung nicht Warschau, sondern Chicago ist.
Erst Monate nach derersten Generalaudienz wurde ich zum ersten so genannten »Bibliothekspool«meines Lebens eingeteilt. Irgendein deutscher Ministerpräsident durfte JohannesPaul II. treffen, und ich sollte darüber berichten. Damals stand die Tür zu denpäpstlichen Gemächern noch weit auf: Sportler und Künstler, Parlamentarier undVereinspräsidenten wurden von Johannes Paul II. empfangen. Erst seit dem Jahr2000 gewährt der Papst nur noch hohen Volksvertretern Privataudienzen.
Mehr als 100internationale Journalisten sind am Vatikan akkreditiert und haben ein Rechtdarauf, hautnah an Ereignissen teilzunehmen. Sinn einer Privataudienz isthingegen die private Atmosphäre des Treffens. Da man nicht hundert Reporter vordie Bibliothek stellen kann, in der die Vier-Augen-Gespräche stattfinden, wählendie Journalisten für die Audienztermine in der Bibliothek zwei Repräsentantenals »Pool« aus, die tatsächlich am Ereignis teilnehmen und sich verpflichten,den Kollegen hinterher detailliert das Geschehen zu schildern.
Es war ein Gefühl, wiein eine andere, geheimnisvolle Welt zu tauchen, als ich zum ersten Mal denvatikanischen Palast betrat, vorbei an den salutierenden Schweizergardistendurch die Bronzepforte Portone di bronzoschritt und über die blank gewienerten Böden spazierte. Eine Ordensschwester,die für den Pressesaal arbeitet, begleitete uns. Es gehört zu ihren Aufgaben,Journalisten durch den vatikanischen Palast zu schleusen. Im Jargon heißt dieNonne deshalb »Pool-Pilot«. Erstmals stieg ich die Treppe zur Bibliothekhinauf. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich später diesen Weg gegangen bin, aberbeim ersten Mal schritt ich staunend durch die bunt ausgemalten Säle, vorbei anden Kammerherren, die den hohen Gast erwarteten, zum Vorzimmer der Bibliothek.Dort steht der Thron des Papstes, und andere Päpste haben ihn tatsächlichbenutzt: Es ist ein mit Goldlack verzierter, pompöser Sessel. WirPool-Journalisten mussten hinter einem roten Seil warten. Dann ging irgendwanndie Tür auf, und Papst Johannes Paul II. kam heraus.
Er war kleiner als icherwartet hatte und sah nicht so schmal aus wie auf Entfernung oder imFernsehen. Ich kann ihn damals kaum mehr als eine Viertelstunde gesehen haben,aber es kam mir viel länger vor. Ich weiß noch ganz genau, was ich damalsdachte: Ich hatte erwartet, eine Majestät anzutreffen. Aber Karol Wojtyla hattenichts Majestätisches, keine Spur von herablassender Güte an sich. ImGegenteil. Er wirkte auf mich, als wäre es ihm ein wenig peinlich, dass er derPapst ist. Damals wandte sich Johannes Paul II. plötzlich von seinem SekretärDon Stanislaw Dziwisz ab und sprach mich an.Wahrscheinlich hatte Don Dziwisz ihm zugeflüstert,dass ich neu war im vatikanischen Pressesaal.
»Sie sind ausDeutschland? Woher kommen Sie genau?« fragte JohannesPaul II. »Diözese Paderborn, interessant. Sie sind gerade in Rom angekommen?Herzlich willkommen!«, sagte er und gab mir die Hand.Ich kam nicht darauf, das zu tun, was gläubige Katholiken in so einemAugenblick zu tun pflegen: Auf die Knie zu fallen und seinen Ring zu küssen.Nicht nur, weil mir diese Geste der Unterwürfigkeit zuwider gewesen wäre. Esgab noch einen anderen Grund: Johannes Paul II. begrüßte mich so zurückhaltend,als käme gleich noch ein anderer, der richtige Papst, und als sei er nur KarolWojtyla aus Wadowice. Aber sein Händedruck warkräftig und passte zu seinen ausgeprägt breiten Schultern. Ich erinnere michnoch daran, dass ich damals dachte, dieser Mann sähe im Gewand des Papstes wieein verkleideter Holzfäller aus. Der Weg durch die Flure des gewaltigen vatikanischenPalastes bereitet Besucher darauf vor, einen Herrscher zutreffen. PapstJohannes Paul II. wirkte dagegen wie ein Gemeindepfarrer, der lieber unterfreiem Himmel zeltet und Rucksäcke mit Proviant schleppt, als in einem Palasteinem Kammerorchester zu lauschen. Noch etwas fiel mir gleich an diesem Tagmeiner ersten Begegnung auf: Der Papst war in Eile. Als der Gast damals endlichkam, sah ich zum ersten Mal das Ritual des handshakingfür die Fotografen. Der Papst gab dem Gast im Blitzgewitter die Hand, und icherkannte, dass ihm die Sache lästig war. Aber nicht, weil die Fotografen dabeiwaren. Er wollte ganz offensichtlich keine Zeit verschwenden. Er wollte zurSache kommen. Ich sah, was ich später bei Hunderten anderer Gelegenheitenbeobachtete: Der Papst rieb sich nervös die Hände, weil er endlich anfangenwollte, weil das Gespräch endlich beginnen sollte. Er ist damals noch ein Manngewesen, der bei allem, was er tat, schon an die nächste Aufgabe dachte.
Johannes Paul II.sprach fließend Deutsch mit seinem Gast aus Deutschland. Ich weiß noch genau,wie sehr ich mich wunderte. Denn er sprach es nicht wie andere Menschen, diezeigen wollen, wie gut sie Fremdsprachen beherrschen. Er sprach es auf eineeinfache, bescheidene Weise, so als wolle er es seinem Gast leichter machen,sich wohl zu fühlen. Dann schloss sich die Tür hinter den beiden. Mein Kollegeund ich mussten mit dem Sekretär draußen bleiben. Immerhin hatte ich zum erstenMal mit eigenen Augen den Schreibtisch der Päpste erblicken können, auf dem ineinem Glasröhrchen ein Knochensplitter des heiligen Petrus liegt, der auf dieseWeise symbolisch bei allen wichtigen Entscheidungen präsent ist.
Die Ordensschwestererklärte uns, dass wir nun in einem kleinen Kämmerchen nebenan warten mussten.Die Anwesenheit von Journalisten während des Vier-Augen-Gesprächs ist nichterlaubt, aber wenn der Gast sich verabschiedet und Geschenke ausgetauschtwerden, sollen die Reporter an der Zeremonie teilnehmen. Damals, während jenesersten Pools, rauchte ich noch, und ich erinnere mich, wie überrascht ich war,als der persönliche Fotograf des Papstes, Arturo Man, ein Fenster öffnete undmir eine Zigarette anbot. Ich hatte nicht erwartet, dass es so ungezwungenzugehen würde. Mit uns wartete auch ein freundlicher alter Herr darauf, dassdas Gespräch zu Ende ging: Angelo Gugel, der Kammerdiener des Papstes. Er hieltein silbernes Tablett mit den weißen Schächtelchen in der Hand, in denen dieMedaillen stecken, die jeder Besucher als Andenken an die Papstaudienz mit nachHause nehmen darf. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich später den Austausch vonGeschenken beobachtet habe. Moslemische Gäste brachten vorzugsweise Schwerterund Dolche mit, Besucher aus Polen am liebsten Bilder der Schwarzen Madonna vonTschenstochau, amerikanische Gläubige fast immerMosaiken. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi kam mit einemKarabiner, der einmal der Schweizergarde gehört hatte. Dieser erste Austauschder Geschenke war für mich hochinteressant, aber meine grundsätzliche Meinungüber den Papst hatte sich nicht geändert: Ich hielt ihn noch immer für einenMann, der die Botschaft Jesus von Nazareths nicht umsetzte. Mein Urteil hattesich nur in einem Punkt gewandelt: Johannes Paul II. war kein übermächtigesGespenst mehr im weit entfernten Vatikan. Er war ein Mensch understaunlicherweise einer, der sich klein machte.
© Ullstein Verlag
- Autor: Andreas Englisch
- 2003, 382 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: ULLSTEIN BUCHVERLAGE GMBH
- ISBN-10: 3550075766
- ISBN-13: 9783550075766
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