Käse
Frans Laarmans ist bescheidener Bürogangestellter auf einer Antwerpener Schiffswerft. Als er eines Tages zum Vertreter einer holländischen Käsehandelsgesellschaft ernannt wird, verantwortlich...
Frans Laarmans ist bescheidener Bürogangestellter auf einer Antwerpener Schiffswerft. Als er eines Tages zum Vertreter einer holländischen Käsehandelsgesellschaft ernannt wird, verantwortlich für die Gebiete Belgien und Großherzogtum Luxemburg, ist er überwältigt von seinem sozialen Aufstieg. Er lässt sich bei der Werft krankschreiben, richtet zu Hause ein Büro ein und bestellt zehntausend Edamer, vollfett.
Doch das Leben als Geschäftsmann ist nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hat. Erst als die zwanzig Tonnen schwere Lieferung Käse im Lagerhaus liegt, Kiste über Kiste, dämmert es ihm. Und als sein Vorgesetzter, der brüske Herr Hornstra, seinen Besuch ankündigt, um die ersten Rechnungen zu begleichen, gerät Frans Laarmans in Panik.
Doch das Leben als Geschäftsmann ist nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hat. Erst als die zwanzig Tonnen schwere Lieferung Käse im Lagerhaus liegt, Kiste über Kiste, dämmert es ihm. Und als sein Vorgesetzter, der brüske Herr Hornstra, seinen Besuch ankündigt, um die ersten Rechnungen zu begleichen, gerät Frans Laarmans in Panik.
Käse von Willem Elsschot
LESEPROBE
In der Straßenbahn, auf dem Nachhauseweg, fühlte ich mich schon wie ein ganzanderer Mensch. Du weißt, dass ich auf die fünfzig zugehe, unddreißig Jahre Dienstbeflissenheit haben mir natürlich ihren Stempel aufgedrückt.
Büroschreiber sind bescheiden, viel bescheidener als Arbeiter, die sich durchAufsässigkeit und ihre Einigkeit etwas Achtung ertrotzt haben. Man sagt sogar,dass sie in Russland die Herren geworden sind. Wenn es stimmt, haben sie esverdient, so finde ich. Sie scheinen es übrigens mit ihrem Blute erkauft zuhaben. Doch Büroschreiber sind im Allgemeinen wenig spezialisiert und ähnelnsich so sehr, dass sogar ein Mann mit langjähriger Erfahrung bei der erstbestenGelegenheit einen Tritt in seinen fünfzigjährigen treuen Hintern kriegt unddurch einen andern ersetzt wird, der genauso gut und billiger ist.
Da ich das weiß und Kinder habe, vermeide ich es sorgfältig, mit Unbekannten inStreit zu geraten, denn es können Freunde meines Chefs sein. Ich lasse michalso in der Straßenbahn herumschubsen und reagiere nicht allzu heftig, wenn mirjemand auf die Zehen tritt.
Aber an diesem Abend war mir alles egal. Der Käsetraum würde doch in Erfüllunggehen? Ich spürte, dass meine Augen bereits einen festeren Blick aussandten,und steckte die Hände mit einer Lässigkeit in die Hosentaschen, die mir einehalbe Stunde zuvor noch vollkommen fremd gewesen war.
Zu Hause angekommen, setzte ich mich ganz normal an den Tisch, speiste, ohneein Wort über die neuen Möglichkeiten, die sich mir eröffneten, zu verlieren,und musste innerlich lachen, als ich sah, wie meine Frau mit ihrer gewohntenSparsamkeit die Butter schmierte und das Brot schnitt. Nun ja, sie konnte nichtvermuten, dass sie morgen vielleicht die Frau eines Kaufmanns sein würde.
Ich aß wie immer, nicht mehr und nicht weniger, nicht hastiger und nichtlangsamer. Mit einem Wort, ich aß wie einer, der sich damit abfindet, dass sichseine jahrelange Knechtschaft bei der General Marine and ShipbuildingCompany um eine unbestimmte Anzahl von Jahren verlängern würde.
Und doch fragte meine Frau, was denn los sei.
»Was sollte denn los sein?«
Und dann begann ich, die Hausaufgaben meiner Kinder nachzusehen. Ichentdeckte einen groben Fehler in einem Partizip Perfekt und verbesserte ihn soschwungvoll und freundlich, dass mein Sohn überrascht aufblickte.
»Was schaust du so, Jan?«
»Ich weiß nicht.«
Er schien mir also auch schon etwas anzumerken. Dabei habe ich immer gedacht,dass ich meine Gefühle meisterhaft verbergen könne. Das muss ich versuchen zulernen, denn im Handel ist es sicher von Nutzen. Und wenn mein Gesichttatsächlich so ein offenes Buch ist, dann muss während des »journalparlé« manchmal Mord und Totschlag darin zu lesensei.
Ich finde, dass das Ehebett der geeignetste Ort ist,um ernste Angelegenheiten zu besprechen. Dort ist man wenigstens allein mitseiner Frau. Die Decken dämpfen die Stimmen, die Dunkelheit befördert dasNachdenken, und weil man sich nicht sehen kann, wird keiner von beiden durchdie Empfindung der Gegenpartei beeinflusst. Dort wird alles mitgeteilt, was mansich mit offenem Visier nicht zu sagen getraut, und dort war es denn auch, woich, bequem auf der rechten Seite liegend, meiner Frau nach einem einleitendenSchweigen sagte, dass ich Kaufmann werden würde.
Da sie seit Jahren nur unbedeutende Geheimnisse zu hören bekommen hat, ließ siees mich wiederholen und wartete auf eine nähere Erläuterung, die ich ihr inruhigen, klaren, man könnte schon sagen »geschäftlichen«.
Meine Frau hörte aufmerksam zu, denn sie blieb so still liegen wie eine Maus,ohne sich zu räuspern oder umzudrehen. Und da ich schwieg, fragte sie, was ichzu tun beabsichtige und ob ich dann meine Stelle bei der General Marine and Shipbuilding Company aufgeben würde.
»Ja, das werde ich wohl müssen. Irgendwo Büroschreiber sein und außerdem nochauf eigene Rechnung arbeiten, das geht schließlich nicht. Hier gilts, sich mannhaft zu entscheiden.«
»Und abends?«
»Abends ist es dunkel.«
Das hatte gesessen, denn das Bett knarrte, und meine Frau drehte sich um, alshätte sie beschlossen, mich an meinen kaufmännischen Plänen ersticken zulassen. Ich musste mich also selbst aus der Affäre ziehen.
»Was abends?«
»Abends die Geschäfte betreiben. Was sind das für Geschäfte?«
Nun musste ich wohl gestehen, dass es um Käse ging. Es ist merkwürdig, aber fürmich hat dieser Artikel etwas Ekel Erregendes und Lächerliches. Es wäre mirlieber gewesen, wenn ich mit etwas anderem hätte handeln dürfen, zum Beispielmit Blumenzwiebeln oder Glühlampen, die doch auch typisch holländisch sind.Sogar Heringe, aber dann vorzugsweise trockene, hätte ich mit mehr Eiferverkauft als Käse. Aber die Firma jenseits des Moerdijkskonnte um meinetwillen ihren Betrieb nicht umstellen, das war mir schon klar.
»Ein komischer Artikel, findest du nicht?«
Aber meine Frau fand das überhaupt nicht. »Das geht immer«
Diese Ermunterung tat mir gut, und ich sagte, dass ich die General Marine and Shipbuilding Company schon morgen früh zum Teufel jagenwürde. Ich wolle aber doch noch eben ins Büro, um Abschied von meinen Kollegenzu nehmen.
»Aber frage doch zuerst einmal wegen dieser Vertretung an. Dann kannst du immernoch sehen, was zu tun bleibt. Du scheinst ja wie besessen zu sein.«
Dieses Letzte war sehr respektlos einem Geschäftsmann gegenüber, doch der Ratwar gut. Übrigens, ich hatte es zwar gesagt, aber deshalb hätte ich es dochnicht getan, musst du wissen. Wenn man Frau und Kinder hat, muss man doppeltvorsichtig sein.
Am nächsten Tag ging ich zu meinem Freund van Schoonbeke,um ihn um Namen und Adresse sowie um eine kurze Empfehlung zu bitten, und nocham selben Abend schrieb ich einen richtigen Geschäftsbrief nach Amsterdam,einen der besten Briefe, die ich je geschrieben habe. Ich brachte ihn selbstzur Post, denn so etwas darf man keinem Dritten anvertrauen, auch nicht deneigenen Kindern.
Die Antwort blieb nicht aus. Sie kam so schnell, dass ich erschrak, und zwar inForm eines Telegramms: Erwarten Sie morgen elf Uhr HauptniederlassungAmsterdam. Werden Reisekosten erstatten.«
Ich musste mir nun etwas überlegen, um morgen nicht ins Büro gehen zu müssen,und meine Frau schlug eine Beerdigung vor. Aber das gefiel mir nicht, weil icherst kürzlich, zum Begräbnis meiner Mutter, einen Tag zu Hause geblieben war.Doch für den erstbesten Cousin kann man doch schwerlich vom Büro wegbleiben,jedenfalls keinen ganzen Tag.
»Dann erzähl doch, dass du krank bist, du kannst es heute schon vorbereiten.Die Grippe geht um in der Stadt.«
Ich habe dann im Büro mit dem Kopf in den Händen herumgesessen, undmorgen gehe ich nach Amsterdam, um Bekanntschaft mit der Firma Hornstra zu machen.
© Unionsverlag
Übersetzung:Agnes Kalmann-Matter und GerdBusse
Autoren-Porträt von Willem Elsschot
Willem Elsschot (1882-1960) ist das Pseudonym von Alfons de Ridder. Er leitete eine Werbeagentur in Antwerpen undschrieb in seiner Freizeit höchst erfolgreiche Romane, ohne dass seine Familieetwas davon ahnte. Seine Romane sind Klassiker, die in den Niederlanden und inBelgien ungebrochene Popularität genießen und nichts von ihrer Frische undihrem Humor eingebüßt haben.
- Autor: Willem Elsschot
- 2004, 2, 141 Seiten, Maße: 12,2 x 19,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Kalmann-Matter, Agnes; Busse, Gerd
- Verlag: UNIONSVERLAG
- ISBN-10: 3293003311
- ISBN-13: 9783293003316
"Eine außergewöhnlich bewegende Tragikomödie." (Times Literary Supplement)
"Eine überraschend menschliche Farce über Ambitionen, die schief gehen und über Edamer, der verdirbt. Elsschot besitzt die seltene Gabe, den Leser zum Lachen zu bringen und zugleich Scham und Mitleid in ihm zu wecken." (New York Times Book Review)
"Wer mal so richtig lachen will beim Lesen, der sollte sich an diesemAuftritt des Edamers in der Weltliteratur versuchen."Elke Heidenreich in LESEN!
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