Kaum zu glauben - und doch nicht wahr
Bruno Jonas, ein quer und um die Ecke denkender Kabarettist, widmet sich einem Ur-Thema der Menschheit: dem Glauben. Dem Glauben an sich, an die Redlichkeit der Politiker, an die Macht der Liebe, an Hartz IV, an die Schönheit, wichtiger: an den Schönheitschirurgen, ans Nichts. Jeder Mensch glaubt, auch jener, der an nichts glaubt. Er glaubt nämlich an das Nichts. Das alles führt Jonas stringent aus, aber ob wir ihm glauben müssen, sei dahingestellt.
In seinem neuen Buch widmet Bruno Jonas sich einem der großen Themen der Menschheit, dem Glauben. Und gewinnt ihm neue Aspekte ab, bietet überraschende Erkenntnisse und dringt tief ein in eine schwer fassliche Materie.
Der Autor über sein Buch: "Zu Beginn wird die Frage stehen: Kann ich mir vertrauen? Und die Antwort wird lauten: nein. Doch diesem beinahe nihilistisch anmutenden NEIN wird sich ein starker Glaube entgegenstellen, der Glaube an das große JA. Wenn ich gutgläubig bin, und davon gehe ich aus, dann glaube ich erst mal alles, was man mir sagt, habe ich immer an alles geglaubt, was mir von klein auf eingetrichtert wurde - an Osterhase und Nikolaus, ans Christkind sowieso. In religiöser Hinsicht fährt man ohnehin besser, wenn man alles glaubt. Fängt man erst einmal an zu zweifeln, landet man gewöhnlich in Teufels Küche. Und damit kommt man notgedrungen im Zentrum des Glaubens an, beim Bösen, beim Glauben an den Teufel, an George W. Bush oder Osama bin Laden.
Für jeden kommt die Zeit, in der es schwer fällt, alles glauben zu können, aber leichter fällt einem das Leben, wenn man bedingungslos glaubt. Das bringt mich zur grundlegenden Frage: Unter welchen Bedingungen bin ich bereit zu glauben? Der Glaube ist nicht aus der Welt zu schaffen. Überall wird geglaubt, nicht nur im religiösen Bereich, auch in den exakten Naturwissenschaften. Das Universum dehnt sich aus und krümmt sich, in geschlossenen Räumen nimmt das Chaos mit steigenden
Kaum zu glauben - und dochnicht wahr von Bruno Jonas
LESEPROBE
Der Glaubean den Zweifel
Klaviermusik.Von oben? Oder von unten? In diesem Haus kann man nie sicher sein, woher dieMusik kommt. Vermutlich von oben. Ich kenne das Stück nicht. Vielleicht eineEigenkomposition von Andreas Rebers? Klingt nicht übel. Könnte eine Filmmusik sein.In mir gewinnt die Vorstellung, ich könnte mich momentan in einem Filmbefinden, die Oberhand. Ich habe die Hauptrolle. Logisch: Eine andere Rollekann ich mir in meinem Leben gar nicht vorstellen. Aber was ist das für einFilm? Es gibt so viele Handlungsstränge. Ein Vater/Tochter-Drama lässt sichnicht vermeiden. Die rot-grüne Regierung sorgt für Unterhaltung, ein Kardinal ausBayern wird Papst, und ein Mädchen aus Brandenburg überschätzt sich. Es istziemlich was los. Langweilig ist er nicht, der Streifen. Damit ist die Chancerelativ groß, dass es kein deutscher Film ist. Das Stimmungsbild allerdingsverweist eindeutig auf einen deutschen Spielort. Es ist trübe und grau draußen.Es regnet. Novemberwetter. Passt also in die Zeit, denn wir haben MitteNovember. Gut. Wenigstens von dieser Seite ist kein Widerspruch zu erwarten. Dasberuhigt. Im November hochsommerliche Temperaturen, das hatten wir auch schoneinmal, allerdings nicht in München. Wo war das noch mal? Teneriffa? Oder docheher irgendwo in Asien? Ich weiß es nicht. Ich sehe eine große Welle, die sichimmer weiter aufbaut zu einer Riesenwelle und auf den Strand zu rauscht. Binich in einem Film von Roland Emmerich? Träume ich, oder habe ich so etwasÄhnliches im Fernsehen gesehen? Kann sein, dass ich in meiner Erinnerungeiniges nicht mehr auseinander halten kann. Jetzt geht ein Mann im schwarzenRollkragenpullover und einem ungeheuren Verantwortungsgesicht in einen Raum, indem ein Krisenstab tagt. Der sieht aus wie Fischer, der Außenminister. Warumist der so dick? Der war doch immer ausgemergelt. Irgendetwas stimmt da nicht.Mit mir! Mit dem Außenminister ist alles in Ordnung. Hoffentlich. Ganz sicherkann ich mir da auch nicht sein, denn er schaut ein bisschen so aus, als würdees in seiner Umgebung schlecht riechen. Er sitzt jetzt an einem Tisch in einemUntersuchungsausschuss und sagt zwölf Stunden lang die Wahrheit. Er steht Redeund Antwort. Ich fange an mir Sorgen zu machen. Es verschiebt sich so viel. Ichleide unter Verschiebungen. Warum sagt der Fischer die Wahrheit, so knapp voreiner Wahl? Dass die ersten Nikoläuse Ende August ins Regal wandern, daran habeich mich gewöhnt. Und ebenso normal kommt es mir vor, dass die Osterhasenrelativ schnell nach Weihnachten aufmarschieren, aber dass der Außenministerdie Wahrheit sagt, daran kann ich mich nicht gewöhnen. Zwölf Stunden lang! ZweiStunden Lüge sind kurzweiliger. Oder übertreibe ich jetzt? Egal, immer öfter passtdie Zeit nicht zum Geschehen oder umgekehrt, die Inhalte passen nicht in dieZeit. Das sind die Momente, in denen ich Gefahr laufe, den Glauben an mich undmeine Wahrnehmung zu verlieren, weil ich das Gefühl habe, alles läuft verkehrt.Vielleicht liegt es auch daran, dass alles immer schneller läuft und dadurchdas Gefühl entsteht, alles passiert immer auf einmal. Eine Erklärung dafürkönnte sein, dass die Prozessoren in den Computern immer schneller werden. Wennes stimmt, dass wir nur so viel von der Welt behalten, wie wir uns merkenkönnen, dann könnte es sein, dass die immer schnellere Versorgung mit Datenunser Hirn überfordert, weil wir an der Peripherie nur suboptimal konfiguriertsind. Auf Deutsch, der Arbeitsspeicher in unserem Kopf ist zu klein, um dieQuantität der verdateten Welt verarbeiten zu können. Wir schaffen uns! » ichsah vier Engel stehen an den vier Ecken der Erde, die hielten die vier Windeder Erde fest, damit kein Wind über die Erde blase noch über das Meer noch überirgendeinen Baum.« Woher kommt das denn jetzt? Es stimmt etwas nicht mit mir. Seiteiniger Zeit schon registriere ich dieses Phänomen. Es steigen Sätze und Bilderaus den Tiefen meines Unterbewusstseins nach oben in die Bewusstseinsebene und treibendort still, manchmal auch laut, aber immer ziemlich auffällig herum und störendas Gesamtbild. Keine Angst, es ist halb so wild. Ich habe das im Griff.Außerdem hatte ich mit LSD nie etwas am Hut. Aber Sie sollten sich darauf einstellen,dass es in diesem Buch immer mal wieder zu seltsamen Assoziationsketten kommt,in denen Engel mit Posaunen, verirrte Lämmer, Frauen mit Schlangen, Prophetenin Walfischen und ausfahrende Dämonen eine wesentliche Rolle spielen. Es kommtganz einfach zu zeitlichen Verschiebungen. Geschichten meiner Vergangenheitschieben sich unaufhaltsam wie ein Gletscher in die Gegenwart. Und solange sichkein Gletscher aus der Zukunft, sozusagen von vorne, in mein Leben schiebt,will ich mich nicht beklagen. Komisch, jetzt scheint die Sonne. Wie passt denndas jetzt in den November? Die Menschen sehen aus, als hätten wir Mai. Sie gehenkurzärmelig. Eine dunkelhaarige Frau hält eine Rede, vor ihr sitzen ernstdreinschauende Männer, der Bundeskanzler, der Bundespräsident, wichtig, ganz wichtig,wichtiger geht s gar nicht mehr. Sie hält einen Zahn hoch und einen gelbenJudenstern. Was sagt sie? Sie möchte den Zahn und den Stern im Stelenfeldbeisetzen. Sie habe das versprochen. Tatsächlich. Das gibt Ärger mit demZentralrat der Juden in Deutschland. Die Eröffnung des Mahnmals für dieermordeten Juden Europas in Berlin war doch erst vor kurzem. Von meinem Gefühlher befinde ich mich immer noch im November letzten Jahres. Ich muss wirklichhöllisch aufpassen, die Abfolge der Zeiten zu beachten. Ganz klar, es istNovember, denn am Weißenburger Platz wird der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Dasist ein wichtiger Orientierungspunkt im Ablauf meines Jahres, genauso wie dasOktoberfest, das Erntedankfest, Weihnachten, Ostern, Pfingsten, dazwischen Aschermittwochund der Starkbieranstich auf dem Nockherberg, der zumindest in Bayern ein ganzwichtiger Tag ist, mindestens so bedeutend wie der Tag der Auferstehung desHerrn. Gott sei Dank haben wir das Kirchenjahr, mit dessen Hilfe wir derschnell fortlaufenden Zeit eine feste Struktur geben. Es beginnt mit demAdvent. Eine Wartezeit, habe ich gelernt. Die Christenheit erwartet die Ankunftdes Herrn, des Messias! Dieses Jahr erwartet die Christenheit am zweitenWeihnachtsfeiertag ein Tsunami, aber da sie das noch nicht weiß, steht sie frohund munter am Glühweinstand und hofft auf weiße Weihnachten. Es regnet inStrömen. Es wird eine Welle der Nächstenliebe geben, die sich gewaschen hat.Rosi und ich haben auch gespendet. Aber das konnten wir zu diesem Zeitpunktdoch noch gar nicht wissen. »Sieh, es wird der Herr sich nahen und mit ihm derheiligen Schar und ein Licht voll Herrlichkeit wird erstrahlen in Ewigkeit.« Eine Liedzeile. »Tauet Himmel den Gerechten, Wolkenregnet ihn herab!« Sie belächeln mich, wenn ich mit meinem kleinenWeihrauchfass durch die Wohnung streife, um mit himmlischem Wohlgeruch dieDämonen in Schach zu halten. Wahrscheinlich gibt es keine. Mein Freund Dr.Peter Vaitl, der Psychiater, erzählte mir, dass er hie und da mit einem Mann zutun habe, der mit dem Teufel rede. Ich sagte, aha, das glaube ich sofort. Einesist sicher, ich habe zurzeit keine Lust, mit dem Teufel zu reden. Und Weihrauchkann er überhaupt nicht vertragen, der Satan. Sollen sie ruhig über michlachen. Ich steh da drüber. Kein Mensch hält mich davon ab, in den Raunächtenzwischen Weihnachten und Heilig Drei König Weihrauch in alle Ecken des Hausesvom Dach bis zum Keller zu tragen. Und nicht zu knapp. Es darf schon einbisschen mehr sein. Ich gehe dabei sehr gewissenhaft vor. Wird nichthinterfragt. Muss einfach sein! Punkt und Amen. Ich habe diesen Brauch von derniederbayerischen Oma übernommen, die den geweihten Rauch auf einerKohlenschaufel entzündete und alle Räume damit besuchte. »Und ich sah einenEngel vom Himmel herabfahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und einegroße Kette in seiner Hand.« Es klingelt an der Wohnungstür. Es wird doch nichtder Engel mit dem Schlüssel zum Abgrund sein? Ich öffne. Der Postbote fragt, obich ein Päckchen für die Nachbarn annehmen kann. Das kann ich. Ich bin froh,dass es nicht zwei Zeugen Jehovas sind, die mich in ein Bibelgesprächverwickeln wollen. Auf die muss man immer gefasst sein. (...)
© KarlBlessing Verlag
- Autor: Bruno Jonas
- 2005, 1, 284 Seiten, Maße: 14 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 3896672835
- ISBN-13: 9783896672834
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