Kindheit in Ostpreußen
Persönliche Erlebnisse und historische Fakten vereinen sich in den Kindheitserinnerungen von Marion Gräfin Dönhoff zu einem ihrer schönsten Bücher. Unsentimental und ohne peinliche Verklärung beschreibt sie den Kosmos eines großen Adelssitzes inmitten der...
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Persönliche Erlebnisse und historische Fakten vereinen sich in den Kindheitserinnerungen von Marion Gräfin Dönhoff zu einem ihrer schönsten Bücher. Unsentimental und ohne peinliche Verklärung beschreibt sie den Kosmos eines großen Adelssitzes inmitten der ostpreußischen Landschaft, in der ihre Familie seit Jahrhunderten zu Hause war. Dabei beschwört sie ihre Heimat als etwas in der Erinnerung Haftendes, in der Realität aber unwiederbringlich Verlorenes.
Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) wurde in Ostpreußen als jüngstes von sieben Kindern geboren. Sie gilt als eine der wichtigsten Journalistinnen der Nachkriegszeit und wurde u.a. mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Kindheit in Ostpreußen von Marion GräfinDönhoff
LESEPROBE
Friedrichstein
DIE KINDER meines gefallenen Brudershatten ein Spielerfunden, dessen Stichwort lautete: »Wie viele Händedrücke bistdu entfernt von ... ?« Dann mußteman den Namen irgendeines bekannten, wenn möglich berühmten Menschen nennen,der in - vorzugsweise historisch - weiter Ferne gelebt hatte. Ich war in derLage, alle anderen Spieler aus dem Felde zuschlagen, weil mein Vatervierundsechzig Jahre alt war, als ich geboren wurde, und dessen Vater beiseiner Geburt achtundvierzig. Mit anderen Worten, das Geburtsjahr meinesGroßvaters war das Jahr 1797, was für den spezifischen Zweck unseresGesellschaftsspiels natürlich große Vorteile mit sich brachte.
Er, der Großvater, war Diplomatgewesen, kurze Zeit einmal auch Außenminister, ein weltläufiger, gebildeterMann, mit den Künstlern und Wissenschaftlern seiner Zeit gut bekannt, so dagich unschwer beweisen konnte, daß mich nur dreiHändedrücke von Humboldt, Schadow, Rauch oder Goethe trennten.
Vielleicht ist mir erst durch diesesSpiel, das die eigene Geschichte so augenfällig deutlich macht, bewußt geworden, wie weit zurück meine unmittelbare, michbestimmende Vergangenheit reicht. Übrigens nicht nur in schlichter Distanz, sondernauch hinsichtlich der soziologischen und kulturellen Urschichten, bis zu denensie zurückgeht. Die Ausläufer des Anclen Rigime berührten gerade noch die Schwelle meiner Kinderstube,denn im Grunde war Deutschland bis zum Ende des Ersten Weltkrieges - damals warich noch nicht zehn Jahre alt - eine halb-feudale Gesellschaft.
Dies läßtsich schon an dem Einfluß ablesen, über den der Adelin der Verwaltung und der militärischen Hierarchie damals noch verfügte: BeiAusbruch des Ersten Weltkriegeswaren alle Kommandeure der achtzehn preußischenund deutschen Armeekorps Adlige. Noch gegen Ende der Monarchie waren von dendreizehn Oberpräsidenten der preußischen Provinzen - also den höchstenVerwaltungsbeamten - elf adelig. Alle Botschafter - es gab damals nur neun, dennnur in den wichtigsten Staaten war das Deutsche Reich durch Botschaftervertreten - gehörten dem Adel an' und von den achtunddreißig Gesandten, die dieWilhelmstraße in den kleineren Ländern repräsentierten, waren nur vierbürgerlich. Einer von ihnen war Ulrich Rauscher, Chef der diplomatischenVertretung in Warschau. Ein Onkel von mir war ihm1922 als Legationsratzugeteilt, und ich erinnere mich, dass ernsthaft diskutiert wurde, ob dieser,nicht dem Adel angehörende Gesandte wirklich in der Lage wäre, alle Nuancen diesesMetiers, einschließlich Tradition, Stil und Takt, voll zu beherrschen. Mansieht, es sind immer die von Interessenten bewußt oderunbewußt geschaffenen Vorurteile, die dasVorstellungsvermögen der Menschen beherrschen. So hätte sich bis zum Beweis desGegenteils zu jener Zeit auch niemand vorstellen können, daßJuden eines Tages glänzende Soldaten und vorzügliche Bauern sein würden. Essind eben nicht die Fakten, die in der Geschichte entscheidend sind, sonderndie Vorstellungen, die sich die Menschen von den Fakten machen. Meine älterenGeschwister waren bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges schon in denkendem Alter,sie waren darum für mich eine Art Bindeglied vom »früher« zur neuen Zeit. Die neueZeit, meine Zeit, begann also mit dem Ende der Monarchie und dem beginnendendemokratischen Zeitalter. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg - auch wenn sienoch nicht fern war - kannte ich nur aus Erzählungen. Besonders plastisch wurdesie mir durch einen Absatz, den ich in den Jugenderinnerungen Otto von Hentigs fand. Der Diplomat Otto von Hentig,berühmt durch seine abenteuerliche »Reise ins verschlossene Land«, die er 1915im Auftrag des Auswärtigen Amts nach Afghanistan unternahm, ist der Vater desbekannten Pädagogen Hartmut von Hentig. Ottovon Hentig, geboren 1886,beschreibt in seinen Erinnerungen einen Besuch der Familie Hentigin meinem Vaterhaus Friedrichstein: »Es war wohl im Sommer 1902, als wir zumzweiten Maldas damals noch in größtem Stil geführte Schloß besuchten. In Königsberg holteuns ein Rappen-Viererzug ab und ein ihn begleitender Gepäckwagen. Die Elternbekamen wieder die Königstuben, also die Räume, die für die preußischen Könige bestimmtwaren, wenn sie Ostpreußen besuchten. In ihnen hatten schon Friedrich Wilhelm1., dann der Alte Fritz und Friedrich Wilhelm 11. und IV. gewohnt. Uns Kindernwaren die dazugehörigen hinteren Räume angewiesen.
Unmittelbar, nachdem Graf August dieMorgenandacht mit etwa zwanzig zum Teil sehr anziehenden jungen, sämtlich rosauniformierten Hausmädchen sowie dem ersten, zweiten und dritten Dienerabgehalten hatte, kam auf einer riesigen Silberplatte das exzellente Frühstück.
© Siedler Verlag
- Autor: Marion Gräfin Dönhoff
- 2006, 173 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Spiegel-Verlag
- ISBN-10: 3877630081
- ISBN-13: 9783877630082
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