Kleine Geschichte der mittelalterlichen Philosophie
Heiter, leichtfüßig und mit aufklärerischem Biss- so begeistert der Neapolitaner Luciano De Crescenzo seit vielen Jahren seine Leser. Seit seinen Bestsellern "Also sprach Bellavista" und"Geschichte der griechischen Philosophie" beweist er immer wieder, dass...
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Klappentext zu „Kleine Geschichte der mittelalterlichen Philosophie “
Heiter, leichtfüßig und mit aufklärerischem Biss- so begeistert der Neapolitaner Luciano De Crescenzo seit vielen Jahren seine Leser. Seit seinen Bestsellern "Also sprach Bellavista" und"Geschichte der griechischen Philosophie" beweist er immer wieder, dass Philosophie keine trockene Lesekost für lebensfremde Professoren sein muss. De Crescenzo serviert fröhliche Wissenschaft für alle: 18 Millionen Leser in 26 Ländern haben bislang entdeckt, wie aktuell und unterhaltsam die "alten" Denker sein können. Auch seine "Kleine Geschichte der mittelalterlichen Philosophie" war bei ihrem Erscheinen in Italien sofort das Medienereignis. Die mehr als tausend Jahre umspannende Epoche des Mittelalters ist eine Zeit voller aufregender Ideen, in der mutige Denker sich den Widersprüchen ihrer Welt stellten. Der innere Kampf zwischen Glauben und Zweifeln greift tief in die Persönlichkeiten und Lebenswege der Menschen ein, große Gefühle wie etwa die Liebe von Abelard und Eloise werden zur Grundlage intimer Bekenntnisse und philosophischer Betrachtungen.Luciano De Crescenzo erzählt unter anderem die spannende Lebensgeschichte des Augustinus, enthüllt den gedanklichen Sprengstoff, den die Thesen der Scholastiker enthalten und veranschaulicht eine Philosophie, die sich aus dem Denken aller Weltreligionen und der antiken Klassiker nährt und die gerade in Zeiten des Umbruchs und der Neuorientierung bestechend moderne Gedanken aufgreift.Lese-Probe zu „Kleine Geschichte der mittelalterlichen Philosophie “
Zweifel und GlaubeWenn man von den "finsteren Jahrhunderten" des Mittelalters spricht, kommen mir unweigerlich zwei Fragen in den Sinn: Wann haben sie begonnen, und wer hat eigentlich damals das Licht ausgeschaltet? Was den Beginn des Mittelalters betrifft, würde ich ihn auf 312 n.Chr. datieren, auf jenes Jahr also, als Kaiser Konstantin vor der Schlacht gegen Maxentius eine Stimme vernahm, die ihm dazu riet, die Schilde seiner Legionäre mit dem christlichen Kreuz zu versehen. Manche behaupten, diese Stimme habe ihn aus den himmlischen Höhen erreicht, andere glauben, es sei seine Mutter gewesen, die, hinter einem Vorhang versteckt, für die religiösen Inputs sorgte. Hinsichtlich des Lichts hingegen, habe ich keine Zweifel: Es war einzig und allein die Kirche, die es löschte. Doch bevor ich mir alle Gläubigen, einschließlich meiner Familie, zu Feinden mache, möchte ich erst einmal genauer erklären, was ich unter Philosophie verstehe.
Die Philosophie ist eine Art zu denken, wenn nicht gar zu leben, die zwischen der Naturwissenschaft und der Religion angesiedelt ist. Auf Erden gibt es Dinge, die man weiß, und Dinge, die man nicht weiß, dafür aber glaubt. Erstere zählen zum Bereich der Naturwissenschaft (wie zum Beispiel die Tatsache, dass Wasser bei hundert Grad kocht), Letztere zur Religion (wie etwa das Jenseits mit all seinen Unterteilungen, die uns Dante beschrieben hat). Schließlich gibt es aber noch jene Dinge, die man nicht weiß, aber auch nicht glaubt (wie etwa das "Sein", über das seit Parmenides' Zeiten die Gelehrten unablässig debattieren und streiten) - und diese Dinge sind es, die die Philosophie ausmachen.
Schauen wir uns zunächst einmal die Lage vor der Ausbreitung des Christentums an. Die Wissenschaft funktionierte noch unabhängig von theologischen Schulen, und die Religion saß noch nicht so fest im Sattel, dass sie den Laien Angst gemacht hätte. Ein jeder konnte sich den Gott aussuchen, der ihm am meisten zusagte, und niemand zwang einem mit
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Gewalt einen anderen auf. Symbol dieses weiten Spektrums verschiedenster Glaubensbekenntnisse war das Pantheon, ein Bauwerk, das Kaiser Hadrian um 120 n.Chr. anstelle eines von Marcus Agrippa hundertfünfzig Jahre zuvor gestifteten Tempels errichten ließ. Das Pantheon stand allen Menschen offen, und jeder konnte dort beten, so oft und so lange er Lust hatte. So lautete Hadrians Botschaft an die "Nicht-EU-Bürger" jener Zeit: "Ihr glaubt an euren eigenen Gott und wollt ihn verehren? No problem. Sucht euch ein Eckchen im Pantheon und betet zu ihm, wie und so lange es euch gefällt. Nur um eins bitte ich euch: Seht zu, dass ihr die anderen nicht stört." Für diese Einstellung sprach auch schon der Name des Bauwerks, Pantheon vom griechischen Pantheion, was so viel wie "Gesamtheit der Götter" bedeutet. Tja, toleranter hätte Hadrian nun wirklich nicht mehr sein können. Und in diesem Zusammenhang hören wir mal, was Voltaire, der Meister dieser Tugend, im achten Kapitel seiner Abhandlung über die Religionsduldung sagt:
Unter den Menschen des antiken Rom, von Romulus an bis zum Aufkommen des Christentums, wird man keinen Einzigen finden, der seiner religiösen Anschauungen wegenverfolgt wurde. Cicero zweifelte unablässig, Lukretius verneinte alles, und weder der eine noch der andere wurden mit dem geringsten Tadel bedacht. Die Freiheit ging so weit, dass Plinius zu Beginn seiner Naturgeschichte die Existenz Gottes abstreiten und behaupten konnte, wenn es einen Gott gebe, dann handle es sich dabei um die Sonne. Und Cicero schrieb hinsichtlich der Hölle: "Es findet sich kein altes Weiblein mehr, das so töricht wäre, daran zu glauben."
Und Seneca behauptet in seinen Troades: "Post mortem nihil est" - "Nach dem Tod ist nur das Nichts."
Dann jedoch begann der Siegeszug der großen monotheistischen Religionen, also des Christentums und des Islam (zuvor auch schon des Judentums), und die Toleranz und mit ihr die Philosophie mussten die Segel streichen.
Drei Grundsätze sind zu beachten, wenn man beschließt, wie ein Philosoph zu leben, und die wären: aporeín, epoché und apátheia, also der "Zweifel", die "Aussetzung des Urteils" und die "Loslösung von den Leidenschaften". Bei mir selbst sieht das zum Beispiel folgendermaßen aus: Bittet mich jemand um meine Meinung, antworte ich zunächst einmal gar nicht, dann mache ich den ersten Anlauf und murmle etwas von "vielleicht ... könnte sein ...", und zum Schluss sage ich genau das, was ich wirklich denke, wobei ich mich bemühe, allein durch meinen Verstand zu dem Urteil zu finden. Dieses Zweifeln war es nun, das die Männer des Glaubens mehr als alles andere störte. Denn es ist weniger der Atheist, der dem Klerus Sorgen bereitet, als vielmehr ein Mensch, der sich unablässig Fragen stellt.
Auch eine Folge der Ausbreitung des neuen Glaubens war das Verschwinden phallischer Amulette. In römischer Zeit war nämlich das "Schwänzchen", ein Tongegenstand in Form eines Phallus, der verbreitetste Glücksbringer. Noch heute sind in Pompeji und Herculaneum rechts oben an den Hauseingängen kleine Phalli als Zeichen der Fruchtbarkeit zu sehen. Als sich dann das Christentum durchsetzte, wurden diese phallischen Glücksbringer verboten, und um zu überleben, mussten die armen Amulettverkäufer ihre Phalli immer weiter abstrahieren, bis aus ihnen das neue Symbol der Hörner geworden war.
Mit der Etablierung des Christentums im Rom des 4. Jahrhunderts kam es von Anfang an zur frontalen Auseinandersetzung zwischen Glauben und Zweifel und als direkter Folge zur Diktatur der neuen Religion. Doch bevor wir nun alles über einen Kamm scheren, sollten wir doch anerkennen, dass das Christentum zu jener Zeit zumindest drei Heilige mit Mumm in den Knochen, Verzeihung, ich meine von außerordentlicher Intelligenz, hervorgebracht hat. Den heiligen Augustinus, den heiligen Ambrosius und den heiligen Hieronymus. Doch obwohl das christliche Mittelalter mit diesem respektablen Trio seinen Ausgang nahm, errichtete es sein Gebäude mehr noch auf dem Fundament eines heidnischen Philosophen, nämlich Plotins.
Wer war Plotin? In erster Linie ein fanatischer Anhänger Platons. Und zwar dermaßen fanatisch, dass er Kaiser Gallienus die Gründung einer Stadt mit dem Namen Platonopolis in der Nähe von Caserta vorschlug, deren Bewohner allesamt nach den platonischen oder besser neuplatonischen Ideen leben sollten.
Fünfzig Jahre lang verzichtete Plotin darauf, auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen. Dann eines Tages, fast urplötzlich, kam es über ihn, und er arbeitete das gesamte Material aus, das sein Schüler Porphyrios dann in sechs Bänden zu je neun Gruppen, den so genannten Enneaden (von griechisch ennéa, neun) ordnete, in denen der Reihenfolge nach die Themen Ethik, Physik, Zeit, Seele, Intellekt und Sein abgehandelt werden. Tatsächlich beziehen sich die ersten Denker des Mittelalters alle in irgendeiner Weise auf Plotin und den Neuplatonismus. Plotin war so etwas wie das Bindeglied zwischen der antiken und der mittelalterlichen Philosophie, wobei er seinen Werken noch ein Brise von Mystizismus und der Gedankenwelt orientalischer Religionen hinzufügte. Der heilige Augustinus schreibt über ihn: "Man ändere lediglich einige Worte in seinen Schriften, und wir haben den vollkommenen Christen vor uns."
Kommen wir nun zu Jesus. Aus der Perspektive der Hauptstadt des römischen Weltreichs hatte alles, was mit ihm geschah, zunächst keinerlei Bedeutung. Hätte es damals schon Zeitungen gegeben, wäre seine Kreuzigung, wenn überhaupt, nur unter "Vermischtes" auf der letzten Seite gelandet. Propheten, die ergriffen und gekreuzigt wurden, gab es mehr als genug, und Kaiser Tiberius, der damals herrschte, kannte sicher noch nicht mal ihre Namen. Für ihn war Jesus' Martyrium nicht mehr als ein kleiner Zwischenfall an der östlichen Peripherie seines Reichs. Und religiöse Sekten gab es in so großer Zahl, dass ihm eine mehr oder weniger gewiss keine schlaflosen Nächte bereitete. Das Christentum aber konnte sich in ungeheurem Maße ausbreiten und wurde endgültig anerkannt, als sich Kaiser Konstantin auf dem Sterbelager taufen ließ. Die Historiker wissen zu berichten, der Kaiser habe noch, kurz bevor er starb, zu dem Priester, der die Taufe vornahm, gesagt: "Hoffentlich irre ich mich nicht." Aber trotz dieser Zweifel wäre es nicht richtig von einem "philosophischen Glauben" zu sprechen, zumal dieser Ausdruck bereits einen Widerspruch in sich darstellt.
Alle Religionen entstehen aus einem natürlichen Bedürfnis des Menschen, nämlich jenem, nach dem Tod nicht für immer von der Bildfläche zu verschwinden. Also ließ man sich die unsterbliche Seele und das Jenseits einfallen. Ob der Schöpfer nun Gott, Allah oder Jahve heißt, ist nicht von Belang. "Lebe gemäß den Grundsätzen deiner Religion, und eines Tages wirst du belohnt werden", sagen die Priester zum Gläubigen und erinnern ihn sogleich daran, dass das wahre Leben nicht jenes ist, das er im Moment lebt, sondern das kommende, das er einmal nach seinem Tod leben wird. In dieser Überzeugung kann der Gläubige alles hinnehmen, auch ein Martyrium. Manche, die es übertreiben, werden zu Selbstmordattentätern und rasen gegen das World Trade Center, andere benutzen das religiöse Grundbedürfnis der Menschen, um an die Macht zu gelangen. Auf die eine wie auf die andere Weise wird so aus dem religiösen ein politisches Phänomen. Es ist ganz unnötig zu erklären, das Abendland sei entwickelter als die islamischen Länder, wie es kürzlich erst unser Ministerpräsident getan hat. Er hätte sich mit der Feststellung begnügen können, dass Mohammedaner in der Regel religiöser sind als Christen, und niemand wäre beleidigt gewesen.
In der Auseinandersetzung zwischen Zweifel und Glauben bin ich ein Fan des Zweifels. Als junger Erwachsener schon ersetzte ich das Verb "glauben" durch das Verb "hoffen" und das Verb "nicht glauben" durch das Verb "fürchten". Mit anderen Worten, ich hoffe, dass es "danach" noch etwas gibt. Und das hoffe ich weniger für mich, als vielmehr für meine Mutter. Schließlich hat die gute Frau ihr ganzes Leben lang gebetet, hat jeden Morgen die Messe besucht und in dreiundachtzig Jahren nicht die kleinste Sünde begangen. Es gab nur einen Mann in ihrem Leben, meinen Vater, und ein Schimpfwort hat man nie von ihr gehört. Wenn Papa einen Fluch andeutete, fiel sie ihm, sobald ihm nur ein "verdammt ..." über die Lippen kam, sofort ins Wort und rückte die Sache mit einem "gepriesen sei er in alle Ewigkeit" wieder gerade. Daher hoffe ich nun, dass sie, oben im Himmel angekommen, das Paradies so vorgefunden hat, wie sie es sich immer gewünscht hatte, mit Petrus vor dem großen Tor, der sie mit den Schlüsseln in Händen empfängt, und der ganzen Schar ihrer Lieblingsheiligen, die sie freudestrahlend umringen. Aber man stelle sich nur ihre Enttäuschung vor, sollte sie statt des lieben Gottes einen rothäutigen Manitu mit einer Feder im Haar angetroffen haben!
Unter den Menschen des antiken Rom, von Romulus an bis zum Aufkommen des Christentums, wird man keinen Einzigen finden, der seiner religiösen Anschauungen wegenverfolgt wurde. Cicero zweifelte unablässig, Lukretius verneinte alles, und weder der eine noch der andere wurden mit dem geringsten Tadel bedacht. Die Freiheit ging so weit, dass Plinius zu Beginn seiner Naturgeschichte die Existenz Gottes abstreiten und behaupten konnte, wenn es einen Gott gebe, dann handle es sich dabei um die Sonne. Und Cicero schrieb hinsichtlich der Hölle: "Es findet sich kein altes Weiblein mehr, das so töricht wäre, daran zu glauben."
Und Seneca behauptet in seinen Troades: "Post mortem nihil est" - "Nach dem Tod ist nur das Nichts."
Dann jedoch begann der Siegeszug der großen monotheistischen Religionen, also des Christentums und des Islam (zuvor auch schon des Judentums), und die Toleranz und mit ihr die Philosophie mussten die Segel streichen.
Drei Grundsätze sind zu beachten, wenn man beschließt, wie ein Philosoph zu leben, und die wären: aporeín, epoché und apátheia, also der "Zweifel", die "Aussetzung des Urteils" und die "Loslösung von den Leidenschaften". Bei mir selbst sieht das zum Beispiel folgendermaßen aus: Bittet mich jemand um meine Meinung, antworte ich zunächst einmal gar nicht, dann mache ich den ersten Anlauf und murmle etwas von "vielleicht ... könnte sein ...", und zum Schluss sage ich genau das, was ich wirklich denke, wobei ich mich bemühe, allein durch meinen Verstand zu dem Urteil zu finden. Dieses Zweifeln war es nun, das die Männer des Glaubens mehr als alles andere störte. Denn es ist weniger der Atheist, der dem Klerus Sorgen bereitet, als vielmehr ein Mensch, der sich unablässig Fragen stellt.
Auch eine Folge der Ausbreitung des neuen Glaubens war das Verschwinden phallischer Amulette. In römischer Zeit war nämlich das "Schwänzchen", ein Tongegenstand in Form eines Phallus, der verbreitetste Glücksbringer. Noch heute sind in Pompeji und Herculaneum rechts oben an den Hauseingängen kleine Phalli als Zeichen der Fruchtbarkeit zu sehen. Als sich dann das Christentum durchsetzte, wurden diese phallischen Glücksbringer verboten, und um zu überleben, mussten die armen Amulettverkäufer ihre Phalli immer weiter abstrahieren, bis aus ihnen das neue Symbol der Hörner geworden war.
Mit der Etablierung des Christentums im Rom des 4. Jahrhunderts kam es von Anfang an zur frontalen Auseinandersetzung zwischen Glauben und Zweifel und als direkter Folge zur Diktatur der neuen Religion. Doch bevor wir nun alles über einen Kamm scheren, sollten wir doch anerkennen, dass das Christentum zu jener Zeit zumindest drei Heilige mit Mumm in den Knochen, Verzeihung, ich meine von außerordentlicher Intelligenz, hervorgebracht hat. Den heiligen Augustinus, den heiligen Ambrosius und den heiligen Hieronymus. Doch obwohl das christliche Mittelalter mit diesem respektablen Trio seinen Ausgang nahm, errichtete es sein Gebäude mehr noch auf dem Fundament eines heidnischen Philosophen, nämlich Plotins.
Wer war Plotin? In erster Linie ein fanatischer Anhänger Platons. Und zwar dermaßen fanatisch, dass er Kaiser Gallienus die Gründung einer Stadt mit dem Namen Platonopolis in der Nähe von Caserta vorschlug, deren Bewohner allesamt nach den platonischen oder besser neuplatonischen Ideen leben sollten.
Fünfzig Jahre lang verzichtete Plotin darauf, auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen. Dann eines Tages, fast urplötzlich, kam es über ihn, und er arbeitete das gesamte Material aus, das sein Schüler Porphyrios dann in sechs Bänden zu je neun Gruppen, den so genannten Enneaden (von griechisch ennéa, neun) ordnete, in denen der Reihenfolge nach die Themen Ethik, Physik, Zeit, Seele, Intellekt und Sein abgehandelt werden. Tatsächlich beziehen sich die ersten Denker des Mittelalters alle in irgendeiner Weise auf Plotin und den Neuplatonismus. Plotin war so etwas wie das Bindeglied zwischen der antiken und der mittelalterlichen Philosophie, wobei er seinen Werken noch ein Brise von Mystizismus und der Gedankenwelt orientalischer Religionen hinzufügte. Der heilige Augustinus schreibt über ihn: "Man ändere lediglich einige Worte in seinen Schriften, und wir haben den vollkommenen Christen vor uns."
Kommen wir nun zu Jesus. Aus der Perspektive der Hauptstadt des römischen Weltreichs hatte alles, was mit ihm geschah, zunächst keinerlei Bedeutung. Hätte es damals schon Zeitungen gegeben, wäre seine Kreuzigung, wenn überhaupt, nur unter "Vermischtes" auf der letzten Seite gelandet. Propheten, die ergriffen und gekreuzigt wurden, gab es mehr als genug, und Kaiser Tiberius, der damals herrschte, kannte sicher noch nicht mal ihre Namen. Für ihn war Jesus' Martyrium nicht mehr als ein kleiner Zwischenfall an der östlichen Peripherie seines Reichs. Und religiöse Sekten gab es in so großer Zahl, dass ihm eine mehr oder weniger gewiss keine schlaflosen Nächte bereitete. Das Christentum aber konnte sich in ungeheurem Maße ausbreiten und wurde endgültig anerkannt, als sich Kaiser Konstantin auf dem Sterbelager taufen ließ. Die Historiker wissen zu berichten, der Kaiser habe noch, kurz bevor er starb, zu dem Priester, der die Taufe vornahm, gesagt: "Hoffentlich irre ich mich nicht." Aber trotz dieser Zweifel wäre es nicht richtig von einem "philosophischen Glauben" zu sprechen, zumal dieser Ausdruck bereits einen Widerspruch in sich darstellt.
Alle Religionen entstehen aus einem natürlichen Bedürfnis des Menschen, nämlich jenem, nach dem Tod nicht für immer von der Bildfläche zu verschwinden. Also ließ man sich die unsterbliche Seele und das Jenseits einfallen. Ob der Schöpfer nun Gott, Allah oder Jahve heißt, ist nicht von Belang. "Lebe gemäß den Grundsätzen deiner Religion, und eines Tages wirst du belohnt werden", sagen die Priester zum Gläubigen und erinnern ihn sogleich daran, dass das wahre Leben nicht jenes ist, das er im Moment lebt, sondern das kommende, das er einmal nach seinem Tod leben wird. In dieser Überzeugung kann der Gläubige alles hinnehmen, auch ein Martyrium. Manche, die es übertreiben, werden zu Selbstmordattentätern und rasen gegen das World Trade Center, andere benutzen das religiöse Grundbedürfnis der Menschen, um an die Macht zu gelangen. Auf die eine wie auf die andere Weise wird so aus dem religiösen ein politisches Phänomen. Es ist ganz unnötig zu erklären, das Abendland sei entwickelter als die islamischen Länder, wie es kürzlich erst unser Ministerpräsident getan hat. Er hätte sich mit der Feststellung begnügen können, dass Mohammedaner in der Regel religiöser sind als Christen, und niemand wäre beleidigt gewesen.
In der Auseinandersetzung zwischen Zweifel und Glauben bin ich ein Fan des Zweifels. Als junger Erwachsener schon ersetzte ich das Verb "glauben" durch das Verb "hoffen" und das Verb "nicht glauben" durch das Verb "fürchten". Mit anderen Worten, ich hoffe, dass es "danach" noch etwas gibt. Und das hoffe ich weniger für mich, als vielmehr für meine Mutter. Schließlich hat die gute Frau ihr ganzes Leben lang gebetet, hat jeden Morgen die Messe besucht und in dreiundachtzig Jahren nicht die kleinste Sünde begangen. Es gab nur einen Mann in ihrem Leben, meinen Vater, und ein Schimpfwort hat man nie von ihr gehört. Wenn Papa einen Fluch andeutete, fiel sie ihm, sobald ihm nur ein "verdammt ..." über die Lippen kam, sofort ins Wort und rückte die Sache mit einem "gepriesen sei er in alle Ewigkeit" wieder gerade. Daher hoffe ich nun, dass sie, oben im Himmel angekommen, das Paradies so vorgefunden hat, wie sie es sich immer gewünscht hatte, mit Petrus vor dem großen Tor, der sie mit den Schlüsseln in Händen empfängt, und der ganzen Schar ihrer Lieblingsheiligen, die sie freudestrahlend umringen. Aber man stelle sich nur ihre Enttäuschung vor, sollte sie statt des lieben Gottes einen rothäutigen Manitu mit einer Feder im Haar angetroffen haben!
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Autoren-Porträt von Luciano De Crescenzo
Autoren-Porträt von Luciano DeCrescenzo
Luciano DeCrescenzo wurde 1928in Neapel geboren. Er arbeitete als Ingenieur bei IBM, bevor er seineLiebe zur Philosophie und sein schriftstellerisches Talent entdeckte. Stetsverbindet er in seinen Büchern philosophische und literarische Themen mit derspeziellen Lebensart der Menschen in seiner Heimatstadt. Seine bisher 26 Bücherwurden allesamt internationale Bestseller.
Bibliographische Angaben
- Autor: Luciano De Crescenzo
- 2003, 205 Seiten, Maße: 22,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaus
- ISBN-10: 3813502147
- ISBN-13: 9783813502145
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