Allerheiligen / Kommissar Bernward Bd.1
Kriminalroman
Ein gefährlicher Geiselnehmer taucht ausgerechnet im beschaulichen Landshut unter. Da hat Hauptkommissar Bernward ein dickes Problem an der Backe. Zumal es auch privat grad' nicht so gut läuft: Sein Vater nervt, die Geliebte hält ihn kurz.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Allerheiligen / Kommissar Bernward Bd.1 “
Ein gefährlicher Geiselnehmer taucht ausgerechnet im beschaulichen Landshut unter. Da hat Hauptkommissar Bernward ein dickes Problem an der Backe. Zumal es auch privat grad' nicht so gut läuft: Sein Vater nervt, die Geliebte hält ihn kurz.
Klappentext zu „Allerheiligen / Kommissar Bernward Bd.1 “
Sakrisch guad: Mord und Totschlag in Landshut
Da legst di nieder! Ein gefährlicher Geiselnehmer im idyllischen Landshut? Auch das noch. Kommissar Peter Bernward ist genervt: Sein Vater plagt ihn mit Vorträgen über Ahnenforschung. Die attraktive Kommissarin Flora Sander lässt ihn ständig abblitzen. Und jetzt behindern die arroganten Kollegen aus München auch noch seine Ermittlungen. Aber so leicht lässt sich ein niederbayerischer Dickschädel nicht von einer heißen Spur abbringen - und dann wird's gefährlich ...
Lese-Probe zu „Allerheiligen / Kommissar Bernward Bd.1 “
Allerheiligen von Richard DübellSamstagabend
7. Juli
PROLOG
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Der kleine Junge stand zu Füßen der Landshuter Martinskirche und starrte mit aufgerissenem Mund nach oben.
Er hätte längst im Bett sein müssen, aber es war ein herrlich warmer Sommerabend, und seine Eltern hatten offensichtlich gedacht, dass ein Treffen mit Freunden gegenüber der Martinskirche und ein spätes Schokoladeneis für den Junior dessen Erziehung nicht über die Maßen beeinträchtigen konnten.
Das Schokoladeneis in der Hand des Jungen war vergessen. Es tropfte aus der Waffeltüte und zwischen seinen Fingern hindurch auf den Boden. Der Schokoladenbart um seinen Mund trocknete ein.
Um ihn herum bewegte sich das sommerabendliche Leben in der Landshuter Innenstadt - hauptsächlich in der breiten, von gotischen Bürgerhäusern geschmückten Altstadt und rund um den Martinsturm. Der fünfhundert Jahre alte Turm war das Wahrzeichen der Stadt, ein Fixpunkt für die Blicke, die Gedanken und die Herzen der Landshuter. Der Turm war einzigartig; auf der ganzen Welt gab es keinen höheren aus Backstein gefertigten Kirchturm als ihn. Er war so gebaut, dass er eigentlich längst hätte umfallen müssen. Doch er stand immer noch. Scheinwerfer von den Hausdächern gegenüber rissen seine Form aus der nächtlichen Dunkelheit und ließen ihn noch höher, noch mächtiger, noch phantastischer aussehen.
Normalerweise blieb immer jemand stehen und blickte dorthin, wo schon ein anderer wie hypnotisiert hinstarrte. Aber der Abend war so lau und die Atmosphäre so ausgelassen, dass keiner auf den kleinen Jungen mit seinem tropfenden Eis aufmerksam wurde.
Schließlich fiel er seiner Mutter auf. Sie stand vom Kaffeehaustisch auf, trat zu ihm, lächelte ihn an und fragte: »Na, was siehst du denn da oben? Die Turmfalken?«
Der Junge hob eine Hand, deutete nach oben.
Sie folgte seinem Fingerzeig und begann zu schreien.
Donnerstagnacht
18. Juli
1.
Kommissar Robert Kalp von der Münchner Kripo hörte den Schuss zweimal - einmal gedämpft aus dem Haus, von dem er keine hundert Meter entfernt hinter einem Streifenwagen kauerte, und einmal aus dem Handy, mit dem der Leiter des Einsatzkommandos mit dem Geiselnehmer in Verbindung stand. Dem Schuss war keine Warnung vorausgegangen. Das Telefon hatte geklingelt, der SEK- Beamte hatte den grünen Knopf gedrückt, sie alle hatten über Lautsprecher die Stimme gehört, die gebettelt hatte: »Nein, bitte nicht!«, und die so schrill vor Panik gewesen war, dass man nicht unterscheiden konnte, ob sie männlich oder weiblich war ... Dann der Knall des Schusses - und danach Stille.
Kalp hatte so wie jeder der Zuhörer mit angehaltenem Atem gewartet, dass man das Flehen wieder hören würde, dass alles nur ein Bluff des Geiselnehmers gewesen war. Aber das Einzige, was nach langen, langen Sekunden gekommen war, war der elektronische Ton, der anzeigte, dass der Gesprächspartner die Verbindung beendet hatte. Das Flehen und der doppelte Knall des Schusses schienen in der Abendluft nachzuhallen. Robert wollte den Kopf heben und stellte fest, dass er dem SEK-Mann nicht in die Augen sehen konnte.
Sie kauerten immer noch so nebeneinander, der SEK- Beamte mit seinem schwarzen Einsatzanzug und Robert in seinen zivilen Klamotten, als Harald Sander eintraf.
»Wie ist die Lage?«, fragte er.
Kriminaloberrat Harald Sander war seit einem halben Jahr Roberts Vorgesetzter. Sie hatten getan, was man als Polizist tut, um sich als Kollegen näherzukommen. Sie hatten ihre Fitness miteinander gemessen, hatten an der Torwand, am Basketballkorb und am Kickerkasten konkurriert, waren auf die Schießbahn gegangen, hatten sich total betrunken und waren einmal zusammen mit ihren Freundinnen abends essen gegangen. Unter den Mitarbeitern des Sondereinsatzteams, dessen Leiter Harald war, galten sie als dicke Kumpel. Hätte man Robert jedoch gefragt, was für ein Mensch sein Teamleiter sei, hätte er keine Antwort gefunden. Er war Polizist genug, um zu erkennen, dass Harald ihm und der Welt eine Fassade zeigte; er war aber nicht Psychologe genug, um mit Sicherheit sagen zu können, ob hinter der Fassade irgendetwas steckte und, wenn ja, was.
Robert schielte auf das Handy in der Faust des SEK-Beamten, dann sagte er kaum hörbar und konnte es plötzlich selbst nicht glauben: »Wir haben eine Geisel verloren, Chef.«
»Den Juwelier, seine Frau oder die Tochter?«
»Wir wissen es nicht, Chef.«
Harald Sander musterte das in grelles Scheinwerferlicht gehüllte Haus. Die Zufahrt war mit hellem Stein gepflastert, das Dach eine kühn geschwungene Kurve, die Garage und Wohngebäude miteinander verband, die Haustür allein so teuer wie Roberts ganze Zweizimmerwohnung, und drum herum ein sommergrüner Rasen, aus dem hohe alte Auwaldbäume ragten wie in einem Park. Es war ein Haus, das man sich leisten konnte, wenn man kein Polizeibeamter war. Es war ein Haus, in das der Tod eingezogen war, weil sie, die Polizeibeamten, einen Fehler gemacht hatten. Der Widerschein des Blaulichts flackerte über seine Wände.
»Wer hat Mist gebaut?«, fragte Harald.
»Es war die falsche Wagenfarbe«, sagte der SEK-Beamte dumpf. »Nur die um eine Nuance falsche Wagenfarbe.«
Harald bückte sich und nahm ihm das Handy ab, bevor der Beamte es in seiner Hand zerquetschen konnte. »Fangt mal von vorn an«, sagte er.
»Das Schwein hat einen Fluchtwagen verlangt«, sagte Robert. »Eine Corvette C6. Das ist so eine amerikanische Nuttentreiberkutsche ...«
»Ich kenne das Fahrzeug«, sagte Harald.
»In Le-Mans-Blau«, sagte der SEK-Beamte unvermittelt. »Keine andere Farbe, sonst würde er eine der Geiseln töten. Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, hier in München so eine Kiste aufzutreiben? In Grünwald stehen ein paar davon rum, aber auf den meisten klebt der Kuckuck, oder der Tank ist leer, weil die Besitzer kein Geld fürs Benzin haben. Oder sie rücken den Wagen nicht raus, nicht mal, wenn man mit einem Beschlagnahmebefehl ankommt.«
»Er spielt auf Zeit«, sagte Harald. »Und?«
»Kurz bevor Sie angekommen sind, haben wir ihm endlich eine Karre hingestellt.« Der Beamte wies auf die geduckte Silhouette eines Sportwagens, der keine fünfzig Schritte entfernt so vor dem Anwesen geparkt war, dass man sofort einsteigen und losfahren konnte. »Er beobachtet uns wahrscheinlich mit einem Fernglas, und über das Handy des Juweliers hält er Kontakt. Er sagte, es sei die falsche Farbe. Er habe Le-Mans-Blau verlangt. Das sei Jet- stream-Blau. Und dann ließ er uns über Handy mithören, wie ...« Der Polizist räusperte sich.
»Wie er eine der Geiseln erschoss«, sagte Harald ruhig. »Hab's schon mitgekriegt. Sie sind der Leiter des Sondereinsatzkommandos? Ich übernehme ab sofort. Mein Name ist ...«
»Ich weiß schon, wer Sie sind«, erklärte der SEK-Mann. Er stand auf und stapfte zu einem der anderen Streifenwagen, hinter dem einer seiner Männer mit seinem Gewehr auf das Haus zielte. »Die Bühne gehört Ihnen.«
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Harald.
Robert seufzte. Er verzichtete auf den Hinweis, dass es Polizisten gab, denen es auf den Magen schlug, wenn sie Zeugen eines kaltblütigen Mordes wurden. Eigentlich traf das auf so gut wie alle Polizisten zu. Harald Sander hatte noch nicht zu erkennen gegeben, ob er auch dazugehörte.
Harald sah sich um. »Die Journalisten sind weit weg hinter der Absperrung, und es gibt so gut wie keine Schaulustigen. Gut gemacht, Robert.«
»Nicht mein Verdienst. Das hier ist Bogenhausen, Chef. Da steht der Voyeur hinter der Maßgardine.« Robert musterte seinen Vorgesetzten.
Harald, der erneut das Haus betrachtet hatte, wandte sich ihm zu. Er grinste. »Blofeld hat einen Fehler gemacht«, sagte er. »Er hat sich in die Falle manövriert. Heute Abend schnappen wir uns den Kerl, Robert.«
Robert erwiderte nichts. Seit sechs Monaten jagten sie einen Verbrecher, der mit äußerster Rücksichtslosigkeit vorging und bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Bis jetzt hatte er sich ihrem Zugriff entziehen können. Seinetwegen war die SOKO »Wettin« gegründet worden, benannt nach wertvollen Dokumenten und Schmuck des ehemaligen sächsischen Fürstenhauses, die der Täter aus dem Museum in Wittenberg geraubt hatte. Der Raub war im Zuge einer Ausstellung geschehen. Ein Museumswächter war dabei getötet worden. Da die Ausstellung länderübergreifend zwischen Sachsen und Bayern konzipiert war, hatte man auch die SOKO länderübergreifend organisiert, und da auch in solchen Dingen derjenige das Sagen hatte, der das meiste Geld hatte, wurde die SOKO von einem bayerischen Polizisten geleitet: Kriminaloberrat Harald Sander. Der Verbrecher, den die SOKO jagte, hatte von einem Beamten den Spitznamen »Blofeld« bekommen, nach einem der Hauptbösewichte aus den James-Bond- Filmen, der so wie sein echtes Gegenstück die meiste Zeit wie ein nicht zu fassendes Phantom der Polizei eine lange Nase drehte. Die SOKO »Wettin« hatte den Namen übernommen. Er war willkommen gewesen; sie hatten keinen anderen.
»Wo sind die anderen vom Team?«, fragte Robert.
Harald zuckte mit den Schultern. »Wie viele müssen wir sein, um den Schweinehund auf Eis zu legen?«
Robert schaute seinen Chef zweifelnd an. Seiner Ansicht nach konnten es nicht genug Kollegen sein. Blofeld war ihnen immer eine Nasenlänge voraus gewesen. Und die Teamkollegen würden es gar nicht gut finden, dass Harald sie heute Abend außen vor ließ. Es war die Aufgabe des Chefs, seine Mitarbeiter zu alarmieren. Dennoch verfluchte Robert sich, dass er sich nicht darüber hinweggesetzt und wenigstens einen der anderen angerufen hatte, als ihn der Alarmruf wegen der Geiselnahme erreicht hatte. Wenn Blofeld ihnen heute entschlüpfte, würde das Team der Überzeugung sein, dass es dies hätte verhindern können, wenn es nur alarmiert worden wäre. Wenn sie Blofeld jedoch heute schnappten, würden alle annehmen, dass Harald sie nur deshalb nicht benachrichtigt hatte, weil er den Ruhm der Verhaftung ganz für sich allein wollte. Wie es auch ausging - das Team würde danach nicht mehr arbeitsfähig sein.
»Heute«, sagte Harald und schlug Robert auf die Schulter, »geht dieser ganze Mist zu Ende.«
Ein elektronischer Klingelton ließ sie zusammenzucken.
Harald starrte das Mobiltelefon in seiner Hand an. Roberts Mund wurde trocken. Harald räusperte sich und drückte auf die grüne Taste, doch bevor er etwas sagen konnte, schnarrte schon eine Stimme aus dem kleinen Lautsprecher.
»Hören Sie gut zu! Ich nehme das Fahrzeug. In ein paar Sekunden komme ich mit einer Geisel raus. Wenn das Auto nicht fahrtüchtig und vollgetankt ist, ist die Geisel tot. Wenn ich dahinterkomme, dass ihr mir irgendeinen Sender eingebaut habt, ist die Geisel tot. Wenn ich das Gefühl habe, dass mir ein Polizeifahrzeug zu nahe kommt, ist die Geisel tot.« Blofeld schwieg einen Augenblick. Harald holte Atem, doch da sprach der Geiselnehmer weiter. »Und wenn mir irgendwas anderes nicht passt, ist die Geisel auch tot. Strengen Sie sich an, Sie haben nur insgesamt drei Leben, die Sie verspielen können, und eines ist schon weg!«
»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen«, erwiderte Harald und ließ seine Stimme so hart klingen wie möglich. »Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin Kriminaloberrat Harald Sander - der, der Ihnen seit dem Frühjahr auf den Fersen ist, und der, der Sie heute Abend noch hochnehmen wird. Es liegt an Ihnen, wie wir Sie von hier wegbringen - auf eigenen Beinen oder im Leichenwagen. Bleiben Sie mit Ihrer Geisel, wo Sie sind, und hören Sie mir ...«
Robert stieß Harald in die Seite. Die Haustür des Anwesens öffnete sich einen Spalt.
»Ich hab Ihnen gerade gesagt, was Sie tun sollen ...«, begann Harald. Er unterbrach sich und lauschte. »Hallo?«, fragte er unwillkürlich.
»Aufgelegt?«, raunte Robert.
Harald nickte. »Scheißkerl. Dann eben auf die harte Tour.«
»Was macht er denn so lange?«, stieß der SEK-Beamte
© ullstein
Der kleine Junge stand zu Füßen der Landshuter Martinskirche und starrte mit aufgerissenem Mund nach oben.
Er hätte längst im Bett sein müssen, aber es war ein herrlich warmer Sommerabend, und seine Eltern hatten offensichtlich gedacht, dass ein Treffen mit Freunden gegenüber der Martinskirche und ein spätes Schokoladeneis für den Junior dessen Erziehung nicht über die Maßen beeinträchtigen konnten.
Das Schokoladeneis in der Hand des Jungen war vergessen. Es tropfte aus der Waffeltüte und zwischen seinen Fingern hindurch auf den Boden. Der Schokoladenbart um seinen Mund trocknete ein.
Um ihn herum bewegte sich das sommerabendliche Leben in der Landshuter Innenstadt - hauptsächlich in der breiten, von gotischen Bürgerhäusern geschmückten Altstadt und rund um den Martinsturm. Der fünfhundert Jahre alte Turm war das Wahrzeichen der Stadt, ein Fixpunkt für die Blicke, die Gedanken und die Herzen der Landshuter. Der Turm war einzigartig; auf der ganzen Welt gab es keinen höheren aus Backstein gefertigten Kirchturm als ihn. Er war so gebaut, dass er eigentlich längst hätte umfallen müssen. Doch er stand immer noch. Scheinwerfer von den Hausdächern gegenüber rissen seine Form aus der nächtlichen Dunkelheit und ließen ihn noch höher, noch mächtiger, noch phantastischer aussehen.
Normalerweise blieb immer jemand stehen und blickte dorthin, wo schon ein anderer wie hypnotisiert hinstarrte. Aber der Abend war so lau und die Atmosphäre so ausgelassen, dass keiner auf den kleinen Jungen mit seinem tropfenden Eis aufmerksam wurde.
Schließlich fiel er seiner Mutter auf. Sie stand vom Kaffeehaustisch auf, trat zu ihm, lächelte ihn an und fragte: »Na, was siehst du denn da oben? Die Turmfalken?«
Der Junge hob eine Hand, deutete nach oben.
Sie folgte seinem Fingerzeig und begann zu schreien.
Donnerstagnacht
18. Juli
1.
Kommissar Robert Kalp von der Münchner Kripo hörte den Schuss zweimal - einmal gedämpft aus dem Haus, von dem er keine hundert Meter entfernt hinter einem Streifenwagen kauerte, und einmal aus dem Handy, mit dem der Leiter des Einsatzkommandos mit dem Geiselnehmer in Verbindung stand. Dem Schuss war keine Warnung vorausgegangen. Das Telefon hatte geklingelt, der SEK- Beamte hatte den grünen Knopf gedrückt, sie alle hatten über Lautsprecher die Stimme gehört, die gebettelt hatte: »Nein, bitte nicht!«, und die so schrill vor Panik gewesen war, dass man nicht unterscheiden konnte, ob sie männlich oder weiblich war ... Dann der Knall des Schusses - und danach Stille.
Kalp hatte so wie jeder der Zuhörer mit angehaltenem Atem gewartet, dass man das Flehen wieder hören würde, dass alles nur ein Bluff des Geiselnehmers gewesen war. Aber das Einzige, was nach langen, langen Sekunden gekommen war, war der elektronische Ton, der anzeigte, dass der Gesprächspartner die Verbindung beendet hatte. Das Flehen und der doppelte Knall des Schusses schienen in der Abendluft nachzuhallen. Robert wollte den Kopf heben und stellte fest, dass er dem SEK-Mann nicht in die Augen sehen konnte.
Sie kauerten immer noch so nebeneinander, der SEK- Beamte mit seinem schwarzen Einsatzanzug und Robert in seinen zivilen Klamotten, als Harald Sander eintraf.
»Wie ist die Lage?«, fragte er.
Kriminaloberrat Harald Sander war seit einem halben Jahr Roberts Vorgesetzter. Sie hatten getan, was man als Polizist tut, um sich als Kollegen näherzukommen. Sie hatten ihre Fitness miteinander gemessen, hatten an der Torwand, am Basketballkorb und am Kickerkasten konkurriert, waren auf die Schießbahn gegangen, hatten sich total betrunken und waren einmal zusammen mit ihren Freundinnen abends essen gegangen. Unter den Mitarbeitern des Sondereinsatzteams, dessen Leiter Harald war, galten sie als dicke Kumpel. Hätte man Robert jedoch gefragt, was für ein Mensch sein Teamleiter sei, hätte er keine Antwort gefunden. Er war Polizist genug, um zu erkennen, dass Harald ihm und der Welt eine Fassade zeigte; er war aber nicht Psychologe genug, um mit Sicherheit sagen zu können, ob hinter der Fassade irgendetwas steckte und, wenn ja, was.
Robert schielte auf das Handy in der Faust des SEK-Beamten, dann sagte er kaum hörbar und konnte es plötzlich selbst nicht glauben: »Wir haben eine Geisel verloren, Chef.«
»Den Juwelier, seine Frau oder die Tochter?«
»Wir wissen es nicht, Chef.«
Harald Sander musterte das in grelles Scheinwerferlicht gehüllte Haus. Die Zufahrt war mit hellem Stein gepflastert, das Dach eine kühn geschwungene Kurve, die Garage und Wohngebäude miteinander verband, die Haustür allein so teuer wie Roberts ganze Zweizimmerwohnung, und drum herum ein sommergrüner Rasen, aus dem hohe alte Auwaldbäume ragten wie in einem Park. Es war ein Haus, das man sich leisten konnte, wenn man kein Polizeibeamter war. Es war ein Haus, in das der Tod eingezogen war, weil sie, die Polizeibeamten, einen Fehler gemacht hatten. Der Widerschein des Blaulichts flackerte über seine Wände.
»Wer hat Mist gebaut?«, fragte Harald.
»Es war die falsche Wagenfarbe«, sagte der SEK-Beamte dumpf. »Nur die um eine Nuance falsche Wagenfarbe.«
Harald bückte sich und nahm ihm das Handy ab, bevor der Beamte es in seiner Hand zerquetschen konnte. »Fangt mal von vorn an«, sagte er.
»Das Schwein hat einen Fluchtwagen verlangt«, sagte Robert. »Eine Corvette C6. Das ist so eine amerikanische Nuttentreiberkutsche ...«
»Ich kenne das Fahrzeug«, sagte Harald.
»In Le-Mans-Blau«, sagte der SEK-Beamte unvermittelt. »Keine andere Farbe, sonst würde er eine der Geiseln töten. Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, hier in München so eine Kiste aufzutreiben? In Grünwald stehen ein paar davon rum, aber auf den meisten klebt der Kuckuck, oder der Tank ist leer, weil die Besitzer kein Geld fürs Benzin haben. Oder sie rücken den Wagen nicht raus, nicht mal, wenn man mit einem Beschlagnahmebefehl ankommt.«
»Er spielt auf Zeit«, sagte Harald. »Und?«
»Kurz bevor Sie angekommen sind, haben wir ihm endlich eine Karre hingestellt.« Der Beamte wies auf die geduckte Silhouette eines Sportwagens, der keine fünfzig Schritte entfernt so vor dem Anwesen geparkt war, dass man sofort einsteigen und losfahren konnte. »Er beobachtet uns wahrscheinlich mit einem Fernglas, und über das Handy des Juweliers hält er Kontakt. Er sagte, es sei die falsche Farbe. Er habe Le-Mans-Blau verlangt. Das sei Jet- stream-Blau. Und dann ließ er uns über Handy mithören, wie ...« Der Polizist räusperte sich.
»Wie er eine der Geiseln erschoss«, sagte Harald ruhig. »Hab's schon mitgekriegt. Sie sind der Leiter des Sondereinsatzkommandos? Ich übernehme ab sofort. Mein Name ist ...«
»Ich weiß schon, wer Sie sind«, erklärte der SEK-Mann. Er stand auf und stapfte zu einem der anderen Streifenwagen, hinter dem einer seiner Männer mit seinem Gewehr auf das Haus zielte. »Die Bühne gehört Ihnen.«
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Harald.
Robert seufzte. Er verzichtete auf den Hinweis, dass es Polizisten gab, denen es auf den Magen schlug, wenn sie Zeugen eines kaltblütigen Mordes wurden. Eigentlich traf das auf so gut wie alle Polizisten zu. Harald Sander hatte noch nicht zu erkennen gegeben, ob er auch dazugehörte.
Harald sah sich um. »Die Journalisten sind weit weg hinter der Absperrung, und es gibt so gut wie keine Schaulustigen. Gut gemacht, Robert.«
»Nicht mein Verdienst. Das hier ist Bogenhausen, Chef. Da steht der Voyeur hinter der Maßgardine.« Robert musterte seinen Vorgesetzten.
Harald, der erneut das Haus betrachtet hatte, wandte sich ihm zu. Er grinste. »Blofeld hat einen Fehler gemacht«, sagte er. »Er hat sich in die Falle manövriert. Heute Abend schnappen wir uns den Kerl, Robert.«
Robert erwiderte nichts. Seit sechs Monaten jagten sie einen Verbrecher, der mit äußerster Rücksichtslosigkeit vorging und bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Bis jetzt hatte er sich ihrem Zugriff entziehen können. Seinetwegen war die SOKO »Wettin« gegründet worden, benannt nach wertvollen Dokumenten und Schmuck des ehemaligen sächsischen Fürstenhauses, die der Täter aus dem Museum in Wittenberg geraubt hatte. Der Raub war im Zuge einer Ausstellung geschehen. Ein Museumswächter war dabei getötet worden. Da die Ausstellung länderübergreifend zwischen Sachsen und Bayern konzipiert war, hatte man auch die SOKO länderübergreifend organisiert, und da auch in solchen Dingen derjenige das Sagen hatte, der das meiste Geld hatte, wurde die SOKO von einem bayerischen Polizisten geleitet: Kriminaloberrat Harald Sander. Der Verbrecher, den die SOKO jagte, hatte von einem Beamten den Spitznamen »Blofeld« bekommen, nach einem der Hauptbösewichte aus den James-Bond- Filmen, der so wie sein echtes Gegenstück die meiste Zeit wie ein nicht zu fassendes Phantom der Polizei eine lange Nase drehte. Die SOKO »Wettin« hatte den Namen übernommen. Er war willkommen gewesen; sie hatten keinen anderen.
»Wo sind die anderen vom Team?«, fragte Robert.
Harald zuckte mit den Schultern. »Wie viele müssen wir sein, um den Schweinehund auf Eis zu legen?«
Robert schaute seinen Chef zweifelnd an. Seiner Ansicht nach konnten es nicht genug Kollegen sein. Blofeld war ihnen immer eine Nasenlänge voraus gewesen. Und die Teamkollegen würden es gar nicht gut finden, dass Harald sie heute Abend außen vor ließ. Es war die Aufgabe des Chefs, seine Mitarbeiter zu alarmieren. Dennoch verfluchte Robert sich, dass er sich nicht darüber hinweggesetzt und wenigstens einen der anderen angerufen hatte, als ihn der Alarmruf wegen der Geiselnahme erreicht hatte. Wenn Blofeld ihnen heute entschlüpfte, würde das Team der Überzeugung sein, dass es dies hätte verhindern können, wenn es nur alarmiert worden wäre. Wenn sie Blofeld jedoch heute schnappten, würden alle annehmen, dass Harald sie nur deshalb nicht benachrichtigt hatte, weil er den Ruhm der Verhaftung ganz für sich allein wollte. Wie es auch ausging - das Team würde danach nicht mehr arbeitsfähig sein.
»Heute«, sagte Harald und schlug Robert auf die Schulter, »geht dieser ganze Mist zu Ende.«
Ein elektronischer Klingelton ließ sie zusammenzucken.
Harald starrte das Mobiltelefon in seiner Hand an. Roberts Mund wurde trocken. Harald räusperte sich und drückte auf die grüne Taste, doch bevor er etwas sagen konnte, schnarrte schon eine Stimme aus dem kleinen Lautsprecher.
»Hören Sie gut zu! Ich nehme das Fahrzeug. In ein paar Sekunden komme ich mit einer Geisel raus. Wenn das Auto nicht fahrtüchtig und vollgetankt ist, ist die Geisel tot. Wenn ich dahinterkomme, dass ihr mir irgendeinen Sender eingebaut habt, ist die Geisel tot. Wenn ich das Gefühl habe, dass mir ein Polizeifahrzeug zu nahe kommt, ist die Geisel tot.« Blofeld schwieg einen Augenblick. Harald holte Atem, doch da sprach der Geiselnehmer weiter. »Und wenn mir irgendwas anderes nicht passt, ist die Geisel auch tot. Strengen Sie sich an, Sie haben nur insgesamt drei Leben, die Sie verspielen können, und eines ist schon weg!«
»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen«, erwiderte Harald und ließ seine Stimme so hart klingen wie möglich. »Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin Kriminaloberrat Harald Sander - der, der Ihnen seit dem Frühjahr auf den Fersen ist, und der, der Sie heute Abend noch hochnehmen wird. Es liegt an Ihnen, wie wir Sie von hier wegbringen - auf eigenen Beinen oder im Leichenwagen. Bleiben Sie mit Ihrer Geisel, wo Sie sind, und hören Sie mir ...«
Robert stieß Harald in die Seite. Die Haustür des Anwesens öffnete sich einen Spalt.
»Ich hab Ihnen gerade gesagt, was Sie tun sollen ...«, begann Harald. Er unterbrach sich und lauschte. »Hallo?«, fragte er unwillkürlich.
»Aufgelegt?«, raunte Robert.
Harald nickte. »Scheißkerl. Dann eben auf die harte Tour.«
»Was macht er denn so lange?«, stieß der SEK-Beamte
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Autoren-Porträt von Richard Dübell
Dübell, RichardRichard Dübell, geboren 1962, lebt mit der Liebe seines Lebens in Landshut. Er zählt zu den beliebtesten deutschsprachigen Autoren historischer Romane, schreibt aber auch Krimis. Seine Bücher standen mehrfach auf der Spiegels-Bestsellerliste und wurden in vierzehn Sprachen übersetzt. Er ist Kulturpreisträger seiner Heimatstadt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richard Dübell
- 2013, 2. Aufl., Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548284868
- ISBN-13: 9783548284866
- Erscheinungsdatum: 14.05.2013
Rezension zu „Allerheiligen / Kommissar Bernward Bd.1 “
"'Sakrisch guuad' ist der Krimi von Autor Richard Dübell." Aachener Zeitung 20131228
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