Land der tausend Bäume
Roman
Eine große Liebesgeschichte zärtlich, heimlich, grenzenlos. Adrienne weiß kaum etwas über die Geschichte ihrer italienischen Vorfahren in der australischen Wildnis. Als sie im Haus ihrer Großeltern einen alten Brief findet, erfährt sie zum ersten Mal von...
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Produktinformationen zu „Land der tausend Bäume “
Eine große Liebesgeschichte zärtlich, heimlich, grenzenlos. Adrienne weiß kaum etwas über die Geschichte ihrer italienischen Vorfahren in der australischen Wildnis. Als sie im Haus ihrer Großeltern einen alten Brief findet, erfährt sie zum ersten Mal von der großen geheimen Liebe ihres Vaters. Immer drängender spürt sie, dass sie dem Geheimnis ihrer Familie auf die Spur kommen muss... Mit großer erzählerischer Kraft entwirrt Amanda Hampson die Netze der Vergangenheit. Eine Australien-Saga voller Spannung und Leidenschaft.
Adrienne weiß kaum etwas über die Geschichte ihrer italienischen Vorfahren in der australischen Wildnis. Doch immer drängender spürt sie, dass sie dem Geheimnis ihrer Familie auf die Spur kommen muss. Mit großer erzählerischer Kraft entwirrt Amanda Hampson die Netze der Vergangenheit - eine Australien-Saga voller Spannung und Leidenschaft.
Lese-Probe zu „Land der tausend Bäume “
Ich stehe auf der Schwelle des Hauses. Vor der T die Stiefel meines Vaters. Auf dem Leder erkenne ich noch den Abdruck seiner Zehen. Ich bin nur hergekommen, weil er gestorben ist. Ich bin nur hier, weil ich verzweifelt bin. Eine Verzweiflungsterin knte man sagen.Dreig Jahre ist es jetzt her, dass ich meinen Vater zum letzten Mal gesehen habe, und beim Blick in das dunkle Haus wird mir bewusst, dass dies der Tag ist, vor dem ich mich gefchtet habe.
Vlig unbeeindruckt von alldem sitzt meine Tochter Lauren im Wagen, den ich in der Einfahrt geparkt habe. Ich he, wie sie in ihr Handy schnattert. Glklicherweise geht ihre Stimme im schrillen Klang der Zikaden unter, sobald ich in die kle Stille des Hauses trete.
Das alte Farmhaus ist durch einen breiten Gang geteilt, der den Eingang mit der Hintert verbindet. An den Wden des Ganges hgen Fotos von meinem Vater: Jack, der verschiedene Schutzhelme und schmutzige Overalls trt, mit riesigen Planierraupen und Baggern im Hintergrund. Auf einige Fotos sind Datum und Ort gekritzelt: Broken Hill 1955; Tennant Creek 1962. Ein paar junge Typen vor einem Pub, die Arme locker um die Schultern eines Kumpels gelegt und ein breites Grinsen f die Kamera auf dem Gesicht - Mt. Isa 1967. Als Schulmchen hatte ich nliche Fotos von ihm in meinem Album. Damals war er mein Held. Immer weg, immer irgendwo an einem interessanteren Ort.
Rechts vom Gang befinden sich zwei Schlafzimmer. Sie gehen beide auf eine breite Veranda hinaus, die sich ums ganze Haus zieht. Zu meiner Linken ist ein Wohnzimmer mit einer Khe im hinteren Teil. Der Raum ist vollgestopft mit Bherstapeln, Felsbrocken und angeschlagenen Tassen, in denen der Schimmel sprie. In den Ecken erall Spinnennetze. Es sieht traurig und verlassen und nach einem einsamen Leben aus.
"Meine Ge, was f ein Dreckloch!", ruft Lauren wrend ihrer raschen Besichtigungstour durchs Haus. "Es ist so dunkel und modrig - warum sind alle Vorhge zugezogen?" Sie kommt zu mir ins Wohnzimmer, zieht
... mehr
die Vorhge zurk und kpft mit den Fensterten, bis sie aufspringen. Ein Sonnenstrahl flt in den Raum, der ein Meer tanzender Staubkner beleuchtet.
Dieses Haus hat frer meinen Groltern geht. Jack zog hierher, nachdem meine Mutter, Isabelle, gestorben war. Sie wusste immer, dass er am Ende hierherziehen wde. Sie fand es seltsam, dass er dieses Haus so mochte, weil es sie, die darin aufgewachsen war, immer gleichgtig gelassen hatte. Ich hingegen kann mir gut vorstellen, warum ihm dieses Haus gefiel. Es ist einfach und solide, ohne Zierrat und architektonischen Schnickschnack.
"Ich bin me", sage ich und setze mich auf ein altes braunes Sofa, das genauso erschft wirkt wie ich. Die meisten Mel msen meinen Groltern geht haben. Jacks Vorstellung von Mobiliar ging mehr in Richtung Bierkten mit einem Brett darer. Er misstraute jeder Form von gehobenem Lebensstil. Die beiden alten Sofas waren vermutlich sein Besitz, und auch der zwanzig Jahre alte Fernseher. Aber der polierte Holztisch in der Khe mit den dicken, geschwungenen Beinen und die dunkle Ankleidekommode mit den geschnitzten Blen und Bltern eindeutig nicht. Es macht den Eindruck, als wen hier die Schichten mehrerer Leben ereinander gelagert. Es ist unslich deprimierend. Ich kann hier keinesfalls leben. Ganz unmlich.
"Du kannst doch nicht ernsthaft hier wohnen wollen." Lauren lst sich neben mir aufs Sofa fallen. "So schlecht kann's doch nicht stehen - das ist ja grotesk !" Sie kostet das Wort fmlich aus.
"Sie wollen mir wohl nhste Woche meinen Wagen wegnehmen."
"Dein sches Auto", seufzt sie.
"Das macht mir nichts mehr aus. Ich kauf mir einfach ein billiges Vehikel, mit dem ich rumfahren kann."
"In einer Bruchbude leben und eine Schrottmle fahren - das bist doch nicht du, Adrienne!"
"Ich hab alles, was ich brauche", le ich. Es ist mein neues Mantra.
"Wirklich?" Ihre Augenbrauen ston an den dunklen Pony. "Wo ist erhaupt das Badezimmer?"
Ich habe auch kein Badezimmer gesehen. Zernd stehen wir vom Sofa auf und gehen in Richtung Hintert. Auf der Veranda gibt es eine Art Verschlag mit einem gestreiften Plastikvorhang davor. Lauren mustert mich, um zu sehen, wie ich es aufnehme. Sie zieht den Vorhang beiseite.
"Hm, als Wellness-Bereich wde ich das nicht gerade bezeichnen", sagt sie sptisch.
Ich lhle tapfer.
Der Garten und die Rasenflhe sind vlig verwildert, nachdem sich fast ein Jahr lang niemand mehr darum gekmert hat. Das Grundstk ist vollkommen von wild wachsenden Bmen und Hecken zugewuchert. An die hintere Veranda schlie sich eine Pergola an, die mit einem dichten Gewirr von Weinreben erzogen ist. Wir gehen die Stufen hinunter und stehen in knietiefem Gras. Ich habe mich darauf vorbereitet, Lauren etwas mitzuteilen, was sie nicht gern hen wird. Der Zeitpunkt jetzt ist daf genauso gut wie jeder andere.
"Was ich dir noch sagen wollte, Lauren: Du musst nhstes Jahr deine Miete und die Uni-Gebren selbst bezahlen", platze ich heraus.
"Was?", frt sie mich an. "Wie soll ich das machen? Das ist alles deine Schuld! Du hast alles kaputt gemacht. Warum kannst du keinen anderen Betrieb aufmachen oder dir einfach einen Job suchen wie alle anderen auch?"
Die Wiese ist zartgr. Ich habe plzlich den erwtigenden Wunsch, mich hineinzulegen, aber Lauren wde allen sagen, ich sei verrkt geworden - und vielleicht stimmt das auch.
"H zu, ich hab gerade drei Stunden Fahrt hinter mir, Lu. Ich muss mich ausruhen", sage ich in dem Versuch, mich in das alte Du-bist-Kind-ich-bin-erwachsen-Schema zu retten. "Warum siehst du dir nicht die Farm an, oder ..." Beim Anblick ihres starren Gesichts und ihrer zusammengekniffenen Augen breche ich ab. Sie ist neunzehn, und ich behandle sie manchmal wie eine Gleichberechtigte und dann wieder wie ein Vorschulkind. Kein Wunder eigentlich, denn sie benimmt sich oft auch so.
"Du wei, dass ich das Land hasse." Sie stolziert zum Wagen zurk, stumm vor Zorn.
Ich schlafe eine Stunde auf dem Sofa und trme von meinem schen Apartment. Von meinem wein Schlafzimmer, wo ich jeden Morgen beim Aufwachen das Meer in den Himmel ergehen sehen konnte. Fort ... alles fort. Die Traurigkeit drkt mir wie eine Zentnerlast auf die Brust. Ich bin zu traurig zum Weinen. Das Apartment war ein Traum. Meine Festung. Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um dorthin zu kommen. Wahrscheinlich habe ich mit dem Verkauf zu lange gewartet, weil ich erzeugt war, es ge einen anderen Weg, aus meiner finanziellen Misere herauszukommen. Weil ich glaubte, es ge eine Gnadenfrist. Diese Strafe habe ich nlich nicht verdient. Es war nicht meine Schuld.
Der Verkauf der Wohnung schmerzte wie der Betrug eines Liebhabers. Ich dachte, wir wden f immer zusammenbleiben.
Es ist sper Nachmittag, als ich mit einem plzlichen Tatendrang aufwache. Wir msen Platz schaffen in dem Durcheinander, die Khe aufrmen und frische Wche f die Betten finden, damit wir heute Nacht hier schlafen knen. Morgen kommt der Umzugswagen aus Sydney mit den paar Habseligkeiten, die mir noch geblieben sind. Daf muss alles bereit sein.
Ich trete an die Vordert. Lauren sitzt immer noch im Wagen und telefoniert. Ich werde einen gstigen Moment finden msen, um ihr zu sagen, dass ihr Handy der Firma geht.
Ich gehe hiner, fne den Kofferraum, nehme ein paar Taschen heraus und trage sie zur Veranda. "Komm, ich brauch deine Hilfe." Sie ignoriert mich. "Lauren!" Mit finsterer Miene steigt sie langsam aus.
"Ich ruf dich zurk", murmelt sie ins Telefon.
"Schau her", sage ich mit strahlendem Lheln und ziehe zwei frische wei Wegwerf-Overalls und rosafarbene Gummihandschuhe heraus. "Sind die nicht toll? Wir werden wie die Racheengel der Sauberkeit aussehen. Sankt Brillo und sein Helfer Ajax, die in einem wein Tornado zur Erde fahren."
"Sie sind grotesk, Adrienne. Du bist kein Engel und ..."
"'Grotesk' ist wohl dein neuestes Lieblingswort", zische ich. "Ich kann's nicht mehr hen. Erst letzte Woche hast du dich noch darer ausgelassen, dass du spiritueller werden mhtest -'grotesk' klingt f mich aber nicht gerade nach Zen."
"Ich werde dir nie mehr was erzlen!" Sie rei mir einen der Overalls aus der Hand und rennt ins Haus. Ich muss nicht das letzte Wort haben. Wirklich nicht.
"Gut!", rufe ich ihr nach.
Schweigend verrichten wir das Nigste, reinigen den Verschlag, der als Badezimmer dient, und die Arbeitsflhen in der Khe und stecken einen Teil des Abfalls in Ske. Es ist Jahre her, dass ich selbst geputzt habe. Lu, f die Hausarbeit bislang ein Fremdwort war (allerdings konnte sie sich endlos er die Putzfrau beklagen), hat keinen Schimmer davon. Ziellos und mit einem mrischen Ausdruck im Gesicht wedelt sie mit dem Lappen herum. Aber ich bin errascht, wie gut mir diese Arbeit tut, die wenig Nachdenken verlangt und gleichzeitig ablenkt. Wrend der letzten Monate gab es zu viel zum Nachdenken.
"Hallo! Ihr seht ja aus wie Leute, die nach einem Reaktorunfall aufrmen." Im Trahmen zeichnet sich die Silhouette einer Frau ab. Auf ihren Rken scheint die helle Nachmittagssonne. Sie kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Ich habe gerade noch Zeit, meinen Gummihandschuh abzustreifen, bevor sie meine Hand ergreift und sie, f eine Frau, die vermutlich in den Siebzigern ist, krtig schtelt.
"Mrs Oldfield - Joy. Ich wohne gleich die Stra runter. Ich hab geht, dass Sie herkommen, und mir gedacht, ich schau mal vorbei und frage, ob Sie Hilfe brauchen." Trotz des warmen Nachmittags trt sie einen leichten Regenmantel, Jogginghose und Laufschuhe.
"Von wem haben Sie das geht?"
"Ach, Sie wissen schon, es hat sich einfach rumgesprochen. Sie msen Adrienne sein", sagt sie mit unverhohlener Neugier.
"Das bin ich, und das ist mein Tochter Lauren."
"Ich hab Ihnen ein paar Tomaten und einen Kopfsalat aus meinem Garten mitgebracht. Jacks Kopfsalat werden die Wallabys gefressen haben", frt sie fort, nimmt eine Einkaufste aus ihrem Korb und reicht sie mir. Dann sieht sie sich um. "Ach du meine Ge, da haben Sie aber eine sche Arbeit! Ich hte ein paar Stunden Zeit - lassen Sie mich Ihnen helfen."
"Das ist sehr groig, Mrs Oldfield, aber ich kann doch nicht ..."
"Vielen Dank", sagt Lauren und wirft mir einen warnenden Blick zu.
"Vielleicht sollten wir einen Plan machen ...", beginne ich, ganz Managerin, die immer das Heft in der Hand beht.
Mrs Oldfield lhelt. "Wir machen das schon, Schzchen. Wir kpfen uns einfach durch." Sie kramt in ihrem Korb und zieht eine sorgftig gebelte geblte Schze heraus. Sie hat sich vorbereitet. Sie zieht ihren Regenmantel aus, hgt ihn an die T und bindet die Schze um. Dann schaltet sie den widerspenstigen Staubsauger an, den wir wrend der vergangenen halben Stunde in Gang zu bringen versucht haben, versetzt ihm einen Stound verschwindet mit dem laut drnenden Unding den Gang hinunter.
Im einen Schlafzimmer stehen ein Doppelbett und ein Stapel Kartons, im anderen zwei Einzelbetten, ein paar Taschen mit alten Kleidern und aufgeschichtete Zeitungen. Wir beschlien, das kleinere Zimmer mit den Einzelbetten zuerst in Angriff zu nehmen. Wir ziehen die abgenutzten, vergilbten Laken ab, werfen sie in den Ml, tragen die Matratzen an die Sonne und lehnen sie gegen zwei gro Obstbme. Laurens Gesichtsausdruck wrend des ganzen Vorgangs gleicht dem eines Menschen, der in einen Hundehaufen getreten ist und seine Schuhsohle mit einem gzlich ungeeigneten kleinen Zweig zu reinigen versucht. F sie ist alles ein bisschen zu schmutzig, die Arme.
Als Nhstes rmen wir die Kartons aus, die voller Zeitungen und alter Bergbaubher sind. Jacks Lebensweise hier war allein von Nzlichkeit geprt. Keine Dekoration, keine Bequemlichkeiten. Nur die staubige Anhfung von Alltagsleben.
"Meine Mutter hat frer viele sche Dinge besessen", sage ich wehmig.
"Hast du nicht gesagt, sie nte Brautkleider?", fragt Lauren.
"Sie war eine einfache Schneiderin, glaube ich, aber sie nte Tauf- und Brautkleider - und Kleider f junge Mchen, die sie bei ihrer Einfrung in die Gesellschaft trugen. Das war damals der gro Renner. Mutter stickte und klpelte Spitzen. Sie hat auch unsere ganze Bettwche gent. Mein Vater war eher ein nhterner Mensch. Ich glaube nicht, dass er sich je f derlei interessiert hat. Hier ist nichts mehr von den hschen Sachen, die wir besan, zu sehen. Wie ich ihn kenne, hat er alles in die Altkleidersammlung gegeben."
Lauren kneift die Augen zusammen und erlegt. "Hast du die gro Truhe im Gang gesehen, die mit dem Tuch darer?"
Kurz darauf stehen wir im Gang und betrachten den Krimskrams, der darauf steht. Ohne ein Wort zu wechseln, halte ich eine Abfallte auf, und Lauren fegt alles hinein.
"Extremes Feng-Shui!", kichert sie. Die Lage bessert sich.
Die Kiste entht zumindest einige der Sachen, die ich Lauren gerade beschrieben habe. Weiche Baumwolllaken und Damasterze, alle sorgftig zusammengefaltet mit getrockneten Lavendelzweigen dazwischen, und viele Dinge, die ich noch nie zuvor gesehen habe - vielleicht aus dem freren Leben meiner Mutter. Kissenbeze mit drallen Putten, die von winzigen Rosenknospen umrahmt sind. Laken f Doppelbetten, mit Herzen und Blumen bestickt. Stoffbahnen aus Satin, Seide und Organza, ordentlich aufgerollte Spitzen- und Seidenbder - die unvollendeten Sinfonien meiner Mutter. Als sie starb, packte Jack alles in diese Kiste. Vermutlich brachte nicht einmal er es fertig, alles wegzuwerfen. Wrend ich den kostbaren Stoff berre, ist mir, als knte ich die Stimme meiner Mutter hen. Ein schneidender Schmerz frt mir durch den Kper.
Lauren schtelt ein Laken in zartem Blassrosa auf, an dessen oberem Ende "Isabella" eingestickt ist. Es gibt noch ein ganz nliches, nur dass hier die Stickerei - blau und ziemlich verblichen - "Rosanna" lautet.
"Wer ist Rosanna?", fragt Lauren.
"Keine Ahnung."
"Rosanna?", wiederholt Mrs Oldfield, die plzlich aufgetaucht ist, sich bkt und einen Staublappen aus ihrem magischen Korb zieht. Sie richtet sich auf und sieht mich an. "Sie wissen nicht, wer Rosanna ist?"
Es ist, als bliebe die Zeit stehen. Als schwebten wir drei in dem offenen Raum zwischen Frage und Antwort, schwerelos wie Vel, und warteten auf einen Luftzug, der uns zum nhsten Augenblick trt.
"Sollte ich?"
Mrs Oldfield sieht mich eindringlich an. "Rosanna und Isabelle waren Schwestern."
Ich bin wie vom Schlag gerrt. "Nein. Das ist unmlich. Meine Mutter hat nie erwnt, dass sie eine Schwester hat."
"Das ist ja verrkt", sagt Lauren. "Ist sie im Gefgnis oder in der Irrenanstalt oder so was? Vielleicht auf dem Dachboden eingesperrt!"
Mrs Oldfield zieht die Augenbrauen hoch und wirft Lauren einen tadelnden Blick zu, den sie vermutlich schon bei ihren eigenen Kindern eingesetzt hat. Es zeigt sich, dass er auch bei Lauren wirkt. "Rosanna wohnt schon lange nicht mehr hier. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr."
"Nun, ich ... ich muss sagen, ich bin geschockt", stammle ich und lasse mich auf einen Stuhl fallen.
"Also, ich bin nicht so leicht zu schocken", sagt Lauren, die ewige Opportunistin. "Ich dachte immer, Jack, der schlieich mein Groater war, sei tot - bis ich zuflig einen Brief sah, der besagte, dass er erst jetzt gestorben ist."
Beide sehen mich seltsam an. Diejenige, die nicht dazugeht, bin ich. Ich habe mein ganzes Leben als einziges Kind eines Einzelkinds verbracht, und das gleiche Schicksal hat Lauren getroffen. Aber jetzt erfahre ich plzlich, dass das nicht stimmt. Ich habe das Gefl, als hte man mich ers Ohr gehauen. Ich habe eine Tante! Vielleicht gibt es auch Cousins und Cousinen. Tante Rosanna. Tantchen Rosa - klingt ganz anheimelnd.
"Nun - ich mach mich jetzt lieber auf den Weg", sagt Mrs Oldfield und rei mich aus meinen Trmereien. "Meine Enkel kommen zum Essen. Was mich daran erinnert, dass Darryl Leeton Sie wahrscheinlich besuchen wird. Er wollte sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Die Leeton-Jungs erkennen Sie auf Anhieb: zweite Generation Aushubgescht - und alle brlen. Bitten Sie ihn auf keinen Fall herein." Sie zwinkert uns zu, zieht ihren Mantel an und verschwindet durch die T.
Auf den Vorderstufen sitzend, beobachte ich, wie sie wegfrt. Lauren kommt heraus und lst sich neben mir nieder, endlich einmal schweigend. Me beobachten wir, wie die Dmerung einbricht und den Garten mit pflaumenblauen Schatten erzieht. Es ist eine Erleichterung, still zu sein, aber es nagt an mir, dass man mir Rosanna verschwiegen hat. Ein Abgrund des Misstrauens tut sich auf, wenn man erkennt, dass man bewusst getscht wurde ... Warum? Was weiich sonst noch alles nicht?
Schlieich stehen wir auf und gehen in die Khe, um das Essen vorzubereiten, das wir heute Morgen in der Stadt eingekauft haben. Ich fne die Weinflasche, richte Camembert, Oliven, Tomaten und Baguette auf einer Platte an und trage sie in die Pergola hinaus. Dort steht ein alter, reich verzierter Metalltisch mit vier passenden Stlen, die mit einem Weinlaubmuster geschmkt sind. Auf den Tisch flt, wie gerufen, ein rechteckiger Lichtstrahl aus der Khe.
Die Bme werden dunkle Silhouetten, als der Mond hinter ihnen aufsteigt und wie ein aurirdisches Raumschiff leuchtet. Er steigt so schnell, dass es einen Moment lang aussieht, als wden die Bme seine Form auflen. Dann ist er plzlich wieder voll und rund und hgt schmuck er den fernen Heln. Kurz darauf heult ein Hund in der Ferne ein einsames Lied.
Lauren legt die Hand ans Ohr. "Horch! Ein mondshtiger Buschmann? Oder der Geist von Jack Bennett, der dich verfolgt, weil du ihn fschlicherweise f tot ausgegeben hast?" Sie lacht, stzt den letzten Rest Wein hinunter und geht ins Haus - zweifellos, um ihre Freunde er das jgste Drama zu informieren. Kurz darauf he ich sie kreischend lachen, dann wird eine T zugeschlagen, danach herrscht Stille.
So wird es sein, wenn sie fort ist. Dunkel und leer. Ich zwinge mich, es mir vorzustellen. Ich versuche, meinen inneren Krieger aufzurufen, denjenigen, der es mir mlich machte, auf Podien zu Hunderten von Leuten zu sprechen, an glzenden Konferenztischen Millionen-Dollar-Vertre auszuhandeln und eine ganze Armee von Leuten zu befehligen. Es scheint, dass mein innerer Krieger von meinem inneren Gespenst abgelt wurde. Mit mir geht es langsam bergab.
Das Gras ist schon feucht vom Tau, als ich zu dem Tor hinergehe, das den Garten von der dunklen Welt dahinter trennt. Ich halte mich am Tor fest, um nicht in diese Welt hineingezogen zu werden, und he mich in die leere Nacht hinausheulen. Selbst mein Heulen klingt zerlich, obwohl ich wirklich er vieles zu heulen habe.
Es ist kaum hell, als ich durch eine Reihe von dumpfen Schlen und spitzen Schreien geweckt werde. Lauren sitzt aufrecht im Bett und wirft ihre Schuhe durchs Zimmer. Als sie merkt, dass ich wach bin, wendet sie ihre Aufmerksamkeit mir zu.
"Da war eine Maus! Dieses Haus ist vollkommen grotesk! Morgen fahre ich heim, selbst wenn ich den Zug nehmen muss. Ich muss mich ohnehin nach einem Job umsehen", schnaubt sie und steigt aus dem Bett.
Noch leicht verwirrt setze ich mich auf und sehe aus dem Fenster. Regen trommelt in stetem Rhythmus auf das Blechdach und hat einen blassen seidenen Vorhang ums Haus gezogen. Ich komme mir wie in einer Falle vor.
Nachdem sie geduscht hat, beruhigt sich Lauren wieder. Wasser besftigt sie, genau wie mich. Ich he sie irgendwas Sanftes, Bluesartiges summen.
"Toast!", ruft sie. Mir wurde vergeben. Toast ist der Kitt f unsere Beziehung, ein Nahrungsmittel, reich an Tradition und unendlichem Variantenreichtum. Immer wenn es hart auf hart kommt, rettet uns ein warmer, knuspriger, buttriger Toast. Se Kleckse von Himbeermarmelade lassen uns dahinschmelzen. Es ist eines der wenigen Dinge, die wir feinander tun. Wir sagen "Toast!" anstelle von "Tut mir leid".
In weiser Voraussicht habe ich meine Espressokanne gleich mitgebracht, statt sie in die Kisten zu packen. Ich he, wie sie Dampf ausstt, und das duftende Versprechen von frischem Kaffee lockt mich aus dem Bett.
"Was steht an, Ma'am?", sagt Lauren, als ich in den Raum wanke. Vergnt setzt sie sich an den Tisch.
"Wir msen Platz schaffen f das Zeug, das der Umzugswagen bringt. Wir sehen einfach schnell Jacks Kisten durch, stellen sicher, dass nichts Wichtiges drin ist, und werfen dann alles weg."
"Wie sollen deine ganzen Mel hier reinpassen?"
"Es ist nicht mehr viel. Das meiste davon war geleast."
Sie fnet den Mund, macht ihn wieder zu und sagt schlieich matt: "Was f ein Glk."
Die Luft im Haus ist feucht und stickig, fast modrig wie in einer Zelle. "Was f eine Jahreszeit haben wir eigentlich?" Ich he mich an wie eine schlechte Schauspielerin, die Amnesie vortscht, aber ich habe tatshlich irgendwie den Faden verloren.
Dieses Haus hat frer meinen Groltern geht. Jack zog hierher, nachdem meine Mutter, Isabelle, gestorben war. Sie wusste immer, dass er am Ende hierherziehen wde. Sie fand es seltsam, dass er dieses Haus so mochte, weil es sie, die darin aufgewachsen war, immer gleichgtig gelassen hatte. Ich hingegen kann mir gut vorstellen, warum ihm dieses Haus gefiel. Es ist einfach und solide, ohne Zierrat und architektonischen Schnickschnack.
"Ich bin me", sage ich und setze mich auf ein altes braunes Sofa, das genauso erschft wirkt wie ich. Die meisten Mel msen meinen Groltern geht haben. Jacks Vorstellung von Mobiliar ging mehr in Richtung Bierkten mit einem Brett darer. Er misstraute jeder Form von gehobenem Lebensstil. Die beiden alten Sofas waren vermutlich sein Besitz, und auch der zwanzig Jahre alte Fernseher. Aber der polierte Holztisch in der Khe mit den dicken, geschwungenen Beinen und die dunkle Ankleidekommode mit den geschnitzten Blen und Bltern eindeutig nicht. Es macht den Eindruck, als wen hier die Schichten mehrerer Leben ereinander gelagert. Es ist unslich deprimierend. Ich kann hier keinesfalls leben. Ganz unmlich.
"Du kannst doch nicht ernsthaft hier wohnen wollen." Lauren lst sich neben mir aufs Sofa fallen. "So schlecht kann's doch nicht stehen - das ist ja grotesk !" Sie kostet das Wort fmlich aus.
"Sie wollen mir wohl nhste Woche meinen Wagen wegnehmen."
"Dein sches Auto", seufzt sie.
"Das macht mir nichts mehr aus. Ich kauf mir einfach ein billiges Vehikel, mit dem ich rumfahren kann."
"In einer Bruchbude leben und eine Schrottmle fahren - das bist doch nicht du, Adrienne!"
"Ich hab alles, was ich brauche", le ich. Es ist mein neues Mantra.
"Wirklich?" Ihre Augenbrauen ston an den dunklen Pony. "Wo ist erhaupt das Badezimmer?"
Ich habe auch kein Badezimmer gesehen. Zernd stehen wir vom Sofa auf und gehen in Richtung Hintert. Auf der Veranda gibt es eine Art Verschlag mit einem gestreiften Plastikvorhang davor. Lauren mustert mich, um zu sehen, wie ich es aufnehme. Sie zieht den Vorhang beiseite.
"Hm, als Wellness-Bereich wde ich das nicht gerade bezeichnen", sagt sie sptisch.
Ich lhle tapfer.
Der Garten und die Rasenflhe sind vlig verwildert, nachdem sich fast ein Jahr lang niemand mehr darum gekmert hat. Das Grundstk ist vollkommen von wild wachsenden Bmen und Hecken zugewuchert. An die hintere Veranda schlie sich eine Pergola an, die mit einem dichten Gewirr von Weinreben erzogen ist. Wir gehen die Stufen hinunter und stehen in knietiefem Gras. Ich habe mich darauf vorbereitet, Lauren etwas mitzuteilen, was sie nicht gern hen wird. Der Zeitpunkt jetzt ist daf genauso gut wie jeder andere.
"Was ich dir noch sagen wollte, Lauren: Du musst nhstes Jahr deine Miete und die Uni-Gebren selbst bezahlen", platze ich heraus.
"Was?", frt sie mich an. "Wie soll ich das machen? Das ist alles deine Schuld! Du hast alles kaputt gemacht. Warum kannst du keinen anderen Betrieb aufmachen oder dir einfach einen Job suchen wie alle anderen auch?"
Die Wiese ist zartgr. Ich habe plzlich den erwtigenden Wunsch, mich hineinzulegen, aber Lauren wde allen sagen, ich sei verrkt geworden - und vielleicht stimmt das auch.
"H zu, ich hab gerade drei Stunden Fahrt hinter mir, Lu. Ich muss mich ausruhen", sage ich in dem Versuch, mich in das alte Du-bist-Kind-ich-bin-erwachsen-Schema zu retten. "Warum siehst du dir nicht die Farm an, oder ..." Beim Anblick ihres starren Gesichts und ihrer zusammengekniffenen Augen breche ich ab. Sie ist neunzehn, und ich behandle sie manchmal wie eine Gleichberechtigte und dann wieder wie ein Vorschulkind. Kein Wunder eigentlich, denn sie benimmt sich oft auch so.
"Du wei, dass ich das Land hasse." Sie stolziert zum Wagen zurk, stumm vor Zorn.
Ich schlafe eine Stunde auf dem Sofa und trme von meinem schen Apartment. Von meinem wein Schlafzimmer, wo ich jeden Morgen beim Aufwachen das Meer in den Himmel ergehen sehen konnte. Fort ... alles fort. Die Traurigkeit drkt mir wie eine Zentnerlast auf die Brust. Ich bin zu traurig zum Weinen. Das Apartment war ein Traum. Meine Festung. Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um dorthin zu kommen. Wahrscheinlich habe ich mit dem Verkauf zu lange gewartet, weil ich erzeugt war, es ge einen anderen Weg, aus meiner finanziellen Misere herauszukommen. Weil ich glaubte, es ge eine Gnadenfrist. Diese Strafe habe ich nlich nicht verdient. Es war nicht meine Schuld.
Der Verkauf der Wohnung schmerzte wie der Betrug eines Liebhabers. Ich dachte, wir wden f immer zusammenbleiben.
Es ist sper Nachmittag, als ich mit einem plzlichen Tatendrang aufwache. Wir msen Platz schaffen in dem Durcheinander, die Khe aufrmen und frische Wche f die Betten finden, damit wir heute Nacht hier schlafen knen. Morgen kommt der Umzugswagen aus Sydney mit den paar Habseligkeiten, die mir noch geblieben sind. Daf muss alles bereit sein.
Ich trete an die Vordert. Lauren sitzt immer noch im Wagen und telefoniert. Ich werde einen gstigen Moment finden msen, um ihr zu sagen, dass ihr Handy der Firma geht.
Ich gehe hiner, fne den Kofferraum, nehme ein paar Taschen heraus und trage sie zur Veranda. "Komm, ich brauch deine Hilfe." Sie ignoriert mich. "Lauren!" Mit finsterer Miene steigt sie langsam aus.
"Ich ruf dich zurk", murmelt sie ins Telefon.
"Schau her", sage ich mit strahlendem Lheln und ziehe zwei frische wei Wegwerf-Overalls und rosafarbene Gummihandschuhe heraus. "Sind die nicht toll? Wir werden wie die Racheengel der Sauberkeit aussehen. Sankt Brillo und sein Helfer Ajax, die in einem wein Tornado zur Erde fahren."
"Sie sind grotesk, Adrienne. Du bist kein Engel und ..."
"'Grotesk' ist wohl dein neuestes Lieblingswort", zische ich. "Ich kann's nicht mehr hen. Erst letzte Woche hast du dich noch darer ausgelassen, dass du spiritueller werden mhtest -'grotesk' klingt f mich aber nicht gerade nach Zen."
"Ich werde dir nie mehr was erzlen!" Sie rei mir einen der Overalls aus der Hand und rennt ins Haus. Ich muss nicht das letzte Wort haben. Wirklich nicht.
"Gut!", rufe ich ihr nach.
Schweigend verrichten wir das Nigste, reinigen den Verschlag, der als Badezimmer dient, und die Arbeitsflhen in der Khe und stecken einen Teil des Abfalls in Ske. Es ist Jahre her, dass ich selbst geputzt habe. Lu, f die Hausarbeit bislang ein Fremdwort war (allerdings konnte sie sich endlos er die Putzfrau beklagen), hat keinen Schimmer davon. Ziellos und mit einem mrischen Ausdruck im Gesicht wedelt sie mit dem Lappen herum. Aber ich bin errascht, wie gut mir diese Arbeit tut, die wenig Nachdenken verlangt und gleichzeitig ablenkt. Wrend der letzten Monate gab es zu viel zum Nachdenken.
"Hallo! Ihr seht ja aus wie Leute, die nach einem Reaktorunfall aufrmen." Im Trahmen zeichnet sich die Silhouette einer Frau ab. Auf ihren Rken scheint die helle Nachmittagssonne. Sie kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Ich habe gerade noch Zeit, meinen Gummihandschuh abzustreifen, bevor sie meine Hand ergreift und sie, f eine Frau, die vermutlich in den Siebzigern ist, krtig schtelt.
"Mrs Oldfield - Joy. Ich wohne gleich die Stra runter. Ich hab geht, dass Sie herkommen, und mir gedacht, ich schau mal vorbei und frage, ob Sie Hilfe brauchen." Trotz des warmen Nachmittags trt sie einen leichten Regenmantel, Jogginghose und Laufschuhe.
"Von wem haben Sie das geht?"
"Ach, Sie wissen schon, es hat sich einfach rumgesprochen. Sie msen Adrienne sein", sagt sie mit unverhohlener Neugier.
"Das bin ich, und das ist mein Tochter Lauren."
"Ich hab Ihnen ein paar Tomaten und einen Kopfsalat aus meinem Garten mitgebracht. Jacks Kopfsalat werden die Wallabys gefressen haben", frt sie fort, nimmt eine Einkaufste aus ihrem Korb und reicht sie mir. Dann sieht sie sich um. "Ach du meine Ge, da haben Sie aber eine sche Arbeit! Ich hte ein paar Stunden Zeit - lassen Sie mich Ihnen helfen."
"Das ist sehr groig, Mrs Oldfield, aber ich kann doch nicht ..."
"Vielen Dank", sagt Lauren und wirft mir einen warnenden Blick zu.
"Vielleicht sollten wir einen Plan machen ...", beginne ich, ganz Managerin, die immer das Heft in der Hand beht.
Mrs Oldfield lhelt. "Wir machen das schon, Schzchen. Wir kpfen uns einfach durch." Sie kramt in ihrem Korb und zieht eine sorgftig gebelte geblte Schze heraus. Sie hat sich vorbereitet. Sie zieht ihren Regenmantel aus, hgt ihn an die T und bindet die Schze um. Dann schaltet sie den widerspenstigen Staubsauger an, den wir wrend der vergangenen halben Stunde in Gang zu bringen versucht haben, versetzt ihm einen Stound verschwindet mit dem laut drnenden Unding den Gang hinunter.
Im einen Schlafzimmer stehen ein Doppelbett und ein Stapel Kartons, im anderen zwei Einzelbetten, ein paar Taschen mit alten Kleidern und aufgeschichtete Zeitungen. Wir beschlien, das kleinere Zimmer mit den Einzelbetten zuerst in Angriff zu nehmen. Wir ziehen die abgenutzten, vergilbten Laken ab, werfen sie in den Ml, tragen die Matratzen an die Sonne und lehnen sie gegen zwei gro Obstbme. Laurens Gesichtsausdruck wrend des ganzen Vorgangs gleicht dem eines Menschen, der in einen Hundehaufen getreten ist und seine Schuhsohle mit einem gzlich ungeeigneten kleinen Zweig zu reinigen versucht. F sie ist alles ein bisschen zu schmutzig, die Arme.
Als Nhstes rmen wir die Kartons aus, die voller Zeitungen und alter Bergbaubher sind. Jacks Lebensweise hier war allein von Nzlichkeit geprt. Keine Dekoration, keine Bequemlichkeiten. Nur die staubige Anhfung von Alltagsleben.
"Meine Mutter hat frer viele sche Dinge besessen", sage ich wehmig.
"Hast du nicht gesagt, sie nte Brautkleider?", fragt Lauren.
"Sie war eine einfache Schneiderin, glaube ich, aber sie nte Tauf- und Brautkleider - und Kleider f junge Mchen, die sie bei ihrer Einfrung in die Gesellschaft trugen. Das war damals der gro Renner. Mutter stickte und klpelte Spitzen. Sie hat auch unsere ganze Bettwche gent. Mein Vater war eher ein nhterner Mensch. Ich glaube nicht, dass er sich je f derlei interessiert hat. Hier ist nichts mehr von den hschen Sachen, die wir besan, zu sehen. Wie ich ihn kenne, hat er alles in die Altkleidersammlung gegeben."
Lauren kneift die Augen zusammen und erlegt. "Hast du die gro Truhe im Gang gesehen, die mit dem Tuch darer?"
Kurz darauf stehen wir im Gang und betrachten den Krimskrams, der darauf steht. Ohne ein Wort zu wechseln, halte ich eine Abfallte auf, und Lauren fegt alles hinein.
"Extremes Feng-Shui!", kichert sie. Die Lage bessert sich.
Die Kiste entht zumindest einige der Sachen, die ich Lauren gerade beschrieben habe. Weiche Baumwolllaken und Damasterze, alle sorgftig zusammengefaltet mit getrockneten Lavendelzweigen dazwischen, und viele Dinge, die ich noch nie zuvor gesehen habe - vielleicht aus dem freren Leben meiner Mutter. Kissenbeze mit drallen Putten, die von winzigen Rosenknospen umrahmt sind. Laken f Doppelbetten, mit Herzen und Blumen bestickt. Stoffbahnen aus Satin, Seide und Organza, ordentlich aufgerollte Spitzen- und Seidenbder - die unvollendeten Sinfonien meiner Mutter. Als sie starb, packte Jack alles in diese Kiste. Vermutlich brachte nicht einmal er es fertig, alles wegzuwerfen. Wrend ich den kostbaren Stoff berre, ist mir, als knte ich die Stimme meiner Mutter hen. Ein schneidender Schmerz frt mir durch den Kper.
Lauren schtelt ein Laken in zartem Blassrosa auf, an dessen oberem Ende "Isabella" eingestickt ist. Es gibt noch ein ganz nliches, nur dass hier die Stickerei - blau und ziemlich verblichen - "Rosanna" lautet.
"Wer ist Rosanna?", fragt Lauren.
"Keine Ahnung."
"Rosanna?", wiederholt Mrs Oldfield, die plzlich aufgetaucht ist, sich bkt und einen Staublappen aus ihrem magischen Korb zieht. Sie richtet sich auf und sieht mich an. "Sie wissen nicht, wer Rosanna ist?"
Es ist, als bliebe die Zeit stehen. Als schwebten wir drei in dem offenen Raum zwischen Frage und Antwort, schwerelos wie Vel, und warteten auf einen Luftzug, der uns zum nhsten Augenblick trt.
"Sollte ich?"
Mrs Oldfield sieht mich eindringlich an. "Rosanna und Isabelle waren Schwestern."
Ich bin wie vom Schlag gerrt. "Nein. Das ist unmlich. Meine Mutter hat nie erwnt, dass sie eine Schwester hat."
"Das ist ja verrkt", sagt Lauren. "Ist sie im Gefgnis oder in der Irrenanstalt oder so was? Vielleicht auf dem Dachboden eingesperrt!"
Mrs Oldfield zieht die Augenbrauen hoch und wirft Lauren einen tadelnden Blick zu, den sie vermutlich schon bei ihren eigenen Kindern eingesetzt hat. Es zeigt sich, dass er auch bei Lauren wirkt. "Rosanna wohnt schon lange nicht mehr hier. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr."
"Nun, ich ... ich muss sagen, ich bin geschockt", stammle ich und lasse mich auf einen Stuhl fallen.
"Also, ich bin nicht so leicht zu schocken", sagt Lauren, die ewige Opportunistin. "Ich dachte immer, Jack, der schlieich mein Groater war, sei tot - bis ich zuflig einen Brief sah, der besagte, dass er erst jetzt gestorben ist."
Beide sehen mich seltsam an. Diejenige, die nicht dazugeht, bin ich. Ich habe mein ganzes Leben als einziges Kind eines Einzelkinds verbracht, und das gleiche Schicksal hat Lauren getroffen. Aber jetzt erfahre ich plzlich, dass das nicht stimmt. Ich habe das Gefl, als hte man mich ers Ohr gehauen. Ich habe eine Tante! Vielleicht gibt es auch Cousins und Cousinen. Tante Rosanna. Tantchen Rosa - klingt ganz anheimelnd.
"Nun - ich mach mich jetzt lieber auf den Weg", sagt Mrs Oldfield und rei mich aus meinen Trmereien. "Meine Enkel kommen zum Essen. Was mich daran erinnert, dass Darryl Leeton Sie wahrscheinlich besuchen wird. Er wollte sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Die Leeton-Jungs erkennen Sie auf Anhieb: zweite Generation Aushubgescht - und alle brlen. Bitten Sie ihn auf keinen Fall herein." Sie zwinkert uns zu, zieht ihren Mantel an und verschwindet durch die T.
Auf den Vorderstufen sitzend, beobachte ich, wie sie wegfrt. Lauren kommt heraus und lst sich neben mir nieder, endlich einmal schweigend. Me beobachten wir, wie die Dmerung einbricht und den Garten mit pflaumenblauen Schatten erzieht. Es ist eine Erleichterung, still zu sein, aber es nagt an mir, dass man mir Rosanna verschwiegen hat. Ein Abgrund des Misstrauens tut sich auf, wenn man erkennt, dass man bewusst getscht wurde ... Warum? Was weiich sonst noch alles nicht?
Schlieich stehen wir auf und gehen in die Khe, um das Essen vorzubereiten, das wir heute Morgen in der Stadt eingekauft haben. Ich fne die Weinflasche, richte Camembert, Oliven, Tomaten und Baguette auf einer Platte an und trage sie in die Pergola hinaus. Dort steht ein alter, reich verzierter Metalltisch mit vier passenden Stlen, die mit einem Weinlaubmuster geschmkt sind. Auf den Tisch flt, wie gerufen, ein rechteckiger Lichtstrahl aus der Khe.
Die Bme werden dunkle Silhouetten, als der Mond hinter ihnen aufsteigt und wie ein aurirdisches Raumschiff leuchtet. Er steigt so schnell, dass es einen Moment lang aussieht, als wden die Bme seine Form auflen. Dann ist er plzlich wieder voll und rund und hgt schmuck er den fernen Heln. Kurz darauf heult ein Hund in der Ferne ein einsames Lied.
Lauren legt die Hand ans Ohr. "Horch! Ein mondshtiger Buschmann? Oder der Geist von Jack Bennett, der dich verfolgt, weil du ihn fschlicherweise f tot ausgegeben hast?" Sie lacht, stzt den letzten Rest Wein hinunter und geht ins Haus - zweifellos, um ihre Freunde er das jgste Drama zu informieren. Kurz darauf he ich sie kreischend lachen, dann wird eine T zugeschlagen, danach herrscht Stille.
So wird es sein, wenn sie fort ist. Dunkel und leer. Ich zwinge mich, es mir vorzustellen. Ich versuche, meinen inneren Krieger aufzurufen, denjenigen, der es mir mlich machte, auf Podien zu Hunderten von Leuten zu sprechen, an glzenden Konferenztischen Millionen-Dollar-Vertre auszuhandeln und eine ganze Armee von Leuten zu befehligen. Es scheint, dass mein innerer Krieger von meinem inneren Gespenst abgelt wurde. Mit mir geht es langsam bergab.
Das Gras ist schon feucht vom Tau, als ich zu dem Tor hinergehe, das den Garten von der dunklen Welt dahinter trennt. Ich halte mich am Tor fest, um nicht in diese Welt hineingezogen zu werden, und he mich in die leere Nacht hinausheulen. Selbst mein Heulen klingt zerlich, obwohl ich wirklich er vieles zu heulen habe.
Es ist kaum hell, als ich durch eine Reihe von dumpfen Schlen und spitzen Schreien geweckt werde. Lauren sitzt aufrecht im Bett und wirft ihre Schuhe durchs Zimmer. Als sie merkt, dass ich wach bin, wendet sie ihre Aufmerksamkeit mir zu.
"Da war eine Maus! Dieses Haus ist vollkommen grotesk! Morgen fahre ich heim, selbst wenn ich den Zug nehmen muss. Ich muss mich ohnehin nach einem Job umsehen", schnaubt sie und steigt aus dem Bett.
Noch leicht verwirrt setze ich mich auf und sehe aus dem Fenster. Regen trommelt in stetem Rhythmus auf das Blechdach und hat einen blassen seidenen Vorhang ums Haus gezogen. Ich komme mir wie in einer Falle vor.
Nachdem sie geduscht hat, beruhigt sich Lauren wieder. Wasser besftigt sie, genau wie mich. Ich he sie irgendwas Sanftes, Bluesartiges summen.
"Toast!", ruft sie. Mir wurde vergeben. Toast ist der Kitt f unsere Beziehung, ein Nahrungsmittel, reich an Tradition und unendlichem Variantenreichtum. Immer wenn es hart auf hart kommt, rettet uns ein warmer, knuspriger, buttriger Toast. Se Kleckse von Himbeermarmelade lassen uns dahinschmelzen. Es ist eines der wenigen Dinge, die wir feinander tun. Wir sagen "Toast!" anstelle von "Tut mir leid".
In weiser Voraussicht habe ich meine Espressokanne gleich mitgebracht, statt sie in die Kisten zu packen. Ich he, wie sie Dampf ausstt, und das duftende Versprechen von frischem Kaffee lockt mich aus dem Bett.
"Was steht an, Ma'am?", sagt Lauren, als ich in den Raum wanke. Vergnt setzt sie sich an den Tisch.
"Wir msen Platz schaffen f das Zeug, das der Umzugswagen bringt. Wir sehen einfach schnell Jacks Kisten durch, stellen sicher, dass nichts Wichtiges drin ist, und werfen dann alles weg."
"Wie sollen deine ganzen Mel hier reinpassen?"
"Es ist nicht mehr viel. Das meiste davon war geleast."
Sie fnet den Mund, macht ihn wieder zu und sagt schlieich matt: "Was f ein Glk."
Die Luft im Haus ist feucht und stickig, fast modrig wie in einer Zelle. "Was f eine Jahreszeit haben wir eigentlich?" Ich he mich an wie eine schlechte Schauspielerin, die Amnesie vortscht, aber ich habe tatshlich irgendwie den Faden verloren.
... weniger
Autoren-Porträt von Amanda Hampson
Amanda Hampson wuchs in Neuseeland auf, zog dann nach London und unternahm mehrere ausgedehnte Reisen in ferne Länder. Heute lebt die Autorin zahlreicher Sachbücher mit ihrem Mann, ihren Kindern und Enkeln in Australien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Amanda Hampson
- 2007, 1, 303 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453351681
- ISBN-13: 9783453351684
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