Lauter Irre
Roman
Die Gropes sind eine besondere Familie. Bereits seit dem 10. Jahrhundert, als sich Ursula Grope den Wikinger Awgard den Bleichen zum Mann nahm, haben hier die Frauen das Sagen. Und die Grope-Frauen haben nicht nur ihre Männer unter Kontrolle und...
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Produktinformationen zu „Lauter Irre “
Die Gropes sind eine besondere Familie. Bereits seit dem 10. Jahrhundert, als sich Ursula Grope den Wikinger Awgard den Bleichen zum Mann nahm, haben hier die Frauen das Sagen. Und die Grope-Frauen haben nicht nur ihre Männer unter Kontrolle und bringen viele weibliche Nachkommen zur Welt - sie sehen dazu auch noch alle gleich aus: sehr groß, sehr stark, sehr rothaarig und sehr hässlich.
Belinda Ponson ist eine Nachfahrin des matriarchalischen Geschlechts der Gropes. Und Belinda ist wenig erfreut darüber, dass es ihr mit ihrem nichtsnutzigen Mann nicht gelingen will, eine Grope-Nachkommin zu zeugen. So entführt sie kurzerhand ihren Neffen Esmond nach Grope Hall, das imposante und weit abgeschiedene Anwesen der Grope-Dynastie. Denn der tumbe Esmond soll nun für das herhalten, was ihr Mann nicht zustande bringt. Aber Belinda hat die Rechnung ohne ihren Neffen gemacht. Der willigt zwar ein, sie zu ehelichen, aber insgeheim schwebt ihm etwas anderes vor: Nach der Hochzeit beabsichtigt er, die Macht an sich reißen, um fortan das alleinige Sagen auf Grope Hall zu haben.
Belinda Ponson ist eine Nachfahrin des matriarchalischen Geschlechts der Gropes. Und Belinda ist wenig erfreut darüber, dass es ihr mit ihrem nichtsnutzigen Mann nicht gelingen will, eine Grope-Nachkommin zu zeugen. So entführt sie kurzerhand ihren Neffen Esmond nach Grope Hall, das imposante und weit abgeschiedene Anwesen der Grope-Dynastie. Denn der tumbe Esmond soll nun für das herhalten, was ihr Mann nicht zustande bringt. Aber Belinda hat die Rechnung ohne ihren Neffen gemacht. Der willigt zwar ein, sie zu ehelichen, aber insgeheim schwebt ihm etwas anderes vor: Nach der Hochzeit beabsichtigt er, die Macht an sich reißen, um fortan das alleinige Sagen auf Grope Hall zu haben.
Klappentext zu „Lauter Irre “
Die Gropes sind eine besondere Familie. Bereits seit dem 10. Jahrhundert, als sich Ursula Grope den Wikinger Awgard den Bleichen zum Mann nahm, haben hier die Frauen das Sagen. Und die Grope-Frauen haben nicht nur ihre Männer unter Kontrolle und bringen viele weibliche Nachkommen zur Welt - sie sehen dazu auch noch alle gleich aus: sehr groß, sehr stark, sehr rothaarig und sehr hässlich.Belinda Ponson ist eine Nachfahrin des matriarchalischen Geschlechts der Gropes. Und Belinda ist wenig erfreut darüber, dass es ihr mit ihrem nichtsnutzigen Mann nicht gelingen will, eine Grope-Nachkommin zu zeugen. So entführt sie kurzerhand ihren Neffen Esmond nach Grope Hall, das imposante und weit abgeschiedene Anwesen der Grope-Dynastie. Denn der tumbe Esmond soll nun für das herhalten, was ihr Mann nicht zustande bringt. Aber Belinda hat die Rechnung ohne ihren Neffen gemacht. Der willigt zwar ein, sie zu ehelichen, aber insgeheim schwebt ihm etwas anderes vor: Nach der Hochzeit beabsichtigt er, die Macht an sich reißen, um fortan das alleinige Sagen auf Grope Hall zu haben.
Lese-Probe zu „Lauter Irre “
Lauter Irre von Tom Sharpe 1
Es ist eine der verblüffenderen Tatsachen, dass es in England
auch heute noch Familien gibt, die in Häusern wohnen,
die ihre Vorfahren vor Jahrhunderten erbaut haben,
auf Land, das ihnen bereits vor der Zeit der normannischen
Eroberungszüge gehörte. Die Gropes aus Grope
Hall sind eine solche Familie.
Sie sind weder reich noch adlig und haben auch niemals
den Neid ihrer mächtigeren oder einflussreicheren Nachbarn
erregt. Die Gropes haben sich vielmehr aus allem
herausgehalten und sich nie auch nur im Geringsten für
Politik, Religion oder irgendetwas anderes interessiert,
was ihnen Ärger hätte eintragen können. Stattdessen haben
sie brav ihre Felder bestellt, die noch immer dieselben
Namen tragen wie im 12. Jahrhundert. Es steckte keine
gezielte Strategie dahinter. Im Gegenteil, meist geschah es
aus Trägheit und in dem Bestreben, sich nicht mit ehrgeiziger,
tüchtiger Nachkommenschaft zu belasten.
... mehr
Die Gropes aus Grope Hall sind in der Grafschaft
Northumberland zu Hause. Es heißt, sie können ihre Herkunft
bis zu einem dänischen Wikinger zurückverfolgen,
einem gewissen Awgard dem Bleichen, der auf der Über-
fahrt über die Nordsee so seekrank gewesen war, dass er
sich von seinem Stoßtrupp absetzte, während dieser das
Nonnenkloster zu Elnmouth plünderte. Anstatt Nonnen
zu schänden, wie es eigentlich von ihm erwartet wurde,
lieferte er sich auf Gedeih und Verderb einer Dienstmagd
aus, auf die er in der Backstube gestoßen war. Diese versuchte
gerade, sich darüber klar zu werden, ob sie geschändet
werden wollte oder nicht. Da sie nicht den mindesten
Liebreiz besaß und Wikingertrupps sie bereits
zweimal verschmäht hatten, war Ursula Grope hochbeglückt,
von dem stattlichen Awgard erwählt zu sein, und
sie führte ihn fort von der fürchterlichen Orgie in dem
geplünderten Nonnenkloster, in das abgelegene Tal von
Mosedale, wo sie in einer Hütte aus Grassoden das Licht
der Welt erblickt hatte.
Die Rückkehr der Tochter, die er nie wiederzusehen
gehofft hatte - noch dazu in Begleitung des gewaltigen
Awgard des Bleichen -, hatte ihren Vater, einen einfachen
Schweinehirten, allerdings so verschreckt, dass er die
wahren Absichten des Wikingers lieber gar nicht erfahren
wollte. Er gab Fersengeld, und das Letzte, was man von
ihm hörte, war, dass er in der Nähe von York heiße Kastanien
verkaufte. Nachdem sie Awgard vor dem Grauen
der Rückfahrt nach Dänemark bewahrt hatte, bestand
Ursula darauf, dass er ihre Ehre als ungeschändete Nonne
hochhielt und sie zur Frau nahm. So entstand angeblich
das Geschlecht der Gropes.
Awgard änderte seinen Namen und nannte sich fortan
Grope, und seine mächtige Gestalt sowie seine düstere
Schwermut jagten den wenigen Bewohnern von Mosedale
bald solche Furcht ein, dass sie nach und nach das Weite
suchten und Ursula sich auf diese Weise Tausende von
Morgen unbewohntes Moorland aneignen und schließlich
die Grope-Dynastie gründen konnte.
Während die Jahrhunderte ins Land gingen, bestärkten
die Familienlegende und die finsteren Geheimnisse
ihres Ursprungs nachfolgende Generationen von Gropes
darin, sich von anderen abzusondern. Eigentlich hätten
sie sich gar nicht besonders zu bemühen brauchen. Der
Hang zur Melancholie und die Abneigung gegen das Reisen,
die Awgard so sehr zu schaffen gemacht hatten, vererbten
sich weiter.
Doch der Einfluss der Gropes-Frauen war ungleich größer.
Zweimal von Wikingern für nicht schändungswürdig
befunden worden zu sein, und das, obwohl die Nordmänner
normalerweise bei der Auswahl ihrer Opfer nicht gerade
anspruchsvoll waren, hatte bei Ursula, der Gründermutter,
eindeutig seelische Narben hinterlassen. Nachdem
sie Awgard ergattert hatte, war sie fest entschlossen, ihn
niemals wieder loszulassen. Außerdem hatte sie entschieden,
die Tausende von Morgen nicht aus den Händen zu
geben, die seine düstere Erscheinung und sein beängstigender
Ruf ihr eingebracht hatten. Dass der Wikinger in Wirklichkeit
ein Abtrünniger war und schreckliche Angst vor
dem Meer hatte, machte beides einfach. Awgard war immer
daheim und weigerte sich sogar, auf den Markt nach
Brithbury zu gehen oder zum alljährlichen Eberkastrieren
und Schlammringen auf der Kirmes in Wellwark Fell.
Also blieb es seinem Eheweib und den fünf Töchtern
überlassen, auf dem Markt verbissen zu feilschen und
an den zweifelhaften Vergnügungen des Volksfestes teilzunehmen.
Da die Töchter, was Körpergröße und -kraft
anging, dem Vater nachschlugen - auch sein rotes Haar
hatten sie geerbt -, und dies mit dem reizlosen Äußeren
und der Entschlossenheit ihrer Mutter verbanden, gab es
hinsichtlich des Ausgangs besagter Schlamm-Ringkämpfe
niemals Zweifel. Hierbei, genau wie bei allem anderen,
an dem die Frauen der Gropes ihre Hände im Spiel hatten,
triumphierte die weibliche Linie der Familie. Bei den
Gropes übernahm folglich auch die älteste Tochter den
Familienbesitz, während in jeder anderen Familie der älteste
Sohn erbte.
Dies wurde zu einer so festen Tradition, dass weithin gemunkelt
wurde, bei den eher seltenen Gelegenheiten, wenn
das erstgeborene Kind ein Junge war, würde der Säugling
gleich nach der Geburt erwürgt. Wie dem auch sei,
im Laufe der Jahre brachten die Gropes jedenfalls ungewöhnlich
viele Mädchen hervor. Allerdings war dies vielleicht
auch der Tatsache geschuldet, dass die Männer, die
die Grope-Frauen ehelichten, dazu neigten, ein wenig weibisch
zu sein - was auf die offenkundige Männlichkeit der
Frauen zurückzuführen oder lediglich eine Typ frage war.
So wie einst Awgard musste jeder Bräutigam den Namen
Grope annehmen. Nur allzu häufig wurden die
Männer auch zur Heirat selbst genötigt. Kein normaler
mannhafter Bursche hätte einer Miss Grope freiwillig die
Ehe angetragen, nicht einmal im Zustand fortgeschrit-
tener Trunkenheit. Es mag durchaus an der Beharrlichkeit
gelegen haben, mit der die unverheirateten Grope-
Mädchen die Junggesellen der Gegend immer wieder
zum Schlamm-Ringkampf herausforderten, dass diese
Kurzweil bald ihren Reiz verlor und schließlich ausstarb.
Selbst die tapfersten Ringer zögerten, ehe sie diese Herausforderung
annahmen. Zu viele junge Männer waren
nach diesem Martyrium halb am Schlamm erstickt wieder
aufgetaucht und hatten nicht leugnen können, dass
sie ihren Widersacherinnen einen Heiratsantrag gemacht
hatten. Außerdem waren die Grope-Maiden auch viel zu
unerschütterlich vereint, um irgendwelches Leugnen hinzunehmen.
Bei einem schrecklichen Zwischenfall hatte
einmal ein Bursche - nachdem es ihm gelungen war, den
Schlamm auszuspucken - frech verkündet, er wolle lieber
sterben, als zum Altar zu schreiten und »Mr. Grope«
zu werden. Und war daraufhin sofort wieder in die
Schlammgrube geschleudert und untergetaucht worden,
bis er seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hatte.
Zu ihrem Leidwesen wurde den männlichen Nachfahren
der Gropes auch noch vorgeschrieben, welchen Beruf
sie zu ergreifen hätten. Konnten sie lesen, so traten sie in
den Dienst der Kirche, wenn nicht (den meisten wurde
keine Gelegenheit zuteil, es zu lernen), wurden sie zur See
geschickt, und man bekam sie nur selten jemals wieder
zu Gesicht. Kein Mann, der klaren Verstandes war, wäre
nach Grope Hall zurückgekehrt, um in die Fußstapfen
seiner Väter zu treten und Schafe zu hüten, in der Küche
zu helfen und nur dann etwas sagen zu dürfen, wenn Ehe-
frau, Schwiegermutter oder Schwägerinnen das Wort an
ihn richteten.
Es gab kein Entkommen. Früher einmal hatten ein paar
der Angetrauten es bis zur Bruchsteinmauer geschafft, die
die Ländereien der Gropes begrenzte, und einer von ihnen
war sogar darübergestiegen. Doch die Kargheit der
Landschaft und die Erschöpfung, die in ihren Gliedern
steckte, weil sie die unersättlichen Gelüste ihrer Gattinnen
im Bett befriedigen mussten, machte ihnen jegliches
Weiterkommen unmöglich. Sie wurden von nervenaufreibend
freundlichen Bluthunden, die eigens darauf abgerichtet
worden waren, irregeleitete Ehemänner aufzuspüren,
zum Familienwohnsitz zurückgeleitet und nach einer
heftigen Strafpredigt ohne Abendessen zu Bett geschickt.
Auch in weniger wüsten Zeiten herrschten die Frauen
der Gropes weiterhin über die Männer der Familie und
sorgten dafür, dass die Existenz des Anwesens so weit wie
möglich unbemerkt blieb. Natürlich war Grope Hall bei
Weitem nicht mehr die Hütte aus Grassoden, in die Ursula
seinerzeit Awgard den Bleichen gebracht hatte. Generationen
willensstarker Frauen waren von ihren weibischen
Ehemännern darin bestärkt worden, seidene
Wandbehänge, Stuckdecken und venezianische Stühle anzuschaffen
- und natürlich Wasserklosetts, die in puncto
Ungestörtheit und Komfort dem Plumpsklo draußen auf
dem Hof weitaus überlegen waren. Es wäre vermutlich
zu viel verlangt gewesen, wenn alles auch nur annähernd
beim Alten geblieben wäre. Trotzdem gingen die Veränderungen
nur langsam und stückweise vonstatten. Nichts
wurde weggeworfen und nichts allzu Auffälliges dem Gebäude
hinzugefügt, was die Aufmerksamkeit auf Grope
Hall hätte lenken können. Selbst die Grassoden der ursprünglichen
Hütte wurden noch dazu benutzt, den Zwischenraum
zwischen den Schlafzimmerdielen und der
darunterliegenden Decke auszufüllen, um den Lärm der
ehelichen Aktivitäten im Obergeschoss zu dämpfen.
Im 19. Jahrhundert hatte Grope Hall das Aussehen eines
großen und ziemlich komfortablen Northumberland-
Bauernhauses. Nichts an den dicken grauen Steinmauern
und den kleinen Fenstern deutete auf die merkwürdigen
Familientraditionen hin. Trotzdem war es unmöglich, im
umliegenden Bezirk einen Mann ausfindig zu machen,
der bereit war, sich in Reichweite einer Miss Grope zu begeben;
der Brauch des Schlammringens war zwar längst
ausgestorben, doch die Erinnerung an dieses fürchterliche
Spektakel und seine schrecklichen Folgen für die Beteiligten
hielt sich in der Gegend. In gewisser Weise trug
dies sogar zu dem Wohlstand bei, dessen die Gropes sich
erfreuten. Eine Miss Grope brauchte auf dem Markt in
Brithbury bloß aufzutauchen, und schlagartig waren
sämtliche halbwegs ehetauglichen Männer vom Vorführ-
pferch verschwunden. Die Viehpreise fielen rapide, wenn
die Dame zu kaufen gedachte. Oder sie schnellten in die
Höhe, wenn sie etwas zu verkaufen hatte.
In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts war es so
schwierig geworden, in Northumberland einen Ehemann
aufzutreiben, dass nur die Erfindung der Eisenbahn die
Familie davor bewahrte, ernsthaft darüber nachdenken
zu müssen, die Väter ihrer Kinder im Irrenhaus des Bezirks
zu rekrutieren - mit allen verderblichen Auswirkungen,
die dies auf künftige Generationen gehabt hätte.
Nicht, dass es unbedingt ein unüberwindliches Problem
dargestellt hätte, mit einem Verrückten verheiratet zu
sein. In der Vergangenheit hatten sich diverse Ehegatten
als derart unfruchtbar oder unheilbar impotent erwiesen,
dass man extreme Maßnahmen hatte ergreifen müssen:
entweder die Entführung von auf der Durchreise befindlichen
Fremden oder die Bezahlung für die geschlechtlichen
Dienste unbedachter Handwerker, die vielköpfige
Familien zu ernähren hatten. Mehr als einem Reisenden
war auf dem Weg durch Mosedale das schreckliche Erlebnis
widerfahren, dass eine als Mann verkleidete Grope-
Jungfer ihm aufgelauert und ihn gezwungen hatte, etwas
zu vollziehen, was er für einen widernatürlichen Akt hielt,
ehe er, mit Gin und Opium betäubt und meilenweit von
Grope Hall entfernt, besinnungslos in einem Graben liegen
gelassen worden war.
Die Eisenbahn änderte das alles. Jetzt war es möglich,
bis nach Manchester oder Liverpool zu reisen und mit einem
Verlobten heimzukehren, wenn auch mit einem, der
nicht wusste, dass er verlobt war, bis er in der kleinen Kapelle
hinter Grope Hall dem Reverend Grope gegenübertreten
und »Ja« sagen musste. Die Tatsache, dass etliche
dieser Bräutigame bereits verheiratet waren und Frau und
Kinder hatten, wurde fröhlich übersehen, denn dieser Beweis
ihrer Fruchtbarkeit machte sie nur noch attraktiver.
Nicht nur das, diese Männer hatten verständlicherweise
auch nichts dagegen, ihren Namen zu ändern. Das Wissen
darum, dass ihnen eine Anklage wegen Bigamie und
lange Gefängnisstrafen drohten, sorgte für eine Bindung
an Grope Hall, die andernfalls vielleicht nicht entstanden
wäre.
Doch das hartnäckigste Problem waren die männlichen
Erstgeborenen oder, noch schlimmer, jene Grope-Frauen,
die keine weiblichen Nachkommen zur Welt brachten.
Der Registration of Births & Death Act aus dem Jahre
1835, laut dem Geburten und Todesfälle offiziell zu registrieren
waren, machte das alte Hausmittel, männliche
Säuglinge bei der Geburt zu erwürgen oder zu ersticken,
zu einer eindeutig riskanten Vorgehensweise. Nicht, dass
die Familie jemals zugegeben hätte, auf derlei Mittel zurückgegriffen
zu haben.
Ein eklatanter Mangel an weiblichen Erben war ganz
besonders ein Problem für Mrs. Rossetti Grope, die anscheinend
nicht in der Lage war, Mädchen zu gebären.
»Ich kann nichts dafür«, jammerte sie, als der siebte
kleine Junge das Licht der Welt erblickte. »Es ist Arthurs
Schuld.«
Diese Ausrede, die sich später als wissenschaftlich korrekt
erweisen sollte, besänftigte ihre Schwestern nicht im
Mindesten. Beatrice war ungemein erbost.
»Du hättest dir den Kerl gar nicht erst aussuchen sollen
«, schnaubte sie. »Jeder Trottel kann doch sehen, dass
er geradezu widerlich zügellos und männlich ist. Kennen
wir denn hier in der Gegend niemanden, der einen makellosen
Ruf hat, nur Mädchen zu zeugen?«
»Da wäre Bert Trubshot, drüben in Gingham Coalville.
Mrs.Trubshot hat neun reizende Töchter geboren, und ...«,
setzte Sophie an.
»Bert, der Fäkaliensammler? Das glaube ich nicht. Ich
habe noch nie einen hässlicheren Mann gesehen, mit all
diesen Pusteln und ... bist du sicher?«, fragte Fanny.
Sophie Grope war sicher.
»Ich gehe nicht mit Bert Trubshot ins Bett!«, schrie
Rossetti hysterisch. »Mein Arthur mag ja kein vollkommener
Ehemann sein, aber wenigstens ist er sauber und
gewaschen. Bert Trubshot starrt vor Dreck!«
Ihre Schwestern musterten sie mit zornigen Blicken.
Noch nie hatte sich eine Grope geweigert, ihre Pflicht
zu tun. Selbst während der Pest, als die anderen Höfe in
der Gegend ihre Türen vor Fremden verschlossen hatten,
hatte die unfruchtbare, verwitwete Eliza Grope tapfer
eine ganze Anzahl verängstigter Männer in ihr Bett gezerrt,
welche irrtümlicherweise angenommen hatten, in
der Abgeschiedenheit von Mosedale in Sicherheit zu sein.
Nicht, dass ihr ihre Bemühungen so vergolten worden wären,
wie sie es sich erhofft hatte. Sie war selbst an der Pest
gestorben. Doch ihr Beispiel diente späteren Generationen
als Maßstab.
»Du nimmst Bert Trubshot, ob es dir nun passt oder
nicht«, wies Beatrice ihre Schwester finster an.
»Arthur wird wütend sein. Er ist sehr eifersüchtig.«
»Und als Ehemann absolut hoffnungslos. Wir sorgen
dafür, dass er nichts davon erfährt.«
»Aber er findet es bestimmt von allein heraus«, wandte
Rossetti ein. »Und er legt großen Wert auf sein Liebesleben.«
»Dann werden wir eben dafür sorgen müssen, dass er
das Interesse an derlei Dingen verliert«, gab Beatrice zurück.
Drei Monate später, als Rossetti hinlänglich genesen
war und man ihr Baby in das übliche Waisenhaus in Durham
gebracht hatte, wurde Arthur Grope eine ausnehmend
große Dosis eines Schlaftrunks in die Suppe getan,
woraufhin er gerade noch Zeit hatte zu bemerken,
dass sie besser schmecke als sonst, ehe er über gekochtem
Hammelfleisch und Karotten einnickte. Später an jenem
Abend hatte er eine höchst unglückliche Begegnung
mit einer zerbrochenen Brandyflasche, von der er sich nie
wieder ganz erholte.
Währenddessen machten sich Sophie und Fanny in einer
mit Vorhängen verhüllten Kutsche nach Gingham Coalville
auf, um Bert Trubshot herbeizuschaffen. Sie trafen
ihn dabei an, wie er um zwei Uhr morgens seinem übel
riechenden Gewerbe nachging, und während Fanny von
vorn auf ihn zutrat - vorgeblich um sich zu erkundigen,
ob sie hier auf der richtigen Straße nach Alanwick seien -,
streckte Sophie ihn durch einen besonnenen Schlag auf den
Hinterkopf mit einem Totschläger nieder. Danach war es
ein Leichtes, ihn nach Grope Hall zu fahren, wo er - dank
der Gehirnerschütterung in einem Zustand halluzinierender
Sinnestäuschungen - seine Pflicht tat, nachdem man
ihn vorher abgeschrubbt und freigebig mit etlichen Flaschen
Parfum übergossen, ihm die Augen verbunden, eine
große Anzahl Austern sowie ein paar zermahlene Perlen
verabreicht hatte.
Selbst Rossetti fand das Ganze weniger unersprießlich,
als sie erwartet hatte, und sie empfand ein Gefühl
der Wehmut, als er schließlich mit Schnaps betäubt nach
Gingham Coalville zurückgefahren wurde. Was Bert
Trubshot fühlte, als er nach Parfum stinkend und splitterfasernackt
auf der Schwelle seines Cottage aufgefunden
wurde, war die Ohrfeige seiner Gattin und ein gewisses
Maß an Reue, dass er jemals eine so gewalttätige und
unliebenswerte Frau geheiratet hatte.
Arthur Grope war sogar noch elender zumute. Während
er im Hospital von Wexham lag, war ihm zwar
schmerzlich bewusst, was ihm zugestoßen war, doch er
konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie und
warum es geschehen war.
»Können Sie denn gar nichts machen?«, fragte er die
Ärzte mit einer Stimme, die sich bereits zu verändern begann,
nur um zu erfahren, dass da nicht allzu viel zu retten
sei, und außerdem hätte er eben nicht so viel Brandy
trinken sollen. Arthur entgegnete, er könne sich nicht
erinnern, überhaupt Brandy getrunken zu haben, nicht
einen Tropfen, denn er sei sein ganzes Leben lang Abstinenzler
gewesen. Wenn jedoch das, was die Ärzte ihm
gesagt hatten, wahr und seine einzige Freude im Leben
für alle Zeit dahin wäre, dann würde er in Zukunft verdammt
noch mal saufen wie ein Loch.
Arthurs Entschluss, ein hemmungsloser Trinker zu
werden, wurde bestärkt, als Rossetti Grope neun Mo-
nate später eine ungewöhnlich hässliche Tochter zur Welt
brachte, mit schwarzen Augen und dunklem Haar und
ohne irgendeine Ähnlichkeit mit den Jungs, die Arthur gezeugt
hatte. Er starb ein Jahr später als zutiefst verbitterter,
trunksüchtiger Kastrat; Rossetti und ihre Tochter
folgten ihm bald darauf ins Grab. Beide hatten sich in
einem ausnehmend kalten und nassen Winter eine Lungenentzündung
zugezogen.
Zum Glück machte Fanny Rossettis Unzulänglichkeiten
wieder wett; sie gebar ohne kirchlichen Segen sieben
Töchter, indem sie regelmäßig spätabendliche Abstecher
nach Gingham Coalville unternahm, wo sie sich, da sie
weniger empfindlich in Sachen Körperhygiene war als
ihre Schwester, an den Aufmerksamkeiten Bert Trubshots
erfreute. Dank eines Fäkaliensammlers war die weibliche
Linie der Gropes abermals gesichert.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte der allgemeine
Wohlstand endlich Mosedale und Grope Hall. Die
Gropes, die bereits Wasserklosetts installiert und Polsterstühle
angeschafft hatten, taten ihr Bestes, diesen neuerlichen
Ansturm der Moderne mit der Begründung zu ignorieren,
er werde wie alle anderen Modeerscheinungen
bald vorübergehen. Unausweichlich jedoch erlag selbst
Beatrice, nunmehr die Herrin von Grope Hall, dem Lockruf
von Zierdeckchen und dem überladenen Einrichtungsstil,
der sich anderswo vor fünfzig Jahren großer
Beliebtheit erfreut hatte. Die alten Zinnzuber, die der Familie
so viele Jahre lang für ihre jährlichen Waschungen
genügt hatten, wurden abgeschafft und durch eine gewaltige
eiserne Badewanne ersetzt, mit Hähnen und zuverlässig
fließendem kaltem sowie gelegentlich auch warmem
Wasser, und die weiblichen Gropes waren nunmehr mindestens
einmal in der Woche beim Baden anzutreffen.
Abgesehen von den Ehemännern und dem einen oder
anderen Sohn, der sich noch immer auf dem Anwesen
herumdrückte, liefen die Dinge im Großen und Ganzen
weiter wie bisher. Die Männer der Gropes brauten Bier
für ihre Frauen und destillierten diverse lebensgefährliche
Spirituosen, die sie je nach Farbe als Brandy oder Gin
bezeichneten, so, wie sie es seit Generationen getan hatten.
Und wenn sie Glück hatten oder ihre Gattinnen es
wünschten, wurde ihnen gestattet, ein Bad im nahe gelegenen
Fluss zu nehmen.
Wohlstand hin oder her, die Gropes gingen weiter ihrer
Arbeit nach, als würde sich so schnell nichts Grundlegendes
ändern. Doch sie irrten sich.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf ihrem Grund
und Boden Kohle gefunden, in größeren Mengen als jemals
zuvor und in so dicken Schichten und derart nah
an der Oberfläche, dass Adelaide Grope der Aussicht auf
unermesslichen Reichtum auf keinen Fall widerstehen
konnte. Sie war diejenige Tochter, die einen ausgeprägten
Geschäftssinn besaß und anstelle der mittlerweile senilen
und bettlägerigen Beatrice als Familienoberhaupt fungierte.
Der Wettlauf mit dem deutschen Kaiser im Aufrüsten
zur See hatte gerade begonnen, und der Bedarf an Kohle
war riesengroß, um Schlachtschiffe zu bauen und anzutreiben.
Ein schmaler Schienenstrang wurde entlang der
öden Täler gebaut, und bis zum Rand vollgeladene Loren
rollten zu den großen Eisenwerken und Werften sechzig
Meilen weiter im Osten und kehrten mit kräftigen Männern
beladen zurück, die in der Kohlegrube arbeiten sollten.
Fast über Nacht wurden die Gropes verhältnismäßig
reich, sowohl was Geld als auch was einen scheinbaren
Überfluss an Männern anging, die den Grope-Mädchen
zu Diensten sein könnten, selbst wenn sie sie nicht heiraten
wollten. Doch es sollte nicht sein. Der unheilvolle Ruf
der Familie sowie neun fürchterliche Hunde, Nachkommen
der freundlichen Bluthunde, nunmehr jedoch entschieden
weniger gutmütig, schreckten sämtliche Männer
ab, ob sie nun neu in der Gegend waren oder nicht.
Desgleichen die Mädchen selbst. Beatrices Töchter schlugen
nämlich alle fünf viel zu sehr nach ihren weiblichen
Vorfahren, um selbst für einen völlig verzweifelten Mann
auch nur im Geringsten anziehend zu sein. Bald mieden
die Bergleute Grope Hall ganz und waren nur noch in
Gruppen unterwegs; denn ein Mann allein gab ein nur
allzu leichtes Ziel ab. Aus den Fenstern von Grope Hall
beobachteten lüsterne Raubtieraugen, wie sie des Mor-
gens aus den leeren Kohlewagons kletterten und sich
abends an die Seiten der voll beladenen Loren klammerten,
die aus der Grube zurückkehrten. Die Grope-Mädchen
waren machtlos.
Adelaide jedoch, die das rücksichtslose Wesen ihrer
Ahnen geerbt hatte, fand trotzdem Mittel und Wege, den
neu entdeckten Wohlstand der Familie Grope sowie den
plötzlichen Zuwachs an verfügbaren Männern gewinnbringend
zu nutzen. Um sicherzugehen, dass die Steuerbehörden
den wahren Profit des Bergwerks nicht ermittelten,
hatte sie den Vertrag mit der Bergbaugesellschaft
selbst aufgesetzt. Es war gelinde gesagt ein außergewöhnliches
Dokument. Sämtliche Gewinne mussten monatlich
in Goldmünzen ausgezahlt und sodann vom Chefbuchhalter
persönlich nach Grope Hall gebracht werden, dem
seinerseits insgeheim fünf Prozent der nicht dokumentierten
Gesamtsumme garantiert worden waren. Schließlich
hatte sie Beatrice, von Rechts wegen noch immer das
Familienoberhaupt, dazu überredet, im Beisein von zwei
völlig verängstigten Ärzten, einer davon ein Psychiater in
einem Hospital für Geisteskranke, sowie eines Notars den
Vertrag mit der Bergbaugesellschaft zu unterzeichnen. Da
Beatrice zu diesem Zeitpunkt geistig bereits so verwirrt
gewesen war, dass es an Demenz grenzte, hatte Adelaide
für dieses Privileg fürstlich bezahlt und eine handfeste
Bestechungssumme für den Notar und die Ärzte hinlegen
müssen, um bestätigt zu bekommen, dass ihre Mutter
klaren Verstandes sei.
Nachdem sie den Wohlstand der Gropes gesichert
hatte, befasste Adelaide sich mit dem lästigen Problem,
den Fortbestand der weiblichen Stammbaumlinie zu sichern.
Und so wie ihre Vorfahren kam sie zu dem Entschluss,
dass Entführung und gewaltsame Freiheitsberaubung
die einzig brauchbare Lösung seien.
Da ihr aufgefallen war, welche Zugangsmöglichkeiten
zu den Ländereien der Gropes durch die neuen Bahngleise
entstanden waren, schmiedete Adelaide einen ehrgeizigen
Plan. Sie wollte das Anwesen besser sichern und
zugleich dafür sorgen, dass jeder Bergmann, den die Gropes
einmal in die Finger bekommen hatten, auch in diesen
Fingern verblieb. Einmal hatten sie bei einem besonders
erfolgreichen nächtlichen Streifzug zwei arglose Burschen
erwischt, die friedlich im Mosedale River geangelt hatten.
Unter den wachsamen Blicken zweier der hünenhafteren
Grope-Töchter waren die beiden dann etliche Stunden
später wie Hühnchen verschnürt wieder erwacht. Nach
diesem Vorfall wurden Vorsichtsmaßnahmen umso dringlicher.
Ein Schild wurde am Tor angebracht, auf dem jeder,
der sich nach Grope Hall begeben wollte, mit dem
Hinweis VORSICHT SPANISCHE KAMPFSTIERE gewarnt
wurde, und tatsächlich waren neben dem unwegsamen
Pfad, der als Auffahrt diente, zwei geschmeidige, gefährliche
Bullen lose angepflockt.
Nach etlichen Missgeschicken, bei denen es vorwiegend
um aufgespießte Briefträger ging, und dem völligen
Ausbleiben jeglicher an die Gropes adressierter Post, ganz
gleich, wie wichtig, war neben dem Tor ein Briefkasten an
der Mauer befestigt worden.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Tom Sharpe
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
ISBN: 978-3-442-31225-2
www.goldmann-verlag.de
Die Gropes aus Grope Hall sind in der Grafschaft
Northumberland zu Hause. Es heißt, sie können ihre Herkunft
bis zu einem dänischen Wikinger zurückverfolgen,
einem gewissen Awgard dem Bleichen, der auf der Über-
fahrt über die Nordsee so seekrank gewesen war, dass er
sich von seinem Stoßtrupp absetzte, während dieser das
Nonnenkloster zu Elnmouth plünderte. Anstatt Nonnen
zu schänden, wie es eigentlich von ihm erwartet wurde,
lieferte er sich auf Gedeih und Verderb einer Dienstmagd
aus, auf die er in der Backstube gestoßen war. Diese versuchte
gerade, sich darüber klar zu werden, ob sie geschändet
werden wollte oder nicht. Da sie nicht den mindesten
Liebreiz besaß und Wikingertrupps sie bereits
zweimal verschmäht hatten, war Ursula Grope hochbeglückt,
von dem stattlichen Awgard erwählt zu sein, und
sie führte ihn fort von der fürchterlichen Orgie in dem
geplünderten Nonnenkloster, in das abgelegene Tal von
Mosedale, wo sie in einer Hütte aus Grassoden das Licht
der Welt erblickt hatte.
Die Rückkehr der Tochter, die er nie wiederzusehen
gehofft hatte - noch dazu in Begleitung des gewaltigen
Awgard des Bleichen -, hatte ihren Vater, einen einfachen
Schweinehirten, allerdings so verschreckt, dass er die
wahren Absichten des Wikingers lieber gar nicht erfahren
wollte. Er gab Fersengeld, und das Letzte, was man von
ihm hörte, war, dass er in der Nähe von York heiße Kastanien
verkaufte. Nachdem sie Awgard vor dem Grauen
der Rückfahrt nach Dänemark bewahrt hatte, bestand
Ursula darauf, dass er ihre Ehre als ungeschändete Nonne
hochhielt und sie zur Frau nahm. So entstand angeblich
das Geschlecht der Gropes.
Awgard änderte seinen Namen und nannte sich fortan
Grope, und seine mächtige Gestalt sowie seine düstere
Schwermut jagten den wenigen Bewohnern von Mosedale
bald solche Furcht ein, dass sie nach und nach das Weite
suchten und Ursula sich auf diese Weise Tausende von
Morgen unbewohntes Moorland aneignen und schließlich
die Grope-Dynastie gründen konnte.
Während die Jahrhunderte ins Land gingen, bestärkten
die Familienlegende und die finsteren Geheimnisse
ihres Ursprungs nachfolgende Generationen von Gropes
darin, sich von anderen abzusondern. Eigentlich hätten
sie sich gar nicht besonders zu bemühen brauchen. Der
Hang zur Melancholie und die Abneigung gegen das Reisen,
die Awgard so sehr zu schaffen gemacht hatten, vererbten
sich weiter.
Doch der Einfluss der Gropes-Frauen war ungleich größer.
Zweimal von Wikingern für nicht schändungswürdig
befunden worden zu sein, und das, obwohl die Nordmänner
normalerweise bei der Auswahl ihrer Opfer nicht gerade
anspruchsvoll waren, hatte bei Ursula, der Gründermutter,
eindeutig seelische Narben hinterlassen. Nachdem
sie Awgard ergattert hatte, war sie fest entschlossen, ihn
niemals wieder loszulassen. Außerdem hatte sie entschieden,
die Tausende von Morgen nicht aus den Händen zu
geben, die seine düstere Erscheinung und sein beängstigender
Ruf ihr eingebracht hatten. Dass der Wikinger in Wirklichkeit
ein Abtrünniger war und schreckliche Angst vor
dem Meer hatte, machte beides einfach. Awgard war immer
daheim und weigerte sich sogar, auf den Markt nach
Brithbury zu gehen oder zum alljährlichen Eberkastrieren
und Schlammringen auf der Kirmes in Wellwark Fell.
Also blieb es seinem Eheweib und den fünf Töchtern
überlassen, auf dem Markt verbissen zu feilschen und
an den zweifelhaften Vergnügungen des Volksfestes teilzunehmen.
Da die Töchter, was Körpergröße und -kraft
anging, dem Vater nachschlugen - auch sein rotes Haar
hatten sie geerbt -, und dies mit dem reizlosen Äußeren
und der Entschlossenheit ihrer Mutter verbanden, gab es
hinsichtlich des Ausgangs besagter Schlamm-Ringkämpfe
niemals Zweifel. Hierbei, genau wie bei allem anderen,
an dem die Frauen der Gropes ihre Hände im Spiel hatten,
triumphierte die weibliche Linie der Familie. Bei den
Gropes übernahm folglich auch die älteste Tochter den
Familienbesitz, während in jeder anderen Familie der älteste
Sohn erbte.
Dies wurde zu einer so festen Tradition, dass weithin gemunkelt
wurde, bei den eher seltenen Gelegenheiten, wenn
das erstgeborene Kind ein Junge war, würde der Säugling
gleich nach der Geburt erwürgt. Wie dem auch sei,
im Laufe der Jahre brachten die Gropes jedenfalls ungewöhnlich
viele Mädchen hervor. Allerdings war dies vielleicht
auch der Tatsache geschuldet, dass die Männer, die
die Grope-Frauen ehelichten, dazu neigten, ein wenig weibisch
zu sein - was auf die offenkundige Männlichkeit der
Frauen zurückzuführen oder lediglich eine Typ frage war.
So wie einst Awgard musste jeder Bräutigam den Namen
Grope annehmen. Nur allzu häufig wurden die
Männer auch zur Heirat selbst genötigt. Kein normaler
mannhafter Bursche hätte einer Miss Grope freiwillig die
Ehe angetragen, nicht einmal im Zustand fortgeschrit-
tener Trunkenheit. Es mag durchaus an der Beharrlichkeit
gelegen haben, mit der die unverheirateten Grope-
Mädchen die Junggesellen der Gegend immer wieder
zum Schlamm-Ringkampf herausforderten, dass diese
Kurzweil bald ihren Reiz verlor und schließlich ausstarb.
Selbst die tapfersten Ringer zögerten, ehe sie diese Herausforderung
annahmen. Zu viele junge Männer waren
nach diesem Martyrium halb am Schlamm erstickt wieder
aufgetaucht und hatten nicht leugnen können, dass
sie ihren Widersacherinnen einen Heiratsantrag gemacht
hatten. Außerdem waren die Grope-Maiden auch viel zu
unerschütterlich vereint, um irgendwelches Leugnen hinzunehmen.
Bei einem schrecklichen Zwischenfall hatte
einmal ein Bursche - nachdem es ihm gelungen war, den
Schlamm auszuspucken - frech verkündet, er wolle lieber
sterben, als zum Altar zu schreiten und »Mr. Grope«
zu werden. Und war daraufhin sofort wieder in die
Schlammgrube geschleudert und untergetaucht worden,
bis er seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hatte.
Zu ihrem Leidwesen wurde den männlichen Nachfahren
der Gropes auch noch vorgeschrieben, welchen Beruf
sie zu ergreifen hätten. Konnten sie lesen, so traten sie in
den Dienst der Kirche, wenn nicht (den meisten wurde
keine Gelegenheit zuteil, es zu lernen), wurden sie zur See
geschickt, und man bekam sie nur selten jemals wieder
zu Gesicht. Kein Mann, der klaren Verstandes war, wäre
nach Grope Hall zurückgekehrt, um in die Fußstapfen
seiner Väter zu treten und Schafe zu hüten, in der Küche
zu helfen und nur dann etwas sagen zu dürfen, wenn Ehe-
frau, Schwiegermutter oder Schwägerinnen das Wort an
ihn richteten.
Es gab kein Entkommen. Früher einmal hatten ein paar
der Angetrauten es bis zur Bruchsteinmauer geschafft, die
die Ländereien der Gropes begrenzte, und einer von ihnen
war sogar darübergestiegen. Doch die Kargheit der
Landschaft und die Erschöpfung, die in ihren Gliedern
steckte, weil sie die unersättlichen Gelüste ihrer Gattinnen
im Bett befriedigen mussten, machte ihnen jegliches
Weiterkommen unmöglich. Sie wurden von nervenaufreibend
freundlichen Bluthunden, die eigens darauf abgerichtet
worden waren, irregeleitete Ehemänner aufzuspüren,
zum Familienwohnsitz zurückgeleitet und nach einer
heftigen Strafpredigt ohne Abendessen zu Bett geschickt.
Auch in weniger wüsten Zeiten herrschten die Frauen
der Gropes weiterhin über die Männer der Familie und
sorgten dafür, dass die Existenz des Anwesens so weit wie
möglich unbemerkt blieb. Natürlich war Grope Hall bei
Weitem nicht mehr die Hütte aus Grassoden, in die Ursula
seinerzeit Awgard den Bleichen gebracht hatte. Generationen
willensstarker Frauen waren von ihren weibischen
Ehemännern darin bestärkt worden, seidene
Wandbehänge, Stuckdecken und venezianische Stühle anzuschaffen
- und natürlich Wasserklosetts, die in puncto
Ungestörtheit und Komfort dem Plumpsklo draußen auf
dem Hof weitaus überlegen waren. Es wäre vermutlich
zu viel verlangt gewesen, wenn alles auch nur annähernd
beim Alten geblieben wäre. Trotzdem gingen die Veränderungen
nur langsam und stückweise vonstatten. Nichts
wurde weggeworfen und nichts allzu Auffälliges dem Gebäude
hinzugefügt, was die Aufmerksamkeit auf Grope
Hall hätte lenken können. Selbst die Grassoden der ursprünglichen
Hütte wurden noch dazu benutzt, den Zwischenraum
zwischen den Schlafzimmerdielen und der
darunterliegenden Decke auszufüllen, um den Lärm der
ehelichen Aktivitäten im Obergeschoss zu dämpfen.
Im 19. Jahrhundert hatte Grope Hall das Aussehen eines
großen und ziemlich komfortablen Northumberland-
Bauernhauses. Nichts an den dicken grauen Steinmauern
und den kleinen Fenstern deutete auf die merkwürdigen
Familientraditionen hin. Trotzdem war es unmöglich, im
umliegenden Bezirk einen Mann ausfindig zu machen,
der bereit war, sich in Reichweite einer Miss Grope zu begeben;
der Brauch des Schlammringens war zwar längst
ausgestorben, doch die Erinnerung an dieses fürchterliche
Spektakel und seine schrecklichen Folgen für die Beteiligten
hielt sich in der Gegend. In gewisser Weise trug
dies sogar zu dem Wohlstand bei, dessen die Gropes sich
erfreuten. Eine Miss Grope brauchte auf dem Markt in
Brithbury bloß aufzutauchen, und schlagartig waren
sämtliche halbwegs ehetauglichen Männer vom Vorführ-
pferch verschwunden. Die Viehpreise fielen rapide, wenn
die Dame zu kaufen gedachte. Oder sie schnellten in die
Höhe, wenn sie etwas zu verkaufen hatte.
In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts war es so
schwierig geworden, in Northumberland einen Ehemann
aufzutreiben, dass nur die Erfindung der Eisenbahn die
Familie davor bewahrte, ernsthaft darüber nachdenken
zu müssen, die Väter ihrer Kinder im Irrenhaus des Bezirks
zu rekrutieren - mit allen verderblichen Auswirkungen,
die dies auf künftige Generationen gehabt hätte.
Nicht, dass es unbedingt ein unüberwindliches Problem
dargestellt hätte, mit einem Verrückten verheiratet zu
sein. In der Vergangenheit hatten sich diverse Ehegatten
als derart unfruchtbar oder unheilbar impotent erwiesen,
dass man extreme Maßnahmen hatte ergreifen müssen:
entweder die Entführung von auf der Durchreise befindlichen
Fremden oder die Bezahlung für die geschlechtlichen
Dienste unbedachter Handwerker, die vielköpfige
Familien zu ernähren hatten. Mehr als einem Reisenden
war auf dem Weg durch Mosedale das schreckliche Erlebnis
widerfahren, dass eine als Mann verkleidete Grope-
Jungfer ihm aufgelauert und ihn gezwungen hatte, etwas
zu vollziehen, was er für einen widernatürlichen Akt hielt,
ehe er, mit Gin und Opium betäubt und meilenweit von
Grope Hall entfernt, besinnungslos in einem Graben liegen
gelassen worden war.
Die Eisenbahn änderte das alles. Jetzt war es möglich,
bis nach Manchester oder Liverpool zu reisen und mit einem
Verlobten heimzukehren, wenn auch mit einem, der
nicht wusste, dass er verlobt war, bis er in der kleinen Kapelle
hinter Grope Hall dem Reverend Grope gegenübertreten
und »Ja« sagen musste. Die Tatsache, dass etliche
dieser Bräutigame bereits verheiratet waren und Frau und
Kinder hatten, wurde fröhlich übersehen, denn dieser Beweis
ihrer Fruchtbarkeit machte sie nur noch attraktiver.
Nicht nur das, diese Männer hatten verständlicherweise
auch nichts dagegen, ihren Namen zu ändern. Das Wissen
darum, dass ihnen eine Anklage wegen Bigamie und
lange Gefängnisstrafen drohten, sorgte für eine Bindung
an Grope Hall, die andernfalls vielleicht nicht entstanden
wäre.
Doch das hartnäckigste Problem waren die männlichen
Erstgeborenen oder, noch schlimmer, jene Grope-Frauen,
die keine weiblichen Nachkommen zur Welt brachten.
Der Registration of Births & Death Act aus dem Jahre
1835, laut dem Geburten und Todesfälle offiziell zu registrieren
waren, machte das alte Hausmittel, männliche
Säuglinge bei der Geburt zu erwürgen oder zu ersticken,
zu einer eindeutig riskanten Vorgehensweise. Nicht, dass
die Familie jemals zugegeben hätte, auf derlei Mittel zurückgegriffen
zu haben.
Ein eklatanter Mangel an weiblichen Erben war ganz
besonders ein Problem für Mrs. Rossetti Grope, die anscheinend
nicht in der Lage war, Mädchen zu gebären.
»Ich kann nichts dafür«, jammerte sie, als der siebte
kleine Junge das Licht der Welt erblickte. »Es ist Arthurs
Schuld.«
Diese Ausrede, die sich später als wissenschaftlich korrekt
erweisen sollte, besänftigte ihre Schwestern nicht im
Mindesten. Beatrice war ungemein erbost.
»Du hättest dir den Kerl gar nicht erst aussuchen sollen
«, schnaubte sie. »Jeder Trottel kann doch sehen, dass
er geradezu widerlich zügellos und männlich ist. Kennen
wir denn hier in der Gegend niemanden, der einen makellosen
Ruf hat, nur Mädchen zu zeugen?«
»Da wäre Bert Trubshot, drüben in Gingham Coalville.
Mrs.Trubshot hat neun reizende Töchter geboren, und ...«,
setzte Sophie an.
»Bert, der Fäkaliensammler? Das glaube ich nicht. Ich
habe noch nie einen hässlicheren Mann gesehen, mit all
diesen Pusteln und ... bist du sicher?«, fragte Fanny.
Sophie Grope war sicher.
»Ich gehe nicht mit Bert Trubshot ins Bett!«, schrie
Rossetti hysterisch. »Mein Arthur mag ja kein vollkommener
Ehemann sein, aber wenigstens ist er sauber und
gewaschen. Bert Trubshot starrt vor Dreck!«
Ihre Schwestern musterten sie mit zornigen Blicken.
Noch nie hatte sich eine Grope geweigert, ihre Pflicht
zu tun. Selbst während der Pest, als die anderen Höfe in
der Gegend ihre Türen vor Fremden verschlossen hatten,
hatte die unfruchtbare, verwitwete Eliza Grope tapfer
eine ganze Anzahl verängstigter Männer in ihr Bett gezerrt,
welche irrtümlicherweise angenommen hatten, in
der Abgeschiedenheit von Mosedale in Sicherheit zu sein.
Nicht, dass ihr ihre Bemühungen so vergolten worden wären,
wie sie es sich erhofft hatte. Sie war selbst an der Pest
gestorben. Doch ihr Beispiel diente späteren Generationen
als Maßstab.
»Du nimmst Bert Trubshot, ob es dir nun passt oder
nicht«, wies Beatrice ihre Schwester finster an.
»Arthur wird wütend sein. Er ist sehr eifersüchtig.«
»Und als Ehemann absolut hoffnungslos. Wir sorgen
dafür, dass er nichts davon erfährt.«
»Aber er findet es bestimmt von allein heraus«, wandte
Rossetti ein. »Und er legt großen Wert auf sein Liebesleben.«
»Dann werden wir eben dafür sorgen müssen, dass er
das Interesse an derlei Dingen verliert«, gab Beatrice zurück.
Drei Monate später, als Rossetti hinlänglich genesen
war und man ihr Baby in das übliche Waisenhaus in Durham
gebracht hatte, wurde Arthur Grope eine ausnehmend
große Dosis eines Schlaftrunks in die Suppe getan,
woraufhin er gerade noch Zeit hatte zu bemerken,
dass sie besser schmecke als sonst, ehe er über gekochtem
Hammelfleisch und Karotten einnickte. Später an jenem
Abend hatte er eine höchst unglückliche Begegnung
mit einer zerbrochenen Brandyflasche, von der er sich nie
wieder ganz erholte.
Währenddessen machten sich Sophie und Fanny in einer
mit Vorhängen verhüllten Kutsche nach Gingham Coalville
auf, um Bert Trubshot herbeizuschaffen. Sie trafen
ihn dabei an, wie er um zwei Uhr morgens seinem übel
riechenden Gewerbe nachging, und während Fanny von
vorn auf ihn zutrat - vorgeblich um sich zu erkundigen,
ob sie hier auf der richtigen Straße nach Alanwick seien -,
streckte Sophie ihn durch einen besonnenen Schlag auf den
Hinterkopf mit einem Totschläger nieder. Danach war es
ein Leichtes, ihn nach Grope Hall zu fahren, wo er - dank
der Gehirnerschütterung in einem Zustand halluzinierender
Sinnestäuschungen - seine Pflicht tat, nachdem man
ihn vorher abgeschrubbt und freigebig mit etlichen Flaschen
Parfum übergossen, ihm die Augen verbunden, eine
große Anzahl Austern sowie ein paar zermahlene Perlen
verabreicht hatte.
Selbst Rossetti fand das Ganze weniger unersprießlich,
als sie erwartet hatte, und sie empfand ein Gefühl
der Wehmut, als er schließlich mit Schnaps betäubt nach
Gingham Coalville zurückgefahren wurde. Was Bert
Trubshot fühlte, als er nach Parfum stinkend und splitterfasernackt
auf der Schwelle seines Cottage aufgefunden
wurde, war die Ohrfeige seiner Gattin und ein gewisses
Maß an Reue, dass er jemals eine so gewalttätige und
unliebenswerte Frau geheiratet hatte.
Arthur Grope war sogar noch elender zumute. Während
er im Hospital von Wexham lag, war ihm zwar
schmerzlich bewusst, was ihm zugestoßen war, doch er
konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie und
warum es geschehen war.
»Können Sie denn gar nichts machen?«, fragte er die
Ärzte mit einer Stimme, die sich bereits zu verändern begann,
nur um zu erfahren, dass da nicht allzu viel zu retten
sei, und außerdem hätte er eben nicht so viel Brandy
trinken sollen. Arthur entgegnete, er könne sich nicht
erinnern, überhaupt Brandy getrunken zu haben, nicht
einen Tropfen, denn er sei sein ganzes Leben lang Abstinenzler
gewesen. Wenn jedoch das, was die Ärzte ihm
gesagt hatten, wahr und seine einzige Freude im Leben
für alle Zeit dahin wäre, dann würde er in Zukunft verdammt
noch mal saufen wie ein Loch.
Arthurs Entschluss, ein hemmungsloser Trinker zu
werden, wurde bestärkt, als Rossetti Grope neun Mo-
nate später eine ungewöhnlich hässliche Tochter zur Welt
brachte, mit schwarzen Augen und dunklem Haar und
ohne irgendeine Ähnlichkeit mit den Jungs, die Arthur gezeugt
hatte. Er starb ein Jahr später als zutiefst verbitterter,
trunksüchtiger Kastrat; Rossetti und ihre Tochter
folgten ihm bald darauf ins Grab. Beide hatten sich in
einem ausnehmend kalten und nassen Winter eine Lungenentzündung
zugezogen.
Zum Glück machte Fanny Rossettis Unzulänglichkeiten
wieder wett; sie gebar ohne kirchlichen Segen sieben
Töchter, indem sie regelmäßig spätabendliche Abstecher
nach Gingham Coalville unternahm, wo sie sich, da sie
weniger empfindlich in Sachen Körperhygiene war als
ihre Schwester, an den Aufmerksamkeiten Bert Trubshots
erfreute. Dank eines Fäkaliensammlers war die weibliche
Linie der Gropes abermals gesichert.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte der allgemeine
Wohlstand endlich Mosedale und Grope Hall. Die
Gropes, die bereits Wasserklosetts installiert und Polsterstühle
angeschafft hatten, taten ihr Bestes, diesen neuerlichen
Ansturm der Moderne mit der Begründung zu ignorieren,
er werde wie alle anderen Modeerscheinungen
bald vorübergehen. Unausweichlich jedoch erlag selbst
Beatrice, nunmehr die Herrin von Grope Hall, dem Lockruf
von Zierdeckchen und dem überladenen Einrichtungsstil,
der sich anderswo vor fünfzig Jahren großer
Beliebtheit erfreut hatte. Die alten Zinnzuber, die der Familie
so viele Jahre lang für ihre jährlichen Waschungen
genügt hatten, wurden abgeschafft und durch eine gewaltige
eiserne Badewanne ersetzt, mit Hähnen und zuverlässig
fließendem kaltem sowie gelegentlich auch warmem
Wasser, und die weiblichen Gropes waren nunmehr mindestens
einmal in der Woche beim Baden anzutreffen.
Abgesehen von den Ehemännern und dem einen oder
anderen Sohn, der sich noch immer auf dem Anwesen
herumdrückte, liefen die Dinge im Großen und Ganzen
weiter wie bisher. Die Männer der Gropes brauten Bier
für ihre Frauen und destillierten diverse lebensgefährliche
Spirituosen, die sie je nach Farbe als Brandy oder Gin
bezeichneten, so, wie sie es seit Generationen getan hatten.
Und wenn sie Glück hatten oder ihre Gattinnen es
wünschten, wurde ihnen gestattet, ein Bad im nahe gelegenen
Fluss zu nehmen.
Wohlstand hin oder her, die Gropes gingen weiter ihrer
Arbeit nach, als würde sich so schnell nichts Grundlegendes
ändern. Doch sie irrten sich.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf ihrem Grund
und Boden Kohle gefunden, in größeren Mengen als jemals
zuvor und in so dicken Schichten und derart nah
an der Oberfläche, dass Adelaide Grope der Aussicht auf
unermesslichen Reichtum auf keinen Fall widerstehen
konnte. Sie war diejenige Tochter, die einen ausgeprägten
Geschäftssinn besaß und anstelle der mittlerweile senilen
und bettlägerigen Beatrice als Familienoberhaupt fungierte.
Der Wettlauf mit dem deutschen Kaiser im Aufrüsten
zur See hatte gerade begonnen, und der Bedarf an Kohle
war riesengroß, um Schlachtschiffe zu bauen und anzutreiben.
Ein schmaler Schienenstrang wurde entlang der
öden Täler gebaut, und bis zum Rand vollgeladene Loren
rollten zu den großen Eisenwerken und Werften sechzig
Meilen weiter im Osten und kehrten mit kräftigen Männern
beladen zurück, die in der Kohlegrube arbeiten sollten.
Fast über Nacht wurden die Gropes verhältnismäßig
reich, sowohl was Geld als auch was einen scheinbaren
Überfluss an Männern anging, die den Grope-Mädchen
zu Diensten sein könnten, selbst wenn sie sie nicht heiraten
wollten. Doch es sollte nicht sein. Der unheilvolle Ruf
der Familie sowie neun fürchterliche Hunde, Nachkommen
der freundlichen Bluthunde, nunmehr jedoch entschieden
weniger gutmütig, schreckten sämtliche Männer
ab, ob sie nun neu in der Gegend waren oder nicht.
Desgleichen die Mädchen selbst. Beatrices Töchter schlugen
nämlich alle fünf viel zu sehr nach ihren weiblichen
Vorfahren, um selbst für einen völlig verzweifelten Mann
auch nur im Geringsten anziehend zu sein. Bald mieden
die Bergleute Grope Hall ganz und waren nur noch in
Gruppen unterwegs; denn ein Mann allein gab ein nur
allzu leichtes Ziel ab. Aus den Fenstern von Grope Hall
beobachteten lüsterne Raubtieraugen, wie sie des Mor-
gens aus den leeren Kohlewagons kletterten und sich
abends an die Seiten der voll beladenen Loren klammerten,
die aus der Grube zurückkehrten. Die Grope-Mädchen
waren machtlos.
Adelaide jedoch, die das rücksichtslose Wesen ihrer
Ahnen geerbt hatte, fand trotzdem Mittel und Wege, den
neu entdeckten Wohlstand der Familie Grope sowie den
plötzlichen Zuwachs an verfügbaren Männern gewinnbringend
zu nutzen. Um sicherzugehen, dass die Steuerbehörden
den wahren Profit des Bergwerks nicht ermittelten,
hatte sie den Vertrag mit der Bergbaugesellschaft
selbst aufgesetzt. Es war gelinde gesagt ein außergewöhnliches
Dokument. Sämtliche Gewinne mussten monatlich
in Goldmünzen ausgezahlt und sodann vom Chefbuchhalter
persönlich nach Grope Hall gebracht werden, dem
seinerseits insgeheim fünf Prozent der nicht dokumentierten
Gesamtsumme garantiert worden waren. Schließlich
hatte sie Beatrice, von Rechts wegen noch immer das
Familienoberhaupt, dazu überredet, im Beisein von zwei
völlig verängstigten Ärzten, einer davon ein Psychiater in
einem Hospital für Geisteskranke, sowie eines Notars den
Vertrag mit der Bergbaugesellschaft zu unterzeichnen. Da
Beatrice zu diesem Zeitpunkt geistig bereits so verwirrt
gewesen war, dass es an Demenz grenzte, hatte Adelaide
für dieses Privileg fürstlich bezahlt und eine handfeste
Bestechungssumme für den Notar und die Ärzte hinlegen
müssen, um bestätigt zu bekommen, dass ihre Mutter
klaren Verstandes sei.
Nachdem sie den Wohlstand der Gropes gesichert
hatte, befasste Adelaide sich mit dem lästigen Problem,
den Fortbestand der weiblichen Stammbaumlinie zu sichern.
Und so wie ihre Vorfahren kam sie zu dem Entschluss,
dass Entführung und gewaltsame Freiheitsberaubung
die einzig brauchbare Lösung seien.
Da ihr aufgefallen war, welche Zugangsmöglichkeiten
zu den Ländereien der Gropes durch die neuen Bahngleise
entstanden waren, schmiedete Adelaide einen ehrgeizigen
Plan. Sie wollte das Anwesen besser sichern und
zugleich dafür sorgen, dass jeder Bergmann, den die Gropes
einmal in die Finger bekommen hatten, auch in diesen
Fingern verblieb. Einmal hatten sie bei einem besonders
erfolgreichen nächtlichen Streifzug zwei arglose Burschen
erwischt, die friedlich im Mosedale River geangelt hatten.
Unter den wachsamen Blicken zweier der hünenhafteren
Grope-Töchter waren die beiden dann etliche Stunden
später wie Hühnchen verschnürt wieder erwacht. Nach
diesem Vorfall wurden Vorsichtsmaßnahmen umso dringlicher.
Ein Schild wurde am Tor angebracht, auf dem jeder,
der sich nach Grope Hall begeben wollte, mit dem
Hinweis VORSICHT SPANISCHE KAMPFSTIERE gewarnt
wurde, und tatsächlich waren neben dem unwegsamen
Pfad, der als Auffahrt diente, zwei geschmeidige, gefährliche
Bullen lose angepflockt.
Nach etlichen Missgeschicken, bei denen es vorwiegend
um aufgespießte Briefträger ging, und dem völligen
Ausbleiben jeglicher an die Gropes adressierter Post, ganz
gleich, wie wichtig, war neben dem Tor ein Briefkasten an
der Mauer befestigt worden.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Tom Sharpe
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
ISBN: 978-3-442-31225-2
www.goldmann-verlag.de
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Autoren-Porträt von Tom Sharpe
Tom Sharpe wurde 1928 in England geboren, studierte in Cambridge, lernte als Buchhalter, Sozialarbeiter und Fotograf Südafrika kennen, bis er ausgewiesen wurde. Anschließend unterrichtete er als Hilfslehrer an einer Berufsschule in Cambridge, bis ihm der Erfolg seiner Bücher die Freiheit schenkte, mit Frau und drei Töchtern als Schriftsteller zu leben. Tom Sharpe verstarb 2013.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tom Sharpe
- 2010, 1, 223 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Bezzenberger, Marie-Luise
- Übersetzer: Marie-Luise Bezzenberger
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442312256
- ISBN-13: 9783442312252
Rezension zu „Lauter Irre “
",Lauter Irre' versammelt ein Panoptikum hysterischer Wikinger-Walküren und einen Haufen Dumpfbacken-Kerle zu einem Liebesreigen. Tom Sharpe wie er leibt und lebt."
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