Leuchtende Sonne, weites Land
Roman
Jacqueline und Henry haben Amerika hinter sich gelassen, um in Australien ein neues Leben zu beginnen. Doch auf der Überfahrt nach Melbourne bricht für Jacqueline eine Welt zusammen: Henry verlangt wegen einer Jüngeren die Scheidung. Jaqueline ist nun auf sich allein gestellt.
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Produktinformationen zu „Leuchtende Sonne, weites Land “
Jacqueline und Henry haben Amerika hinter sich gelassen, um in Australien ein neues Leben zu beginnen. Doch auf der Überfahrt nach Melbourne bricht für Jacqueline eine Welt zusammen: Henry verlangt wegen einer Jüngeren die Scheidung. Jaqueline ist nun auf sich allein gestellt.
Klappentext zu „Leuchtende Sonne, weites Land “
Jacqueline und Henry haben Amerika hinter sich gelassen, um auf dem roten Kontinent ein neues Leben zu beginnen. Doch kurz vor ihrem Zielhafen Melbourne bricht für Jacqueline eine Welt zusammen: Henry verlangt plötzlich die Scheidung. Er hat an Bord eine jüngere Frau kennen gelernt, mit der er eine Familie gründen will - denn Jacqueline hat ihm in den zehn Jahren ihrer Ehe keine Kinder schenken können. Überstürzt und tief gedemütigt verlässt Jacqueline das Schiff im Hafen
von Adelaide. Nun ist sie in einem fremden Land, fast mittellos, völlig auf sich allein gestellt ...
Lese-Probe zu „Leuchtende Sonne, weites Land “
Leuchtende Sonne, Weites Land von Elizabeth Haran1
Oktober 1964
Küste von South Australia
»Da bist du ja, Henry!«, rief Jacqueline, als sie ihren Mann an der Schiffsreling erblickte.
Henry, der sich angeregt mit einer blonden Frau unterhalten hatte, fuhr erschrocken herum. »Jacqueline!« Die Umstehenden blickten verblüfft auf, so entgeistert hatte er den Namen seiner Frau ausgesprochen. »Ich habe gar nicht damit gerechnet ... ich meine, schön, dass du an Deck gekommen bist, Liebes.« Er lächelte gezwungen.
Jacqueline hatte seit Wochen kaum etwas zu sich genommen, deshalb war sie entkräftet und ganz außer Atem, nachdem sie von ihrer Kabine auf dem C-Deck die drei Treppen zum Promenadendeck hinaufgestiegen war. Sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie die merkwürdige Reaktion ihres Mannes nicht bemerkte. Auf wackligen Beinen stakste sie auf dem schlingernden Schiff an die Reling und umklammerte sie mit beiden Händen.
»Als ich durch das Bullauge Land gesehen habe, hielt ich es unten nicht mehr aus.« Jacqueline zog die salzige Seeluft tief in die Lungen. »Herrlich! Endlich wieder frische Luft!« Sie schloss die Augen und streckte ihr blasses Gesicht der Morgensonne entgegen, die sie mit ihren warmen Strahlen liebkoste.
Zum ersten Mal seit Wochen war ihr nicht sterbenselend. Seit sie in Amerika an Bord der Liberty Star gegangen war, war sie seekrank gewesen. Der Schiffsarzt hatte ihr verschiedene Mittel gegen die heftige Übelkeit verabreicht, aber nichts hatte wirklich geholfen. Viele Menschen würden seekrank, sogar Seeleute seien nicht dagegen gefeit, hatte er ihr erklärt, den einen oder anderen habe man schon auf seinem Bett festbinden müssen, damit er nicht über Bord sprang, weil ihm so fürchterlich übel war. Jacqueline hatte fast zwei Wochen in ihrer Kabine verbracht,
... mehr
Henrys verblüffte Reaktion über ihr unverhofftes Auftauchen verwunderte sie daher nicht.
»Falls du jemals wieder die Absicht haben solltest, eine Schiffsreise mit mir zu machen, bringe ich dich um, Henry«, drohte sie ihm.
Abermals atmete sie tief durch. Da sie die Augen immer noch geschlossen hatte, sah sie nicht, wie ein Ausdruck nervösen Unbehagens über das Gesicht ihres Mannes huschte.
Nach einiger Zeit öffnete Jacqueline die Augen wieder, blinzelte und seufzte. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so froh sein könnte, Land zu sehen«, flüsterte sie ergriffen. Sie ließ ihren Blick über den langen weißen Strand und die Kiefern dahinter schweifen und rief ihrem Mann zu: »Sag mir bitte, dass wir uns dem Hafen von Melbourne nähern.«
»Nein, das da vorne ist Outer Harbour in South Australia. Wir legen hier einen Zwischenstopp ein, bevor es nach Melbourne weitergeht.«
Jacqueline machte ein enttäuschtes Gesicht. »Aber wir werden doch von Bord gehen und uns ein bisschen die Beine vertreten können, oder?«
Henry schüttelte den Kopf. »Meines Wissens nicht. Hier dürfen nur die Passagiere, die nach Adelaide wollen, das Schiff verlassen.«
Jacqueline stöhnte. Doch dann sagte sie sich, dass es nach knapp vier Wochen auf See auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht ankam. »Wer war eigentlich die blonde Frau, mit der du dich unterhalten hast?«, fragte sie unvermittelt.
»Welche Frau?«, entgegnete Henry mit ausdrucksloser Miene.
Jacqueline schaute über seine Schulter auf die Frau, die ein
Stück entfernt mit dem Rücken zu ihnen stand und sich jetzt mit einem anderen Passagier unterhielt, dessen Frau nicht besonders glücklich darüber schien.
»Na, die in dem kurzen lila Minirock, der weißen Bluse und den Schuhen mit den zerschrammten Absätzen.« Jacqueline hielt es für überflüssig, die schönen Beine zu erwähnen. Henry war kein Frauenheld, aber blind war er auch nicht.
Henry drehte sich nicht um. Es überraschte ihn nicht im Mindesten, dass seiner Frau ein unwichtiges Detail wie zerschrammte Absätze auffiel. Jacqueline hatte die Angewohnheit, die merkwürdigsten Dinge an anderen Menschen zur Kenntnis zu nehmen. Hatte ihn das anfangs noch fasziniert, fand er diese Marotte mittlerweile einfach nur nervtötend. »Ach so, die! Oh, das ist nur eine Mitreisende ...«
»Das dachte ich mir beinahe, Henry«, versetzte Jacqueline trocken. »Ein Mitglied der Crew oder ein blinder Passagier würde wohl kaum mit Minirock und Pfennigabsätzen hier herumlaufen.«
Henry lief rot an. Er räusperte sich und wechselte das Thema. »Morgen um diese Zeit legen wir in Melbourne an, wenn alles gut geht, Jacqueline. Dann hast du wieder festen Boden unter den Füßen.«
»Ich kann’s kaum erwarten«, erwiderte sie.
Etwas am Gesichtsausdruck ihres Mannes irritierte sie. Aber sie führte die ängstliche Angespanntheit, die sich auf seiner Miene spiegelte, auf den bevorstehenden Neuanfang in einem fremden Land zurück und fand seine Gefühle verständlich. Henry würde in das Möbelgeschäft seines Bruders einsteigen, das sie zu vergrößern beabsichtigten. Nachdem er fünfzehn Jahre lang in New York City einen auf Küchengeräte spezialisierten Elektrohandel geführt hatte, war es ganz normal, dass ihm ein wenig mulmig bei dem Gedanken war, sich die Leitung einer Firma, die er nicht selbst aufgebaut hatte, mit seinem Bruder zu teilen, den er jahrelang nicht gesehen hatte. Dennoch waren sie beide der Meinung gewesen, dass ein neuer Anfang in einem fremden Land genau das Richtige für sie war. Henrys Bruder hatte Australien als Land der vielen Möglichkeiten beschrieben, ihnen von seiner endlosen Weite, dem warmen Klima und der leuchtenden Sonne vorgeschwärmt.
Henry warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter. Die hübsche Blondine war fort. Er wandte sich wieder seiner Frau zu. Der Wind spielte mit ihren langen, seidigen braunen Haaren. Ihre blasse Haut ließ sie kränklich aussehen, ihr weißes Kleid unterstrich das noch. Da sie während der Überfahrt fast nichts bei sich behalten hatte, hatte sie ein paar Pfund abgenommen. Von den weiblichen Rundungen, die er einmal so geliebt hatte, war kaum noch etwas zu sehen.
Die angegriffene Gesundheit seiner Frau verstärkte Henrys Schuldgefühle. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr, er würde tun, was getan werden musste. Er holte tief Luft und sagte ernst: »Jacqueline.«
»Hm?«, machte sie abwesend, den Blick aufs Festland gerichtet, in Gedanken bei ihrem neuen Zuhause. Jetzt, wo Australien und ihr Ziel in diesem fremden Land in greifbare Nähe gerückt waren, war sie zum ersten Mal seit ihrer Abreise aus New York richtig aufgeregt.
»Ich muss etwas mit dir besprechen. Etwas sehr Wichtiges.«
Henrys Herz raste, der Schweiß brach ihm aus allen Poren, und es gelang ihm nicht, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Er hatte eigentlich warten wollen, bis sich seine Frau vollständig erholt hatte, aber er merkte, wie ihm die Zeit davonlief.
»Jacqueline, hörst du mir überhaupt zu?«
»Was sagst du?« Sie wandte den Kopf und sah den Mann, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet war, prüfend an. Er sah besser aus denn je. »Hast du Sport getrieben, Henry?«
»Sport?« Er nestelte nervös an seinem Hemdkragen. »Unsinn! Wie kommst du denn auf so was?«
»Du siehst blendend aus, richtig gesund, irgendwie jünger.«
Er war vor einem knappen Jahr vierzig geworden, aber er wirkte nicht viel älter als sie selbst, und sie war einunddreißig. Obwohl er immer auf eine gepflegte Erscheinung geachtet hatte, war er noch sorgfältiger gekleidet als sonst. Außerdem konnte sie riechen, dass er sein bestes Rasierwasser benutzt hatte.
Jacqueline konnte sich sehr gut an den vierzigsten Geburtstag ihres Mannes erinnern, weil er Henry in eine Art Krise gestürzt hatte, die sich unter anderem in einem starken Wunsch nach Veränderung geäußert hatte. Das könne doch nicht alles gewesen sein, hatte er gesagt, es müsse doch noch mehr im Leben geben, es sei höchste Zeit, etwas Neues anzufangen. Nicht lange danach hatten sie den Entschluss gefasst, nach Australien auszuwandern.
»Im Gegensatz zu mir bist du auf See offenbar richtiggehend aufgeblüht«, bemerkte Jacqueline und versuchte, sich ihren Neid nicht anmerken zu lassen. Sie hatte das Gefühl, in den letzten Wochen um zehn Jahre gealtert zu sein. Befangen kramte sie ihre Sonnenbrille hervor und setzte sie auf, damit man ihre müden Augen nicht sah.
Henry, der von heftigen Schuldgefühlen geplagt wurde, machte den Mund auf, um zu protestieren, klappte ihn dann aber wieder zu und schwieg.
»Kein Wunder, dass sich Frauen, die halb so alt sind wie du, für dich interessieren«, neckte sie ihn. »Du bist der attraktivste Mann auf diesem Schiff, und du bist praktisch wochenlang allein gewesen.« Genau wie sie selbst. Sie hatte sich manches Mal sehr einsam gefühlt, aber sie machte Henry keinen Vorwurf deswegen. Sie konnte ja nicht erwarten, dass er die ganze Zeit bei ihr in der Kabine saß und ihr Gesellschaft leistete. Das wäre egoistisch. »Ein Glück, dass ich dir vertrauen kann und dich nicht ständig im Auge behalten muss.«
Sie scherzte nur, aber Henry fühlte sich höchst unbehaglich. »Lass uns nach unten gehen, Jacqueline, ich muss unbedingt mit dir reden.« Er hasste sich für das, was er ihr antun würde, aber er konnte nicht länger mit dieser Lüge leben.
»Nach unten? Ich denke gar nicht daran! Es wäre mir völlig egal, wenn ich diese Kabine nie wieder von innen zu sehen brauchte. Weißt du, was? Ich glaube, ich werde heute Nacht an Deck schlafen. Warm genug ist es.«
Obwohl es erst Morgen war, war es tatsächlich schon recht warm. Seit sie den Äquator überquert hatten, herrschte in den Kabinen bereits um die Mittagszeit eine unerträgliche Hitze, nachts war es nicht viel besser. Jacquelines Beschwerden wegen der unzureichenden Klimaanlage waren auf taube Ohren gestoßen, und das Lüftchen, das durch das Bullauge hereinwehte, reichte bei weitem nicht zur Kühlung aus. Sie konnte es Henry nicht übel nehmen, dass er die meiste Zeit oben an Deck verbracht und nachts manchmal sogar in einem Liegestuhl geschlafen hatte.
»Jacqueline, bitte!«, sagte Henry beschwörend. Er konnte diese Unterhaltung nicht noch länger hinausschieben, er hatte ohnehin bis zur letzten Minute damit gewartet.
Jacqueline musterte ihn irritiert. Er hörte sich so furchtbar ernst an. Andererseits neigte er dazu, die Dinge zu dramatisieren. »Wir können uns doch hier unterhalten, Henry. Die frische Luft und der Sonnenschein tun mir so unendlich gut!«
»Nein, Liebes, wir müssen unter vier Augen miteinander reden.« Henry fasste seine Frau bei der Hand und steuerte auf einen Niedergang zu. Er fürchtete, Jacqueline werde ihm eine Szene machen, und er wollte nicht, dass andere Passagiere etwas davon mitbekamen.
Jacqueline machte sich los. »Ich will aber nicht nach unten, Henry! Warum setzen wir uns nicht in einen Salon, damit ich wenigstens das Festland sehen kann?«
Normalerweise war er Wachs in ihren Händen, aber dieses Mal ließ er sich nicht erweichen. »Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt. Ich muss darauf bestehen, dass wir unsere Kabine aufsuchen.«
»Na schön, wie du willst.« Jacqueline, die sich keinen Reim auf sein merkwürdiges Verhalten machen konnte, gingen die verrücktesten Gedanken durch den Kopf, als sie ihrem Mann durch einen Korridor zu einem der Niedergänge folgte, die zu den unteren Kabinendecks führten. Hätte er nicht so offensichtlich vor Gesundheit gestrotzt, hätte sie geglaubt, er werde ihr mitteilen, dass er schwer erkrankt sei. Wahrscheinlich, so vermutete sie, ging es um die Teilhaberschaft mit seinem Bruder. Sie hatte von Anfang an den Eindruck gehabt, dass er nicht wirklich begeistert war von der Vorstellung, Möbel zu verkaufen. Aber musste er deshalb gleich so theatralisch werden?
Henry schloss die Kabinentür und begann, nervös auf und ab zu gehen. Jacqueline setzte sich auf das Bett und strich mechanisch die Falten in der Tagesdecke glatt. Henry bemerkte es. Ihr Perfektionismus ging ihm auf die Nerven.
»Lass das doch, Jacqueline«, fauchte er.
Erschrocken blickte sie auf.
Er fuhr sich übers Haar. Jetzt, wo es so weit war, wusste er nicht, wie er vorgehen sollte. Einfach mit der Wahrheit herausplatzen oder es ihr schonend beibringen? Aber wie er es auch anfangen würde, das Ergebnis wäre das gleiche – Jacqueline wäre tief verletzt.
»Was ist denn los mit dir, Henry? Warum bist du so gereizt? Man könnte ja meinen, du hättest etwas zu verbergen«, stichelte sie und fügte scherzend hinzu: »Hast du eine heimliche Affäre mit einer Reisebekanntschaft?«
Henry blieb wie angewurzelt stehen. »Wie ... wie kommst du denn darauf?«, stammelte er schuldbewusst.
Jacqueline musterte seinen entgeisterten Gesichtsausdruck. »Das war nur ein Witz, Henry. Du meine Güte, sei doch ein bisschen lockerer!« Sie hatte sich immer glücklich geschätzt, weil sie sich keinen treueren Mann wünschen konnte. Wenn er doch nur ein bisschen mehr Humor hätte!
Henry bekam plötzlich weiche Knie. Er ließ sich neben Jacqueline aufs Bett fallen und stützte seinen Kopf in beide Hände. Selten war ihm etwas so schwer gefallen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Ist es wegen des Geschäfts?«, fragte Jacqueline und sah ihren Mann forschend an. »Hast du es dir anders überlegt? Willst du dich doch nicht mit deinem Bruder zusammentun? Ich könnte es verstehen, weißt du, und Philip sicher auch.«
Henry schüttelte den Kopf. »Nein, darum geht es nicht.« Er sah in die vertrauensvollen braunen Augen seiner Frau und versuchte, sich nicht wie ein erbärmlicher Schuft vorzukommen. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, und deshalb sage ich es einfach geradeheraus. Ich habe ... jemanden kennen gelernt ...«
Er wandte sich ab und knetete nervös seine Hände. Henry kannte Jacquelines Wutausbrüche. In ihrer Ehe hatte er den einen oder anderen erlebt, ihr Jähzorn konnte ziemlich Furcht einflößend sein.
»Du hast ... jemanden kennen gelernt«, wiederholte sie verwirrt. Sie glaubte, sich verhört zu haben. »Das ist nicht komisch, Henry.«
Er dachte an die Zukunft, die er sich so sehr wünschte, und nahm all seinen Mut zusammen. »Ich meine es ernst, Jacqueline. Ich habe eine andere Frau kennen gelernt, und ich möchte ein neues Leben mit ihr beginnen.«
Es war eine Wohltat gewesen, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht nach Perfektion strebte, der keinen Gedanken an etwas so Unwichtiges wie zerschrammte Absätze verschwendete. Doch das behielt er für sich.
»Henry, ich verstehe kein Wort! Wovon redest du da?« Jacqueline starrte ihn bestürzt an. Falls das ein Witz sein sollte, konnte sie überhaupt nicht darüber lachen. Aber es schien ihm vollkommen ernst zu sein. »Du hast mich um die halbe Welt geschleppt, damit wir beide hier ein neues Leben beginnen können, du und ich!«
»Ich will dir nicht wehtun, Jacqueline, aber du weißt, dass ich mir immer eine Familie gewünscht habe.« Es war schäbig, ihr ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, aber sie ließ ihm keine andere Wahl.
Jacqueline war wie vor den Kopf geschlagen. Kinder waren seit Jahren kein Thema mehr gewesen. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, und irgendwann hatten sie sich damit abgefunden. Einmal hatten sie sogar eine Adoption in Erwägung gezogen, den Gedanken aber wieder verworfen.
Eine heftige Übelkeit erfasste sie, aber dieses Mal lag es nicht an den Schlingerbewegungen des Schiffs. »Ich weiß nicht, was du mir eigentlich sagen willst, Henry, aber was es auch sein mag, ich kann im Moment nicht damit umgehen.«
Panik stieg in ihr auf. Ihr Herz hämmerte. Das konnte nur ein schlechter Traum sein! In ihrer gegenwärtigen Verfassung war sie nicht in der Lage, eine seelische Krise zu meistern, und sie konnte nicht glauben, dass Henry sie ausgerechnet jetzt damit konfrontierte. Genauso wenig konnte sie glauben, dass er sie betrogen hatte. Sie hätte ihre Hand für ihn ins Feuer gelegt.
»Es tut mir leid, Jacqueline, aber wir können diese Unterhaltung nicht aufschieben. Ich habe mich auf dieser Reise in eine andere Frau verliebt – ich möchte sie heiraten und eine Familie mit ihr gründen.«
Plötzlich ertrug Henry die Nähe zu seiner Frau nicht mehr. Er stand auf und stellte sich mit dem Rücken zur Tür vor sie.
Jacqueline sah ihren Mann fassungslos an. Seine Worte schienen keinen Sinn zu ergeben. Es war, als hätte er in einer fremden Sprache zu ihr gesprochen. »Wie kannst du dich in dieser kurzen Zeit so sehr in eine andere verlieben, dass du sie heiraten und Kinder mit ihr haben willst? Das ist doch nicht möglich! Zumal du bereits eine Frau hast!«
»Ich weiß, dass das alles sehr schnell gegangen ist, aber unsere Gefühle füreinander sind nun einmal da, wir können sie nicht ignorieren.«
Jacqueline schüttelte nur den Kopf. Henry hatte offensichtlich den Verstand verloren, eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
»Du kannst ja nichts dafür, dass du keine Kinder bekommen kannst«, fuhr er fort. »Du sollst wissen, dass ich dir deswegen nicht böse bin.«
Jacqueline starrte ihn offenen Mundes an. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass das Thema Kinder so wichtig für ihn war. Er hatte ihr nie diesen Eindruck vermittelt. »Wie großzügig von dir«, bemerkte sie bissig. »Ich dachte, wir seien uns einig gewesen, dass in unserem Leben kein Platz für Kinder ist.«
Henry senkte seinen Blick. »Du warst dir einig, Jacqueline.« Vielleicht hätte er darauf gedrängt, ein Kind zu adoptieren, wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, dass sie es im Grunde nicht wollte, weil es ihren Lebensstil zu sehr beeinträchtigen würde. »Ich habe mir immer Kinder gewünscht, und allmählich läuft mir die Zeit davon. Ich bin kein junger Mann mehr.«
Jacqueline musterte Henry wortlos. Das war nicht ihr Ehemann, der da vor ihr stand, sondern ein grausamer, herzloser Fremder. Jetzt kam es ihr auf groteske Weise absurd vor, dass sie ihm gerade eben noch gesagt hatte, wie jung und attraktiv er aussah. Zumindest war ihr jetzt der Grund dafür klar.
»Ist das nicht nur eine Ausrede, weil du scharf auf so ein junges Ding bist?« Es wollte ihr nicht in den Kopf, dass er sie nicht mehr liebte und sie betrogen hatte, während es ihr so schlecht gegangen war. »Seien wir doch mal ehrlich: Du bist viel zu egoistisch, um ein guter Vater zu sein.« Sie hatte ihn in all den Jahren verwöhnt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen und so dafür gesorgt, dass er bequem geworden war.
Henry zuckte zusammen. Er hatte natürlich damit gerechnet, dass sie ihn beschimpfen würde, aber für einen Egoisten hielt er sich nicht. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück und prallte gegen die Kabinentür.
Für die Originalausgabe: Copyright © 2009 by Elizabeth Haran
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Übersetzung aus dem australischen Englisch von Sylvia Strasser
»Falls du jemals wieder die Absicht haben solltest, eine Schiffsreise mit mir zu machen, bringe ich dich um, Henry«, drohte sie ihm.
Abermals atmete sie tief durch. Da sie die Augen immer noch geschlossen hatte, sah sie nicht, wie ein Ausdruck nervösen Unbehagens über das Gesicht ihres Mannes huschte.
Nach einiger Zeit öffnete Jacqueline die Augen wieder, blinzelte und seufzte. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so froh sein könnte, Land zu sehen«, flüsterte sie ergriffen. Sie ließ ihren Blick über den langen weißen Strand und die Kiefern dahinter schweifen und rief ihrem Mann zu: »Sag mir bitte, dass wir uns dem Hafen von Melbourne nähern.«
»Nein, das da vorne ist Outer Harbour in South Australia. Wir legen hier einen Zwischenstopp ein, bevor es nach Melbourne weitergeht.«
Jacqueline machte ein enttäuschtes Gesicht. »Aber wir werden doch von Bord gehen und uns ein bisschen die Beine vertreten können, oder?«
Henry schüttelte den Kopf. »Meines Wissens nicht. Hier dürfen nur die Passagiere, die nach Adelaide wollen, das Schiff verlassen.«
Jacqueline stöhnte. Doch dann sagte sie sich, dass es nach knapp vier Wochen auf See auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht ankam. »Wer war eigentlich die blonde Frau, mit der du dich unterhalten hast?«, fragte sie unvermittelt.
»Welche Frau?«, entgegnete Henry mit ausdrucksloser Miene.
Jacqueline schaute über seine Schulter auf die Frau, die ein
Stück entfernt mit dem Rücken zu ihnen stand und sich jetzt mit einem anderen Passagier unterhielt, dessen Frau nicht besonders glücklich darüber schien.
»Na, die in dem kurzen lila Minirock, der weißen Bluse und den Schuhen mit den zerschrammten Absätzen.« Jacqueline hielt es für überflüssig, die schönen Beine zu erwähnen. Henry war kein Frauenheld, aber blind war er auch nicht.
Henry drehte sich nicht um. Es überraschte ihn nicht im Mindesten, dass seiner Frau ein unwichtiges Detail wie zerschrammte Absätze auffiel. Jacqueline hatte die Angewohnheit, die merkwürdigsten Dinge an anderen Menschen zur Kenntnis zu nehmen. Hatte ihn das anfangs noch fasziniert, fand er diese Marotte mittlerweile einfach nur nervtötend. »Ach so, die! Oh, das ist nur eine Mitreisende ...«
»Das dachte ich mir beinahe, Henry«, versetzte Jacqueline trocken. »Ein Mitglied der Crew oder ein blinder Passagier würde wohl kaum mit Minirock und Pfennigabsätzen hier herumlaufen.«
Henry lief rot an. Er räusperte sich und wechselte das Thema. »Morgen um diese Zeit legen wir in Melbourne an, wenn alles gut geht, Jacqueline. Dann hast du wieder festen Boden unter den Füßen.«
»Ich kann’s kaum erwarten«, erwiderte sie.
Etwas am Gesichtsausdruck ihres Mannes irritierte sie. Aber sie führte die ängstliche Angespanntheit, die sich auf seiner Miene spiegelte, auf den bevorstehenden Neuanfang in einem fremden Land zurück und fand seine Gefühle verständlich. Henry würde in das Möbelgeschäft seines Bruders einsteigen, das sie zu vergrößern beabsichtigten. Nachdem er fünfzehn Jahre lang in New York City einen auf Küchengeräte spezialisierten Elektrohandel geführt hatte, war es ganz normal, dass ihm ein wenig mulmig bei dem Gedanken war, sich die Leitung einer Firma, die er nicht selbst aufgebaut hatte, mit seinem Bruder zu teilen, den er jahrelang nicht gesehen hatte. Dennoch waren sie beide der Meinung gewesen, dass ein neuer Anfang in einem fremden Land genau das Richtige für sie war. Henrys Bruder hatte Australien als Land der vielen Möglichkeiten beschrieben, ihnen von seiner endlosen Weite, dem warmen Klima und der leuchtenden Sonne vorgeschwärmt.
Henry warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter. Die hübsche Blondine war fort. Er wandte sich wieder seiner Frau zu. Der Wind spielte mit ihren langen, seidigen braunen Haaren. Ihre blasse Haut ließ sie kränklich aussehen, ihr weißes Kleid unterstrich das noch. Da sie während der Überfahrt fast nichts bei sich behalten hatte, hatte sie ein paar Pfund abgenommen. Von den weiblichen Rundungen, die er einmal so geliebt hatte, war kaum noch etwas zu sehen.
Die angegriffene Gesundheit seiner Frau verstärkte Henrys Schuldgefühle. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr, er würde tun, was getan werden musste. Er holte tief Luft und sagte ernst: »Jacqueline.«
»Hm?«, machte sie abwesend, den Blick aufs Festland gerichtet, in Gedanken bei ihrem neuen Zuhause. Jetzt, wo Australien und ihr Ziel in diesem fremden Land in greifbare Nähe gerückt waren, war sie zum ersten Mal seit ihrer Abreise aus New York richtig aufgeregt.
»Ich muss etwas mit dir besprechen. Etwas sehr Wichtiges.«
Henrys Herz raste, der Schweiß brach ihm aus allen Poren, und es gelang ihm nicht, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Er hatte eigentlich warten wollen, bis sich seine Frau vollständig erholt hatte, aber er merkte, wie ihm die Zeit davonlief.
»Jacqueline, hörst du mir überhaupt zu?«
»Was sagst du?« Sie wandte den Kopf und sah den Mann, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet war, prüfend an. Er sah besser aus denn je. »Hast du Sport getrieben, Henry?«
»Sport?« Er nestelte nervös an seinem Hemdkragen. »Unsinn! Wie kommst du denn auf so was?«
»Du siehst blendend aus, richtig gesund, irgendwie jünger.«
Er war vor einem knappen Jahr vierzig geworden, aber er wirkte nicht viel älter als sie selbst, und sie war einunddreißig. Obwohl er immer auf eine gepflegte Erscheinung geachtet hatte, war er noch sorgfältiger gekleidet als sonst. Außerdem konnte sie riechen, dass er sein bestes Rasierwasser benutzt hatte.
Jacqueline konnte sich sehr gut an den vierzigsten Geburtstag ihres Mannes erinnern, weil er Henry in eine Art Krise gestürzt hatte, die sich unter anderem in einem starken Wunsch nach Veränderung geäußert hatte. Das könne doch nicht alles gewesen sein, hatte er gesagt, es müsse doch noch mehr im Leben geben, es sei höchste Zeit, etwas Neues anzufangen. Nicht lange danach hatten sie den Entschluss gefasst, nach Australien auszuwandern.
»Im Gegensatz zu mir bist du auf See offenbar richtiggehend aufgeblüht«, bemerkte Jacqueline und versuchte, sich ihren Neid nicht anmerken zu lassen. Sie hatte das Gefühl, in den letzten Wochen um zehn Jahre gealtert zu sein. Befangen kramte sie ihre Sonnenbrille hervor und setzte sie auf, damit man ihre müden Augen nicht sah.
Henry, der von heftigen Schuldgefühlen geplagt wurde, machte den Mund auf, um zu protestieren, klappte ihn dann aber wieder zu und schwieg.
»Kein Wunder, dass sich Frauen, die halb so alt sind wie du, für dich interessieren«, neckte sie ihn. »Du bist der attraktivste Mann auf diesem Schiff, und du bist praktisch wochenlang allein gewesen.« Genau wie sie selbst. Sie hatte sich manches Mal sehr einsam gefühlt, aber sie machte Henry keinen Vorwurf deswegen. Sie konnte ja nicht erwarten, dass er die ganze Zeit bei ihr in der Kabine saß und ihr Gesellschaft leistete. Das wäre egoistisch. »Ein Glück, dass ich dir vertrauen kann und dich nicht ständig im Auge behalten muss.«
Sie scherzte nur, aber Henry fühlte sich höchst unbehaglich. »Lass uns nach unten gehen, Jacqueline, ich muss unbedingt mit dir reden.« Er hasste sich für das, was er ihr antun würde, aber er konnte nicht länger mit dieser Lüge leben.
»Nach unten? Ich denke gar nicht daran! Es wäre mir völlig egal, wenn ich diese Kabine nie wieder von innen zu sehen brauchte. Weißt du, was? Ich glaube, ich werde heute Nacht an Deck schlafen. Warm genug ist es.«
Obwohl es erst Morgen war, war es tatsächlich schon recht warm. Seit sie den Äquator überquert hatten, herrschte in den Kabinen bereits um die Mittagszeit eine unerträgliche Hitze, nachts war es nicht viel besser. Jacquelines Beschwerden wegen der unzureichenden Klimaanlage waren auf taube Ohren gestoßen, und das Lüftchen, das durch das Bullauge hereinwehte, reichte bei weitem nicht zur Kühlung aus. Sie konnte es Henry nicht übel nehmen, dass er die meiste Zeit oben an Deck verbracht und nachts manchmal sogar in einem Liegestuhl geschlafen hatte.
»Jacqueline, bitte!«, sagte Henry beschwörend. Er konnte diese Unterhaltung nicht noch länger hinausschieben, er hatte ohnehin bis zur letzten Minute damit gewartet.
Jacqueline musterte ihn irritiert. Er hörte sich so furchtbar ernst an. Andererseits neigte er dazu, die Dinge zu dramatisieren. »Wir können uns doch hier unterhalten, Henry. Die frische Luft und der Sonnenschein tun mir so unendlich gut!«
»Nein, Liebes, wir müssen unter vier Augen miteinander reden.« Henry fasste seine Frau bei der Hand und steuerte auf einen Niedergang zu. Er fürchtete, Jacqueline werde ihm eine Szene machen, und er wollte nicht, dass andere Passagiere etwas davon mitbekamen.
Jacqueline machte sich los. »Ich will aber nicht nach unten, Henry! Warum setzen wir uns nicht in einen Salon, damit ich wenigstens das Festland sehen kann?«
Normalerweise war er Wachs in ihren Händen, aber dieses Mal ließ er sich nicht erweichen. »Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt. Ich muss darauf bestehen, dass wir unsere Kabine aufsuchen.«
»Na schön, wie du willst.« Jacqueline, die sich keinen Reim auf sein merkwürdiges Verhalten machen konnte, gingen die verrücktesten Gedanken durch den Kopf, als sie ihrem Mann durch einen Korridor zu einem der Niedergänge folgte, die zu den unteren Kabinendecks führten. Hätte er nicht so offensichtlich vor Gesundheit gestrotzt, hätte sie geglaubt, er werde ihr mitteilen, dass er schwer erkrankt sei. Wahrscheinlich, so vermutete sie, ging es um die Teilhaberschaft mit seinem Bruder. Sie hatte von Anfang an den Eindruck gehabt, dass er nicht wirklich begeistert war von der Vorstellung, Möbel zu verkaufen. Aber musste er deshalb gleich so theatralisch werden?
Henry schloss die Kabinentür und begann, nervös auf und ab zu gehen. Jacqueline setzte sich auf das Bett und strich mechanisch die Falten in der Tagesdecke glatt. Henry bemerkte es. Ihr Perfektionismus ging ihm auf die Nerven.
»Lass das doch, Jacqueline«, fauchte er.
Erschrocken blickte sie auf.
Er fuhr sich übers Haar. Jetzt, wo es so weit war, wusste er nicht, wie er vorgehen sollte. Einfach mit der Wahrheit herausplatzen oder es ihr schonend beibringen? Aber wie er es auch anfangen würde, das Ergebnis wäre das gleiche – Jacqueline wäre tief verletzt.
»Was ist denn los mit dir, Henry? Warum bist du so gereizt? Man könnte ja meinen, du hättest etwas zu verbergen«, stichelte sie und fügte scherzend hinzu: »Hast du eine heimliche Affäre mit einer Reisebekanntschaft?«
Henry blieb wie angewurzelt stehen. »Wie ... wie kommst du denn darauf?«, stammelte er schuldbewusst.
Jacqueline musterte seinen entgeisterten Gesichtsausdruck. »Das war nur ein Witz, Henry. Du meine Güte, sei doch ein bisschen lockerer!« Sie hatte sich immer glücklich geschätzt, weil sie sich keinen treueren Mann wünschen konnte. Wenn er doch nur ein bisschen mehr Humor hätte!
Henry bekam plötzlich weiche Knie. Er ließ sich neben Jacqueline aufs Bett fallen und stützte seinen Kopf in beide Hände. Selten war ihm etwas so schwer gefallen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Ist es wegen des Geschäfts?«, fragte Jacqueline und sah ihren Mann forschend an. »Hast du es dir anders überlegt? Willst du dich doch nicht mit deinem Bruder zusammentun? Ich könnte es verstehen, weißt du, und Philip sicher auch.«
Henry schüttelte den Kopf. »Nein, darum geht es nicht.« Er sah in die vertrauensvollen braunen Augen seiner Frau und versuchte, sich nicht wie ein erbärmlicher Schuft vorzukommen. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, und deshalb sage ich es einfach geradeheraus. Ich habe ... jemanden kennen gelernt ...«
Er wandte sich ab und knetete nervös seine Hände. Henry kannte Jacquelines Wutausbrüche. In ihrer Ehe hatte er den einen oder anderen erlebt, ihr Jähzorn konnte ziemlich Furcht einflößend sein.
»Du hast ... jemanden kennen gelernt«, wiederholte sie verwirrt. Sie glaubte, sich verhört zu haben. »Das ist nicht komisch, Henry.«
Er dachte an die Zukunft, die er sich so sehr wünschte, und nahm all seinen Mut zusammen. »Ich meine es ernst, Jacqueline. Ich habe eine andere Frau kennen gelernt, und ich möchte ein neues Leben mit ihr beginnen.«
Es war eine Wohltat gewesen, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht nach Perfektion strebte, der keinen Gedanken an etwas so Unwichtiges wie zerschrammte Absätze verschwendete. Doch das behielt er für sich.
»Henry, ich verstehe kein Wort! Wovon redest du da?« Jacqueline starrte ihn bestürzt an. Falls das ein Witz sein sollte, konnte sie überhaupt nicht darüber lachen. Aber es schien ihm vollkommen ernst zu sein. »Du hast mich um die halbe Welt geschleppt, damit wir beide hier ein neues Leben beginnen können, du und ich!«
»Ich will dir nicht wehtun, Jacqueline, aber du weißt, dass ich mir immer eine Familie gewünscht habe.« Es war schäbig, ihr ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, aber sie ließ ihm keine andere Wahl.
Jacqueline war wie vor den Kopf geschlagen. Kinder waren seit Jahren kein Thema mehr gewesen. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, und irgendwann hatten sie sich damit abgefunden. Einmal hatten sie sogar eine Adoption in Erwägung gezogen, den Gedanken aber wieder verworfen.
Eine heftige Übelkeit erfasste sie, aber dieses Mal lag es nicht an den Schlingerbewegungen des Schiffs. »Ich weiß nicht, was du mir eigentlich sagen willst, Henry, aber was es auch sein mag, ich kann im Moment nicht damit umgehen.«
Panik stieg in ihr auf. Ihr Herz hämmerte. Das konnte nur ein schlechter Traum sein! In ihrer gegenwärtigen Verfassung war sie nicht in der Lage, eine seelische Krise zu meistern, und sie konnte nicht glauben, dass Henry sie ausgerechnet jetzt damit konfrontierte. Genauso wenig konnte sie glauben, dass er sie betrogen hatte. Sie hätte ihre Hand für ihn ins Feuer gelegt.
»Es tut mir leid, Jacqueline, aber wir können diese Unterhaltung nicht aufschieben. Ich habe mich auf dieser Reise in eine andere Frau verliebt – ich möchte sie heiraten und eine Familie mit ihr gründen.«
Plötzlich ertrug Henry die Nähe zu seiner Frau nicht mehr. Er stand auf und stellte sich mit dem Rücken zur Tür vor sie.
Jacqueline sah ihren Mann fassungslos an. Seine Worte schienen keinen Sinn zu ergeben. Es war, als hätte er in einer fremden Sprache zu ihr gesprochen. »Wie kannst du dich in dieser kurzen Zeit so sehr in eine andere verlieben, dass du sie heiraten und Kinder mit ihr haben willst? Das ist doch nicht möglich! Zumal du bereits eine Frau hast!«
»Ich weiß, dass das alles sehr schnell gegangen ist, aber unsere Gefühle füreinander sind nun einmal da, wir können sie nicht ignorieren.«
Jacqueline schüttelte nur den Kopf. Henry hatte offensichtlich den Verstand verloren, eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
»Du kannst ja nichts dafür, dass du keine Kinder bekommen kannst«, fuhr er fort. »Du sollst wissen, dass ich dir deswegen nicht böse bin.«
Jacqueline starrte ihn offenen Mundes an. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass das Thema Kinder so wichtig für ihn war. Er hatte ihr nie diesen Eindruck vermittelt. »Wie großzügig von dir«, bemerkte sie bissig. »Ich dachte, wir seien uns einig gewesen, dass in unserem Leben kein Platz für Kinder ist.«
Henry senkte seinen Blick. »Du warst dir einig, Jacqueline.« Vielleicht hätte er darauf gedrängt, ein Kind zu adoptieren, wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, dass sie es im Grunde nicht wollte, weil es ihren Lebensstil zu sehr beeinträchtigen würde. »Ich habe mir immer Kinder gewünscht, und allmählich läuft mir die Zeit davon. Ich bin kein junger Mann mehr.«
Jacqueline musterte Henry wortlos. Das war nicht ihr Ehemann, der da vor ihr stand, sondern ein grausamer, herzloser Fremder. Jetzt kam es ihr auf groteske Weise absurd vor, dass sie ihm gerade eben noch gesagt hatte, wie jung und attraktiv er aussah. Zumindest war ihr jetzt der Grund dafür klar.
»Ist das nicht nur eine Ausrede, weil du scharf auf so ein junges Ding bist?« Es wollte ihr nicht in den Kopf, dass er sie nicht mehr liebte und sie betrogen hatte, während es ihr so schlecht gegangen war. »Seien wir doch mal ehrlich: Du bist viel zu egoistisch, um ein guter Vater zu sein.« Sie hatte ihn in all den Jahren verwöhnt, ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen und so dafür gesorgt, dass er bequem geworden war.
Henry zuckte zusammen. Er hatte natürlich damit gerechnet, dass sie ihn beschimpfen würde, aber für einen Egoisten hielt er sich nicht. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück und prallte gegen die Kabinentür.
Für die Originalausgabe: Copyright © 2009 by Elizabeth Haran
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Übersetzung aus dem australischen Englisch von Sylvia Strasser
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Bibliographische Angaben
- Autor: Elizabeth Haran
- 2010, 508 Seiten, Maße: 14,4 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung aus d. australisch Englisch v. Sylvia Strasser
- Übersetzer: Sylvia Strasser
- Verlag: Ehrenwirth
- ISBN-10: 3431038131
- ISBN-13: 9783431038132
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