Lieber Kleingeld als kein Geld
Geschichten aus dem Pfandleihhaus
Der ganz normale Wahnsinn im Leben eines Pfandleihers
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Lieber Kleingeld als kein Geld “
Der ganz normale Wahnsinn im Leben eines Pfandleihers
Klappentext zu „Lieber Kleingeld als kein Geld “
Zu Thomas Käfer kommen diejenigen, denen das Wasser bis zur Unterlippe Oberkante steht. Für ein paar Euro verpfänden sie alles, was ihnen lieb und teuer erscheint: darunter unveröffentlichte Romane, vermeintlich edle Tropfen und einmalige Geschäftsideen. Andere versuchen, ihren Sperrmüll durch Beleihung zu entsorgen. Künstliche Befruchtungen auf Pump, kleptomanische Töchter, bankrotte Hochstapler: Mit viel Humor und Herzenswärme erzählt Thomas Käfer seine Erlebnisse aus der Welt der Schuldner und Glücksritter - und liefert ein kurioses Panoptikum unserer Gesellschaft.
Lese-Probe zu „Lieber Kleingeld als kein Geld “
Lieber Kleingeld als kein Geld von Thomas KäferAdel verpfändet
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Ja mei, ich erzähl halt gern. Schon meine Oma sagte immer: »Der Bua is ned aufs Maul g'falln.« Aber wenn es drauf ankommt, kann ich schweigen wie ein Grab - eine wichtige Voraussetzung für meinen Job, denn Diskretion spielt dabei eine erfolgsentscheidende Rolle. In gewisser Hinsicht ist ein Pfandleihhaus nämlich wie ein Bordell: Millionen gehen hin, aber erfahren soll es möglichst keiner.
Dass mein Geschäft brummt, liegt unter anderem sicher daran, dass ich im richtigen Moment Stillschweigen bewahre. Meine Kundenkartei ist wie Fort Knox, da geht niemals ein Name raus - auch wenn er noch so berühmt ist.
In München hat sich das herumgesprochen, besonders in den feineren Kreisen. Erst kürzlich tippte mir in der Opernpause ein Fremder mit edlem Smoking und Lapislazuli-Siegelring auf die Schulter: »Sie sind doch Herr Käfer, oder? Ich würde gerne mit Ihnen über ein Geschäft sprechen ...«
Prinzen, Baroninnen und Grafen deponieren ihre Schätze bei mir, wobei natürlich die wahren »Kronjuwelen« meist schon weg sind, wenn die durchlauchten Kunden auf meine Matte treten. Nach Aktienverlust oder ruinösen Renovierungsarbeiten am familieneigenen Schloss ist der Besuch beim Pfandleiher für gewöhnlich erst der zweite oder dritte Schritt. Die Adligen halten es meist wie Gloria von Thurn und Taxis, die 1992 Tafelsilber und Schlossmobiliar für einen zweistelligen Millionenbetrag versteigern ließ. Erst wenn solche Kostbarkeiten unterm Hammer gelandet sind und die Herrschaften dann noch eine schnelle Finanzspritze benötigen, bin ich die nächste Anlaufstation, bei der dann funkelnde Colliers, Uhren oder Gemälde gegen Bares deponiert werden.
Vielen Blaublütlern sieht man es nicht an, wie schlecht sie finanziell dastehen. Sie tragen mit der größten Selbstverständlichkeit ihre knitterfreien Burberry-Trenchcoats, Gucci-Slipper und unverwüstlichen Föhnfrisuren. Die Luxus-Scharade nach außen hin ist perfekt - und so soll es auch bleiben. Daher grüße ich diese Kunden auch nie zuerst, wenn ich sie zufällig in der Öffentlichkeit treffe. Egal ob im Restaurant, bei einer Vernissage oder dem Theaterbesuch: Ich warte immer zuerst auf ein Zeichen meiner Kunden. Nicken sie mir wohlwollend zu, antworte ich mit einem freundlichen »Servus«. Tun sie allerdings so, als sei ich Luft, mache ich es ihnen nach. Das gehört zum Job. Schließlich will ich meine Klienten nicht vor Freunden, Verwandten oder Geschäftspartnern bloßstellen. Ihr kleines Leihhaus-Geheimnis bleibt unter uns - Ehrenwort!
Vor Jahren besuchte mich einmal eine Reporterin einer großen deutschen Tageszeitung - ein hübsches, sehr charmantes Ding. Nachdem ich ihr die Pfandgaben in unseren proppenvollen Regalen gezeigt hatte, wollte sie wissen:
»Kommen auch Promis zu Ihnen?«
Ich konterte wahrheitsgemäß: »Prominente gibt's hier reichlich.«
»Namen bitte, Namen!«, forderte sie ganz aufgeregt.
»Die kriegen Sie leider nicht von mir, meine Dame.«
Sie ließ nicht locker und bot mir einen Batzen Geld an für einen kurzen Blick in den Büro-Computer oder ein paar zugeflüsterte Adelsnamen. Doch ich lehnte lächelnd ab. Indiskretion würde mich teuer zu stehen kommen, das wusste ich. Über die Identität meiner Kunden verrate ich nur so viel: Gestern noch in der Bunten, heute schon in meinem Laden! Es kommen Leute zu mir, von denen ich nie gedacht hätte, sie einmal bei mir begrüßen zu dürfen. Aber ein beeindruckender Titel schützt eben nicht vor Geldproblemen, das sehe ich immer wieder.
Natürlich gibt es verschiedene Kategorien: Da sind die jungen Adelserben, denen die Großtante gerade Rubinringe oder chinesische Vasen hinterlassen hat. Die denken sich: »Was soll ich mit dem alten Glump? Ich brauch einen Porsche, und zwar jetzt!« Und so landen sie mit von Generation zu Generation weitergegebenen Raritäten bei mir, die sie allerdings größtenteils nach wenigen Monaten wieder auslösen.
Dann gibt es die Verarmten, die ihr Schloss nur noch auf dem Foto besitzen. Eine ältere Dame mit dunkelblauem Chanel-Kostüm, das an den Ellenbogen schon leicht abgewetzt war, schob mir das Bild ihres früheren Zuhauses über den Tresen: ein zartgelber Palast mit Türmchen und See, der selbst das Herz von König Ludwig II. hätte höher schlagen lassen. Einen Diamantring mit Einkaräter ließ die Dame an dem Tag da. Als sie mir zur Registrierung ihren Personalausweis gab und ich ihren Nachnamen las, blieb mir die Spucke weg. Ich schaute vom Passbild noch einmal zum echten Konterfei: Es stimmte! Diese Frau hatte ich früher oft in Hochglanzmagazinen gesehen. Da trug sie allerdings immer das berühmte »Doppel-Sch«: viel Schminke und viel, viel Schmuck. Heute stand sie juwelenfrei vor mir, ihr Gesicht rettichblass. »Ja, ich habe schon bessere Zeiten erlebt«, sagte die »Frau von« auf meinen überraschten Blick hin. Wenigstens konnte ich ihr im Tausch für den Ring mit ein paar tausend Euro aushelfen.
Peinlicher wird es, wenn das einzig Wertvolle, das die »Hoheiten« noch besitzen, ihr Titel ist. Denn den können wir leider nicht beleihen. Ich habe einigen schon vorgeschlagen, doch einfach ihren Adelsnamen zu verkaufen; Konsul Weyer hat als Titelhändler schließlich ein Vermögen gemacht. Der Großteil meiner royalen Gesprächspartner aber fand diese Idee gar nicht lustig. Im Gegenteil, sie wurden sogar richtig kiebig. Seit Frédéric von Anhalt einen Puff-Besitzer adoptiert hat, läuft das Geschäft mit den Titeln ohnehin nur noch schlep pend; die wenigstens wollen ihrem Adelsstammbaum einen solch faulen Ast zumuten. Ich hingegen denke immer: Ein Name macht nicht satt! Wenn sonst schon alles futsch ist, kommt es auf den doch auch nicht mehr an.
Natürlich sollte man immer aufpassen, wen man sich auf diese Weise in die Familie holt. Auch wenn Liebe im Spiel ist, kann es böse enden ... Meiner Erfahrung nach sind die Angeheirateten nämlich die schlimmsten Adligen. Im Gegensatz zu ihrer besseren Hälfte, die oft viel zurückhaltender ist, lassen die ehemals Bürgerlichen ihren neuen Titel gerne gnadenlos auf Visitenkarten und Ausweis verewigen: »Von und zu Sonstnochwer« steht dann da - oft ein ellenlanger Sermon, der unserer Pfandhaus-Software regelmäßig Probleme bereitet, weil im Feld für den Nachnamen des Kunden nur 23 Buchstaben Platz haben. Wenn diese Grenze mal wieder überschritten wird, muss ich höflich fragen: »Gnädige Hoheit, auf welchen Titel darf ich denn verzichten?«
Einmal stand mir ein besonderer Vertreter dieser Spezies gegenüber: ein stadtbekannter Hallodri, Gauner und Hochstapler, der es trotz seines zweifelhaften Rufes geschafft hatte, sich eine steinreiche Baronin zu angeln. Mit leuchtenden Augen ließ sich die Dame bei Charity- und anderen Events mit ihrem um etliche Jahre jüngeren Mann ablichten, der mit seinen vierzig Lenzen, das muss ich zugeben, noch ziemlich schnittig aussah.
Allerdings waren die beiden privat eher selten gemeinsam unterwegs. Wenn der feine Herr legendäre In-Lokale wie das Schumann's am Hofgarten betrat, hatte er eine Schar junger Dinger mit langen Beinen und kurzen Röcken im Schlepptau. An seinem Tisch wurde immer groß gezecht, der Champagner floss bis in die frühen Morgenstunden und die Kellner grinsten in Vorfreude auf das stets großzügige Trinkgeld.
Der Kerl wusste sich in Szene zu setzen: Er trug gewöhnlich navyblaue Blazer mit goldenen Knöpfchen, Seidenkrawatten und farblich passenden Einstecktüchern. Seine fedrige Roy-Black-Gedächtnisfrisur saß perfekt, und er sprach mit leiser, vornehmer Stimme. Dieser Mann war adliger als echter Adel! Gebürtige Aristokraten sind ja heutzutage viel lockerer, sie nähern sich geradezu immer mehr dem normalen Menschen an. Nicht so dieser Kerl: Selbst beim Entgegennehmen des Pfandscheins für eine goldene Uhr und ein Diamantarmband spreizte er den manikürten kleinen Finger ab ...
Nach einigen Jahren schien seine Frau allerdings die Faxen dicke zu haben von seinen außerehelichen Eskapaden. Ganz München lachte schon über die gehörnte Gattin und ihre unfreiwillig offene Beziehung. Die Baronin wollte ihrem Liebsten Einhalt gebieten, indem sie ihm den Geldhahn zudrehte. Ohne Taschengeld keine Party, so ihre logische Schlussfolgerung.
Doch statt die Abende von da an mit ihr auf dem heimischen Sofa zu verbringen, kam der Frauenschwarm zu uns, um sich seine nächtlichen Extravaganzen auch weiterhin leisten zu können. Fünfmal brachte er Schmuck vorbei, der größtenteils seiner Frau gehörte: Armbänder, Ringe, Ketten. Abgeholt hat er sie nicht. Nach vier Monaten schickten wir ihm eine schriftliche Mahnung an seine Adresse im feinen Grünwald, wo er zwischen Prominenten wie der Familie Sixt oder Senta Berger residierte. Im Briefkasten der geschätzt drei Millionen teuren Villa landete unser Standardschreiben für Nicht-Wiederkommer mit der sinngemäßen Info: »Sie haben jetzt die letzte Chance, Ihr Eigentum auszulösen oder die Pfandzeit gegen Zahlung der Gebühren und Zinsen zu verlängern. Ansonsten wird Ihr Schmuck an folgendem Datum versteigert ...«
Nur wenige Tage später wirbelte ein blond gefärbter, gelockter Tornado die Stufen ins Pfandleihhaus hinauf. Es war die mehrfach betrogene Baronin höchstpersönlich! Wutschnaubend knallte sie unsere Mahnung auf den Tresen.
»Wie können Sie es wagen, so etwas an meine Adresse zu senden?«, wetterte sie. »Der Brief ist für meinen Exmann, und mit dem habe ich nichts, aber auch rein gar nichts mehr zu tun!« Ihr Gesicht hatte die gleiche Farbe wie ihre üppige Korallenkette angenommen. »Er wohnt gar nicht mehr bei mir«, japste sie. Aber ihre Tirade war noch nicht beendet. Die Baronin holte tief Luft und giftete weiter: »Ich werde Sie verklagen - wegen unberechtigter Postzustellung!«
Wie bitte?
Ich stand etwas sprachlos da. »Sie werden noch von meinem Anwalt hören«, zischte die Dame wie eine kampflustige Königskobra. Dann drehte sie sich um und stieg abwärts, wobei sie die Absätze ihrer cremefarbenen Pumps kraftvoll in jede Stufe rammte.
Was für ein irrer Auftritt. Die Frau hatte mich noch nicht einmal zu Wort kommen lassen. Warum war sie überhaupt hier aufgetaucht? Sie hätte den Brief doch einfach wegschmeißen oder sich per Telefon beschweren können, aber nein, sie erschien persönlich und führte einen Tanz auf. Und das, obwohl sie sich für ihren verpfändeten Schmuck überhaupt nicht interessierte. Mit keinem Wort hatte sie darüber gesprochen, ihn auszulösen. All die Diamanten und das Gold waren ihr offenbar völlig schnuppe. Es ging ihr einzig und allein darum, das Ende der Verbindung mit ihrem Exmann in aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen - selbst wenn sie sich gegenüber ihr völlig unbekannten Leuten im Ton vergriff.
Als meine eigene Spontanwut verflogen war, tat mir die Baronin einfach nur leid. Was musste sie mit diesem Hallodri alles erlebt haben, um - sicher ganz gegen ihre Natur - öffentlich so aus der Haut zu fahren! Unser Brief war bestimmt nur eine von vielen bösen Erinnerungen an ihn. Von ihrem Anwalt habe ich übrigens nichts mehr gehört, aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. Oder hat schon mal jemand was von einer Verurteilung wegen »unberechtigter Postzustellung« gehört?
Der Schürzenjäger de luxe tauchte auf Nimmerwiedersehen ab und tanzt inzwischen wahrscheinlich auf einem anderen High-Society-Parkett, mit einer anderen alleinstehenden Dame im Arm. Wer in dieser »Branche« arbeitet, ist sicher daran gewöhnt, den Wohnort zu wechseln, wenn es brenzlig wird. Ein angeheirateter Titel ist in so einem Fall natürlich praktisch: Er macht den Neustart in Monaco oder St. Moritz um einiges leichter. Bei dem geschliffenen und gepflegten Auftreten unseres Hallodris zweifelt sicher keiner daran, einen echten Adligen vor sich zu haben. Zumindest während der ersten paar Wochen ...
Diese hoheitliche Pöbelattacke war nicht die einzige, die mein Team und ich über uns ergehen lassen mussten. Einmal huschte eine vornehm gekleidete Dame zu uns hinauf, etwa um die fünfzig, mit XXL-Chanel-Sonnenbrille auf der Nase. Ich spürte sofort, dass es ihr erster Besuch in einem Pfandleihhaus war. Wie ein Pfeil schoss die Frau an den Tresen, schaute nach rechts und nach links und plapperte dann los wie ein Maschinengewehr. »Sowashabeichnochniegemacht«, haspelte sie, »dashabeichauchgarnichtnötig«, schob sie gleich hinterher. Der Rest war zu schnell für meine Ohren. Ich verstand nur noch »Notfall« und »schnell Geld«.
Die Frau wollte gerade ihr an einer Goldkette baumelndes Chanel-Täschchen öffnen, da fiel ihr Blick auf eine unserer Überwachungskameras.
»Aaaaaahhh!« Ein gellender Schrei entfuhr ihrer Kehle, der dazu führte, dass eine Mitarbeiterin angsterfüllt zu mir nach vorne gerannt kam.
»Was ist los?«, fragte sie und schaute verschreckt drein.
Bevor ich antworten konnte, schrie unser Neuzugang weiter: »Ich will nicht gefilmt werden!«
»Gnädige Frau, das ist nur eine Überwachungskamera«, versuchte ich sie zu beschwichtigen.
Die Dame drehte sich um die eigene Achse und nahm den Raum vor der Plexiglasscheibe genau unter die Lupe. Mit ihrem spindeldürren Ärmchen fuchtelte sie wild in der Luft herum: »Aber da ist noch eine - und da - und da auch! Ich werde ja von allen Seiten gefilmt! Was machen Sie mit dem Material? Ich will nicht ins Fernsehen!«
»Keine Angst, es ist niemand vom Fernsehen hier. Die Bänder werden alle 24 Stunden automatisch gelöscht. Die Aufnahmen dienen allein Ihrer und unserer Sicherheit.«
»Wenn das nicht stimmt, junger Mann ... wenn das nicht stimmt, wird das ein Nachspiel haben«, krächzte die Sonnenbrillenträgerin und wackelte mit dem knochigen rechten Zeigefinger.
Endlich zog sie mit zitterigen Händen ein mit Saphiren verziertes Goldarmband aus der Tasche. Doch schon bei der Aufnahme der Personalien gab es wieder Rabatz.
»Warum wollen Sie meinen Ausweis sehen?«, krakeelte die Kundin.
»Das verlangt das Gesetz.«
»Ich will aber nicht registriert werden.«
»Dann können Sie auch nichts verpfänden.«
Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, überlegte kurz und gab dann nach. »Na gut«, sagte sie und überreichte mir ihren Personalausweis. Nun wurde mir einiges klar: Dem Namen nach zu urteilen, schwammen die Verwandten der Dame seit Generationen im Geld. Eine finanzielle Ebbe hatte es dort noch nie gegeben. Unsere Neukundin war die erste in der Familie, die nun Trockenübungen machen musste.
Es blieb nicht bei einer. Das hatte auch sein Gutes: Ihre Nervosität legte sich von Besuch zu Besuch. Und wenn ich sie heute mit »Achtung, Kamera!« begrüße, müssen wir beide herzlich lachen. Inzwischen zerreißt sie auch nicht mehr die Pfandscheine, sobald sie das Gebäude verlassen hat, so wie es viele meiner ehemals betuchten Kunden tun - aus Angst, dass ein Angehöriger das verräterische Stück Papier durch Zufall in einer Hand- oder Hosentasche entdeckt. Nachher schwören sie mir dann, den Pfandschein »verloren« zu haben, und erhalten nach einer Ausweiskontrolle von mir ein Ersatzdokument. Diesen Satz habe ich schon zu oft gehört, um ihn noch zu glauben.
Natürlich gibt es auch Adels-Notfälle, bei denen mir alles andere als zum Lachen zumute ist. Wie an einem Freitag vor etwa acht Jahren. Morgens um zehn klingelte das Pfandhaus-Telefon. »Guten Tag, Herr Käfer«, sagte eine männliche Stimme, »machen Sie auch Hausbesuche?«
Eigentlich nicht, ich bin doch kein Arzt! Aber diese Angelegenheit wurde zur berühmten Ausnahme.
Der Kerl am anderen Ende erklärte mir, dass es sich um eine Haushaltsauflösung im Herzogpark handelte, einem der reichsten Stadtteile Münchens. »Die Besitzer brauchen dringend Geld und sind bereit, sich für eine gewisse Zeit von wertvollen Raritäten zu trennen. Wir haben hier zum Beispiel eine echte Biedermeier-Kommode vom Anfang des 19. Jahrhunderts.«
Die könnte Zigtausende wert sein, ging es mir durch den Kopf. Dazu noch ein paar andere Antiquitäten - ein verlockender Deal. Meine Neugierde war geweckt, und ich willigte ein: »In Ordnung. Ich komme nächste Woche vorbei.«
»Nächste Woche?« Mein Gesprächspartner wurde nervös. »Das ist zu spät! Es geht nur heute! Die Umzugswagen stehen schon vor der Tür.«
Das wurde ja immer kurioser! Aber die Aussicht auf ein paar außergewöhnliche Teile hielt mich bei der Stange. »O. k., ich bin in einer halben Stunde da.«
Da meine Schwester Restauratorin ist, nahm ich sie als Verstärkung mit. Ich selber kann nämlich gerade mal Mahagoni von einer Pressspanplatte unterscheiden. Wir fuhren mit dem Auto zur genannten Adresse - und waren bei der Ankunft völlig baff! Ein schmiedeeisernes Tor stand weit offen, dahinter knirschte mein Wagen über feinsten Kies. In der Auffahrt der Villa standen mehrere Umzugslaster, die von schwitzenden Männern beladen wurden. Vier von ihnen wuchteten gerade einen schwarzen Flügel auf die Laderampe, ein anderer hatte ein Gemälde unterm Arm.
»Sie müssen Herr Käfer sein«, begrüßte mich ein Kerl in Jeans und Ralph-Lauren-Hemd, der höchstens Mitte zwanzig sein konnte. »Die Sachen hier gehen alle zur Versteigerung weg«, sagte er und zeigte auf die kostspielige Fracht der emsigen Packer.
»Die Möbel, die für Sie gedacht sind, stehen dort drüben.«
Wieso hatte dieser Milchbubi hier alle Fäden in der Hand? Wer war der Typ?
Meine Schwester und ich folgten ihm zur offenen Doppelgarage. Sie war voller Kisten mit Bilderrahmen, Lampen, Stühlen und Kleinkram.
»Ah, da ist sie ja!«, rief meine Schwester und huschte entzückt nach hinten rechts. Sie hatte die Biedermeier-Kommode entdeckt.
»Ein ganz besonderes Stück«, verkündete eine tiefe Stimme hinter uns. Ein alter Mann, geschätzte 70, näherte sich auf einen Gehstock gestützt. »Die ist mein Schatz«, ergänzte er noch und rückte sich die randlose Brille zurecht.
»Aber ein hilfsbedürftiger Schatz«, erklärte meine Schwester. Sie fuhr mit den Fingern über den abgeplatzten Lack und deutete auf den Karton neben der schubladenlosen Kommode, in der hölzerne Einzelteile wahllos übereinandergestapelt waren. »Die müsste erst mal restauriert werden, bevor sie wirklich was wert ist.«
»Das war immer mein großer Traum«, meinte der Weißhaarige. Hilflos sah er aus, mit seinen traurigen Augen und der unordentlichen grauen Mähne. »Ich würde die Kommode so gerne einmal ganz intakt sehen. Aber das wird jetzt wohl nie passieren.«
»Ach, Papa«, mischte sich der Jungspund wieder ein, »hör bitte auf mit dem Gejammer. Geh lieber rein zu Mama.«
Dann richtete er sich wieder an mich: »Und? Wollen Sie die Kommode?«
In diesem Moment machte ich die zweite Ausnahme an diesem Tag. Normalerweise hätte ich dieses ramponierte Möbelstück nie als Pfand angenommen. Aber der Senior tat mir leid. Ich wollte seine Kommode vor einem schlimmeren Schicksal bewahren.
Das Söhnchen nannte einen Preis, und ich willigte ein, die Hälfte zu zahlen. Per Handschlag waren wir im Geschäft.
»Den Pfandschein müssen Ihnen aber meine Eltern ausfüllen«, teilte er mir mit. »Schließlich gehört ihnen ja der ganze Kram hier.«
»Warum ziehen sie eigentlich um?«, fragte ich.
»Ach, Sie wissen doch: Wie gewonnen, so zerronnen. Meine Eltern hatten eben Pech in letzter Zeit. Mein Bruder und ich haben eine nette Wohnung für sie gefunden.«
Diese »nette Wohnung« bekamen meine Schwester und ich dann später auch noch zu sehen. Denn um den Pfandschein auszustellen, brauchten wir den Ausweis des Besitzers, der bereits in seinem neuen Domizil wohnte - im achten Stock eines Hochhauses am Rande der Stadt. Zwei Zimmer, PVC-Boden, Kochnische.
»Sie müssen aber eine ganze Menge Pech gehabt haben«, sagte ich zu dem Kommodenbesitzer, der neben seiner Frau auf dem weißen Ledersofa Platz genommen hatte - eines der wenigen Relikte aus ihrem alten, 240-Quadratmeter-Zuhause. »Was um Himmels willen ist denn passiert?«
Die zwei schauten sich an, er drückte fest ihre Hand, und schon flossen bei beiden Tränen. »Wir wollten doch nur das Beste für unsere Kinder«, schluchzte die ältere Dame, deren Name laut Ausweis auch ein »von und zu« enthielt. »Aber sie wohl nicht für uns ...«
Die fürsorglichen Eltern hatten das Geld keineswegs selber durchgebracht. Nein, ihre Söhne, beide Anfang zwanzig, hatten an der Börse hoch gepokert - und verloren. Dann war hier noch ein Projekt schiefgelaufen, dort ein Geschäft geplatzt, und irgendwann geriet die ganze Familie in den roten Bereich. »Wir haben einige Bürgschaften unterschrieben und mussten schließlich den Kopf hinhalten.« Der Vater seufzte. Die Villa, der Jaguar, Aktien - alles weg. Von nun an würden die beiden Alten den Rest ihres Lebens in diesem Wohnsilo verbringen. Es war traurig, sie so verloren dort sitzen zu sehen.
»Aber immerhin ist Ihre Kommode bei uns in Sicherheit«, beteuerte ich. »Vielleicht schaffen Sie es ja doch noch, sie zu restaurieren.« Als ich dem Mann den Pfandschein übergab, legte er mir die Hand auf die Schulter. »Danke«, brachte er hervor und blickte mich mit einem warmen Lächeln an.
»Denken Sie dran - in vier Monaten läuft der Pfandvertrag aus«, erinnerte ich die zwei, bevor ich die Wohnungstür hinter mir schloss und in den muffigen Aufzug stieg.
Doch sosehr ich auch darauf hoffte - der Besitzer der Kommode tauchte nicht mehr bei uns im Pfandhaus auf.
Das gute Stück wurde schließlich von einem Schreiner aus Landshut ersteigert. »Tun Sie mir einen Gefallen«, bat ich ihn, »schicken Sie mir doch bitte ein Foto, wenn Sie die Kommode restauriert haben.«
Und in der Tat: Acht Monate später hatte ich es im Briefkasten. Die Kommode sah nun wirklich beeindruckend aus! Ihr honigfarbenes Holz glänzte dank einer neuen Lackierung, die Füße saßen fest, genau wie die Messinggriffe und die drei bauchigen Schubladen. Ein Schmuckstück. Ich schickte das Foto mit einer kleinen Notiz an die Hochhausadresse: »Schauen Sie: Ihr Traum hat sich jetzt doch erfüllt!« Zwei Tage später kam der Umschlag ungeöffnet zurück - mit einem Stempel darauf: »Unbekannt verzogen«.
Ja mei, ich erzähl halt gern. Schon meine Oma sagte immer: »Der Bua is ned aufs Maul g'falln.« Aber wenn es drauf ankommt, kann ich schweigen wie ein Grab - eine wichtige Voraussetzung für meinen Job, denn Diskretion spielt dabei eine erfolgsentscheidende Rolle. In gewisser Hinsicht ist ein Pfandleihhaus nämlich wie ein Bordell: Millionen gehen hin, aber erfahren soll es möglichst keiner.
Dass mein Geschäft brummt, liegt unter anderem sicher daran, dass ich im richtigen Moment Stillschweigen bewahre. Meine Kundenkartei ist wie Fort Knox, da geht niemals ein Name raus - auch wenn er noch so berühmt ist.
In München hat sich das herumgesprochen, besonders in den feineren Kreisen. Erst kürzlich tippte mir in der Opernpause ein Fremder mit edlem Smoking und Lapislazuli-Siegelring auf die Schulter: »Sie sind doch Herr Käfer, oder? Ich würde gerne mit Ihnen über ein Geschäft sprechen ...«
Prinzen, Baroninnen und Grafen deponieren ihre Schätze bei mir, wobei natürlich die wahren »Kronjuwelen« meist schon weg sind, wenn die durchlauchten Kunden auf meine Matte treten. Nach Aktienverlust oder ruinösen Renovierungsarbeiten am familieneigenen Schloss ist der Besuch beim Pfandleiher für gewöhnlich erst der zweite oder dritte Schritt. Die Adligen halten es meist wie Gloria von Thurn und Taxis, die 1992 Tafelsilber und Schlossmobiliar für einen zweistelligen Millionenbetrag versteigern ließ. Erst wenn solche Kostbarkeiten unterm Hammer gelandet sind und die Herrschaften dann noch eine schnelle Finanzspritze benötigen, bin ich die nächste Anlaufstation, bei der dann funkelnde Colliers, Uhren oder Gemälde gegen Bares deponiert werden.
Vielen Blaublütlern sieht man es nicht an, wie schlecht sie finanziell dastehen. Sie tragen mit der größten Selbstverständlichkeit ihre knitterfreien Burberry-Trenchcoats, Gucci-Slipper und unverwüstlichen Föhnfrisuren. Die Luxus-Scharade nach außen hin ist perfekt - und so soll es auch bleiben. Daher grüße ich diese Kunden auch nie zuerst, wenn ich sie zufällig in der Öffentlichkeit treffe. Egal ob im Restaurant, bei einer Vernissage oder dem Theaterbesuch: Ich warte immer zuerst auf ein Zeichen meiner Kunden. Nicken sie mir wohlwollend zu, antworte ich mit einem freundlichen »Servus«. Tun sie allerdings so, als sei ich Luft, mache ich es ihnen nach. Das gehört zum Job. Schließlich will ich meine Klienten nicht vor Freunden, Verwandten oder Geschäftspartnern bloßstellen. Ihr kleines Leihhaus-Geheimnis bleibt unter uns - Ehrenwort!
Vor Jahren besuchte mich einmal eine Reporterin einer großen deutschen Tageszeitung - ein hübsches, sehr charmantes Ding. Nachdem ich ihr die Pfandgaben in unseren proppenvollen Regalen gezeigt hatte, wollte sie wissen:
»Kommen auch Promis zu Ihnen?«
Ich konterte wahrheitsgemäß: »Prominente gibt's hier reichlich.«
»Namen bitte, Namen!«, forderte sie ganz aufgeregt.
»Die kriegen Sie leider nicht von mir, meine Dame.«
Sie ließ nicht locker und bot mir einen Batzen Geld an für einen kurzen Blick in den Büro-Computer oder ein paar zugeflüsterte Adelsnamen. Doch ich lehnte lächelnd ab. Indiskretion würde mich teuer zu stehen kommen, das wusste ich. Über die Identität meiner Kunden verrate ich nur so viel: Gestern noch in der Bunten, heute schon in meinem Laden! Es kommen Leute zu mir, von denen ich nie gedacht hätte, sie einmal bei mir begrüßen zu dürfen. Aber ein beeindruckender Titel schützt eben nicht vor Geldproblemen, das sehe ich immer wieder.
Natürlich gibt es verschiedene Kategorien: Da sind die jungen Adelserben, denen die Großtante gerade Rubinringe oder chinesische Vasen hinterlassen hat. Die denken sich: »Was soll ich mit dem alten Glump? Ich brauch einen Porsche, und zwar jetzt!« Und so landen sie mit von Generation zu Generation weitergegebenen Raritäten bei mir, die sie allerdings größtenteils nach wenigen Monaten wieder auslösen.
Dann gibt es die Verarmten, die ihr Schloss nur noch auf dem Foto besitzen. Eine ältere Dame mit dunkelblauem Chanel-Kostüm, das an den Ellenbogen schon leicht abgewetzt war, schob mir das Bild ihres früheren Zuhauses über den Tresen: ein zartgelber Palast mit Türmchen und See, der selbst das Herz von König Ludwig II. hätte höher schlagen lassen. Einen Diamantring mit Einkaräter ließ die Dame an dem Tag da. Als sie mir zur Registrierung ihren Personalausweis gab und ich ihren Nachnamen las, blieb mir die Spucke weg. Ich schaute vom Passbild noch einmal zum echten Konterfei: Es stimmte! Diese Frau hatte ich früher oft in Hochglanzmagazinen gesehen. Da trug sie allerdings immer das berühmte »Doppel-Sch«: viel Schminke und viel, viel Schmuck. Heute stand sie juwelenfrei vor mir, ihr Gesicht rettichblass. »Ja, ich habe schon bessere Zeiten erlebt«, sagte die »Frau von« auf meinen überraschten Blick hin. Wenigstens konnte ich ihr im Tausch für den Ring mit ein paar tausend Euro aushelfen.
Peinlicher wird es, wenn das einzig Wertvolle, das die »Hoheiten« noch besitzen, ihr Titel ist. Denn den können wir leider nicht beleihen. Ich habe einigen schon vorgeschlagen, doch einfach ihren Adelsnamen zu verkaufen; Konsul Weyer hat als Titelhändler schließlich ein Vermögen gemacht. Der Großteil meiner royalen Gesprächspartner aber fand diese Idee gar nicht lustig. Im Gegenteil, sie wurden sogar richtig kiebig. Seit Frédéric von Anhalt einen Puff-Besitzer adoptiert hat, läuft das Geschäft mit den Titeln ohnehin nur noch schlep pend; die wenigstens wollen ihrem Adelsstammbaum einen solch faulen Ast zumuten. Ich hingegen denke immer: Ein Name macht nicht satt! Wenn sonst schon alles futsch ist, kommt es auf den doch auch nicht mehr an.
Natürlich sollte man immer aufpassen, wen man sich auf diese Weise in die Familie holt. Auch wenn Liebe im Spiel ist, kann es böse enden ... Meiner Erfahrung nach sind die Angeheirateten nämlich die schlimmsten Adligen. Im Gegensatz zu ihrer besseren Hälfte, die oft viel zurückhaltender ist, lassen die ehemals Bürgerlichen ihren neuen Titel gerne gnadenlos auf Visitenkarten und Ausweis verewigen: »Von und zu Sonstnochwer« steht dann da - oft ein ellenlanger Sermon, der unserer Pfandhaus-Software regelmäßig Probleme bereitet, weil im Feld für den Nachnamen des Kunden nur 23 Buchstaben Platz haben. Wenn diese Grenze mal wieder überschritten wird, muss ich höflich fragen: »Gnädige Hoheit, auf welchen Titel darf ich denn verzichten?«
Einmal stand mir ein besonderer Vertreter dieser Spezies gegenüber: ein stadtbekannter Hallodri, Gauner und Hochstapler, der es trotz seines zweifelhaften Rufes geschafft hatte, sich eine steinreiche Baronin zu angeln. Mit leuchtenden Augen ließ sich die Dame bei Charity- und anderen Events mit ihrem um etliche Jahre jüngeren Mann ablichten, der mit seinen vierzig Lenzen, das muss ich zugeben, noch ziemlich schnittig aussah.
Allerdings waren die beiden privat eher selten gemeinsam unterwegs. Wenn der feine Herr legendäre In-Lokale wie das Schumann's am Hofgarten betrat, hatte er eine Schar junger Dinger mit langen Beinen und kurzen Röcken im Schlepptau. An seinem Tisch wurde immer groß gezecht, der Champagner floss bis in die frühen Morgenstunden und die Kellner grinsten in Vorfreude auf das stets großzügige Trinkgeld.
Der Kerl wusste sich in Szene zu setzen: Er trug gewöhnlich navyblaue Blazer mit goldenen Knöpfchen, Seidenkrawatten und farblich passenden Einstecktüchern. Seine fedrige Roy-Black-Gedächtnisfrisur saß perfekt, und er sprach mit leiser, vornehmer Stimme. Dieser Mann war adliger als echter Adel! Gebürtige Aristokraten sind ja heutzutage viel lockerer, sie nähern sich geradezu immer mehr dem normalen Menschen an. Nicht so dieser Kerl: Selbst beim Entgegennehmen des Pfandscheins für eine goldene Uhr und ein Diamantarmband spreizte er den manikürten kleinen Finger ab ...
Nach einigen Jahren schien seine Frau allerdings die Faxen dicke zu haben von seinen außerehelichen Eskapaden. Ganz München lachte schon über die gehörnte Gattin und ihre unfreiwillig offene Beziehung. Die Baronin wollte ihrem Liebsten Einhalt gebieten, indem sie ihm den Geldhahn zudrehte. Ohne Taschengeld keine Party, so ihre logische Schlussfolgerung.
Doch statt die Abende von da an mit ihr auf dem heimischen Sofa zu verbringen, kam der Frauenschwarm zu uns, um sich seine nächtlichen Extravaganzen auch weiterhin leisten zu können. Fünfmal brachte er Schmuck vorbei, der größtenteils seiner Frau gehörte: Armbänder, Ringe, Ketten. Abgeholt hat er sie nicht. Nach vier Monaten schickten wir ihm eine schriftliche Mahnung an seine Adresse im feinen Grünwald, wo er zwischen Prominenten wie der Familie Sixt oder Senta Berger residierte. Im Briefkasten der geschätzt drei Millionen teuren Villa landete unser Standardschreiben für Nicht-Wiederkommer mit der sinngemäßen Info: »Sie haben jetzt die letzte Chance, Ihr Eigentum auszulösen oder die Pfandzeit gegen Zahlung der Gebühren und Zinsen zu verlängern. Ansonsten wird Ihr Schmuck an folgendem Datum versteigert ...«
Nur wenige Tage später wirbelte ein blond gefärbter, gelockter Tornado die Stufen ins Pfandleihhaus hinauf. Es war die mehrfach betrogene Baronin höchstpersönlich! Wutschnaubend knallte sie unsere Mahnung auf den Tresen.
»Wie können Sie es wagen, so etwas an meine Adresse zu senden?«, wetterte sie. »Der Brief ist für meinen Exmann, und mit dem habe ich nichts, aber auch rein gar nichts mehr zu tun!« Ihr Gesicht hatte die gleiche Farbe wie ihre üppige Korallenkette angenommen. »Er wohnt gar nicht mehr bei mir«, japste sie. Aber ihre Tirade war noch nicht beendet. Die Baronin holte tief Luft und giftete weiter: »Ich werde Sie verklagen - wegen unberechtigter Postzustellung!«
Wie bitte?
Ich stand etwas sprachlos da. »Sie werden noch von meinem Anwalt hören«, zischte die Dame wie eine kampflustige Königskobra. Dann drehte sie sich um und stieg abwärts, wobei sie die Absätze ihrer cremefarbenen Pumps kraftvoll in jede Stufe rammte.
Was für ein irrer Auftritt. Die Frau hatte mich noch nicht einmal zu Wort kommen lassen. Warum war sie überhaupt hier aufgetaucht? Sie hätte den Brief doch einfach wegschmeißen oder sich per Telefon beschweren können, aber nein, sie erschien persönlich und führte einen Tanz auf. Und das, obwohl sie sich für ihren verpfändeten Schmuck überhaupt nicht interessierte. Mit keinem Wort hatte sie darüber gesprochen, ihn auszulösen. All die Diamanten und das Gold waren ihr offenbar völlig schnuppe. Es ging ihr einzig und allein darum, das Ende der Verbindung mit ihrem Exmann in aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen - selbst wenn sie sich gegenüber ihr völlig unbekannten Leuten im Ton vergriff.
Als meine eigene Spontanwut verflogen war, tat mir die Baronin einfach nur leid. Was musste sie mit diesem Hallodri alles erlebt haben, um - sicher ganz gegen ihre Natur - öffentlich so aus der Haut zu fahren! Unser Brief war bestimmt nur eine von vielen bösen Erinnerungen an ihn. Von ihrem Anwalt habe ich übrigens nichts mehr gehört, aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. Oder hat schon mal jemand was von einer Verurteilung wegen »unberechtigter Postzustellung« gehört?
Der Schürzenjäger de luxe tauchte auf Nimmerwiedersehen ab und tanzt inzwischen wahrscheinlich auf einem anderen High-Society-Parkett, mit einer anderen alleinstehenden Dame im Arm. Wer in dieser »Branche« arbeitet, ist sicher daran gewöhnt, den Wohnort zu wechseln, wenn es brenzlig wird. Ein angeheirateter Titel ist in so einem Fall natürlich praktisch: Er macht den Neustart in Monaco oder St. Moritz um einiges leichter. Bei dem geschliffenen und gepflegten Auftreten unseres Hallodris zweifelt sicher keiner daran, einen echten Adligen vor sich zu haben. Zumindest während der ersten paar Wochen ...
Diese hoheitliche Pöbelattacke war nicht die einzige, die mein Team und ich über uns ergehen lassen mussten. Einmal huschte eine vornehm gekleidete Dame zu uns hinauf, etwa um die fünfzig, mit XXL-Chanel-Sonnenbrille auf der Nase. Ich spürte sofort, dass es ihr erster Besuch in einem Pfandleihhaus war. Wie ein Pfeil schoss die Frau an den Tresen, schaute nach rechts und nach links und plapperte dann los wie ein Maschinengewehr. »Sowashabeichnochniegemacht«, haspelte sie, »dashabeichauchgarnichtnötig«, schob sie gleich hinterher. Der Rest war zu schnell für meine Ohren. Ich verstand nur noch »Notfall« und »schnell Geld«.
Die Frau wollte gerade ihr an einer Goldkette baumelndes Chanel-Täschchen öffnen, da fiel ihr Blick auf eine unserer Überwachungskameras.
»Aaaaaahhh!« Ein gellender Schrei entfuhr ihrer Kehle, der dazu führte, dass eine Mitarbeiterin angsterfüllt zu mir nach vorne gerannt kam.
»Was ist los?«, fragte sie und schaute verschreckt drein.
Bevor ich antworten konnte, schrie unser Neuzugang weiter: »Ich will nicht gefilmt werden!«
»Gnädige Frau, das ist nur eine Überwachungskamera«, versuchte ich sie zu beschwichtigen.
Die Dame drehte sich um die eigene Achse und nahm den Raum vor der Plexiglasscheibe genau unter die Lupe. Mit ihrem spindeldürren Ärmchen fuchtelte sie wild in der Luft herum: »Aber da ist noch eine - und da - und da auch! Ich werde ja von allen Seiten gefilmt! Was machen Sie mit dem Material? Ich will nicht ins Fernsehen!«
»Keine Angst, es ist niemand vom Fernsehen hier. Die Bänder werden alle 24 Stunden automatisch gelöscht. Die Aufnahmen dienen allein Ihrer und unserer Sicherheit.«
»Wenn das nicht stimmt, junger Mann ... wenn das nicht stimmt, wird das ein Nachspiel haben«, krächzte die Sonnenbrillenträgerin und wackelte mit dem knochigen rechten Zeigefinger.
Endlich zog sie mit zitterigen Händen ein mit Saphiren verziertes Goldarmband aus der Tasche. Doch schon bei der Aufnahme der Personalien gab es wieder Rabatz.
»Warum wollen Sie meinen Ausweis sehen?«, krakeelte die Kundin.
»Das verlangt das Gesetz.«
»Ich will aber nicht registriert werden.«
»Dann können Sie auch nichts verpfänden.«
Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, überlegte kurz und gab dann nach. »Na gut«, sagte sie und überreichte mir ihren Personalausweis. Nun wurde mir einiges klar: Dem Namen nach zu urteilen, schwammen die Verwandten der Dame seit Generationen im Geld. Eine finanzielle Ebbe hatte es dort noch nie gegeben. Unsere Neukundin war die erste in der Familie, die nun Trockenübungen machen musste.
Es blieb nicht bei einer. Das hatte auch sein Gutes: Ihre Nervosität legte sich von Besuch zu Besuch. Und wenn ich sie heute mit »Achtung, Kamera!« begrüße, müssen wir beide herzlich lachen. Inzwischen zerreißt sie auch nicht mehr die Pfandscheine, sobald sie das Gebäude verlassen hat, so wie es viele meiner ehemals betuchten Kunden tun - aus Angst, dass ein Angehöriger das verräterische Stück Papier durch Zufall in einer Hand- oder Hosentasche entdeckt. Nachher schwören sie mir dann, den Pfandschein »verloren« zu haben, und erhalten nach einer Ausweiskontrolle von mir ein Ersatzdokument. Diesen Satz habe ich schon zu oft gehört, um ihn noch zu glauben.
Natürlich gibt es auch Adels-Notfälle, bei denen mir alles andere als zum Lachen zumute ist. Wie an einem Freitag vor etwa acht Jahren. Morgens um zehn klingelte das Pfandhaus-Telefon. »Guten Tag, Herr Käfer«, sagte eine männliche Stimme, »machen Sie auch Hausbesuche?«
Eigentlich nicht, ich bin doch kein Arzt! Aber diese Angelegenheit wurde zur berühmten Ausnahme.
Der Kerl am anderen Ende erklärte mir, dass es sich um eine Haushaltsauflösung im Herzogpark handelte, einem der reichsten Stadtteile Münchens. »Die Besitzer brauchen dringend Geld und sind bereit, sich für eine gewisse Zeit von wertvollen Raritäten zu trennen. Wir haben hier zum Beispiel eine echte Biedermeier-Kommode vom Anfang des 19. Jahrhunderts.«
Die könnte Zigtausende wert sein, ging es mir durch den Kopf. Dazu noch ein paar andere Antiquitäten - ein verlockender Deal. Meine Neugierde war geweckt, und ich willigte ein: »In Ordnung. Ich komme nächste Woche vorbei.«
»Nächste Woche?« Mein Gesprächspartner wurde nervös. »Das ist zu spät! Es geht nur heute! Die Umzugswagen stehen schon vor der Tür.«
Das wurde ja immer kurioser! Aber die Aussicht auf ein paar außergewöhnliche Teile hielt mich bei der Stange. »O. k., ich bin in einer halben Stunde da.«
Da meine Schwester Restauratorin ist, nahm ich sie als Verstärkung mit. Ich selber kann nämlich gerade mal Mahagoni von einer Pressspanplatte unterscheiden. Wir fuhren mit dem Auto zur genannten Adresse - und waren bei der Ankunft völlig baff! Ein schmiedeeisernes Tor stand weit offen, dahinter knirschte mein Wagen über feinsten Kies. In der Auffahrt der Villa standen mehrere Umzugslaster, die von schwitzenden Männern beladen wurden. Vier von ihnen wuchteten gerade einen schwarzen Flügel auf die Laderampe, ein anderer hatte ein Gemälde unterm Arm.
»Sie müssen Herr Käfer sein«, begrüßte mich ein Kerl in Jeans und Ralph-Lauren-Hemd, der höchstens Mitte zwanzig sein konnte. »Die Sachen hier gehen alle zur Versteigerung weg«, sagte er und zeigte auf die kostspielige Fracht der emsigen Packer.
»Die Möbel, die für Sie gedacht sind, stehen dort drüben.«
Wieso hatte dieser Milchbubi hier alle Fäden in der Hand? Wer war der Typ?
Meine Schwester und ich folgten ihm zur offenen Doppelgarage. Sie war voller Kisten mit Bilderrahmen, Lampen, Stühlen und Kleinkram.
»Ah, da ist sie ja!«, rief meine Schwester und huschte entzückt nach hinten rechts. Sie hatte die Biedermeier-Kommode entdeckt.
»Ein ganz besonderes Stück«, verkündete eine tiefe Stimme hinter uns. Ein alter Mann, geschätzte 70, näherte sich auf einen Gehstock gestützt. »Die ist mein Schatz«, ergänzte er noch und rückte sich die randlose Brille zurecht.
»Aber ein hilfsbedürftiger Schatz«, erklärte meine Schwester. Sie fuhr mit den Fingern über den abgeplatzten Lack und deutete auf den Karton neben der schubladenlosen Kommode, in der hölzerne Einzelteile wahllos übereinandergestapelt waren. »Die müsste erst mal restauriert werden, bevor sie wirklich was wert ist.«
»Das war immer mein großer Traum«, meinte der Weißhaarige. Hilflos sah er aus, mit seinen traurigen Augen und der unordentlichen grauen Mähne. »Ich würde die Kommode so gerne einmal ganz intakt sehen. Aber das wird jetzt wohl nie passieren.«
»Ach, Papa«, mischte sich der Jungspund wieder ein, »hör bitte auf mit dem Gejammer. Geh lieber rein zu Mama.«
Dann richtete er sich wieder an mich: »Und? Wollen Sie die Kommode?«
In diesem Moment machte ich die zweite Ausnahme an diesem Tag. Normalerweise hätte ich dieses ramponierte Möbelstück nie als Pfand angenommen. Aber der Senior tat mir leid. Ich wollte seine Kommode vor einem schlimmeren Schicksal bewahren.
Das Söhnchen nannte einen Preis, und ich willigte ein, die Hälfte zu zahlen. Per Handschlag waren wir im Geschäft.
»Den Pfandschein müssen Ihnen aber meine Eltern ausfüllen«, teilte er mir mit. »Schließlich gehört ihnen ja der ganze Kram hier.«
»Warum ziehen sie eigentlich um?«, fragte ich.
»Ach, Sie wissen doch: Wie gewonnen, so zerronnen. Meine Eltern hatten eben Pech in letzter Zeit. Mein Bruder und ich haben eine nette Wohnung für sie gefunden.«
Diese »nette Wohnung« bekamen meine Schwester und ich dann später auch noch zu sehen. Denn um den Pfandschein auszustellen, brauchten wir den Ausweis des Besitzers, der bereits in seinem neuen Domizil wohnte - im achten Stock eines Hochhauses am Rande der Stadt. Zwei Zimmer, PVC-Boden, Kochnische.
»Sie müssen aber eine ganze Menge Pech gehabt haben«, sagte ich zu dem Kommodenbesitzer, der neben seiner Frau auf dem weißen Ledersofa Platz genommen hatte - eines der wenigen Relikte aus ihrem alten, 240-Quadratmeter-Zuhause. »Was um Himmels willen ist denn passiert?«
Die zwei schauten sich an, er drückte fest ihre Hand, und schon flossen bei beiden Tränen. »Wir wollten doch nur das Beste für unsere Kinder«, schluchzte die ältere Dame, deren Name laut Ausweis auch ein »von und zu« enthielt. »Aber sie wohl nicht für uns ...«
Die fürsorglichen Eltern hatten das Geld keineswegs selber durchgebracht. Nein, ihre Söhne, beide Anfang zwanzig, hatten an der Börse hoch gepokert - und verloren. Dann war hier noch ein Projekt schiefgelaufen, dort ein Geschäft geplatzt, und irgendwann geriet die ganze Familie in den roten Bereich. »Wir haben einige Bürgschaften unterschrieben und mussten schließlich den Kopf hinhalten.« Der Vater seufzte. Die Villa, der Jaguar, Aktien - alles weg. Von nun an würden die beiden Alten den Rest ihres Lebens in diesem Wohnsilo verbringen. Es war traurig, sie so verloren dort sitzen zu sehen.
»Aber immerhin ist Ihre Kommode bei uns in Sicherheit«, beteuerte ich. »Vielleicht schaffen Sie es ja doch noch, sie zu restaurieren.« Als ich dem Mann den Pfandschein übergab, legte er mir die Hand auf die Schulter. »Danke«, brachte er hervor und blickte mich mit einem warmen Lächeln an.
»Denken Sie dran - in vier Monaten läuft der Pfandvertrag aus«, erinnerte ich die zwei, bevor ich die Wohnungstür hinter mir schloss und in den muffigen Aufzug stieg.
Doch sosehr ich auch darauf hoffte - der Besitzer der Kommode tauchte nicht mehr bei uns im Pfandhaus auf.
Das gute Stück wurde schließlich von einem Schreiner aus Landshut ersteigert. »Tun Sie mir einen Gefallen«, bat ich ihn, »schicken Sie mir doch bitte ein Foto, wenn Sie die Kommode restauriert haben.«
Und in der Tat: Acht Monate später hatte ich es im Briefkasten. Die Kommode sah nun wirklich beeindruckend aus! Ihr honigfarbenes Holz glänzte dank einer neuen Lackierung, die Füße saßen fest, genau wie die Messinggriffe und die drei bauchigen Schubladen. Ein Schmuckstück. Ich schickte das Foto mit einer kleinen Notiz an die Hochhausadresse: »Schauen Sie: Ihr Traum hat sich jetzt doch erfüllt!« Zwei Tage später kam der Umschlag ungeöffnet zurück - mit einem Stempel darauf: »Unbekannt verzogen«.
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Autoren-Porträt von Thomas Käfer
Thomas Käfer wurde 1960 in München geboren. Seit 2000 betreibt er dort ein Pfandleihhaus.Anna Butterbrod, geb. 1977 im Ruhrgebiet. Nach dem Abitur verbrachte sie ein Jahr in Kalifornien, später studierte sie Germanistik und Anglistik in Düsseldorf und absolvierte die Axel-Springer-Journalistenschule in Hamburg. Sie hat für bekannte Frauenmagazine wie "Jolie" und "InTouch" gearbeitet und schreibt seit 2008 als freie Autorin unter anderem für "Frau im Spiegel" und das "ADAC Reisemagazin".
Bibliographische Angaben
- Autor: Thomas Käfer
- 2011, 224 Seiten, Maße: 12,1 x 19,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Mitarbeit: Butterbrod, Anna
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548373828
- ISBN-13: 9783548373829
Rezension zu „Lieber Kleingeld als kein Geld “
»Kuriose Erzählungen aus dem Leihaus.« MITTELBAYERISCHE ZEITUNG, 08.10.2011 »Mit viel Humor und Herzenswärem erzählt Thomas Käfer seine Erlebnisse aus der Welt der SChuldner und Glücksritter.« Angelegertportal.de, 10/11
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