Lisas Atem
Roman
Nach dem beeindruckenden Romandebüt von "Passionsfrucht" hält der gefeierte 40jährige Autor mit seinem neuen Buch Kritik und Leser in Atem: Karel G. van Loon verbindet in "Lisas Atem" die Erinnerungen an eine junge Frau, die während eines Urlaubs in der...
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Produktinformationen zu „Lisas Atem “
Nach dem beeindruckenden Romandebüt von "Passionsfrucht" hält der gefeierte 40jährige Autor mit seinem neuen Buch Kritik und Leser in Atem: Karel G. van Loon verbindet in "Lisas Atem" die Erinnerungen an eine junge Frau, die während eines Urlaubs in der Bretagne spurlos verschwand, mit einer raffinierten Krimihandlung zu einer großen Liebesgeschichte.
Lese-Probe zu „Lisas Atem “
"Macht es dir etwas aus?" "Nein, macht mir nichts aus. Dir?" "Ja. Ja, ich glaube schon." Er zuckt mit den Schultern. Sie hat sich etwas nach vorn gebeugt und schaut ihm ins Gesicht. Er sieht nicht weg. Noch nicht. Er ist sich dessen nicht bewußt, sie schon: es gelingt ihm, immer länger nicht wegzublicken, wenn sie ihn anschaut. Er will das Thema wechseln, doch sie kommt ihm zuvor. "Woran denkst du, wenn du nicht schlafen kannst, nachts im Bett?" "Ich kann immer schlafen." "Glaube ich nicht." "Ist auch nicht wahr. Woran ich denke? Ha!" "Nun?" "An dich." "Und schläfst du dann ein oder gerade nicht?" Er schaut aus dem Fenster, dann flüchtig zu ihr. Aber er antwortet nicht. "Warum willst du das alles wissen?" "Willst du solche Dinge nicht wissen? Von mir?" "Nein. Ja. Nein!" "Warum nicht?" "Warum nicht?" Er seufzt. Sie wartet. Ihre Augen lassen ihn nicht los. Er schaut wieder aus dem Fenster. Seine Finger brechen kleine Stückchen von einem Bierdeckel ab, auf den er zuvor ein Gedicht für sie geschrieben hatte. Er sagt: "Ich will dich nichts fragen. Ich will dich ansehen, stundenlang." "Warum blickst du dann immer weg, wenn ich dich ansehe?" "Ich schau dich am liebsten an, wenn du es nicht merkst." "Warum?" "Dann gibst du am meisten preis." "Und was?" Er bleibt sehr lange still. Der Bierdeckel liegt in kleinen Stücken auf dem persischen Tischläufer. Schließlich sagt er: "Dafür gibt es keine Worte. Das ist es ja gerade. Darum ist das auch nichts, wonach ich dich fragen könnte. Du würdest selbst auch keine Worte dafür finden. Für die meisten Dinge, die wir wissen, gibt es keine richtigen Worte. Wenn ich morgens aufwache, weiß ich sofort, wie ich mich fühle, aber ich könnte es unmöglich beschreiben. Und wenn ich dich sehe ..."Jetzt schaut er sie an, länger, als er es je getan hat, diesmal schaut sie als erste weg. "Wie sollte ich", fährt er fort, "sagen können, was ich dann sehe?" Sie gehen an einer breiten Gracht entlang, Hand in Hand. Unter dem dunklen Wasser schimmern die
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hellgrünen Blätter einer Wasserpflanze. Er will ihr erklären, daß es das ist, wie er sich oft fühlt, wenn er morgens aufwacht: wie diese Wasserpflanzen. Aber er hat Angst, daß sie ihn nicht oder falsch verstehen könnte, er weiß nicht einmal, ob er sich selbst versteht. Sie fragt: "Kommst du gleich mit, die Katze füttern?" Darüber müssen sie beide lachen. Der Kater der Witwe Koning. Wie er einen Buckel macht. Wie er sich auf die Seite rollt, als ob er umgestoßen würde. Wie seine Sandpapierzunge ihm die Hände leckt, ihr die Hände leckt. Wie er ihnen zuschaut, wenn sie durchs Zimmer tanzen, nach Musik von Johann Strauß. Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei. Ihre rechte Hand in seiner linken, ihre linke Hand auf seinem Rücken. Er denkt an das Neujahrskonzert aus Wien: daß er einen schwarzen Frack trägt und sie ein Ballkleid aus rosa Seide, daß er sie über die Tanzfläche führt, sie hochhebt, bis ihr Haar die kristallenen Kronleuchter berührt. Nur sie würden es klirren hören. Er schaut sie an. Sie hat die Augen geschlossen, ein Tropfen hängt an ihren Wimpern, die Mundwinkel zittern. Er atmet tief ein, hält die Luft an. Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei. Langsam ausatmen. Sie drehen Runden durchs Zimmer. Der Kater sieht nicht mehr zu. Die Träne rollt ihr über die Wange, am Hals entlang, verschwindet unter ihrer Bluse. Er schaut. Sie weint. Sie tanzen Walzer im Zimmer der Witwe Koning in platanengefiltertem Licht. Sie zieht sich nicht für ihn aus, doch so nackt wie an diesem Nachmittag wird er sie nie mehr sehen. Erfahrt an diesem Tag nicht mit der Fähre. Das sieht er, wenn er sie anschaut: daß das Leben ihr an manchen Tagen leichtfällt. An diesen Tagen sind all ihre Bewegungen selbstverständlich und zielsicher. Es ist, als ob die Schwerkraft dann weniger Einfluß auf sie hätte. Die Menschen um sie herum scheinen sich leichter zu bewegen, entspannter zu sein. An so einem Tag hat er sich in sie verliebt. Und dann sind da diese anderen Tage, mehr an der Zahl. Die Tage, an denen sie sich der Welt widersetzt. Als ob eine große Wut in ihr wäre oder ein unaussprechlicher Kummer, den sie nur mit größter Mühe unterdrücken kann. Nicht, daß sie sich wesentlich anders verhalten würde an diesen Tagen, dafür hat sie sich viel zu gut in der Gewalt. Und vielleicht ist es das ja, was er sieht: daß sie sich an diesen Tagen in der Gewalt hat. Wie von selbst halten die Menschen um sie herum eine gewisse Distanz, wie sie Distanz hält zu ihnen. An diesen Tagen macht sie Witze, über die nur sie selbst lachen kann, über die Witze von anderen lacht sie nicht. An solchen Tagen liebt er sie am meisten, und es tut ihm am meisten weh. An einem Samstagnachmittag kehrt er in den Wald zurück. Er stellt sein Fahrrad an einen Baum, zieht seine Jacke aus und versteckt sie im Gebüsch. Er trägt eine graue Jogginghose, deren Gummi gerissen ist. Sie wird von einem Gürtel in der Taille festgehalten. Auf dem Rücken seines verblichenen blauen T-Shirts steht eine weiße 17. Er schaut sich um, macht ein paar ungelenke Kniebeugen und fangt an zu laufen. Er rennt über Radwege, Waldwege, Reitwege und Wiesen. An einem Trimm-dich-Gerät macht er die Übungen, die auf dem Schild abgebildet sind. Er rennt zum nächsten Gerät. Hangelt sich wie ein Affe von Sprosse zu Sprosse. Macht zwanzig Liegestütze, krallt die Hände in die feuchte Erde. Er springt zwanzig Mal auf einen Balken und wieder herunter. Seine Knie und Schultern schmerzen. Er rennt und schwitzt und schindet sich. Als ein Flugzeug tief über die Baumwipfel hinwegfliegt, bleibt er in dem ohrenbetäubenden Dröhnen stehen, um zu Atem zu kommen und den Geistern zu lauschen, die dem Flugzeug auf den Fersen sind. Sein Herz schlägt laut. Er muß sich zwingen weiterzulaufen. Auf einem unbefestigten Weg stolpert er über einen Baumstumpf und fällt der Länge nach hin. Er flucht und bleibt gewiß eine halbe Minute liegen, mit dem erhitzten Gesicht auf dem kühlen Boden. Dann steht er auf, ihm ist schwindlig, übel. Er wischt sich Erde und totes Laub aus dem Gesicht und rennt weiter. Er hört erst auf, als er fürchtet, das Bewußtsein zu verlieren, als er Mühe hat, sich nicht zu übergeben, als der Schmerz so unerträglich ist, daß er nicht weiß, aufweichen Teil seines Körpers er sich konzentrieren soll, um nichts mehr zu spüren. Er sinkt auf eine Holzbank nieder und verbirgt das Gesicht zwischen seinen Knien. So sitzt er, zwanzig Minuten lang, und denkt an sie. Es hat also nicht geholfen. Am Abend, nach dem Essen, muß er sich doch übergeben. "Dich hat es ja ganz schön erwischt", sagt sein Vater. Jetzt, wo er ihre Brüste gesehen hat, die Vertiefung an ihrem Nabel, das dunkle Dreieck sich kräuselnden Haars, die Linien ihres nackten Körpers, jetzt will er diesen Körper erkunden, so wie er einst als elfjähriger Junge die Stadt erkundete: Straße für Straße, Platz für Platz, immer weiter vordringend in unbekanntes Gebiet. Er will verstehen, was bei jenem ersten Mal mit ihr passierte. Er will wiedergutmachen, was schiefgegangen ist. Hat er etwas falsch gemacht? Und was? War es Angst? Aber wovor hatte sie Angst? War es Schmerz? Er gelobt sich, den Schmerz zu stillen, den er ihr ansieht, wenn sie sich unbeobachtet glaubt, an den Tagen, an denen sie die Welt auf Distanz hält. Er ist noch jung, er kennt nicht den Unterschied zwischen Mut und Übermut.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Karel G. van Loon
- 2003, 240 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Niederländ. v. Arne Braun
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746619955
- ISBN-13: 9783746619958
Rezension zu „Lisas Atem “
"Lisas Atem zeugt von begnadeter Erzählkunst." (Mitteldeutsche Zeitung)"Faszinierend die in jeder Zeile spürbare Intensität des eigenwilligen und ideenreichen Autors." (Hamburger Abendblatt)
"Ein beunruhigendes und intelligentes Buch über Schuld und Unschuld, Gut und Böse, Opfer und Täter." (Buchkultur)
"Karel G. van Loons Liebesgeschichte fasziniert durch atemlose Spannung und sprachliche Kraft." (ZDF)
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