Löwenmutter
Mein Ausbruch aus zwölf Jahren Zwangsehe in Deutschland und der Kampf um meine Kinder
Esma Abdelhamid bewies Mut: sie trennte sich nach 12 Jahren Zwangsehe von ihrem tunesischen Mann.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Löwenmutter “
Esma Abdelhamid bewies Mut: sie trennte sich nach 12 Jahren Zwangsehe von ihrem tunesischen Mann.
Die Tunesierin Esma Abdelhamid lebte 12 Jahre in Hamburg, ohne je die Alster zu sehen. Sie wurde mit 19 an einen Landsmann zwangsverheiratet, zog mit ihm nach Hamburg, wurde von ihm eingesperrt und verprügelt. Doch erst, als er ihre Kinder entführte, fand sie den Mut, ihn zu verlassen und ihr Schweigen zu brechen. Ein ergreifender Bericht.
Klappentext zu „Löwenmutter “
In "Löwenmutter" erzählt Esma Abdelhamid ihre 15-jährige Leidensgeschichte. Die junge Tunesierin wurde mit 19 Jahren an einen Landsmann zwangsverheiratet. Sie kam nach Deutschland, in ein ihr völlig unbekanntes Land, dessen Sprache sie weder sprach noch verstand, und bekam drei Kinder. Zwölf Jahre verbrachte sie in Hamburg. Nachdem ihr Mann die Kinder nach Tunesien entführt hatte, fand sie endlich den Mut und die Kraft, ihn zu verlassen. Sie flüchtet in ein Frauenhaus, lernt Deutsch, erkämpft das Sorgerecht und beginnt endlich ihr eigenes Leben.
Lese-Probe zu „Löwenmutter “
Löwenmutter von Esma Abdelhamid und Marianne Moesle LESEPROBE 1.»Vater hat dir einen Mann ausgesucht«
Ich war nicht zu Hause, als er zum ersten Mal kam. Ich kannte meinen zukünftigen Bräutigam nicht, auch mein Vater nicht, keiner aus meiner Familie kannte ihn. Seine Familie stammte aus einem Dorf 150 Kilometer südlich von unserer Stadt mitten in Tunesien. Abdullah war ins Ausland gegangen, um Geld zu verdienen. Jetzt kam er mit seinem älteren Bruder.
Es muss ein paar Tage zuvor gewesen sein, im Herbst 1979, als ich meine Schwester Fatma bei ihrer Arbeit auf dem Sozialamt - sie kümmerte sich um Wohngeld und Sozialhilfe - besuchte. Heimlich wieder einmal. Ich freute mich, so wie ich mich immer freute, wenn ich rauskam von zu Hause, wo ich mich seit sieben Jahren um meine jüngeren Geschwister kümmerte. Kochen, Waschen, Putzen, und das mit knapp 19 Jahren, wo junge Mädchen eigentlich andere Träume haben. Doch ich hatte keine Wahl, jemand musste die Arbeit machen, unsere Mutter saß meist apathisch auf ihrem Stuhl neben dem Küchenherd, oder sie lag im Bett.
Hätte mein Vater davon gewusst, dass ich ohne Erlaubnis losgezogen war, um die Schwester abzuholen, hätte er getobt. Nicht einmal über den Garten zu den Nachbarn ließ er seine unverheirateten Töchter. Wenn er uns vor der Mauer unseres Hauses erwischte, setzte es Schläge. Ich nutzte trotzdem jede Gelegenheit, um zu entwischen.
... mehr
Obwohl schon Oktober, staut sich die Hitze um die Mittagszeit in Fatmas Büro, die Klimaanlage gibt einen monotonen Summton von sich. »Warte, ich hab’s gleich«, sagt meine Schwester, »muss nur noch ein paar Akten einräumen, dann können wir gehen.«
Ich stelle mich ans Bürofenster, schiebe die Lamellen der Jalousie aus grauem Blech zusammen und schaue durch den Spalt nach draußen. Ein Eselskarren mit hochaufgetürmten Teppichen rattert vorüber. Das dumpf klappernde Geräusch der eisenbereiften Holzräder auf dem Asphalt hallt von den Häuserfronten wider. Aus dem Café im Erdgeschoss des Gebäudes ziehen Duftschwaden aus Kardamom und Ingwer nach oben, vermischt mit nach Benzin stinkenden Auspuffabgasen.
Plötzlich, ohne anzuklopfen, steht Mahmoud, der direkte Vorgesetzte meiner Schwester, im Büro. Er hat ein paar Anträge in der Hand, die er Fatma auf den Schreibtisch legt. »Zum Fertigmachen «, sagt er. Als ich ihn reden höre, wende ich mich den beiden zu. »Netter Chef«, denke ich. Er wirft mir einen Blick zu, im Gehen, dreht sich noch einmal um und zeigt auf mich. Im kurzen Sommerkleidchen, mit großen, dunklen Augen, ein wenig kokett vielleicht. Hübsches Mädchen, aber sehr naiv mit meinen dunklen Zöpfen und den abgekauten Fingernägeln. »Wer ist sie?«, fragt er. Fatma und ich sehen uns nicht ähnlich. »Meine kleine Schwester.« - »Und was tut sie hier?« - »Mich von der Arbeit abholen.« Mahmoud zupft mit einer Hand an seiner Krawatte, etwas muss seine Aufmerksamkeit erregt haben. Er zaudert, lässt die Türklinke los, die er schon in der Hand hatte, und macht einen Schritt auf mich zu.
»Suchst du einen Job?«, fragt er unvermittelt. Einfach so, aus heiterem Himmel. Er hat mich noch nie vorher gesehen, noch kein Wort mit mir gewechselt. Er weiß nicht meinen Namen, nicht wo ich wohne, nicht welche Schule ich besucht oder welche Ausbildung ich habe, nichts.
Ich lache. Gurrend, und wenn ich lache, dann werden mein schmales Gesicht und die Augen kindlich rund. Ich lache aus Hilflosigkeit, weil mir seine Frage so absurd vorkommt. Was will dieser Mensch, der mich vor drei Minuten zum ersten Mal im Leben gesehen hat, von mir? Was soll ich für einen Job machen? Ich bin nicht wie meine Schwester, die sich zu Hause durchgesetzt und eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin gemacht hat.
Ich habe nichts gelernt, sondern die Schule abgebrochen. Weil ich ja sowieso heiraten würde, weiter dachte ich nicht. Ich habe keine Ausbildung. Es sei denn, kleine Geschwister wickeln, Putzen und das Essen auf den Tisch stellen sei eine Ausbildung. Meine jüngeren Geschwister freuten sich über ihre große Zuhause- Schwester. Aber welche Arbeit kann ich wohl auf dem Sozialamt machen?
Wir waren dreizehn Geschwister, vier davon sind als Kleinkinder gestorben. Vier Mädchen und fünf Brüder blieben übrig, ich irgendwo in der Mitte. Wenn wir Mädchen selbständig zur Schule gingen, wurde das akzeptiert, aber keiner guckte danach, ob wir morgens aufstanden, uns anzogen, frühstückten, vielleicht sogar ein Brot für die Pause einsteckten. Wenn wir gingen, gut, wenn nicht, auch.
Mit Zahlen und Buchstaben tat ich mich schwer. Vielleicht hatte ich Angst davor, vielleicht war ich zu verträumt, vielleicht auch nur zu aufgeregt, auf jeden Fall blieb nur wenig davon hängen. Wenn ich von den Lehrern in die hinterste Bank gesetzt wurde oder der Vater den Gartenschlauch holte, um mich durchzutrimmen, weil ich schlechte Noten nach Hause gebracht hatte, hasste ich die Schule. Es war schlimm, aber das Schlimmste daran war, dass es eigentlich keinen interessierte, was und ob ich etwas lernte. Auch mich selbst nicht, irgendwann bin ich morgens nicht mehr aufgestanden und nicht mehr zur Schule gegangen.
Die Großmutter, die mit im Haus wohnte, war sowieso immer gegen Schule gewesen. »Für Mädchen«, pflegte sie zu sagen, »die reine Geldverschwendung. Eine Frau geht durch die Haustür nur zu ihrem Mann oder ins Grab.« Die Frau gehört ins Haus, nirgendwohin sonst, so hatte sie selbst gelebt, so lebte ihre Tochter, und so sollten auch ihre Enkeltöchter leben. Mädchen müssen früh begreifen, dass sie nichts sind. Sie lernen Putzen statt Lesen und Schreiben, kochen Tee und servieren ihn den Männern, die Karten spielen. Ihre Aufgabe ist es, einen Mann zu heiraten und ihn zufriedenzustellen. Der Mann will Söhne, die gebiert sie ihm und versorgt alle.
»Na ja, eine Arbeit wäre nicht schlecht«, druckse ich nun herum und komme mir dabei sonderbar vor, »aber nicht unbedingt für eine wie mich. Ich habe die Schule abgebrochen, bin einfach nur zu Hause.« Mahmoud schaut mich nicht an, wahrscheinlich hat er selten so eine dumme Antwort bekommen, ich muss es erklären: »Aber bitte«, sage ich, »ein Job würde mir schon gefallen. Wenn Sie etwas für mich haben, gerne.«
Da schlendert der Sozialbeamte die paar Schritte bis zum Fenster und stellt sich direkt neben mich. Mit beiden Händen greift er nach der Kurbel der Jalousie und beginnt sie hochzudrehen. Es klingt blechern, wenn die Lamellen, die auf Fäden aufgezogen sind, aneinanderstoßen. Darauf achtet Mahmoud aber nicht, sondern richtet seinen Blick direkt auf mich. »Jahaaaaaa?«, sagt er langsam und breitet sein eigenartiges Ja wie ein Netz über mir aus. Gleichzeitig mustert er mich von oben bis unten, nicht unangenehm, eher großspurig. »Das lässt sich wohl machen«, sagt er und wiederholt noch einmal: »Jahaaa, warum nicht? Ich hab einen sehr guten Job für dich, genau das Richtige. Die Arbeit passt, das kann ich mir gut vorstellen.«
Ich schlucke und geniere mich, was will er von mir?, denke ich, spreche es aber nicht aus. Trotzdem muss ich irgendwie reagieren: »Okay, können Sie meiner Schwester bitte sagen, wann und wie und was«, sage ich. Ich bin nicht verwundert, nur aufgeregt. Ich frage auch nicht, was jeder andere an meiner Stelle tun würde: Was für ein Job? Warum ausgerechnet ich? Kein Wort. Es wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen, Fragen zu stellen. Das habe ich nie gelernt, aber hören konnte ich und gehorchen. Und wenn er sagt, ein Job, dann hat er einen Job für mich, fini. Soll er mir doch etwas anbieten, es liegt an meinem Vater zu entscheiden, ob ich arbeiten darf oder nicht.
Für Mahmoud ist die Sache damit offensichtlich erledigt, er lässt die Jalousie offen und steckt die Kurbel wieder in ihre Halterung. Er geht zum Schreibtisch, von wo aus Fatma die Szene verfolgt hat, greift zum Telefon, wählt die Nummer der Kantine, »Bitte zwei Orangina auf Zimmer 7«, wünscht uns einen guten Tag und verschwindet. Fatma und ich sehen uns an: »Was will er von dir?«, fragt meine Schwester. Ich zucke mit den Achseln und drehe mich ein paar Mal auf dem Absatz hin und her. Wir können uns keinen Reim darauf machen, was der Mann mit seinem »passenden Job« meinte. Doch Frauen fragen nicht, also trinken wir unsere Orangina und machen uns auf den Heimweg.
Drei Tage später stand Mahmoud mit seinem Bruder Abdullah vor unserem Hoftor am weißen Haus am Rand unserer kleinen Stadt. Eine gesichtslose Provinzhauptstadt in Zentraltunesien, in der die französischen Kolonialherren vor über 100 Jahren eine Garnison angesiedelt hatten. In den 70er Jahren bauten Investoren aus dem Ausland eine kleine Fabrik für die Verarbeitung von Espertogras. Das war alles. Andere Verdienstmöglichkeiten gab es nicht für die Nomaden, die aus der Umgebung hierher gezogen waren. Abdullah hatte zu dieser Zeit schon längst sein Glück in Europa versucht. Über Frankreich war er nach Deutschland gekommen, wo er bei einer Hamburger Baufirma Arbeit gefunden hatte.
Die Brüder hatten sich nicht angemeldet. Es war Spätnachmittag, als sie klingelten. Sie waren mit dem Auto gekommen. Mit Abdullahs Auto, einem roten mit fremdem Nummernschild, daran war gleich zu erkennen, dass er aus dem Ausland kam. Ich war nicht da. Meine älteste Schwester hatte eine Fehlgeburt gehabt, sie lag im Bett bei sich zu Hause, ich kümmerte mich um ihre älteren Kinder und den Haushalt. Ein guter Anlass, um für ein paar Stunden von zu Hause abzuhauen. Ich brachte ihr Essen, wusch die Wäsche und kehrte erst abends zurück.
Mein Vater war da, auch meine jüngeren Geschwister, die neugierig waren und alles mitbekamen. Noch am gleichen Abend erzählte mir meine kleine Schwester haarklein vom Besuch der Brüder. Der Vater hatte ihnen das große Tor in der Mauer, die um Garten und Haus gezogen war, geöffnet und sie hereingebeten. Auf der mit Platten ausgelegten Terrasse vor der Haustür blieben sie stehen. Vater wusste sofort, wer Mahmoud war, unter Beamten in so einer kleinen Stadt kennt man sich. »Was wollt ihr hier?«, fragte er. Da hat Mahmoud gar nicht lange drum herumgeredet, sondern gleich die Karten auf den Tisch gelegt: Man sei wegen Esma gekommen.
© Krüger Verlag
Ich stelle mich ans Bürofenster, schiebe die Lamellen der Jalousie aus grauem Blech zusammen und schaue durch den Spalt nach draußen. Ein Eselskarren mit hochaufgetürmten Teppichen rattert vorüber. Das dumpf klappernde Geräusch der eisenbereiften Holzräder auf dem Asphalt hallt von den Häuserfronten wider. Aus dem Café im Erdgeschoss des Gebäudes ziehen Duftschwaden aus Kardamom und Ingwer nach oben, vermischt mit nach Benzin stinkenden Auspuffabgasen.
Plötzlich, ohne anzuklopfen, steht Mahmoud, der direkte Vorgesetzte meiner Schwester, im Büro. Er hat ein paar Anträge in der Hand, die er Fatma auf den Schreibtisch legt. »Zum Fertigmachen «, sagt er. Als ich ihn reden höre, wende ich mich den beiden zu. »Netter Chef«, denke ich. Er wirft mir einen Blick zu, im Gehen, dreht sich noch einmal um und zeigt auf mich. Im kurzen Sommerkleidchen, mit großen, dunklen Augen, ein wenig kokett vielleicht. Hübsches Mädchen, aber sehr naiv mit meinen dunklen Zöpfen und den abgekauten Fingernägeln. »Wer ist sie?«, fragt er. Fatma und ich sehen uns nicht ähnlich. »Meine kleine Schwester.« - »Und was tut sie hier?« - »Mich von der Arbeit abholen.« Mahmoud zupft mit einer Hand an seiner Krawatte, etwas muss seine Aufmerksamkeit erregt haben. Er zaudert, lässt die Türklinke los, die er schon in der Hand hatte, und macht einen Schritt auf mich zu.
»Suchst du einen Job?«, fragt er unvermittelt. Einfach so, aus heiterem Himmel. Er hat mich noch nie vorher gesehen, noch kein Wort mit mir gewechselt. Er weiß nicht meinen Namen, nicht wo ich wohne, nicht welche Schule ich besucht oder welche Ausbildung ich habe, nichts.
Ich lache. Gurrend, und wenn ich lache, dann werden mein schmales Gesicht und die Augen kindlich rund. Ich lache aus Hilflosigkeit, weil mir seine Frage so absurd vorkommt. Was will dieser Mensch, der mich vor drei Minuten zum ersten Mal im Leben gesehen hat, von mir? Was soll ich für einen Job machen? Ich bin nicht wie meine Schwester, die sich zu Hause durchgesetzt und eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin gemacht hat.
Ich habe nichts gelernt, sondern die Schule abgebrochen. Weil ich ja sowieso heiraten würde, weiter dachte ich nicht. Ich habe keine Ausbildung. Es sei denn, kleine Geschwister wickeln, Putzen und das Essen auf den Tisch stellen sei eine Ausbildung. Meine jüngeren Geschwister freuten sich über ihre große Zuhause- Schwester. Aber welche Arbeit kann ich wohl auf dem Sozialamt machen?
Wir waren dreizehn Geschwister, vier davon sind als Kleinkinder gestorben. Vier Mädchen und fünf Brüder blieben übrig, ich irgendwo in der Mitte. Wenn wir Mädchen selbständig zur Schule gingen, wurde das akzeptiert, aber keiner guckte danach, ob wir morgens aufstanden, uns anzogen, frühstückten, vielleicht sogar ein Brot für die Pause einsteckten. Wenn wir gingen, gut, wenn nicht, auch.
Mit Zahlen und Buchstaben tat ich mich schwer. Vielleicht hatte ich Angst davor, vielleicht war ich zu verträumt, vielleicht auch nur zu aufgeregt, auf jeden Fall blieb nur wenig davon hängen. Wenn ich von den Lehrern in die hinterste Bank gesetzt wurde oder der Vater den Gartenschlauch holte, um mich durchzutrimmen, weil ich schlechte Noten nach Hause gebracht hatte, hasste ich die Schule. Es war schlimm, aber das Schlimmste daran war, dass es eigentlich keinen interessierte, was und ob ich etwas lernte. Auch mich selbst nicht, irgendwann bin ich morgens nicht mehr aufgestanden und nicht mehr zur Schule gegangen.
Die Großmutter, die mit im Haus wohnte, war sowieso immer gegen Schule gewesen. »Für Mädchen«, pflegte sie zu sagen, »die reine Geldverschwendung. Eine Frau geht durch die Haustür nur zu ihrem Mann oder ins Grab.« Die Frau gehört ins Haus, nirgendwohin sonst, so hatte sie selbst gelebt, so lebte ihre Tochter, und so sollten auch ihre Enkeltöchter leben. Mädchen müssen früh begreifen, dass sie nichts sind. Sie lernen Putzen statt Lesen und Schreiben, kochen Tee und servieren ihn den Männern, die Karten spielen. Ihre Aufgabe ist es, einen Mann zu heiraten und ihn zufriedenzustellen. Der Mann will Söhne, die gebiert sie ihm und versorgt alle.
»Na ja, eine Arbeit wäre nicht schlecht«, druckse ich nun herum und komme mir dabei sonderbar vor, »aber nicht unbedingt für eine wie mich. Ich habe die Schule abgebrochen, bin einfach nur zu Hause.« Mahmoud schaut mich nicht an, wahrscheinlich hat er selten so eine dumme Antwort bekommen, ich muss es erklären: »Aber bitte«, sage ich, »ein Job würde mir schon gefallen. Wenn Sie etwas für mich haben, gerne.«
Da schlendert der Sozialbeamte die paar Schritte bis zum Fenster und stellt sich direkt neben mich. Mit beiden Händen greift er nach der Kurbel der Jalousie und beginnt sie hochzudrehen. Es klingt blechern, wenn die Lamellen, die auf Fäden aufgezogen sind, aneinanderstoßen. Darauf achtet Mahmoud aber nicht, sondern richtet seinen Blick direkt auf mich. »Jahaaaaaa?«, sagt er langsam und breitet sein eigenartiges Ja wie ein Netz über mir aus. Gleichzeitig mustert er mich von oben bis unten, nicht unangenehm, eher großspurig. »Das lässt sich wohl machen«, sagt er und wiederholt noch einmal: »Jahaaa, warum nicht? Ich hab einen sehr guten Job für dich, genau das Richtige. Die Arbeit passt, das kann ich mir gut vorstellen.«
Ich schlucke und geniere mich, was will er von mir?, denke ich, spreche es aber nicht aus. Trotzdem muss ich irgendwie reagieren: »Okay, können Sie meiner Schwester bitte sagen, wann und wie und was«, sage ich. Ich bin nicht verwundert, nur aufgeregt. Ich frage auch nicht, was jeder andere an meiner Stelle tun würde: Was für ein Job? Warum ausgerechnet ich? Kein Wort. Es wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen, Fragen zu stellen. Das habe ich nie gelernt, aber hören konnte ich und gehorchen. Und wenn er sagt, ein Job, dann hat er einen Job für mich, fini. Soll er mir doch etwas anbieten, es liegt an meinem Vater zu entscheiden, ob ich arbeiten darf oder nicht.
Für Mahmoud ist die Sache damit offensichtlich erledigt, er lässt die Jalousie offen und steckt die Kurbel wieder in ihre Halterung. Er geht zum Schreibtisch, von wo aus Fatma die Szene verfolgt hat, greift zum Telefon, wählt die Nummer der Kantine, »Bitte zwei Orangina auf Zimmer 7«, wünscht uns einen guten Tag und verschwindet. Fatma und ich sehen uns an: »Was will er von dir?«, fragt meine Schwester. Ich zucke mit den Achseln und drehe mich ein paar Mal auf dem Absatz hin und her. Wir können uns keinen Reim darauf machen, was der Mann mit seinem »passenden Job« meinte. Doch Frauen fragen nicht, also trinken wir unsere Orangina und machen uns auf den Heimweg.
Drei Tage später stand Mahmoud mit seinem Bruder Abdullah vor unserem Hoftor am weißen Haus am Rand unserer kleinen Stadt. Eine gesichtslose Provinzhauptstadt in Zentraltunesien, in der die französischen Kolonialherren vor über 100 Jahren eine Garnison angesiedelt hatten. In den 70er Jahren bauten Investoren aus dem Ausland eine kleine Fabrik für die Verarbeitung von Espertogras. Das war alles. Andere Verdienstmöglichkeiten gab es nicht für die Nomaden, die aus der Umgebung hierher gezogen waren. Abdullah hatte zu dieser Zeit schon längst sein Glück in Europa versucht. Über Frankreich war er nach Deutschland gekommen, wo er bei einer Hamburger Baufirma Arbeit gefunden hatte.
Die Brüder hatten sich nicht angemeldet. Es war Spätnachmittag, als sie klingelten. Sie waren mit dem Auto gekommen. Mit Abdullahs Auto, einem roten mit fremdem Nummernschild, daran war gleich zu erkennen, dass er aus dem Ausland kam. Ich war nicht da. Meine älteste Schwester hatte eine Fehlgeburt gehabt, sie lag im Bett bei sich zu Hause, ich kümmerte mich um ihre älteren Kinder und den Haushalt. Ein guter Anlass, um für ein paar Stunden von zu Hause abzuhauen. Ich brachte ihr Essen, wusch die Wäsche und kehrte erst abends zurück.
Mein Vater war da, auch meine jüngeren Geschwister, die neugierig waren und alles mitbekamen. Noch am gleichen Abend erzählte mir meine kleine Schwester haarklein vom Besuch der Brüder. Der Vater hatte ihnen das große Tor in der Mauer, die um Garten und Haus gezogen war, geöffnet und sie hereingebeten. Auf der mit Platten ausgelegten Terrasse vor der Haustür blieben sie stehen. Vater wusste sofort, wer Mahmoud war, unter Beamten in so einer kleinen Stadt kennt man sich. »Was wollt ihr hier?«, fragte er. Da hat Mahmoud gar nicht lange drum herumgeredet, sondern gleich die Karten auf den Tisch gelegt: Man sei wegen Esma gekommen.
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Autoren-Porträt von Esma Abdelhamid
Esma Abdelhamid wurde 1960 in Kasserine in Tunesien geboren. Sie lebt mit ihren Kindern in Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Esma Abdelhamid
- 2008, 2, 316 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aufgeschr. v. Marianne Moesle
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810501913
- ISBN-13: 9783810501912
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