Löwenzahnlied
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Löwenzahnliedvon Hilde Hagerup
LESEPROBE
Ich hattegeglaubt, dass Maja und Kajsa nebeneinander fahrenwürden, dass sie zusammenhalten und kichern und singen und lachen würden, aberdas taten sie nicht. Ich weiß nicht, wie es kam, aber wir fuhren sozusagen imGänsemarsch. Ich zuerst, aber Maja war nicht weit hinter mir. Kajsa kam als Letzte. Ich hatte geglaubt, dass sie ganzbewusst langsamer fahren würden als ich, dass sie sich an den Rest der Bandehalten würden, aber das taten sie nicht. Wir fuhren zusammen. Die Hügel hoch,die Hügel hinunter, durch die Ebene, und bald hatten wir die übrige Klassehinter uns gelassen. Bald gab es nur noch den Wald und dann die Felder, diegelben und grünen, leuchtenden Felder, hier hätte man in jedem Frühjahr einenpsychedelischen Zeichentrickfilm machen können, so starke Farben gab es vonhier bis zur Küste. Wir hatten fast schon Nordvikerreicht, als Kajsa nicht mehr konnte. Unmittelbarvor einer der längsten Abfahrten stieg sie vom Rad und ich hörte ihre Stimmewie ein Piepen im Ohr.
»Warte. Waharte!«
Ich hatte nicht vor, zu warten, aber ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dassauch Maja weiterfahren würde. Maja,
die losgeheult hatte, als Kajsa und ich gegen denWagen ihres Vaters geknallt waren. Maja mit den Maja-Locken und dem weißenNagellack. Natürlich würde sie warten, wenn Kajsa siedarum bat. Natürlich war sie eine, die wartete. Aber das tat sie nicht. Siefuhr hinter mir her, den Hang hinunter, den nächsten hoch, sie machte weiter,bis wir Kajsa nicht mehr piepen hören konnten, bis Kajsa uns unmöglich noch sehen konnte, und dann wurde Majaschneller. Ich rede jetzt wirklich keinen Scheiß. Sie fuhr jetzt, wo wir nurnoch zu zweit waren, ganz anders. Schneller, härter und dichter hinter mir, sodicht, dass ich ihren Atem hören konnte, Majas schweren, konzentrierten Atem,und das Geräusch der Räder auf dem Asphalt. Wir hatten die Hauptstraßeerreicht. Das war das gefährlichste Stück. Das war das Stück, auf dem wirvorsichtig sein sollten, das hatte der Hummer uns noch eingeschärft. Das waruns aber scheißegal. Wir fuhren weiter. Härter, schneller, und trotzdem holteMaja auf, Sekunde für Sekunde, Meter für Meter, während die Autos an uns vorbeijagten.Plötzlich merkte ich,
dass ich die Kontrolle verlor. Irgendetwas stieß meinen Hinterreifen an, undich glaubte zuerst, etwas überfahren zu haben. Aber dann merkte ich es wieder.Härter, kräftiger, noch einen Stoß, und dann war es zu spät. Ich konnte nichtsmehr tun, ich konnte nur versuchen, das Gleichgewicht zu halten. Die Autossausten vorbei. Die Straße führte einen weiteren Hang hinunter. Die ganze Zeitlag Maja dicht hinter mir und stieß immer wieder gegen mein Hinterrad. Nocheinmal. Ganz dicht, und es ging schneller, noch schneller, den Hang hinunter,und die gelben und grünen, selbstleuchtenden Felderverschwammen miteinander. Ich hörte einen Knall. Ich trat in die Bremsen. Unddann kippte ich um.
© Nagel& Kimche Verlag
Übersetzung:Gabriele Haefs
Autoren-Porträtvon HildeHagerup
Hilde Hagerup ist eine erfolgreiche norwegischeNewcomerin. 1976 geboren, studierte sie Geschichte der Dritten Welt in Londonund lebt und arbeitet heute in Oxford, England. Sowohl ihr Erstling"Glanzbildengel" (in Norwegen ausgezeichnet) als auch "Jojo-Herz"wurden bereits in mehrere Sprachen übersetzt.
- Autor: Hilde Hagerup
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2004, 240 Seiten, Maße: 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Haefs, Gabriele
- Verlag: Nagel & Kimche
- ISBN-10: 3312009464
- ISBN-13: 9783312009466
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