Lost / Found
Steffen Kopetzky erzählt vom Vergnügen des Findens und vom Schrecken des Verlusts. Und davon, dass die Dinge nicht so sind,...
Als Mängel-Exemplar
nur
Steffen Kopetzky erzählt vom Vergnügen des Findens und vom Schrecken des Verlusts. Und davon, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Welch Katastrophe es sein kann, wenn etwas lang Vermisstes sich plötzlich einfindet. Oder welch Glück, aus seinem Leben plötzlich ausgesperrt zu sein, weil man den Schlüssel verloren hat ...
"Lost/Found" ist eine Momentaufnahme dessen, was an einem Tag weltweit verloren geht - und gefunden wird. An der Küste Tunesiens steht ein Flüchtling vor der existentiellen Vernichtung durch den Verlust seines Handys, in Berlin verliert ein Pechvogel seinen Ausweis ausgerechnet am Ort seines Verbrechens. Durch den Tod ihres letzten Sprechers geht der Menschheit eine Sprache verloren, eine Frau verliert die Hoffnung, jemals ein Kind empfangen zu können und eine Studentin ihren dringend benötigten Job.
Steffen Kopetzky zeigt eine Welt, in der den Dingen eine allzu große Bedeutung beigemessen wird, bis die Handelnden entdecken, dass ihr Leben durch ganz andere Koordinaten bestimmt wird. Rührend tragisch, herrlich komisch, wunderbar überraschend und bemerkenswert temporeich gelingt dem Autor ein literarisches Fundstück.
Steffen Kopetzky erzählt vom Vergnügen des Findens und vom Schrecken des Verlusts. Und davon, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Welch Katastrophe es sein kann, wenn etwas lang Vermisstes sich plötzlich einfindet. Oder welch Glück, aus seinem Leben plötzlich ausgesperrt zu sein, weil man den Schlüssel verloren hat ...
"Lost/Found" ist eine Momentaufnahme dessen, was an einem Tag weltweit verloren geht - und gefunden wird. An der Küste Tunesiens steht ein Flüchtling vor der existentiellen Vernichtung durch den Verlust seines Handys, in Berlin verliert ein Pechvogel seinen Ausweis ausgerechnet am Ort seines Verbrechens. Durch den Tod ihres letzten Sprechers geht der Menschheit eine Sprache verloren, eine Frau verliert die Hoffnung, jemals ein Kind empfangen zu können und eine Studentin ihren dringend benötigten Job.
Steffen Kopetzky zeigt eine Welt, in der den Dingen eine allzu große Bedeutung beigemessen wird, bis die Handelnden entdecken, dass ihr Leben durch ganz andere Koordinaten bestimmt wird. Rührend tragisch, herrlich komisch, wunderbar überraschend und bemerkenswert temporeich gelingt dem Autor von "Grand Tour" mit "Lost/Found" ein literarisches Fundstück.
"Kopetzky ist ein Mann mit vielen Talenten: absurder Gedankenwitz, diagnostischer Scharfsinn und literarisch kenntnisreich ... unverschämt, aber toll."
Wilfried F. Schoeller
"Das Einzige, was es auf dieser Welt zu verlieren gibt, sind Illusionen."
Oscar Wilde
Lost/Found vonSteffen Kopetzky
LESEPROBE
DieSprache der Liebe
Normalerweise wäre Andreasofort zurückgefahren und
hätte sich die Spritzen, diesie im Bad ihres Hotelzimmers
vergessen hatte,zurückgeholt. Zuletzt hatte sie sich heute
morgen gespritzt, wie schondie Tage zuvor geschickt auf
dem Rand der winzigenBadewanne balancierend, um freie
Sicht auf jene Regionunterhalb des Bauchnabels zu haben,
die ihr von ihrer Ärztin alsgeeignetes Einstechgebiet benannt
worden war. Mit der linkenHand kniff sie sich dabei
in den mageren Bauchspeck,um die Nadel in die entstehende
Falte zu hauen. Nur einkleines Wimmern von sich gebend,
hatte sie die verhaßteProzedur mit der erstaunlich
langen Nadel hinter sichgebracht. Nicht zuletzt, weil ihr
Freund ihr vor ein paarMonaten erklärt hatte, er ertrage ihr
frühmorgendliches Stöhneneinfach nicht länger, hatte sie
sich angewöhnt, sich inaller Stille zu stechen.
Nach dem Spritzen hatte sieschnell ihren kleinen schwarzen
Koffer gepackt, denn vor derTür wartete schon der
mürrische schwarzeHilfsportier, der gekommen war, um ihr
Gepäck nach unten zubefördern. Das orange-leuchtende
Spritzenköfferchen war aufdem kleinen Hocker neben der
Badewanne liegengeblieben.
Bei ihrem letzten Termin um13 Uhr hatte sie einen deutschen
Schauspieler besucht, der ineinem gigantischen Loft
in Soho lebte, eineziemliche Enttäuschung gewesen war und
ihren Zeitplandurcheinandergebracht hatte, weil er einfach
nicht fertig werden wolltemit seinem Sermon. Der Schauspieler,
der nebenbei auch nochmalte, Gartenbücher und
zwei Gedichtbändeherausgebracht hatte, war von einem längeren
Aufenthalt in Japan als»praktizierender Buddhist«
zurückgekehrt, vorerst allerdingsnicht auf sein Anwesen am
Starnberger See, sondernnach New York gezogen, um zu
schreiben. Vor zwei Wochenwar das Buch erschienen, in
dem die Auswirkungen undFolgen seines spirituellen Erweckungserlebnisses
mit einer Vielzahlkulturkritischer Allgemeinplätze
zu einem, wie Andrea fand,ziemlich unverdaulichen
Brei vermengt waren - dieHauptthese des Buches
lautete, daß Deutschlandbald an seiner spirituellen Armut
zugrunde gehen werde. Alles,was das Land jetzt brauche,
seien eigentlich nurkollektive gymnastische Anstrengungen
- so etwas wie einpermanentes bundesweites Turnfest -
»Deutschland muß wiederlernen zu atmen« oder »Deutschland
hat seinen Atem verloren,diesen muß das Land wiederfinden
«. Mit diesemwiedergefundenen Atem dann, so
der Schauspieler, werde sichalles weitere, die Erweckung
zu neuem Leben, von selbstergeben. Auf ein paar Seiten
empfahl er einige praktischeÜbungen (»Sitzen Sitzen Sitzen!
«), die er in seinem Kloster in Japangelernt hatte, er
selbst hatte die Zeichnungendazu angefertigt (allerdings,
wie er Andrea erzählte,nicht mit einem Tuschepinsel, sondern
mit einem Eddingstift, derbesser in der Hand liege).
Dazwischen waren immerwieder Anekdoten aus seiner Arbeit
als Filmschauspielereingestreut, der es mit Nebenrollen
in amerikanischen undHauptrollen in deutschen Produktionen
zu erstaunlicher Popularitätin seinem Heimatland gebracht
hatte; neben wahllos ausihrem Zusammenhang gerissenen
Zitaten aus Zeitungen undpopulären Büchern stieß
man auf Erinnerungen an diefrühe Nachkriegszeit (»wo man
gar nichts hatte, aberäußerst glücklich war«) und auf die
Reflexionen desweitgereisten Weltbürgers über das mangelnde
Selbstbewußtsein derDeutschen, das sich vor allem
daran zeige, daß diese ihrereigenen Sprache nicht mehr
mächtig seien. Ein Gedichtaus seiner Feder beschloß das
Werk. Es wirkte wie eine Odevon Hölderlin, die rücksichtslos
zu einem mißratenen Haikuverschnitten worden war.
Alles in allem war es eingrob zusammengeschustertes Machwerk,
das es in der Zwischenzeitauf den dritten Platz der
Sachbuchbestsellerlistegeschafft hatte.
Der Schauspieler würde inein paar Wochen zu Gast in
der Talkshow sein, für dieAndrea arbeitete, und der Chefredakteur
war sehr zufrieden gewesen,daß sie während
ihres Aufenthalts in NewYork das notwendige Vorgespräch
mit ihm hatte führen können.Während der knappen Woche
hatte sie noch einen sehrerfolgreichen blinden Koch, eine
Modedesignerin, die dieuneheliche Tochter eines deutschen
Politikers vergangener Tagewar, und die Agentin einer berühmten
amerikanischen Entertaineringetroffen, an der die
Redaktion schon jahrelangdran war, die sie aber noch nicht
hatten überzeugen können,ihre Sendung zu besuchen.
Nach dem Treffen mit demSchauspieler, dessen weitschweifige
Ausführungen auf ihre Fragensie lächelnd, mit verständnisvollem
Nicken und kommentarlos aufBand aufgenommen
hatte, war sie wieder zuihrem Hotel in der 27.
Straße gefahren, hatte sichihren Koffer aus dem Gepäckdepot
holen lassen und war zu Fußüber die nahe 5th Avenue
gelaufen, zum gigantischenKomplex der New Yorker Hafenbehörde,
in dem auch der Busbahnhofuntergebracht war.
Sie holte sich ihrtelefonisch reserviertes Ticket für den 16-
Uhr-Bus zum Flughafen Newarkab, bezahlte bar, weil sie
ihre Dollar loswerdenwollte, und setzte sich dann glücklich
auf eine Bank neben einPärchen, das seinen Hunger mit kalorienreduzierten
Low-FatChips Onion & SourCream stillte.
Zwischen den gewaltigenKörpern der beiden verschwanden
die Tüten förmlich, siegriffen mit ihren riesigen Händen
mechanisch hinein undleerten gleichmütig eine nach
der anderen.
Dann ging sie noch einmalsorgfältig ihr Gepäck durch,
stellte fest, daß sie ihreSpritzen im Hotel vergessen hatte,
erschrak für einen Moment,beruhigte sich aber damit, daß
in ihrer Wohnung in Berlinnoch eine, wie ein kleiner Arztkoffer
gestaltete Packung mitfünfundzwanzig Kanülen lag -
überdies war sie sich aufeine heimliche Weise sicher, daß sie
ihrem Ziel so nahe wie niezuvor waren. Vielleicht war eine
Weiterführung derschmerzhaften morgendlichen Prozedur
gar nicht mehr nötig - eshieß doch manchmal, daß man nur
Dinge vergißt, die mantatsächlich loswerden will.
Die von Terminen gedrängtenTage in New York waren reibungslos
verlaufen - und von Anfangan war Andrea das Ge-
fühl nicht losgeworden, daßihre von der Redaktion kurzfristig
angesetzte Reise unter einemausgesprochen guten Stern
stand. Das hatte schon mitder Landung in Newark begonnen.
Nachdem sie mit ihrem Airbusacht Stunden fast unmerklich
durch die Nacht über demAtlantischen Ozean geschwebt
und schließlich, vonNeufundland kommend, über
die in der mittäglichenSonne liegenden Vorstädte eingeflogen
waren, setzten sie nach demErreichen von Newark nicht
zur Landung an, sondernkreisten zunächst einmal in weitem
Bogen über dem kleineren derdrei New Yorker Flughäfen.
Buchstäblich bis zumAuftauchen ihrer Maschine im
Großluftraum von New Yorkhatte es geregnet, die Rollfelder
und Straßen waren nochdunkel vom Regen, die Sonne
ließ den Asphalt an vielenStellen glänzen. Am Ende der
Landebahn bemerkte Andreaein halbes Dutzend winziger
Lastzüge von roter Farbe,die sich im Halbrund gruppierten.
Dann setzte die Maschine zurLandung an, war schon am
Boden, startete aber nocheinmal durch, und zwar so spät
und panisch und eindeutigaußerhalb jeder flugtechnischen
Norm, daß selbst denabgebrühtesten Geschäftsreisenden,
die sich während heftigerTurbulenzen nur grummelnd von
einer Seite ihres Sitzes aufdie andere zu drehen und einfach
weiter zu schlafen pflegen,der kalte Angstschweiß auf die
Stirn trat. Ein Blick aufdas fassungslos und bleich auf seinen
Sitzen ausharrendeKabinenpersonal genügte, um jeden
Zweifel zu zerstreuen, daßdie Fahrzeuge der Flughafenfeuerwehr
nicht zufällig am Ende derRollbahn versammelt
waren. Die Maschineschwenkte auf eine neuerliche Runde
über den Rollfeldern ein,der Kapitän meldete sich, um
einen ausführlichen Berichtauf Französisch und einen sehr
kurzen auf Englischabzugeben, dem Andrea grob entnahm,
daß es - übrigens schon seitdem Abflug in Paris - Schwierigkeiten
mit den Bremsen gäbe.
Erstaunlich still war es aufeinen Schlag an Bord, jeder
dachte über das seine nach,niemand sagte ein Wort. Andreas
Gedanken galten nichtunmittelbar ihr selbst, sondern
den zuletzt vorzüglichenWerten des Gelbkörperhormons in
ihrem Blut, der erfreulichenRegelmäßigkeit ihres Zyklus
und jenen anderen,vielleicht eher gefühlten Anzeichen, daß
sie kurz davor war, ihr Zielzu erreichen. Wenn sie abstürzen
würden, dann würde es alsodaran scheitern. Dann wäre
wenigstens Air France daranschuld, daß sie niemals in
ihrem Leben schwanger werdenwürde.
Die Maschine landeteschließlich ungeachtet der Befürchtungen
sicher. Das reisendePublikum applaudierte, man blickte
sich erleichtert an undbegann dann sofort, sich über dieses
seltsame, gemeinsam erlebteAbenteuer auszutauschen. Jeder
fühlte sich einerKatastrophe entronnen, und selbst die vom
Leben schon Ermüdeten, dievielleicht schon alles gesehen
und nichts erfahren hatten,erinnerten sich an den Glanz, den
die Dinge der Welt fürdenjenigen annehmen, der sich darüber
freuen kann, am Leben zusein. (...)
© btb Verlag
- Autor: Steffen Kopetzky
- 2005, 1, 215 Seiten, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 344275139X
- ISBN-13: 9783442751396
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