Männer sind zum Küssen da
Roman
Die Frauen der Milllers scheinen das Glück gepachtet zu haben. Doch dann kommt es zum Eklat.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Männer sind zum Küssen da “
Die Frauen der Milllers scheinen das Glück gepachtet zu haben. Doch dann kommt es zum Eklat.
Klappentext zu „Männer sind zum Küssen da “
Jeder in der irischen Stadt Kinvarra glaubt, die Frauen der Familie Miller hätten das Glück gepachtet. Doch bei der Feier zu ihrem 40. Hochzeitstag hat Rose Miller plötzlich genug von all den Familiengeheimnissen: Sie verlässt ihren Mann. Jetzt müssen auch ihre Töchter die stets so gut organisierte Stella, die erfolgreiche Tara und die zurückhaltende Holly lernen, hinter die scheinbar perfekte Fassade ihrer Beziehungen zu blicken, um das wahre Glück und den richtigen Mann zu finden ...Lese-Probe zu „Männer sind zum Küssen da “
Männer sind zum Küssen da von Cathy Kelly Prolog
März
Adele blickte auf die Einladung und fragte sich, wie viel genau es
kostete, wenn man mindestens einhundert solcher exklusiven,
cremefarbenen Karten drucken ließ. Ganz sicher ein Vermögen.
Es war die Prägung, die so teuer war. Und auch wenn es nett aussah,
war es doch Verschwendung.
Es gab durchaus akzeptable vorgedruckte Karten - die man
selbst ausfüllen konnte -, doch derartige Massenware war für ihre
Schwägerin eindeutig nicht gut genug. Schließlich hatte Rose immer
schon danach gestrebt, mehr zu sein, als sie tatsächlich war.
Missbilligend strich Adele mit dem Zeigefinger über die extravaganten
Lettern.
Rose & Hugh Miller freuen sich,
Adele Miller
anlässlich ihrer Rubinhochzeit
am Sonnabend, 25. April,
in die Meadow Lodge, Kinvarra,
zu einer Lunchparty einladen zu können.
Sie las weiter, dass »lässig elegante« Kleidung erbeten wurde, was
auch immer das nun wieder war.
Sie würde wie immer eines ihrer Strickkostüme tragen. Schließlich
war sie stolz auf ihre, für eine Frau von fünfundsechzig Jahren
erstaunlich ansprechende Figur. Vielleicht nähme sie vorsichtshalber
noch ein Tuch mit, denn schließlich war es im April manchmal
empfindlich kühl, und die Party fände nicht im Haus statt, sondern
in einem großen Zelt. Adele hatte die Idee mit dem Zelt keineswegs
gefallen. Ebenso wie die gedruckten Karten empfand sie sie
als Geldverschwendung, ganz zu schweigen davon, dass ein solcher
Aufwand viel zu protzig war. Dann jedoch hatte Hugh verkündet,
die Idee wäre von ihm gewesen, woraufhin ihr der Plan mit
einem Mal phänomenal erschienen war.
... mehr
»Das Haus könnte bei einer derart großen Party ernsten Schaden
nehmen, meine liebe Della. Die Frauen würden mit ihren
Pfennigabsätzen das gesamte Parkett verkratzen, und die Rotweinflecken
bekämen wir aus den Polstern sicher nie mehr raus«,
hatte Hugh gesagt, als er letzte Woche auf dem Rückweg von einem
Treffen mit einem Klienten in einer nahe gelegenen Stadt bei
ihr vorbeigekommen war. Adele hatte mit einem liebevollen Lächeln
zugesehen, wie er das Steak-Sandwich gegessen hatte, das
als kleine Überraschung von ihr für ihn zubereitet worden war.
Niemand außer ihm nannte sie noch Della. Nicht, dass Adele sich
von irgendjemand anderem mit diesem Kosenamen hätte anreden
lassen. Selbst ihr Arzt, den sie seit vierzig Jahren kannte, nannte
sie nie anders als Miss Miller. Der dreiste junge Postbote hatte
einmal versucht, sie beim Vornamen zu nennen, doch das hatte
sie ihm sofort strengstens untersagt. Sie fand keinen Gefallen an
der modernen Vertraulichkeit, mit der man heutzutage miteinander
umging.
Hugh jedoch konnte sie nennen, wie er wollte. Ihr allerliebster
Bruder machte niemals etwas falsch.
»Man muss seinen vierzigsten Hochzeitstag gebührend feiern«,
hatte Hugh zwischen zwei Bissen seines Sandwichs gut gelaunt
erklärt. Hugh hatte schon immer gern gegessen. Aber schließlich
war er mit seinen ein Meter achtzig auch ein großer und mit
seinem dichten, silbrig hellen Haar ein äußerst attraktiver Mann.
Früher waren seine Haare, passend zu seinem sonnigen Gemüt,
goldfarben gewesen. Sämtliche Freundinnen Adeles hatten damals
für ihn geschwärmt. Wenn sie jemals einen Mann wie Hugh
gefunden hätte, hätte sie vielleicht auch geheiratet, dachte sie voller
Wehmut.
Sie blickte nochmals auf die Karte. »u.A.w.g.«, stand am unteren
Ende. Am besten, sie antwortete gleich.
Rose kam beim dritten Klingeln an den Apparat.
»Hi, Adele«, sagte sie mit atemloser Stimme. »Ich habe gerade
die Teppiche gesaugt. Hier herrscht das totale Chaos.«
Was Adele für eher unwahrscheinlich hielt. Das Heim ihrer
Schwägerin, das zwölf Kilometer hinter dem kleinen Städtchen
Kinvarra angesiedelt war, war immer tadellos gepflegt. Und vor
allem elegant. Auch wenn Adele es nicht gerne zugab, hatte Rose
doch einfach einen phantastischen Geschmack. Wer sonst wäre
wohl auf die Idee gekommen, sämtliche Innenwände einzureißen
und die zuvor eher dunklen Räume in eine einzige, wohl proportionierte,
offene Fläche zu verwandeln? Adele bevorzugte
Teppiche, doch die hellen Holzböden mit den schlichten Läufern
in angenehm gedämpften Farben wirkten im Vergleich zu
dem konservativen, dunkelbraunen Teppich in Adeles traditionellem,
im viktorianischen Stil gehaltenen Haus elegant, modern
und frisch.
»Ich habe die Einladung erhalten«, erklärte sie jetzt steif.
»Hat sie dir gefallen?«, fragte Rose. »Hugh hat sie ausgesucht.
Ich habe leichte Schuldgefühle, weil wir dafür so viel ausgegeben
haben. Weißt du, gerade erst haben sie in der Reifenfabrik unten
an der Straße weitere zwanzig Leute entlassen, und wir haben
nichts Besseres zu tun, als eine große Feier mit Zelt und Partyservice
und Blumen abzuhalten... Die Aktionsgruppe zur Bekämpfung
der Armut ist dringend auf Gelder angewiesen, und all
dieser Überfluss, den wir uns leisten, erscheint mir einfach nicht
ganz richtig...« Sie brach ab, doch in ihrer Entrüstung fiel das
Adele gar nicht auf.
»Mein Bruder ist eine wichtige Persönlichkeit hier in Kinvarra.
Die Leute fänden es seltsam, wenn er nicht standesgemäß feiern
würde«, erwiderte sie ebenso steif wie zu Anfang des Gesprächs.
»Sie fänden es ganz sicher eigenartig, wenn ihr eure Rubinhochzeit
nicht mit einem großen Fest begehen würdet.« Rose schien
zu vergessen, dass die Familie Miller immer schon eine Stütze der
Gemeinde gewesen war. Wie sähe es aus, wenn sie die Dinge nicht
richtig machen würden? Dann fingen die Leute an zu reden. Und
Adele wäre nichts verhasster, als wenn die Familie ins Gerede
käme.
»Du hast Recht, Adele«, antwortete Rose mit leichter Stimme.
»Ich glaube, ich werde mit zunehmendem Alter einfach paranoid.
Ich mache mir über die dümmsten Dinge stundenlang Gedanken.
Ich hoffe, du kannst kommen? Hugh wäre am Boden zerstört,
wenn du nicht kommen könntest. Das wären wir alle. Ohne dich
wäre es einfach nicht dasselbe«, fügte sie freundlich hinzu.
Adele presste die Lippen aufeinander. Das Gespräch verlief
vollkommen anders als geplant. Sie hatte nicht die Absicht gehabt,
die ganze Sache zu unterstützen, zumindest nicht ohne gewisse
Vorbehalte anzumelden. Aber wie konnte Rose auch nur
ansatzweise davon ausgehen, dass sie, Adele, vielleicht überhaupt
nicht käme! Auf die Party ihres geliebten kleinen Bruders. Von
Rechts wegen hätten noch nicht einmal die ersten Vorbereitungen
getroffen werden dürfen, ohne sie zuvor zu konsultieren. Sie
war drei Jahre älter als Hugh und somit das älteste Mitglied der
Familie Miller. Man hätte sie wirklich vorher fragen müssen. Was,
wenn sie schon etwas anderes für den dritten Samstag im April
vorgehabt hätte?
»Ich muss leider auflegen, Adele«, erklärte Rose mit ihrer leisen,
weichen Stimme. Adele hatte sich schon oft gefragt, wie es
Rose gelungen war, ihren Akzent vollkommen zu verlieren. »Ich
kriege gerade einen anderen Anruf. Wahrscheinlich die Floristin.
Danke, dass du so früh angerufen und Bescheid gegeben hast, das
war wirklich lieb. Pass auf dich auf. Bis bald.«
Damit war das Gespräch beendet, und Adele war nicht weniger
erbost als nach den meisten Gesprächen mit dieser ungeliebten
Frau. Jetzt rief also tatsächlich die Floristin bei ihr an. Dabei
hatte Rose in ihrer Jugend mit Floristen sicher nie etwas zu tun
gehabt. Die Familie Miller hatte natürlich immer schon herrliche
Blumenarrangements im Haus gehabt. Himmel, sie hatten sogar
als Einzige in der ganzen Gegend ein Dienstmädchen gehabt.
Rose hingegen war in einem halb verfallenen Haus in irgendeinem
abgelegenen Kuhdorf in Wexford aufgewachsen, einem
Haus mit löcherigem Dach und Wasserrohren aus einem anderen
Jahrhundert. Im Hause Riordain hatte das Geld noch nicht mal
für das Essen ausgereicht, weshalb also ganz sicher von Blumen
nie auch nur gesprochen worden war. Einzig durch die Hochzeit
mit Hugh hatte die gute Rose Zugang zu ihrer Welt bekommen.
Adele starrte wütend auf das Telefon. Am liebsten hätte sie noch
einmal angerufen und erklärt, Rose könne die Blumengestecke
doch wohl selber machen, statt Geld für die Floristin zu vergeuden.
Rose hatte einen wahrhaft grünen Daumen. Wie zu Ehren
ihres Namens verwandelte sich der Garten ihres Hauses zu Anfang
eines jeden Sommers in ein Meer aus Rosen. Die üppigen
gelben Blüten passten ausgezeichnet zu den butterblumengelben
Mauern, und auf dem niedrigen, skandinavischen Kaffeetisch im
Wohnraum stand für gewöhnlich immer eine große, mit leuchtenden
pinkfarbenen Knospen gefüllte Schale aus feinstem Porzellan.
Rose brauchte nur einen handgepflückten Strauß achtlos
in irgendein Gefäß zu stecken, und schon fiel jede Blume automatisch
an den ihr zugedachten Platz. Genauso ging es ihr mit ihrem
Aussehen, dachte Adele neidisch. Die älteste weiße Bluse wirkte
an Rose Miller lässig elegant, und egal, ob sie ihre dunklen Haare
geschickt zu einem weichen Knoten steckte oder sich mit einer
schlichten Kette schmückte - stets wirkte sie tadellos gekleidet.
Adele hatte Jahre damit zugebracht, sich zu bemühen, Rose
auch nur annähernd zu mögen. Was ihr trotz Roses gleichbleibender
Freundlichkeit ihr gegenüber nicht leicht gefallen war. Der
Umgang mit Freundlichkeit konnte wie der Umgang mit dem
Glück anderer Menschen schwierig sein. Vor allem, wenn sich die
Freundlichkeit wie im Fall der ungeliebten Schwägerin mit - wie
Adele dachte - unverdientem Lebensglück verband. Rose hatte
ein wunderbares Heim, mit Stella, Tara und Holly drei erwachsene
Töchter, die ihr nie auch nur die geringsten Probleme bereitet hatten,
und dank des guten Hugh nicht die geringsten finanziellen
Sorgen.
Hugh, hatte Adele immer schon gedacht, war der wahre Grund
für Roses wunderbares Leben. Adele betete ihren kleinen Bruder
an. Er war so klug und freundlich. Er hatte aus der armen Rose,
die sich mit einem trübsinnigen Job als Sekretärin über Wasser halten
musste, eine Miller und somit eine Frau von großem Ansehen
gemacht. Und jetzt feierten Hugh und Rose im großen Stil den
vierzigsten Jahrestag ihrer Hochzeit. Es war wie eine Wiederholung
ihrer Hochzeit, überlegte Adele verbittert und dachte an ihre
Rolle als unscheinbare Brautjungfer neben der strahlend schönen
Schwägerin zurück. Sämtliche Gäste hatten einzig Augen für die
Braut mit den winzigen zartgelben Rosenknospen in der dunklen
Haarwolke gehabt. Selbst Colin, Adeles damaliger Verehrer, hatte
eine Bemerkung zu Roses attraktivem Aussehen gemacht.
»Der gute alte Hugh«, hatte Colin mit unverhohlener Bewunderung
erklärt. »Er hat wirklich Glück, dass er ein solches Mädchen
abbekommen hat.«
Adele hatte Colin nie verziehen, dass er nicht verstanden hatte,
wie schmerzlich der Verlust des Bruders für sie gewesen war. Sie
hatte Stunden damit verbracht, sich die Haare mit kleinen Spangen
aufzustecken, damit ihr langer Schwanenhals vorteilhaft zur
Geltung käme, und hatte sogar, obgleich ihr jede Eitelkeit verhasst
war, etwas Rouge und korallenroten Lippenstift verwendet.
Doch all das hatte nichts genützt. Rose hatte gestrahlt wie die
sommerliche Sonne und hatte Adele ohne Absicht in den Schatten
treten lassen, was ihr bis heute nicht verziehen worden war.
Versunken in derart trübsinnigen Gedanken, verlor Adele etwas
von ihrer gewohnten starren Haltung. Ihr normalerweise
kerzengerader Rücken sackte leicht in sich zusammen, und sie
sank ermattet auf die verblichene Lehne eines alten Sessels. Wenn
sie Colins Antrag vor all den Jahren angenommen hätte, hätte
sie dann ebenfalls ein goldenes Leben und eine Familie gehabt
wie Hugh und Rose? Colin war ein netter Mann gewesen, sanftmütig
und freundlich. Nur dass er dem Vergleich mit ihrem Bruder
einfach nicht standgehalten hatte. Das hatte bisher noch
niemand. Sie hätte niemals einen Mann genommen, der Hugh
nicht ebenbürtig war, doch inzwischen war es anders. Adele war
schlicht und einfach einsam. Das Leben am Rand war kalt und
öde, und sie hatte immer schon am Rand gestanden und die Leben
anderer verfolgt, ohne je ein echter Teil davon zu sein. Rose
hingegen hatte alles. Alles. Weshalb war das Glück ausgerechnet
ihr, die doch erst durch ihre Heirat eine Miller hatte werden dürfen,
derart hold gewesen, hatte Adele jedoch anscheinend immer
übersehen?
Selbst der Herbststurm, dem Adeles Buchenhecke hatte zum
Opfer fallen müssen, hatte den Garten der Schwägerin verschont.
Und Rose hatte ihre geliebten Mädchen, die goldenen Miller-Girls.
Die drei hatten eine wunderbare Kindheit und Jugend erlebt, und
obgleich der Vater sie zweifellos verwöhnte, hatte jede von ihnen
aus eigener Kraft etwas Vernünftiges aus sich gemacht.
Adele ging hinüber an den Schreibtisch, in dem sie ihre Briefmarken
und ihren Block verwahrte, und verfasste eine Antwort
auf die Einladung zur Party ihres Bruders. Der Telefonanruf hatte
eher der Informationssammlung gegolten. Adele Miller war
sehr gut erzogen, und zu einer Einladung in Schriftform gehörte
ein ebensolcher Dank. Dies war die Art von Benehmen, die die
gute Kinderstube eines Menschen zeigte, die Art von Benehmen,
die jemand, der in irgendeiner Hütte in irgendeinem Kaff groß
geworden war, ganz sicher nie verstand.
»Es wäre mir ein Vergnügen...«, schrieb Adele so förmlich wie
die Queen und seufzte leise auf. Trotz allem freute sie sich auf
die Party. Partys bei Hugh waren immer unterhaltsam, und der
vierzigste Hochzeitstag des Bruders würde bestimmt ein ganz
besonders aufwändiges Fest. Natürlich würde sie sich die Haare
machen lassen. Dieser Gedanke erfüllte sie mit Freude, sodass sie
auf der Stelle mit der genauen Planung der Vorbereitungen begann.
1
Zwei Wochen vor Weihnachten im vorangegangenen Dezember
Rose Miller hasste Komitees. Was ziemliches Pech war, denn sie
gehörte nicht nur einem, sondern gleich drei Ausschüssen an. Am
schlimmsten war das Kinvarra-Wohlfahrtskomitee, und zwar aus
dem einfachen Grund, weil die internen Streitereien so viel Zeit
beanspruchten, dass kaum noch ein Moment für das Sammeln von
Spendengeldern blieb. Diskussionen über die Größe der Buchstaben
auf den Speisekarten für den jährlich stattfindenden Damen-
Lunch und die Frage, ob man Rindfleisch oder besser Lachs
servierte, hatten endlos lange Telefongespräche und bereits die beiden
vorangegangenen Treffen des Komitees beherrscht, und wenn
Rose nicht am Ende des letzten, stundenlangen Zusammenseins
die Geduld verloren hätte, wären diese gravierenden Probleme sicher
noch immer nicht gelöst.
»Ist es wirklich wichtig, wie die Speisekarten aussehen oder
was genau wir essen?«, fragte sie und sprang dabei sogar auf
die Füße, woraufhin die anderen Damen ängstlich ihre Kopien
der Sitzungsprotokolle umklammerten. Es war äußerst ungewöhnlich,
dass man die dunklen Augen der ehrenwerten Mrs.
Rose Miller zornig blitzen sah. Sie arbeitete unermüdlich für die
gute Sache und war nicht nur für ihr Organisationstalent, sondern
auch für ihre Ruhe und Gelassenheit bekannt. Mit ihrer
hoch gewachsenen, gertenschlanken Gestalt und dem für sie
typischen, elegant aufgesteckten Haar war sie in ihrem Ärger
eine geradezu prächtige Erscheinung. »Wir sind hier, um Geld
zu sammeln, und nicht, um es zu vergeuden. Ist dies alles, was
wir für die unterprivilegierten Menschen in unserer Gemeinde
zustande bringen können? In einer gemütlichen Hotelbar rum-
zusitzen, literweise Kaffee zu schlürfen und Pralinen in uns reinzustopfen,
während wir uns über irgendwelche Protokolle unterhalten?«
»Richtig«, quietschte Mrs. Freidland, die momentane Vorsitzende
des Vereins, die entgegen dem mehrheitlichen Wunsch nach
einer Vorspeise aus Riesengarnelen und einem Hauptgericht mit
Lachs starrsinnig für einen fließenden Schrifttyp und Meeresfrüchtesuppe
gefolgt von Rindfleisch eingetreten war. »Wir haben
schon viel zu viel Zeit vergeudet; lassen Sie uns also den Streit beenden
und endlich abstimmen.«
Rose, die von ihrem eigenen Ausbruch mindestens so überrascht
war wie die anderen Damen, nahm vorsichtig wieder Platz
und fragte sich wie jedes Jahr, weshalb sie nicht einfach aus dem
Ausschuss austrat und stattdessen etwas weniger Stressiges, wie
zum Beispiel Drachenfliegen oder Schwimmen zwischen Haien,
in Angriff nahm. Doch jedes Jahr ließ sie ihren Namen wieder auf
die Liste setzen, denn wenn sie das Komitee verließe, käme überhaupt
kein Geld mehr für die Hilfsbedürftigen zusammen. Und
es war ihr ein inneres Bedürfnis, anderen zu helfen. Sie war der
festen Überzeugung, ein selbstsüchtig gelebtes Leben wäre nur
ein halb gelebtes Leben. Einziges Problem war, dass für einige
der anderen Mitglieder des Komitees Wohltätigkeit vor allem ein
sichtbares Zeichen ihres hohen gesellschaftlichen Standes war.
Das Komitee »gastfreundliche Kirche« trat nur ein paar Mal im
Jahr zusammen und war das problemloseste von allen, da es dort
nur darum ging, jährlich ein paar Abendessen auszurichten oder
ab und zu eine kleine Feier für einen Missionspriester, der auf
Heimaturlaub war.
Das dritte Komitee, in dem Rose Mitglied war, war die Aktionsgruppe
gegen die geplante Autobahn, die quer durch den
Naturpark führen sollte, eine Gegend von ausnehmender Schönheit,
inmitten derer ihr kleines Städtchen lag. Da neben ihr auch
ein äußerst engagierter einheimischer Notar, mehrere prominen-
te Geschäftsleute und drei Lokalpolitiker dem Ausschuss angehörten,
wurde dort zumindest was getan. Doch die öffentlichen
Treffen waren der totale Albtraum und endeten für gewöhnlich
damit, dass das Komitee den Auftrag erteilt bekam, mindestens
vier einander widersprechende Vorgehensweisen zu wählen, damit
man seinem Ziel, der Verhinderung des Straßenbaus, endlich
etwas näher kam.
Nach diesen Treffen brauchte Rose immer einen doppelten
Gin Tonic, woraufhin Hugh ihr für gewöhnlich fröhlich grinsend
erklärte, seiner Erfahrung mit öffentlichen Diskussionen
zufolge wäre es vernünftiger, tränke sie nicht nach den Treffen
etwas, sondern vorher.
Als einer der führenden Anwälte von Kinvarra hatte Hugh
weitreichende Erfahrung mit Ehrenämtern jeder Art. Vor vielen
Jahren war er sogar mal Bürgermeister des Ortes gewesen und
hatte dadurch, wie er immer wieder lachend sagte, ein für alle
Mal gelernt, dass man sich am besten stets aus allem raushielt. Auf
dem Kamin stand ein Foto von ihm in seiner damaligen Amtstracht:
hoch gewachsen, elegant und attraktiv mit seinem tadellos
frisierten, silberdurchwirkten Haar, das seine hohe Stirn
und seinen freundlichen Blick vorteilhaft betonte. Was die Kamera
nicht festgehalten hatte, war das schalkhafte Blitzen seiner
Augen, das besagte, dass er nichts gegen den Posten des Bürgermeisters
hatte, dass ihm jedoch das schwere Geschmeide, das wie
eine Kuhkette um seinen Nacken lag, eher lästig war.
»Es ist einfach unmöglich, in einem Viertel der Zeit wenigstens
die Hälfte der Leute zufrieden zu stellen«, war sein weiser
Ratschlag in Bezug auf Komitees. »Die Gespräche drehen sich
immer wochenlang im Kreis. Und was öffentliche Versammlungen
betrifft, so vergeudest du dort, solange nicht endlich jemand
die Planer verklagt, einfach deine Zeit.«
»Wenn nötig, werden wir das tun«, antwortete Rose ihm hitzig.
»Aber wir müssen uns als Gemeinde solidarisch zeigen. Wir können
nicht einfach über uns bestimmen lassen. Ist dir der geplante
Bau der Autobahn etwa egal?«
»Selbst wenn sie kommt, führt sie noch nicht mal in der Nähe
unseres Grundstückes vorbei«, kam seine gelassene Antwort,
und Rose gab für diesen Abend auf.
Manchmal konnte sie Hughs Pragmatismus einfach nicht verstehen.
Sie selbst engagierte sich leidenschaftlich für alle Sachen,
die ihr wichtig waren, egal, ob sie sie direkt betrafen oder nicht,
Hugh hingegen ließ die Dinge nicht so nah an sich heran.
Die Mädchen waren alle so wie sie. Die achtunddreißigjährige
Stella war Anwältin und arbeitete hart, um ihre wunderbare
Tochter alleine aufzuziehen, doch hinter ihren strengen Kostümen
verbarg sich eine leidenschaftlich-romantische Natur. Die
sieben Jahre jüngere Tara war nicht anders: Als Königin der
Debattierclubs in der Schule und auch noch am College hatte sie
sich schon immer für alles, was sie interessierte, nach Kräften
engagiert. Auch verliebt hatte sie sich ohne alle Vorbehalte und
war zur Überraschung aller, die immer angenommen hatten, sie
wäre ein eher unkonventioneller Typ und liefe, wenn ihr gerade
danach zumute wäre, bestimmt eines Tages mit einem Rockstar
oder irgendeinem anderen ausgeflippten Typen auf und davon,
mit dem Computerverkäufer Finn Jefferson, nur sechs Monate
nachdem sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte, vor den Traualtar
getreten.
Und was Holly anging, mit siebenundzwanzig Jahren das
Baby der Familie, wusste Rose mit Sicherheit, dass sie unter ihrer
sanften Schale Leidenschaft und gleichzeitig Verletzlichkeit verbarg.
Während jedoch Tara und Stella den Mut besaßen, für die
Dinge zu kämpfen, die ihnen wichtig waren, war Holly eher verzagt.
Rose hatte die heimliche Sorge, dass Holly ihretwegen ohne
jedes Selbstbewusstsein war. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihrer
geliebten jüngsten Tochter nie gerecht geworden war. Doch der
Gedanke war zu schmerzlich, weshalb Rose Miller, die bekannt
war dafür, dass sie alle Arten von Problemen mit ruhiger Entschlossenheit
bekämpfte, ihn auch an diesem Tag verdrängte. Am
besten, sie dächte gar nicht erst darüber nach.
2. Auflage
Taschenbuchausgabe November 2005 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München.
Copyright © der Originalausgabe 2002 by Cathy Kelly
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004 by Verlagsgruppe Random House GmbH,
München
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagillustration: buchcover.com/Leif Schmodde
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck UH
Herstellung: NT Printed in Germany
ISBN-10: 3-442-36365-9
ISBN-13:
978-3-442-36365-0
www.blanvalet-verlag.de
»Das Haus könnte bei einer derart großen Party ernsten Schaden
nehmen, meine liebe Della. Die Frauen würden mit ihren
Pfennigabsätzen das gesamte Parkett verkratzen, und die Rotweinflecken
bekämen wir aus den Polstern sicher nie mehr raus«,
hatte Hugh gesagt, als er letzte Woche auf dem Rückweg von einem
Treffen mit einem Klienten in einer nahe gelegenen Stadt bei
ihr vorbeigekommen war. Adele hatte mit einem liebevollen Lächeln
zugesehen, wie er das Steak-Sandwich gegessen hatte, das
als kleine Überraschung von ihr für ihn zubereitet worden war.
Niemand außer ihm nannte sie noch Della. Nicht, dass Adele sich
von irgendjemand anderem mit diesem Kosenamen hätte anreden
lassen. Selbst ihr Arzt, den sie seit vierzig Jahren kannte, nannte
sie nie anders als Miss Miller. Der dreiste junge Postbote hatte
einmal versucht, sie beim Vornamen zu nennen, doch das hatte
sie ihm sofort strengstens untersagt. Sie fand keinen Gefallen an
der modernen Vertraulichkeit, mit der man heutzutage miteinander
umging.
Hugh jedoch konnte sie nennen, wie er wollte. Ihr allerliebster
Bruder machte niemals etwas falsch.
»Man muss seinen vierzigsten Hochzeitstag gebührend feiern«,
hatte Hugh zwischen zwei Bissen seines Sandwichs gut gelaunt
erklärt. Hugh hatte schon immer gern gegessen. Aber schließlich
war er mit seinen ein Meter achtzig auch ein großer und mit
seinem dichten, silbrig hellen Haar ein äußerst attraktiver Mann.
Früher waren seine Haare, passend zu seinem sonnigen Gemüt,
goldfarben gewesen. Sämtliche Freundinnen Adeles hatten damals
für ihn geschwärmt. Wenn sie jemals einen Mann wie Hugh
gefunden hätte, hätte sie vielleicht auch geheiratet, dachte sie voller
Wehmut.
Sie blickte nochmals auf die Karte. »u.A.w.g.«, stand am unteren
Ende. Am besten, sie antwortete gleich.
Rose kam beim dritten Klingeln an den Apparat.
»Hi, Adele«, sagte sie mit atemloser Stimme. »Ich habe gerade
die Teppiche gesaugt. Hier herrscht das totale Chaos.«
Was Adele für eher unwahrscheinlich hielt. Das Heim ihrer
Schwägerin, das zwölf Kilometer hinter dem kleinen Städtchen
Kinvarra angesiedelt war, war immer tadellos gepflegt. Und vor
allem elegant. Auch wenn Adele es nicht gerne zugab, hatte Rose
doch einfach einen phantastischen Geschmack. Wer sonst wäre
wohl auf die Idee gekommen, sämtliche Innenwände einzureißen
und die zuvor eher dunklen Räume in eine einzige, wohl proportionierte,
offene Fläche zu verwandeln? Adele bevorzugte
Teppiche, doch die hellen Holzböden mit den schlichten Läufern
in angenehm gedämpften Farben wirkten im Vergleich zu
dem konservativen, dunkelbraunen Teppich in Adeles traditionellem,
im viktorianischen Stil gehaltenen Haus elegant, modern
und frisch.
»Ich habe die Einladung erhalten«, erklärte sie jetzt steif.
»Hat sie dir gefallen?«, fragte Rose. »Hugh hat sie ausgesucht.
Ich habe leichte Schuldgefühle, weil wir dafür so viel ausgegeben
haben. Weißt du, gerade erst haben sie in der Reifenfabrik unten
an der Straße weitere zwanzig Leute entlassen, und wir haben
nichts Besseres zu tun, als eine große Feier mit Zelt und Partyservice
und Blumen abzuhalten... Die Aktionsgruppe zur Bekämpfung
der Armut ist dringend auf Gelder angewiesen, und all
dieser Überfluss, den wir uns leisten, erscheint mir einfach nicht
ganz richtig...« Sie brach ab, doch in ihrer Entrüstung fiel das
Adele gar nicht auf.
»Mein Bruder ist eine wichtige Persönlichkeit hier in Kinvarra.
Die Leute fänden es seltsam, wenn er nicht standesgemäß feiern
würde«, erwiderte sie ebenso steif wie zu Anfang des Gesprächs.
»Sie fänden es ganz sicher eigenartig, wenn ihr eure Rubinhochzeit
nicht mit einem großen Fest begehen würdet.« Rose schien
zu vergessen, dass die Familie Miller immer schon eine Stütze der
Gemeinde gewesen war. Wie sähe es aus, wenn sie die Dinge nicht
richtig machen würden? Dann fingen die Leute an zu reden. Und
Adele wäre nichts verhasster, als wenn die Familie ins Gerede
käme.
»Du hast Recht, Adele«, antwortete Rose mit leichter Stimme.
»Ich glaube, ich werde mit zunehmendem Alter einfach paranoid.
Ich mache mir über die dümmsten Dinge stundenlang Gedanken.
Ich hoffe, du kannst kommen? Hugh wäre am Boden zerstört,
wenn du nicht kommen könntest. Das wären wir alle. Ohne dich
wäre es einfach nicht dasselbe«, fügte sie freundlich hinzu.
Adele presste die Lippen aufeinander. Das Gespräch verlief
vollkommen anders als geplant. Sie hatte nicht die Absicht gehabt,
die ganze Sache zu unterstützen, zumindest nicht ohne gewisse
Vorbehalte anzumelden. Aber wie konnte Rose auch nur
ansatzweise davon ausgehen, dass sie, Adele, vielleicht überhaupt
nicht käme! Auf die Party ihres geliebten kleinen Bruders. Von
Rechts wegen hätten noch nicht einmal die ersten Vorbereitungen
getroffen werden dürfen, ohne sie zuvor zu konsultieren. Sie
war drei Jahre älter als Hugh und somit das älteste Mitglied der
Familie Miller. Man hätte sie wirklich vorher fragen müssen. Was,
wenn sie schon etwas anderes für den dritten Samstag im April
vorgehabt hätte?
»Ich muss leider auflegen, Adele«, erklärte Rose mit ihrer leisen,
weichen Stimme. Adele hatte sich schon oft gefragt, wie es
Rose gelungen war, ihren Akzent vollkommen zu verlieren. »Ich
kriege gerade einen anderen Anruf. Wahrscheinlich die Floristin.
Danke, dass du so früh angerufen und Bescheid gegeben hast, das
war wirklich lieb. Pass auf dich auf. Bis bald.«
Damit war das Gespräch beendet, und Adele war nicht weniger
erbost als nach den meisten Gesprächen mit dieser ungeliebten
Frau. Jetzt rief also tatsächlich die Floristin bei ihr an. Dabei
hatte Rose in ihrer Jugend mit Floristen sicher nie etwas zu tun
gehabt. Die Familie Miller hatte natürlich immer schon herrliche
Blumenarrangements im Haus gehabt. Himmel, sie hatten sogar
als Einzige in der ganzen Gegend ein Dienstmädchen gehabt.
Rose hingegen war in einem halb verfallenen Haus in irgendeinem
abgelegenen Kuhdorf in Wexford aufgewachsen, einem
Haus mit löcherigem Dach und Wasserrohren aus einem anderen
Jahrhundert. Im Hause Riordain hatte das Geld noch nicht mal
für das Essen ausgereicht, weshalb also ganz sicher von Blumen
nie auch nur gesprochen worden war. Einzig durch die Hochzeit
mit Hugh hatte die gute Rose Zugang zu ihrer Welt bekommen.
Adele starrte wütend auf das Telefon. Am liebsten hätte sie noch
einmal angerufen und erklärt, Rose könne die Blumengestecke
doch wohl selber machen, statt Geld für die Floristin zu vergeuden.
Rose hatte einen wahrhaft grünen Daumen. Wie zu Ehren
ihres Namens verwandelte sich der Garten ihres Hauses zu Anfang
eines jeden Sommers in ein Meer aus Rosen. Die üppigen
gelben Blüten passten ausgezeichnet zu den butterblumengelben
Mauern, und auf dem niedrigen, skandinavischen Kaffeetisch im
Wohnraum stand für gewöhnlich immer eine große, mit leuchtenden
pinkfarbenen Knospen gefüllte Schale aus feinstem Porzellan.
Rose brauchte nur einen handgepflückten Strauß achtlos
in irgendein Gefäß zu stecken, und schon fiel jede Blume automatisch
an den ihr zugedachten Platz. Genauso ging es ihr mit ihrem
Aussehen, dachte Adele neidisch. Die älteste weiße Bluse wirkte
an Rose Miller lässig elegant, und egal, ob sie ihre dunklen Haare
geschickt zu einem weichen Knoten steckte oder sich mit einer
schlichten Kette schmückte - stets wirkte sie tadellos gekleidet.
Adele hatte Jahre damit zugebracht, sich zu bemühen, Rose
auch nur annähernd zu mögen. Was ihr trotz Roses gleichbleibender
Freundlichkeit ihr gegenüber nicht leicht gefallen war. Der
Umgang mit Freundlichkeit konnte wie der Umgang mit dem
Glück anderer Menschen schwierig sein. Vor allem, wenn sich die
Freundlichkeit wie im Fall der ungeliebten Schwägerin mit - wie
Adele dachte - unverdientem Lebensglück verband. Rose hatte
ein wunderbares Heim, mit Stella, Tara und Holly drei erwachsene
Töchter, die ihr nie auch nur die geringsten Probleme bereitet hatten,
und dank des guten Hugh nicht die geringsten finanziellen
Sorgen.
Hugh, hatte Adele immer schon gedacht, war der wahre Grund
für Roses wunderbares Leben. Adele betete ihren kleinen Bruder
an. Er war so klug und freundlich. Er hatte aus der armen Rose,
die sich mit einem trübsinnigen Job als Sekretärin über Wasser halten
musste, eine Miller und somit eine Frau von großem Ansehen
gemacht. Und jetzt feierten Hugh und Rose im großen Stil den
vierzigsten Jahrestag ihrer Hochzeit. Es war wie eine Wiederholung
ihrer Hochzeit, überlegte Adele verbittert und dachte an ihre
Rolle als unscheinbare Brautjungfer neben der strahlend schönen
Schwägerin zurück. Sämtliche Gäste hatten einzig Augen für die
Braut mit den winzigen zartgelben Rosenknospen in der dunklen
Haarwolke gehabt. Selbst Colin, Adeles damaliger Verehrer, hatte
eine Bemerkung zu Roses attraktivem Aussehen gemacht.
»Der gute alte Hugh«, hatte Colin mit unverhohlener Bewunderung
erklärt. »Er hat wirklich Glück, dass er ein solches Mädchen
abbekommen hat.«
Adele hatte Colin nie verziehen, dass er nicht verstanden hatte,
wie schmerzlich der Verlust des Bruders für sie gewesen war. Sie
hatte Stunden damit verbracht, sich die Haare mit kleinen Spangen
aufzustecken, damit ihr langer Schwanenhals vorteilhaft zur
Geltung käme, und hatte sogar, obgleich ihr jede Eitelkeit verhasst
war, etwas Rouge und korallenroten Lippenstift verwendet.
Doch all das hatte nichts genützt. Rose hatte gestrahlt wie die
sommerliche Sonne und hatte Adele ohne Absicht in den Schatten
treten lassen, was ihr bis heute nicht verziehen worden war.
Versunken in derart trübsinnigen Gedanken, verlor Adele etwas
von ihrer gewohnten starren Haltung. Ihr normalerweise
kerzengerader Rücken sackte leicht in sich zusammen, und sie
sank ermattet auf die verblichene Lehne eines alten Sessels. Wenn
sie Colins Antrag vor all den Jahren angenommen hätte, hätte
sie dann ebenfalls ein goldenes Leben und eine Familie gehabt
wie Hugh und Rose? Colin war ein netter Mann gewesen, sanftmütig
und freundlich. Nur dass er dem Vergleich mit ihrem Bruder
einfach nicht standgehalten hatte. Das hatte bisher noch
niemand. Sie hätte niemals einen Mann genommen, der Hugh
nicht ebenbürtig war, doch inzwischen war es anders. Adele war
schlicht und einfach einsam. Das Leben am Rand war kalt und
öde, und sie hatte immer schon am Rand gestanden und die Leben
anderer verfolgt, ohne je ein echter Teil davon zu sein. Rose
hingegen hatte alles. Alles. Weshalb war das Glück ausgerechnet
ihr, die doch erst durch ihre Heirat eine Miller hatte werden dürfen,
derart hold gewesen, hatte Adele jedoch anscheinend immer
übersehen?
Selbst der Herbststurm, dem Adeles Buchenhecke hatte zum
Opfer fallen müssen, hatte den Garten der Schwägerin verschont.
Und Rose hatte ihre geliebten Mädchen, die goldenen Miller-Girls.
Die drei hatten eine wunderbare Kindheit und Jugend erlebt, und
obgleich der Vater sie zweifellos verwöhnte, hatte jede von ihnen
aus eigener Kraft etwas Vernünftiges aus sich gemacht.
Adele ging hinüber an den Schreibtisch, in dem sie ihre Briefmarken
und ihren Block verwahrte, und verfasste eine Antwort
auf die Einladung zur Party ihres Bruders. Der Telefonanruf hatte
eher der Informationssammlung gegolten. Adele Miller war
sehr gut erzogen, und zu einer Einladung in Schriftform gehörte
ein ebensolcher Dank. Dies war die Art von Benehmen, die die
gute Kinderstube eines Menschen zeigte, die Art von Benehmen,
die jemand, der in irgendeiner Hütte in irgendeinem Kaff groß
geworden war, ganz sicher nie verstand.
»Es wäre mir ein Vergnügen...«, schrieb Adele so förmlich wie
die Queen und seufzte leise auf. Trotz allem freute sie sich auf
die Party. Partys bei Hugh waren immer unterhaltsam, und der
vierzigste Hochzeitstag des Bruders würde bestimmt ein ganz
besonders aufwändiges Fest. Natürlich würde sie sich die Haare
machen lassen. Dieser Gedanke erfüllte sie mit Freude, sodass sie
auf der Stelle mit der genauen Planung der Vorbereitungen begann.
1
Zwei Wochen vor Weihnachten im vorangegangenen Dezember
Rose Miller hasste Komitees. Was ziemliches Pech war, denn sie
gehörte nicht nur einem, sondern gleich drei Ausschüssen an. Am
schlimmsten war das Kinvarra-Wohlfahrtskomitee, und zwar aus
dem einfachen Grund, weil die internen Streitereien so viel Zeit
beanspruchten, dass kaum noch ein Moment für das Sammeln von
Spendengeldern blieb. Diskussionen über die Größe der Buchstaben
auf den Speisekarten für den jährlich stattfindenden Damen-
Lunch und die Frage, ob man Rindfleisch oder besser Lachs
servierte, hatten endlos lange Telefongespräche und bereits die beiden
vorangegangenen Treffen des Komitees beherrscht, und wenn
Rose nicht am Ende des letzten, stundenlangen Zusammenseins
die Geduld verloren hätte, wären diese gravierenden Probleme sicher
noch immer nicht gelöst.
»Ist es wirklich wichtig, wie die Speisekarten aussehen oder
was genau wir essen?«, fragte sie und sprang dabei sogar auf
die Füße, woraufhin die anderen Damen ängstlich ihre Kopien
der Sitzungsprotokolle umklammerten. Es war äußerst ungewöhnlich,
dass man die dunklen Augen der ehrenwerten Mrs.
Rose Miller zornig blitzen sah. Sie arbeitete unermüdlich für die
gute Sache und war nicht nur für ihr Organisationstalent, sondern
auch für ihre Ruhe und Gelassenheit bekannt. Mit ihrer
hoch gewachsenen, gertenschlanken Gestalt und dem für sie
typischen, elegant aufgesteckten Haar war sie in ihrem Ärger
eine geradezu prächtige Erscheinung. »Wir sind hier, um Geld
zu sammeln, und nicht, um es zu vergeuden. Ist dies alles, was
wir für die unterprivilegierten Menschen in unserer Gemeinde
zustande bringen können? In einer gemütlichen Hotelbar rum-
zusitzen, literweise Kaffee zu schlürfen und Pralinen in uns reinzustopfen,
während wir uns über irgendwelche Protokolle unterhalten?«
»Richtig«, quietschte Mrs. Freidland, die momentane Vorsitzende
des Vereins, die entgegen dem mehrheitlichen Wunsch nach
einer Vorspeise aus Riesengarnelen und einem Hauptgericht mit
Lachs starrsinnig für einen fließenden Schrifttyp und Meeresfrüchtesuppe
gefolgt von Rindfleisch eingetreten war. »Wir haben
schon viel zu viel Zeit vergeudet; lassen Sie uns also den Streit beenden
und endlich abstimmen.«
Rose, die von ihrem eigenen Ausbruch mindestens so überrascht
war wie die anderen Damen, nahm vorsichtig wieder Platz
und fragte sich wie jedes Jahr, weshalb sie nicht einfach aus dem
Ausschuss austrat und stattdessen etwas weniger Stressiges, wie
zum Beispiel Drachenfliegen oder Schwimmen zwischen Haien,
in Angriff nahm. Doch jedes Jahr ließ sie ihren Namen wieder auf
die Liste setzen, denn wenn sie das Komitee verließe, käme überhaupt
kein Geld mehr für die Hilfsbedürftigen zusammen. Und
es war ihr ein inneres Bedürfnis, anderen zu helfen. Sie war der
festen Überzeugung, ein selbstsüchtig gelebtes Leben wäre nur
ein halb gelebtes Leben. Einziges Problem war, dass für einige
der anderen Mitglieder des Komitees Wohltätigkeit vor allem ein
sichtbares Zeichen ihres hohen gesellschaftlichen Standes war.
Das Komitee »gastfreundliche Kirche« trat nur ein paar Mal im
Jahr zusammen und war das problemloseste von allen, da es dort
nur darum ging, jährlich ein paar Abendessen auszurichten oder
ab und zu eine kleine Feier für einen Missionspriester, der auf
Heimaturlaub war.
Das dritte Komitee, in dem Rose Mitglied war, war die Aktionsgruppe
gegen die geplante Autobahn, die quer durch den
Naturpark führen sollte, eine Gegend von ausnehmender Schönheit,
inmitten derer ihr kleines Städtchen lag. Da neben ihr auch
ein äußerst engagierter einheimischer Notar, mehrere prominen-
te Geschäftsleute und drei Lokalpolitiker dem Ausschuss angehörten,
wurde dort zumindest was getan. Doch die öffentlichen
Treffen waren der totale Albtraum und endeten für gewöhnlich
damit, dass das Komitee den Auftrag erteilt bekam, mindestens
vier einander widersprechende Vorgehensweisen zu wählen, damit
man seinem Ziel, der Verhinderung des Straßenbaus, endlich
etwas näher kam.
Nach diesen Treffen brauchte Rose immer einen doppelten
Gin Tonic, woraufhin Hugh ihr für gewöhnlich fröhlich grinsend
erklärte, seiner Erfahrung mit öffentlichen Diskussionen
zufolge wäre es vernünftiger, tränke sie nicht nach den Treffen
etwas, sondern vorher.
Als einer der führenden Anwälte von Kinvarra hatte Hugh
weitreichende Erfahrung mit Ehrenämtern jeder Art. Vor vielen
Jahren war er sogar mal Bürgermeister des Ortes gewesen und
hatte dadurch, wie er immer wieder lachend sagte, ein für alle
Mal gelernt, dass man sich am besten stets aus allem raushielt. Auf
dem Kamin stand ein Foto von ihm in seiner damaligen Amtstracht:
hoch gewachsen, elegant und attraktiv mit seinem tadellos
frisierten, silberdurchwirkten Haar, das seine hohe Stirn
und seinen freundlichen Blick vorteilhaft betonte. Was die Kamera
nicht festgehalten hatte, war das schalkhafte Blitzen seiner
Augen, das besagte, dass er nichts gegen den Posten des Bürgermeisters
hatte, dass ihm jedoch das schwere Geschmeide, das wie
eine Kuhkette um seinen Nacken lag, eher lästig war.
»Es ist einfach unmöglich, in einem Viertel der Zeit wenigstens
die Hälfte der Leute zufrieden zu stellen«, war sein weiser
Ratschlag in Bezug auf Komitees. »Die Gespräche drehen sich
immer wochenlang im Kreis. Und was öffentliche Versammlungen
betrifft, so vergeudest du dort, solange nicht endlich jemand
die Planer verklagt, einfach deine Zeit.«
»Wenn nötig, werden wir das tun«, antwortete Rose ihm hitzig.
»Aber wir müssen uns als Gemeinde solidarisch zeigen. Wir können
nicht einfach über uns bestimmen lassen. Ist dir der geplante
Bau der Autobahn etwa egal?«
»Selbst wenn sie kommt, führt sie noch nicht mal in der Nähe
unseres Grundstückes vorbei«, kam seine gelassene Antwort,
und Rose gab für diesen Abend auf.
Manchmal konnte sie Hughs Pragmatismus einfach nicht verstehen.
Sie selbst engagierte sich leidenschaftlich für alle Sachen,
die ihr wichtig waren, egal, ob sie sie direkt betrafen oder nicht,
Hugh hingegen ließ die Dinge nicht so nah an sich heran.
Die Mädchen waren alle so wie sie. Die achtunddreißigjährige
Stella war Anwältin und arbeitete hart, um ihre wunderbare
Tochter alleine aufzuziehen, doch hinter ihren strengen Kostümen
verbarg sich eine leidenschaftlich-romantische Natur. Die
sieben Jahre jüngere Tara war nicht anders: Als Königin der
Debattierclubs in der Schule und auch noch am College hatte sie
sich schon immer für alles, was sie interessierte, nach Kräften
engagiert. Auch verliebt hatte sie sich ohne alle Vorbehalte und
war zur Überraschung aller, die immer angenommen hatten, sie
wäre ein eher unkonventioneller Typ und liefe, wenn ihr gerade
danach zumute wäre, bestimmt eines Tages mit einem Rockstar
oder irgendeinem anderen ausgeflippten Typen auf und davon,
mit dem Computerverkäufer Finn Jefferson, nur sechs Monate
nachdem sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte, vor den Traualtar
getreten.
Und was Holly anging, mit siebenundzwanzig Jahren das
Baby der Familie, wusste Rose mit Sicherheit, dass sie unter ihrer
sanften Schale Leidenschaft und gleichzeitig Verletzlichkeit verbarg.
Während jedoch Tara und Stella den Mut besaßen, für die
Dinge zu kämpfen, die ihnen wichtig waren, war Holly eher verzagt.
Rose hatte die heimliche Sorge, dass Holly ihretwegen ohne
jedes Selbstbewusstsein war. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihrer
geliebten jüngsten Tochter nie gerecht geworden war. Doch der
Gedanke war zu schmerzlich, weshalb Rose Miller, die bekannt
war dafür, dass sie alle Arten von Problemen mit ruhiger Entschlossenheit
bekämpfte, ihn auch an diesem Tag verdrängte. Am
besten, sie dächte gar nicht erst darüber nach.
2. Auflage
Taschenbuchausgabe November 2005 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München.
Copyright © der Originalausgabe 2002 by Cathy Kelly
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004 by Verlagsgruppe Random House GmbH,
München
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagillustration: buchcover.com/Leif Schmodde
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck UH
Herstellung: NT Printed in Germany
ISBN-10: 3-442-36365-9
ISBN-13:
978-3-442-36365-0
www.blanvalet-verlag.de
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Autoren-Porträt von Cathy Kelly
Cathy Kelly arbeitete als Redakteurin, Filmkritikerin und 'Kummerkastentante' bei der Dubliner 'Sunday World'. Ihre Romane dominierten wochenlang die irischen und englischen Bestsellerlisten und sorgen inzwischen auch in Deutschland für Furore. Cathy Kelly ist seit 2005 UNICEF-Botschafterin in Irland. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten und ihren Zwillingssöhnen in Wicklow, Irland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cathy Kelly
- 2005, 735 Seiten, Maße: 11,7 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Uta Hege
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442363659
- ISBN-13: 9783442363650
Rezension zu „Männer sind zum Küssen da “
"Liebenswert, lebensnah und originell!" -- Rosamunde Pilcher
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