Magische Begegnungen
Was ist das für ein Mann, der immer wieder um die Weiden von Gut Waldhof schleicht? Anna wird misstrauisch und will Susanna warnen, doch die intrigante Liane stellt ihre Befürchtungen als lächerlich dar. Und dann macht Liane sich auch noch an...
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Produktinformationen zu „Magische Begegnungen “
Was ist das für ein Mann, der immer wieder um die Weiden von Gut Waldhof schleicht? Anna wird misstrauisch und will Susanna warnen, doch die intrigante Liane stellt ihre Befürchtungen als lächerlich dar. Und dann macht Liane sich auch noch an Paul heran! Dabei ist Anna doch heimlich schon viel länger in ihn verknallt. Doch bevor sie etwas unternehmen kann, passiert etwas Schreckliches: Napoleon, der hübsche Friese von Susanna, verschwindet spurlos von der Weide ...
Klappentext zu „Magische Begegnungen “
Was ist das für ein Mann, der immer wieder um die Weiden von Gut Waldhof schleicht? Anna wird misstrauisch und will Susanna warnen, doch die intrigante Liane stellt ihre Befürchtungen als lächerlich dar. Und dann macht Liane sich auch noch an Paul heran! Dabei ist Anna doch heimlich schon viel länger in ihn verknallt. Doch bevor sie etwas unternehmen kann, passiert etwas Schreckliches: Napoleon, der hübsche Friese von Susanna, verschwindet spurlos von der Weide ...
Lese-Probe zu „Magische Begegnungen “
Apassionata – Magische Begegnungen von Angela WaidmannBerühmt!
Das Heulen einer Polizeisirene reißt mich aus dem Schlaf. Benommen fahre ich hoch. Wo bin ich? Ich taste mit der Hand neben mein Bett. Jedenfalls nicht zu Hause. Ach ja! So langsam fällt mir alles wieder ein. Anna, du bist in Köln, in einem Hotelzimmer, und heute ... heute findet die Premiere der neuen APASSIONATA-Show statt!
Unser Freund Paul wird zum ersten Mal mit Isadora, der Lipizzanerstute, darin auftreten. Bei dem Gedanken daran rast mein Herz im Galopp los, und ich bin endgültig hellwach. Ich atme tief durch, dann schaue ich aus dem Fenster in den Himmel, der an diesem trüben Novembermorgen noch ziemlich dunkel ist. Regen pladdert gegen die Scheibe und läuft in dünnen Rinnsalen daran hinunter. Auf der Straße rollt geschäftig der Autoverkehr. Ich strecke mich und blinzele auf den Radiowecker. Es ist schon sieben. In einer knappen halben Stunde wäre ich sowieso geweckt worden. Und jetzt ist an Schlaf nicht mehr zu denken.
Ich rolle mich aus dem Bett und verschwinde unter die Dusche. Etwas später betrete ich in Jeans und Fleecepulli und mit meiner Jacke unter dem Arm den Frühstücksraum. Zu meiner Überraschung sitzt Paul schon vor einer dampfenden Kaffeetasse am Tisch. Bestimmt konnte er vor lauter Aufregung auch nicht mehr schlafen. Eigentlich wollten wir uns nämlich erst um acht treffen. Susanna, unsere Reitlehrerin, leistet ihm Gesellschaft.
Mit ihrem Friesenhengst Oleander wird sie ebenfalls in der Show auftreten. Im Gegensatz zu Paul ist sie die ganze Aufregung aber schon etwas gewöhnt, weil sie bereits bei der letzten Tournee dabei war. Für Paul ist alles neu. Er sitzt stumm da und starrt auf das angebissene Schokocroissant auf seinem Teller. Ich sehe mich schnell um.
Meine Freundin Alex ist jedenfalls noch nicht wach. Langsam gehe ich näher.
... mehr
„Guten Morgen", begrüße ich die beiden. Vorsichtig werfe ich Paul einen Blick zu. Gestern, kurz vor der Generalprobe, hat er mich ohne jeden Grund ziemlich heftig angemeckert. Und zu allem
Unglück hat sein Auftritt danach nicht besonders gut geklappt. Kurz vor Schluss hat Paul einen falschen Schritt gemacht und voll im Scheinwerferlicht gestanden.
Damit war der beinahe märchenhafte Zauber, der vorher über Isadoras Auftritt gelegen hatte, mit einem Schlag vergangen. Isadora stellt nämlich die keltische Pferdegöttin Epona dar, und es soll so aussehen, als würde sie ganz selbstständig, ohne die Anleitung durch einen Menschen, agieren. Das Lichtproblem hatte Paul bei den Proben schon öfter. Doch heute wird es ernst ...
In so einer Lage ist es zwar irgendwie verständlich, dass man unausstehlich wird und herumschnauzt. Trotzdem tat es mir weh, dass er so ungerecht zu mir war. Paul ist für mich nicht irgendwer. Paul ist für mich alles. Auch wenn ich das nicht gern zugebe, aber ich hab mich rettungslos in ihn verknallt: in seine wunderschönen blauen Augen, seinen sensiblen Mund und in seine schlanke, sportliche Figur. Als ich ihn vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe, war ich auf der Stelle verloren. Aber Paul scheint davon nichts zu bemerken.
Normalerweise ist er zwar immer nett zu mir, genau wie zu Alex. Aber mehr als eine gute Freundin bin ich für ihn offensichtlich nicht. Jetzt blickt er auf und schenkt mir zumindest ein schiefes Lächeln.
„Auch schlecht geschlafen?", fragt Susanna und schiebt sich einen Löffel Früchte-Müsli in den Mund. Ich nicke nur. Wenigstens Susanna scheint heute Morgen Appetit zu haben. Paul dagegen sieht aus, als würde er jeden Moment vom Stuhl kippen. Blass, mit dunklen Ringen unter den Augen und schmalem Mund sitzt er da und betrachtet sein Croissant, als wäre es von einem dicken, schimmeligen Flaum bedeckt. Hoffentlich behält er heute Nachmittag die Nerven!
Ich setze mich hin und gieße mir einen Kakao aus der Thermoskanne ein, die vor mir auf dem Tisch steht. Dann stehe ich noch mal auf und hole mir ein Stück Marmorkuchen vom Buffet. Irgendwie werde ich den schon runterkriegen.
Beim Anblick der gebratenen Eier mit Speck, die auch auf dem Frühstücksbuffet angerichtet sind, dreht sich mir fast der Magen um. Wir sitzen noch nicht lange gemeinsam am Tisch, als Susanna sich den letzten Rest Müsli in den Mund schiebt und aufsteht.
„Paul und ich gehen schon mal in den Pferdestall, okay?" Paul springt ebenfalls auf.
„Wir haben noch so viel zu tun", murmelt er.
Fragend sehe ich ihn an. Was meint er? Die erste Vorstellung ist doch erst um fünfzehn Uhr, die Kostüme und die Geschirre sind in allerbestem Zustand, und den Pferden geht es prima.
„Du solltest hierbleiben und auf Alex warten", meint Susanna noch.
„Sonst weiß sie nicht, wo wir stecken. Eigentlich waren wir ja erst später verabredet."
Also gut, wenn sie meinen ... Während Susanna und Paul den Speisesaal verlassen, werfe ich einen Blick auf die Uhr. Fünf vor halb acht. Da muss ich hier wohl noch 'ne Weile rumsitzen und warten. Am besten hole ich mir eine Tageszeitung von dem Stapel dort drüben. Und weil ich den Marmorkuchen tatsächlich aufgegessen habe, werde ich es mal mit einem Croissant und Marmelade versuchen. Eine zweite Tasse Kakao wäre auch nicht schlecht.
Ich stehe auf und hole mir alles an den Tisch. Als ich es mir gerade wieder bequem mache und Kakao nachgieße, betritt Alex den Speisesaal. Ihre langen schwarzen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und genau wie ich trägt sie Jeans und Fleecepulli. Ihre dunkelgrüne Windjacke hängt über ihrem linken Arm. So richtig frisch und erholt sieht sie aber auch nicht aus. Alex sieht mich, lächelt mir zu und kommt an meinen Tisch.
„Hi", begrüßt sie mich.
„Bist du auch viel zu früh wach geworden?" Ich nicke.
„Leider. Susanna und Paul sind sogar schon mit dem Frühstück fertig. Vor ein paar Minuten sind sie Richtung Stallzelte abgezogen." Alex nickt nur. Sie scheint sogar ein bisschen erleichtert zu sein, dass sie bei diesem außergewöhnlich „gemütlichen" Frühstück nicht neben den beiden sitzen muss.
Sie geht zum Buffet, holt sich ein Tablett mit Orangensaft, Brötchen, Butter, Honig und Marmelade und gießt sich Kakao ein. Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander und frühstücken.
Erst als Alex ihr letztes Stück Brötchen heruntergeschluckt hat, meint sie leise: „Du, Anna ..." Alarmiert schaue ich auf.
„Was ist los?" Geistesabwesend sitzt sie da und rührt in ihrer halb vollen Tasse Kakao. Ohne mich anzusehen, murmelt sie: „Ich hab total schlecht geträumt." Ich muss grinsen.
„Das hab ich auch, ob du's glaubst oder nicht. Obwohl ich mich nicht mehr so genau daran erinnern kann." Alex schüttelt den Kopf.
„Aber ich weiß noch jedes Detail. Ich hab von einem Friesenpferd geträumt. In vollem Galopp rannte es durch einen nebligen dunklen Wald. Es muss Winter gewesen sein, jedenfalls hatten die Bäume kahle Äste. Das arme Tier hatte schreckliche Angst, denn hinter ihm brannte es!"
Alex sieht mich mit großen Augen an. Der Schrecken steht ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. „He", murmele ich, nehme ihre Hand, und zum ersten Mal seit längerer Zeit fällt mir wieder ein, dass sie ja zwei Jahre jünger ist als ich. Doch bevor ich noch mehr sagen kann, bricht es regelrecht aus ihr heraus.
„Weißt du, das wäre ja alles gar nicht so furchtbar, wenn ich nicht ..." Sie schluckt.
„Wenn ich nicht das, was in der letzten Zeit mit Isadora und Paul passiert ist, im Traum vorausgesehen hätte."
„Wie bitte?" Jetzt läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Alex nickt.
„Weißt du noch, wie du mich damals aus dem Schlaf gerissen hast, als Susanna mit ihren Friesenpferden auf Gut Waldhof eingezogen ist?"
„Klar." Diesen Morgen werde ich sicher niemals vergessen.
„Damals hatte ich gerade einen total schönen Traum. Ein weißes Pferd trat in einer dunklen Arena auf. Es wurde von einem Scheinwerfer angeleuchtet; es sah so aus, als wäre es ganz alleine. Es piaffierte sogar ... Dann hast du an der Tür geklingelt, und ich wurde wach. Und gestern, als wir beide in der dunklen Köln-Arena standen, fiel mir dieser Traum wieder ein. Denn alles, wirklich alles, was Isadora machte, habe ich schon einmal gesehen."
Ich starre sie an. Von „hellsichtigen Träumen" habe ich schon mal gehört. Allerdings habe ich mich nie gefragt, ob es so etwas wirklich gibt. Aber jetzt ... Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren.
„Okay", sage ich langsam.
„Kann sein, dass dein erster Traum tatsächlich kein Zufall war. Aber das muss noch lange nicht heißen, dass dieser ... dieser Albtraum von heute Nacht auch eine Art Vorhersage ist. Ich habe ja ebenfalls schlecht geträumt. Wetten, Paul und Susanna ging es ähnlich? Und dass bei mindestens einem von uns ein Pferd, noch dazu ein Friese, eine Rolle gespielt hat, ist ja wohl logisch. Schließlich tritt Susanna heute mit Oleander in der Premierenshow auf."
Alex sieht mich an, und in ihrem Gesicht spiegelt sich so etwas wie Erleichterung.
„Meinst du wirklich?"
„Natürlich", sage ich voller Überzeugung. Aber in Wirklichkeit bin ich mir längst nicht so sicher. Eine Viertelstunde später sind wir auf dem Weg zur KölnArena. Im feinen Nieselregen überqueren wir eine Ampel, laufen Slalom um ein paar Pfützen an der Straßenbahn-Haltestelle und erreichen über einige Treppenstufen den rückwärtigen Teil der riesengroßen, supermodernen Halle.
Im Backstage-Bereich ist noch kaum etwas los; nur vereinzelt laufen ein paar Leute in Jeans oder Reitklamotten herum.
Ein Mann führt ein wuschelmähniges Islandpony über den Platz. Wir laufen zielstrebig zu dem weißen Stallzelt, in dem Oleander und Isadora untergebracht sind.
Drinnen ist es angenehm warm. Susanna und Paul haben ihre Pferde aus den Boxen geholt und wienern sie, als müssten sie heute Nachmittag mit ihnen einen Schönheitswettbewerb gewinnen.
„Die sind doch schon total sauber", flüstert Alex mir zu. Ich nicke.
„Aber besser Pferde putzen als nervös Däumchen drehen, oder?" Susanna, die gerade den dichten dunklen Schweif ihres Hengstes Oleander verliest, blickt auf und sieht uns.
„Hallo", begrüßt sie uns. Sie sieht blass aus.
„Anna, würdest du bitte das Kopfstück und den Sattel von Oleander holen und alles noch einmal säubern und einfetten? Die Sattelseife, das Lederfett und ein paar alte Lappen findest du in der großen Putzkiste neben seiner Box."
Ich unterdrücke einen Seufzer. Noch nie habe ich so schön glänzendes und geschmeidiges Geschirr gesehen wie das von Oleander. Aber wir sind ja hergekommen, um zu helfen und nicht, um zu meckern. Also drehe ich mich wortlos um und hole die Sachen.
Im Laufen höre ich Paul sagen: „Ach, Alex, würdest du bitte Isadoras weißes Halfter noch einmal abwaschen? Wenn da auch nur ein bisschen Schmutz dran ist, fällt den Zuschauern heute Nachmittag sofort auf, dass sie ein Halfter trägt. Und sie sollen es ja möglichst nicht bemerken."
„Klar, mach ich", meint Anna. Sie läuft hinter mir her.
„Puh!", flüstert sie. ,“Die beiden sind total mit den Nerven fertig. Paul sieht so aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen."
Hoffentlich passiert das nicht wirklich!, denke ich und schicke ein Stoßgebet zum Himmel. Die Stunden bis zum Auftritt fliegen nur so dahin. Nachdem wir alles zum zweiten oder dritten Mal gründlich gesäubert haben und es wirklich nichts mehr zu tun gibt, holen Paul und Susanna ihre Pferde und bewegen sie eine halbe Stunde, bevor sie noch mal in ihre Boxen kommen.
Etwas später essen wir zu Mittag, und bald darauf beginnt die Show! Alex und ich stehen hinter dem hohen schweren Vorhang, der den Abreiteplatz von der Arena trennt. Der Reitplatz im Zentrum der Arena ist noch dunkel. Ein feines, durchsichtiges Netz in der Form eines hohen Zeltes ist darübergespannt. Doch schon bald wird es langsam emporschweben, Scheinwerfer werden strahlen, Musik wird erklingen und dann ...
Wir spähen hinaus und beobachten, wie die Zuschauerränge sich langsam füllen. Von allen Seiten, durch sämtliche Eingänge strömen Menschen in die riesige Halle und zu ihren Plätzen. Gerade bin ich durch die Eingangshalle gelaufen, um noch etwas zu trinken zu kaufen.
Dabei habe ich mich durch Unmengen von Leuten drängeln müssen: aufgeregte Kinder, strahlende Teenies und gut gelaunte Erwachsene, Hunderte und Tausende von Menschen, die redeten und lachten und dem Beginn der Show entgegenfieberten.
Hoffentlich, hoffentlich geht alles glatt! Neben mir flüstert Alex mit piepsiger Stimme: „Oh Mann, das sind ja wahre Menschenmassen!"
„Das war doch klar, oder?", antworte ich und gebe mir Mühe, meine Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen. Dabei sind meine Handflächen feucht vor Aufregung, und mein Magen wird bei all dem Adrenalin, das er gerade verdauen muss, langsam rebellisch.
Hinter uns stellen sich die ersten Pferde auf: vier weiße Spanier mit ihren Reitern und der palominofarbene Welshpony-Wallach Toppy mit der zwölfjährigen Nora, die das Mädchen Rosa spielt.
Wir haben sie heute Vormittag kennengelernt. Sie ist total nett, überhaupt keine eingebildete Diva und mindestens so aufgeregt wie Susanna und Paul. Und wie wir. Die Showmanagerin läuft herum und inspiziert noch einmal alles mit kritischen Blicken. Dann gibt sie das Zeichen.
Die Scheinwerfer leuchten auf, und die Musik beginnt zu spielen. Nun gibt es kein Zurück mehr. Alex und ich treten zur Seite, die Vorhänge werden aufgezogen, die Pferde setzen sich in Bewegung und laufen in schwungvollem Trab in die Arena.
Fasziniert beobachte ich die bildschönen Tiere und ihre Reiter. Bei jeder schwierigen Dressurlektion halte ich die Luft an und bekomme einen kleinen Schrecken, als plötzlich Applaus aufbrandet. Nora wendet ihren Toppy und reitet ziemlich knapp an uns vorbei, dann hält sie ihr Pony hinter uns an und fragt schnaufend: „Wie waren wir?" Alex strahlt.
„Super! Noch besser als gestern, ehrlich." Ich kann nur stumm nicken, erstens, weil ich dem nichts hinzufügen kann, zweitens, weil ich den sechs Islandpferden ausweichen muss, die gerade im Rennpass an uns vorbei in die Arena sausen, und drittens, weil Susanna und Paul am Rand des Abreiteplatzes aufgetaucht sind und uns zu sich winken.
Also los! Ich straffe die Schultern und laufe mit Alex in einem Bogen um Toppy und die spanischen Pferde herum.
Zu viert verlassen wir die Köln-Arena durch den Hinterausgang. Draußen fällt immer noch Nieselregen auf den Asphalt des Vorplatzes, und die grauen Wolken hängen tief. Kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Vielleicht wäre mir ein bisschen wohler, wenn wenigstens die Sonne scheinen würde, denke ich und schließe schaudernd meinen offenen Anorak.
Zum Glück ist es nicht allzu weit bis zum Stallzelt. Heute Morgen schon habe ich Alex gebeten, dass sie sich um Paul und Isadora kümmert. Ich bin nämlich so aufgeregt, dass ich garantiert in Tränen ausbrechen würde, wenn Paul auch nur ein bisschen unfreundlich zu mir sein würde.
Und das wäre das Letzte, was er jetzt brauchen könnte. Ihm flattern die Nerven mit Sicherheit noch mehr als mir. Also gehe ich mit Susanna in Oleanders Box. Der mächtige Friesenhengst steht dort angebunden, seine lange schwarze Mähne und seinen dichten Schweif haben wir sorgfältig mit glänzenden roten, gelben und orangen Bändern verflochten.
Obwohl ich selbst dabei mitgeholfen habe, bin ich auch jetzt wieder von seiner imposanten Erscheinung beeindruckt. Mit stolzen Schritten kommt Oleander aus der Box. Ich lege ihm seinen schwarzen Sattel auf den Rücken, Susanna schiebt ihm die Trense ins Maul und zäumt ihn auf.
© 2010 SchneiderBuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
„Guten Morgen", begrüße ich die beiden. Vorsichtig werfe ich Paul einen Blick zu. Gestern, kurz vor der Generalprobe, hat er mich ohne jeden Grund ziemlich heftig angemeckert. Und zu allem
Unglück hat sein Auftritt danach nicht besonders gut geklappt. Kurz vor Schluss hat Paul einen falschen Schritt gemacht und voll im Scheinwerferlicht gestanden.
Damit war der beinahe märchenhafte Zauber, der vorher über Isadoras Auftritt gelegen hatte, mit einem Schlag vergangen. Isadora stellt nämlich die keltische Pferdegöttin Epona dar, und es soll so aussehen, als würde sie ganz selbstständig, ohne die Anleitung durch einen Menschen, agieren. Das Lichtproblem hatte Paul bei den Proben schon öfter. Doch heute wird es ernst ...
In so einer Lage ist es zwar irgendwie verständlich, dass man unausstehlich wird und herumschnauzt. Trotzdem tat es mir weh, dass er so ungerecht zu mir war. Paul ist für mich nicht irgendwer. Paul ist für mich alles. Auch wenn ich das nicht gern zugebe, aber ich hab mich rettungslos in ihn verknallt: in seine wunderschönen blauen Augen, seinen sensiblen Mund und in seine schlanke, sportliche Figur. Als ich ihn vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe, war ich auf der Stelle verloren. Aber Paul scheint davon nichts zu bemerken.
Normalerweise ist er zwar immer nett zu mir, genau wie zu Alex. Aber mehr als eine gute Freundin bin ich für ihn offensichtlich nicht. Jetzt blickt er auf und schenkt mir zumindest ein schiefes Lächeln.
„Auch schlecht geschlafen?", fragt Susanna und schiebt sich einen Löffel Früchte-Müsli in den Mund. Ich nicke nur. Wenigstens Susanna scheint heute Morgen Appetit zu haben. Paul dagegen sieht aus, als würde er jeden Moment vom Stuhl kippen. Blass, mit dunklen Ringen unter den Augen und schmalem Mund sitzt er da und betrachtet sein Croissant, als wäre es von einem dicken, schimmeligen Flaum bedeckt. Hoffentlich behält er heute Nachmittag die Nerven!
Ich setze mich hin und gieße mir einen Kakao aus der Thermoskanne ein, die vor mir auf dem Tisch steht. Dann stehe ich noch mal auf und hole mir ein Stück Marmorkuchen vom Buffet. Irgendwie werde ich den schon runterkriegen.
Beim Anblick der gebratenen Eier mit Speck, die auch auf dem Frühstücksbuffet angerichtet sind, dreht sich mir fast der Magen um. Wir sitzen noch nicht lange gemeinsam am Tisch, als Susanna sich den letzten Rest Müsli in den Mund schiebt und aufsteht.
„Paul und ich gehen schon mal in den Pferdestall, okay?" Paul springt ebenfalls auf.
„Wir haben noch so viel zu tun", murmelt er.
Fragend sehe ich ihn an. Was meint er? Die erste Vorstellung ist doch erst um fünfzehn Uhr, die Kostüme und die Geschirre sind in allerbestem Zustand, und den Pferden geht es prima.
„Du solltest hierbleiben und auf Alex warten", meint Susanna noch.
„Sonst weiß sie nicht, wo wir stecken. Eigentlich waren wir ja erst später verabredet."
Also gut, wenn sie meinen ... Während Susanna und Paul den Speisesaal verlassen, werfe ich einen Blick auf die Uhr. Fünf vor halb acht. Da muss ich hier wohl noch 'ne Weile rumsitzen und warten. Am besten hole ich mir eine Tageszeitung von dem Stapel dort drüben. Und weil ich den Marmorkuchen tatsächlich aufgegessen habe, werde ich es mal mit einem Croissant und Marmelade versuchen. Eine zweite Tasse Kakao wäre auch nicht schlecht.
Ich stehe auf und hole mir alles an den Tisch. Als ich es mir gerade wieder bequem mache und Kakao nachgieße, betritt Alex den Speisesaal. Ihre langen schwarzen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und genau wie ich trägt sie Jeans und Fleecepulli. Ihre dunkelgrüne Windjacke hängt über ihrem linken Arm. So richtig frisch und erholt sieht sie aber auch nicht aus. Alex sieht mich, lächelt mir zu und kommt an meinen Tisch.
„Hi", begrüßt sie mich.
„Bist du auch viel zu früh wach geworden?" Ich nicke.
„Leider. Susanna und Paul sind sogar schon mit dem Frühstück fertig. Vor ein paar Minuten sind sie Richtung Stallzelte abgezogen." Alex nickt nur. Sie scheint sogar ein bisschen erleichtert zu sein, dass sie bei diesem außergewöhnlich „gemütlichen" Frühstück nicht neben den beiden sitzen muss.
Sie geht zum Buffet, holt sich ein Tablett mit Orangensaft, Brötchen, Butter, Honig und Marmelade und gießt sich Kakao ein. Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander und frühstücken.
Erst als Alex ihr letztes Stück Brötchen heruntergeschluckt hat, meint sie leise: „Du, Anna ..." Alarmiert schaue ich auf.
„Was ist los?" Geistesabwesend sitzt sie da und rührt in ihrer halb vollen Tasse Kakao. Ohne mich anzusehen, murmelt sie: „Ich hab total schlecht geträumt." Ich muss grinsen.
„Das hab ich auch, ob du's glaubst oder nicht. Obwohl ich mich nicht mehr so genau daran erinnern kann." Alex schüttelt den Kopf.
„Aber ich weiß noch jedes Detail. Ich hab von einem Friesenpferd geträumt. In vollem Galopp rannte es durch einen nebligen dunklen Wald. Es muss Winter gewesen sein, jedenfalls hatten die Bäume kahle Äste. Das arme Tier hatte schreckliche Angst, denn hinter ihm brannte es!"
Alex sieht mich mit großen Augen an. Der Schrecken steht ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. „He", murmele ich, nehme ihre Hand, und zum ersten Mal seit längerer Zeit fällt mir wieder ein, dass sie ja zwei Jahre jünger ist als ich. Doch bevor ich noch mehr sagen kann, bricht es regelrecht aus ihr heraus.
„Weißt du, das wäre ja alles gar nicht so furchtbar, wenn ich nicht ..." Sie schluckt.
„Wenn ich nicht das, was in der letzten Zeit mit Isadora und Paul passiert ist, im Traum vorausgesehen hätte."
„Wie bitte?" Jetzt läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Alex nickt.
„Weißt du noch, wie du mich damals aus dem Schlaf gerissen hast, als Susanna mit ihren Friesenpferden auf Gut Waldhof eingezogen ist?"
„Klar." Diesen Morgen werde ich sicher niemals vergessen.
„Damals hatte ich gerade einen total schönen Traum. Ein weißes Pferd trat in einer dunklen Arena auf. Es wurde von einem Scheinwerfer angeleuchtet; es sah so aus, als wäre es ganz alleine. Es piaffierte sogar ... Dann hast du an der Tür geklingelt, und ich wurde wach. Und gestern, als wir beide in der dunklen Köln-Arena standen, fiel mir dieser Traum wieder ein. Denn alles, wirklich alles, was Isadora machte, habe ich schon einmal gesehen."
Ich starre sie an. Von „hellsichtigen Träumen" habe ich schon mal gehört. Allerdings habe ich mich nie gefragt, ob es so etwas wirklich gibt. Aber jetzt ... Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren.
„Okay", sage ich langsam.
„Kann sein, dass dein erster Traum tatsächlich kein Zufall war. Aber das muss noch lange nicht heißen, dass dieser ... dieser Albtraum von heute Nacht auch eine Art Vorhersage ist. Ich habe ja ebenfalls schlecht geträumt. Wetten, Paul und Susanna ging es ähnlich? Und dass bei mindestens einem von uns ein Pferd, noch dazu ein Friese, eine Rolle gespielt hat, ist ja wohl logisch. Schließlich tritt Susanna heute mit Oleander in der Premierenshow auf."
Alex sieht mich an, und in ihrem Gesicht spiegelt sich so etwas wie Erleichterung.
„Meinst du wirklich?"
„Natürlich", sage ich voller Überzeugung. Aber in Wirklichkeit bin ich mir längst nicht so sicher. Eine Viertelstunde später sind wir auf dem Weg zur KölnArena. Im feinen Nieselregen überqueren wir eine Ampel, laufen Slalom um ein paar Pfützen an der Straßenbahn-Haltestelle und erreichen über einige Treppenstufen den rückwärtigen Teil der riesengroßen, supermodernen Halle.
Im Backstage-Bereich ist noch kaum etwas los; nur vereinzelt laufen ein paar Leute in Jeans oder Reitklamotten herum.
Ein Mann führt ein wuschelmähniges Islandpony über den Platz. Wir laufen zielstrebig zu dem weißen Stallzelt, in dem Oleander und Isadora untergebracht sind.
Drinnen ist es angenehm warm. Susanna und Paul haben ihre Pferde aus den Boxen geholt und wienern sie, als müssten sie heute Nachmittag mit ihnen einen Schönheitswettbewerb gewinnen.
„Die sind doch schon total sauber", flüstert Alex mir zu. Ich nicke.
„Aber besser Pferde putzen als nervös Däumchen drehen, oder?" Susanna, die gerade den dichten dunklen Schweif ihres Hengstes Oleander verliest, blickt auf und sieht uns.
„Hallo", begrüßt sie uns. Sie sieht blass aus.
„Anna, würdest du bitte das Kopfstück und den Sattel von Oleander holen und alles noch einmal säubern und einfetten? Die Sattelseife, das Lederfett und ein paar alte Lappen findest du in der großen Putzkiste neben seiner Box."
Ich unterdrücke einen Seufzer. Noch nie habe ich so schön glänzendes und geschmeidiges Geschirr gesehen wie das von Oleander. Aber wir sind ja hergekommen, um zu helfen und nicht, um zu meckern. Also drehe ich mich wortlos um und hole die Sachen.
Im Laufen höre ich Paul sagen: „Ach, Alex, würdest du bitte Isadoras weißes Halfter noch einmal abwaschen? Wenn da auch nur ein bisschen Schmutz dran ist, fällt den Zuschauern heute Nachmittag sofort auf, dass sie ein Halfter trägt. Und sie sollen es ja möglichst nicht bemerken."
„Klar, mach ich", meint Anna. Sie läuft hinter mir her.
„Puh!", flüstert sie. ,“Die beiden sind total mit den Nerven fertig. Paul sieht so aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen."
Hoffentlich passiert das nicht wirklich!, denke ich und schicke ein Stoßgebet zum Himmel. Die Stunden bis zum Auftritt fliegen nur so dahin. Nachdem wir alles zum zweiten oder dritten Mal gründlich gesäubert haben und es wirklich nichts mehr zu tun gibt, holen Paul und Susanna ihre Pferde und bewegen sie eine halbe Stunde, bevor sie noch mal in ihre Boxen kommen.
Etwas später essen wir zu Mittag, und bald darauf beginnt die Show! Alex und ich stehen hinter dem hohen schweren Vorhang, der den Abreiteplatz von der Arena trennt. Der Reitplatz im Zentrum der Arena ist noch dunkel. Ein feines, durchsichtiges Netz in der Form eines hohen Zeltes ist darübergespannt. Doch schon bald wird es langsam emporschweben, Scheinwerfer werden strahlen, Musik wird erklingen und dann ...
Wir spähen hinaus und beobachten, wie die Zuschauerränge sich langsam füllen. Von allen Seiten, durch sämtliche Eingänge strömen Menschen in die riesige Halle und zu ihren Plätzen. Gerade bin ich durch die Eingangshalle gelaufen, um noch etwas zu trinken zu kaufen.
Dabei habe ich mich durch Unmengen von Leuten drängeln müssen: aufgeregte Kinder, strahlende Teenies und gut gelaunte Erwachsene, Hunderte und Tausende von Menschen, die redeten und lachten und dem Beginn der Show entgegenfieberten.
Hoffentlich, hoffentlich geht alles glatt! Neben mir flüstert Alex mit piepsiger Stimme: „Oh Mann, das sind ja wahre Menschenmassen!"
„Das war doch klar, oder?", antworte ich und gebe mir Mühe, meine Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen. Dabei sind meine Handflächen feucht vor Aufregung, und mein Magen wird bei all dem Adrenalin, das er gerade verdauen muss, langsam rebellisch.
Hinter uns stellen sich die ersten Pferde auf: vier weiße Spanier mit ihren Reitern und der palominofarbene Welshpony-Wallach Toppy mit der zwölfjährigen Nora, die das Mädchen Rosa spielt.
Wir haben sie heute Vormittag kennengelernt. Sie ist total nett, überhaupt keine eingebildete Diva und mindestens so aufgeregt wie Susanna und Paul. Und wie wir. Die Showmanagerin läuft herum und inspiziert noch einmal alles mit kritischen Blicken. Dann gibt sie das Zeichen.
Die Scheinwerfer leuchten auf, und die Musik beginnt zu spielen. Nun gibt es kein Zurück mehr. Alex und ich treten zur Seite, die Vorhänge werden aufgezogen, die Pferde setzen sich in Bewegung und laufen in schwungvollem Trab in die Arena.
Fasziniert beobachte ich die bildschönen Tiere und ihre Reiter. Bei jeder schwierigen Dressurlektion halte ich die Luft an und bekomme einen kleinen Schrecken, als plötzlich Applaus aufbrandet. Nora wendet ihren Toppy und reitet ziemlich knapp an uns vorbei, dann hält sie ihr Pony hinter uns an und fragt schnaufend: „Wie waren wir?" Alex strahlt.
„Super! Noch besser als gestern, ehrlich." Ich kann nur stumm nicken, erstens, weil ich dem nichts hinzufügen kann, zweitens, weil ich den sechs Islandpferden ausweichen muss, die gerade im Rennpass an uns vorbei in die Arena sausen, und drittens, weil Susanna und Paul am Rand des Abreiteplatzes aufgetaucht sind und uns zu sich winken.
Also los! Ich straffe die Schultern und laufe mit Alex in einem Bogen um Toppy und die spanischen Pferde herum.
Zu viert verlassen wir die Köln-Arena durch den Hinterausgang. Draußen fällt immer noch Nieselregen auf den Asphalt des Vorplatzes, und die grauen Wolken hängen tief. Kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Vielleicht wäre mir ein bisschen wohler, wenn wenigstens die Sonne scheinen würde, denke ich und schließe schaudernd meinen offenen Anorak.
Zum Glück ist es nicht allzu weit bis zum Stallzelt. Heute Morgen schon habe ich Alex gebeten, dass sie sich um Paul und Isadora kümmert. Ich bin nämlich so aufgeregt, dass ich garantiert in Tränen ausbrechen würde, wenn Paul auch nur ein bisschen unfreundlich zu mir sein würde.
Und das wäre das Letzte, was er jetzt brauchen könnte. Ihm flattern die Nerven mit Sicherheit noch mehr als mir. Also gehe ich mit Susanna in Oleanders Box. Der mächtige Friesenhengst steht dort angebunden, seine lange schwarze Mähne und seinen dichten Schweif haben wir sorgfältig mit glänzenden roten, gelben und orangen Bändern verflochten.
Obwohl ich selbst dabei mitgeholfen habe, bin ich auch jetzt wieder von seiner imposanten Erscheinung beeindruckt. Mit stolzen Schritten kommt Oleander aus der Box. Ich lege ihm seinen schwarzen Sattel auf den Rücken, Susanna schiebt ihm die Trense ins Maul und zäumt ihn auf.
© 2010 SchneiderBuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Angela Waidmann
Angela Waidmann schrieb schon in ihrer Grundschulzeit die ersten Gruselgeschichten und führte diese ehrenwerte Tradition auch auf dem Gymnasium weiter. Heute lebt Angela Waidmann mit ihrem Mann und ihrem Sohn in einem Dorf in Unterfranken. Sie arbeitet unter anderem als Jugendbuch-Autorin - und schreibt immer noch am liebsten Gruselgeschichten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Angela Waidmann
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2010, 155 Seiten, Maße: 12,5 x 18,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Schneiderbuch
- ISBN-10: 3505127426
- ISBN-13: 9783505127427
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