Marc Chagall, Der Maler am Fenster

Ein Gemälde beschreibt den Blick aus einem imaginären Fenster in die Welt, so will es die allgemeine Übereinkunft in der Kunst seit der italienischen Renaissance. Im uvre von Marc Chagall besitzt das Fensterbild einen zentralen und geradezu programmatischen Stellenwert. Während er in seinem Frühwerk romantische Sujet der Frau am Fenster bildnerisch umkreist, wird die Fensterthematik zunehmend zu einem bevorzugten Sujet für seine ganz persönliche Bildsprache, in der sich Religion, Mythos und persönliches Erleben verbinden. In Chagalls Fensterbildern entsteht ein malerisches Fluidum, in dem die physischen Raumgrenzen von Innenraum und Außenwelt miteinander verschmelzen. Rund einhundert Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken illustrieren dieses Phänomen im Werk Chagalls. Hierbei wird ein zeitlicher Bogen von den ganz frühen Zeichnungen aus den Jahren 1908/09 bis hin ins fulminante, farbenprächtige Spätwerk der späten 70er Jahre gespannt. Das Bildmaterial umfasst nicht nur Werke, indenen das Fenster bei Chagall zentrales Bildmotiv ist. Vielmehr wird auch seine künstlerische Beschäftigung mit der Ausgestaltung monumentaler Kirchenfenster anhand ausgewählter Beispiele wie den Kathedralen von Reims und Chichester behandelt. Die Essay-Beiträge stellen die malerische Entwicklung Chagalls unter Hinweis auf seine Beschäftigung mit künstlerischen Vorbildern in die Dialektik von Tradition und Innovation.