Mary, Mary
''Julie Parsons hat ein ungewöhnliches Gespür für das Böse, ein sublimes Talent, Angst aufzubauen.''
Die Welt
Mary, Mary von Julie Parsons
LESEPROBE
Plötzlich schaute er auf. Einlautes Geräusch, Glas und Metall klirrten gegeneinander. Die Stimme einerFrau, scharf und vorwurfsvoll, vermischt mit dem beharrlichen Miauen einerSiamkatze. Kater und Frau erschienen zusammen in der Küche, ein Durcheinandervon Beinen und Füßen. »Du hast ihn nicht gefüttert.«
»Ich wußtenicht, daß er gefüttert werden sollte.«
»Na ja, wenn du nur manchmal an ihndenken würdest, überhaupt an andere denken würdest. « Ihre Worte waren undeutlichund lallend. Sie roch nach Pub. Zigarettenrauch undder süßliche Geruch von Lagerbier. Sie zog Schubladen auf und warf Schranktürenzu, endlich fand sie eine Dose Katzenfutter und einen Dosenöffner. Sie häufteFutter auf einen Teller, stellte ihn nachlässig auf den Boden und verschüttetedabei überall braune Fleischwürfel und orangefarbene Soße.
»Paßauf«, sagte er. »Ich hab' da gerade saubergemacht.« »Mal was Neues.« Sie hocktesich mit ungeschickten, unkoordinierten Bewegungen neben den schnurrenden Katerund streichelte seinen cremeweißen Körper. Als sie ihn berührte, machte ereinen Buckel.
»Liebe Mieze, gute Mieze, süßeMieze, Mamas Baby«, schmeichelte sie ihm ins spitze braune Ohr und sah anklagendzu McLoughlin auf. »Du hast mir nicht gesagt, daß dumit diesem Fall zu tun hast.«
»Mit welchem Fall?«
Sie stand auf und schenkte sich Brandyein, goß ihn achtlos in ein hohes Glas. »Mit welchemFall?« imitierte sie ihn. »Ich habe dich um neun in den Nachrichten gesehen. Inder Kneipe. Alle haben darüber gesprochen.«
»Du warst weg, als ich den Anrufbekam. Beim Wandern, oder?«
»Du hättest mitkommen sollen. Dannhätten sie einen anderen Star finden müssen, der ihre Untersuchung leitet.« Ersetzte sich auf dem Stuhl zurück und sah sie an. Wann
war das alles geschehen? Daß sie sich nicht mehr liebten. Kein magischer Wendepunkt.Kein einzelnes Ereignis. Einfach die langsame, traurige Anhäufung vonVerachtung und Widerwillen, die zu Abscheu und Verzweiflung führte.
Sie leerte ihr Glas und stand auf.»Ich gehe zu Bett. Kommst du?«
»Bald.«
Im Wohnzimmer stand ein Foto aufdem Kaminsims. Er hatte den Silberrahmen zu ihrem ersten Hochzeitstag gekauft.Es war im Sommer davor aufgenommen. Janey auf demPier in Dun Laoghaire. Sie trug ein lose herabfallendes, langes Kleid mit kleinen rosa und weißenBlumen. Ihr Haar, jetzt eisengrau, fiel in blonden Locken um ihr Gesicht. Dieblauen Augen hielt sie gegen die Sonne zugekniffen, und die Wangen warengerötet vor Glück. Sie waren an diesem Tag mit seinem Motorroller zum Piergefahren und dann nach Killiney zu einem Picknick.Sie hatten eine Stelle auf dem Hügel gefunden, wo nichts zwischen ihnen undder See war außer Stechginster und Adlerfarn, und sie hatten sich geliebt. Fürihn war es das erste Mal, daß er so weit ging, nichtaber für sie. Er fand, er habe nie etwas so Wundervolles berührt wie ihrerunden Brüste. Er lag mit seinem Kopf zwischen ihnen und als er soweit war, zogsie ihn in sich hinein. Er kam, so erinnerte er sich, fast sofort. Aber siehatte gelächelt und ihn geküßt und ihm gesagt, daß sie ihn liebte. Er stand auf und ging den Flur zumSchlafzimmer entlang. Er öffnete die Tür. Sanftes Schnarchen klang ihmentgegen. Leise schloß er die Tür wieder.
Als er das nächste Mal von der Aktehochsah, war es schon spät. Er goß sich noch einen Brandy ein und machte die Doppeltür auf, die auf diegeflieste Veranda hinausführte. Die Stadt lag glitzernd und schimmernd vor ihmausgebreitet. Straßen und Wege zogen tiefe Lichtfurchen durch das Dunkel.Kreisverkehrsinseln glühten wie magische Symbole.
© DroemerKnaur
Übersetzung: Doris Styron
- Autor: Julie Parsons
- 2000, 380 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426616866
- ISBN-13: 9783426616864
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