Mein Leben als Mann
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Mein Leben als Mann von Philip Roth
LESEPROBE
Bei denzornigen Ergüssen über ihren Familiennamen war Sharon komischer denn je -allerdings unfreiwillig. In Wahrheit fand Zuckermansie, wenn sie nicht gerade eine heiße Nummer für ihn abzog, ziemlichlangweilig. Sie hatte von nichts eine Ahnung. Weder konnte sie das G in »length« richtig aussprechen noch das H in »when« oder »why« aspirieren, ganzzu schweigen von »whale«, falls das Gespräch jezufällig auf Melville gekommen wäre. Dafür hatte sie ein Cockney-Philadelphia-Odrauf, wie er es sonst allenfalls bei Taxifahrern gehört hatte. Kapierte sieausnahmsweise eine seiner Pointen, dann seufzte sie und rollte die Augen genHimmel, so als wären seine Feinsinnigkeiten denen ihres Vaters gleichzu setzen - Zuckerman, derH.L. Mencken des Bass College!, dessen Leitartikel(über Verfehlungen der Verwaltung und der Studentenschaft) Miss Benson mit dem gnadenlosen Witz eines Jonathan Swiftverglichen hatte! Wie sollte er jemals mit Sharon nach Bass fahren, um Miss Benson zu besuchen? Was, wenn Sharon anfinge, Miss Benson ihre ebenso sinn- wie endlosen Anekdoten von sichund irgendwelchen High-School-Freundinnen zuerzählen? Oh, wenn sie ins Reden kam, konnte sie einen in Langeweile ertränken!In Gesprächen brachte Sharon selten einen Satz zu Ende, denn meistens papptesie zu Zuckermans Verdruß,die Wörter mit Hilfe einer klebrigen Mixtur von »weißt du« und »ich finde«zusammen oder mit begeisterten Ausrufen wie »echt toll«, »echt irre« und »echtKlasse« letzteres gewöhnlich zur Charakterisierung der Bande von Halbwüchsigen,mit der sie sich als Fünfzehnjährige in Atlantic City rumgetrieben hatte, erstim vorletzten Sommer.
Vulgär,kindisch, ungebildet, bar jener Zartheit des Gefühls und Vornehmheit desGeistes, die er inzwischen so bewunderte in den Romanen - und in der Person -von Virginia Woolf, deren Foto während seines letzten Semesters in Bass überseinem Schreibtisch an die Wand gepinnt war. Als ernach diesem wilden und verrückten Monat zur Armee ging, war er insgeheimerleichtert, Als und Minnas hochaufgeschossenen Sprößling zurückgelassen zu haben (scheinbar so, wie er sievorgefunden hatte); sie war eine faszinierende Sklavin und toll im Bett, aberkaum die richtige Seelenpartnerin für jemanden, der gegenüber großen Autorenund großen Büchern empfand wie er. So jedenfalls schien es ihm bis zu dem Tag, an dem man ihm sein M1-Gewehraushändigte und er feststellte, daß er jedenbrauchte, den er hatte.
»Ich liebedeinen Schwanz«, schluchzte das Mädchen ins Telefon. »Dein Schwanz fehlt mir sosehr. Oh, Nathan, ich spiele mit meiner Möse, ich spiele mit meiner Möse undstelle mir vor, daß du es bist. Oh, Nathan, soll ichkommen, jetzt hier am Telefon? Nathan -?«
In Tränenaufgelöst, voller Entsetzen, wankte er aus der Telefonzelle: allein derGedanke, daß es ihn und seine Genitalien schon baldnicht mehr geben würde! Oh, und wenn nur die Genitalien dran glauben mußten, während er weiterlebte - angenommen, unter seinenStiefeln würde eine Landmine explodieren, und dann würde man ihn zurückschickenzu einem Mädchen wie Sharon Shatzky, mit einerLeerstelle zwischen den Beinen. »Nein!« befahl ersich. »Hör auf, so was zu denken! Schluß damit!Benutz deinen Verstand! Ist doch bloß ein irrationales Schuldgefühl wegenSharon und der Gurke - ist doch bloß die Angst vor Strafe, weil du die Tochtervor der Nase des Vaters gebumst hast! Klassischer Fall vonBestrafungsphantasien! So was kann einfach nicht passieren!«Ihm jedenfalls nicht, das war es, was er meinte, denn in einem Krieg passierensolche Dinge durchaus, und zwar jeden Tag.
Und dannlandete er nach acht Wochen Infanterieausbildung und weiteren acht Wochen aufder MP School in der Schreibstube einer Versorgungseinheit in Fort Campbell, imhintersten Süd westen von Kentucky, sechzig Meilen östlich von Paducah und achttausend Meilen östlich von den Landminen.Glückspilz Zuckerman! Nutznießer eines jeneradministrativen Irrtümer, durch die aus Verdammten urplötzlich Begnadigtewerden und aus Sonntagskindern über Nacht Todeskandidaten. Auch solche Dingepassieren jeden Tag.
Zuckermankonnte nur mit den Zeigefingern tippen und war gänzlich unbedarft, was Ablageund das Ausfüllen von Formularen anging; doch zu seinem Glück war der für denihm zugeteilten Bereich verantwortliche Hauptmann so froh darüber, einen Judenals Prügelknaben zu haben - und auch solche Dinge passieren -, daß er bereit war, sich mit einem unfähigen Gehilfenabzufinden. Er verzichtete darauf, den administrativen Fehler zu korrigieren -was jener unfähige Gehilfe ständig befürchtete -, der Zuckermannach Fort Campbell statt in sein blutiges Verderben befördert hatte, das imSchlamm hinter einem Puff in Seoul auf ihn lauerte, und er forderte auch keinenErsatz für ihn an. Statt dessen nutzte Captain Clarkdie Gelegenheit, sich jeden Nachmittag einzuspielen, ehe er zur täglichen Rundeüber den Golfplatz beim Flug ha fen aufbrach, indem er Baumwoll-Golfbälle aus seinem Bürohinüber zu der Nische schlug, in der sein inkompetenter Schreiber saß. Zuckerman gab sich alle Mühe, einen gelassenen Eindruck zumachen, wenn die Golfbälle von seinem Hemd abprallten. »Treffer, Sir«, sagte ermit einem Lächeln. »Nich ganss«,erwiderte sein Vorgesetzter, auf das Spiel konzentriert, »nichganss «, und er fuhr fort, Golfbälle durch dieoffene Tür seines Büros zu peitschen, bis er endlich sein Ziel traf. »Ah, das isses, Zuckelman, genau auf denRüssel.«
SadistischerHund! Südstaaten-Schwein! Jeden Tag nach Dienstschlußmachte sich Zuckerman auf den Weg zum Büro desGeneraladjutanten, um sich offiziell über CaptainClark zu beschweren (der, soweit er wußte, heimlichMitglied des Ku-Klux-Klan war). Aber da Zuckermaneigentlich in Kentucky gar nicht sein durfte, sondern einen Vernichtungskriegin Korea führen sollte (wo er noch immer landen konnte, wenn er sich mit Clarkanlegte), erschien es ihm jedesmal wieder ratsam,seine Empörung zu unterdrücken und zum Abendessen in die Kantine zu gehen undanschließend in die Standortbibliothek, wo er seine Lektüre von Werken derBloomsbury-Gruppe fortsetzte, sich dabei allerdings etwa alle Stunde eine Pausegönnte, um einen weiteren Blick auf den jüngsten obszönen Brief der verdorbenenHalbwüchsigen zu werfen, die endgültig aufzugeben er sich immer noch nicht ganzhatte entschließen können. Aber verdammt noch mal, er war sauer! SeineMenschenwürde! Seine Menschenrechte! Seine Religion! Oh, wie er jedesmal, wenn so ein Baumwoll-Golfball weich von seinemFleisch abprallte, vor Empörung kochte was jedoch (wie der gemeine Soldat Zuckerman sehr genau wußte) etwasganz anderes ist, als blutüberströmt zu sein. Auch ist es etwas ganz anderesals das, was in der Literatur, und im übrigen auch imLeben, mit Leiden oder Schmerz bezeichnet wird.
Zuckermanwürde den Schmerz freilich noch früh genug kennenlernen- als Entfremdung, als Demütigung, als wütende und gnadenlose Feindschaft, inGestalt von Widersachern, die keine respektablen Dekane oder liebenden Väteroder beschränkten Offiziere im Army Quartermaster Corps waren; o ja, schon bald würde derSchmerz in seinem Leben eine Rolle spielen, und das nicht ganz ohne sein Zutun.Sein liebender Vater hatte ihn gewarnt: Wer den Schlamassel sucht, der wird ihnauch finden - und es sollte eine große Überraschung werden. Denn an Schärfe undan Dauer, an purer Schmerzhaftigkeit sollte es alles übertreffen, was er zuHause, in der Schule oder bei der Armee erlebt hatte, und es sollte allesübertreffen, was er sich ausgemalt hatte, wenn er das gequälte, seelenvolleGesicht von Virginia Woolf betrachtete oder als er seine ausgezeichnete Abschlußarbeit über die unterschwellige Seelenangst inihren Romanen schrieb. Schon bald nachdem er dank eines schicksalhaftenVersehens - seine letzte üppige Portion Anfängerglück, wie sich herausstellensollte - in die ländlichen Gefilde der amerikanischen Südstaaten geraten warstatt auf die Schlachtfelder Koreas, sollte den jungen Konquistador das Unglückereilen. Er würde anfangen zu zahlen für die Eitelkeit und die Ignoranznatürlich, vor allem aber für die Widersprüche: die scharfe Zunge und die dünneHaut, die geistigen Sehnsüchte und die lüsternen Begierden, die einfältigen,jungenhaften Bedürfnisse und die männlichen, die autoritären Ambitionen. Ja, imLaufe der nächsten zehn Jahre seines Lebens sollte er über Bescheidenheit alldas lernen, was er wohl, nach dem Willen seines Vaters, schon von Dale Carnegiehatte lernen sollen, und noch so manches. Und noch somanches mehr.
Aber dasist eine andere Geschichte, eine Geschichte, die so entsetzlich ist, daß dagegen der kleinkarierte,antisemitische Südstaaten-Offizier, der mit Baumwoll-Golfbällen auf seine Nasezielte, daß selbst die siebzehnjährige Sharon Shatzky, die für ihn auf einer Gurke ritt wie eine Pigalle-Hure bei einer Sex-Show, gleichermaßen Teile seineridyllischen und unschuldigen Jugend zu sein schienen wie jener längstvergangene Nachmittag in Caroline Bensons Garten beiTee und Brunnenkresse-Sandwiches. Die Geschichte von Zuckermans Leiden erfordert eine weit ernsthaftereHerangehensweise als die Schilderung jener unbeschwerten Zeit, als er noch grünwar hinter den Ohren. Um das Unglück wahrheitsgetreu zu berichten, das Zuckerman jenseits der Zwanzig widerfuhr, bedarf es einestieferen Durchforschens, einer dunkleren Ironie, einer ernsten undnachdenklichen Stimme anstelle der amüsierten Perspektive von der Spitze desOlymps herab Aber möglicherweise braucht diese Geschichte weder Ernst nochKomplexität, sondern lediglich einen anderen Erzähler, einen, der sie auch alsdie simple, fünftausend Wörter lange Komödie sieht, die sie wohl tatsächlichwar. Bedauerlicherweise sieht sich der Autor dieser Geschichte, zumal ihm etwaim gleichen Alter ein ähnliches Unglück widerfuhr, nicht in der Lage, auchjetzt mit Mitte Dreißig noch nicht, die Angelegenheit knapp zu berichten oderkomisch zu finden. »Bedauerlicherweise« deswegen, weil er sich fragt, ob diesnicht eher etwas über das Maß des Menschen aussagt als über das Maß desUnglücks.
© Hanser Verlag
Übersetzung:Günter Panske
- Autor: Philip Roth
- 2007, 416 Seiten, Maße: 15,4 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Günter Panske
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446207651
- ISBN-13: 9783446207653
- Erscheinungsdatum: 03.03.2007
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