Meine Zeit der Trauer
Joyce Carol Oates und Raymond Smith waren über ein halbes Jahrhundert ein Paar. Im Moment seines Todes ist Oates nicht nur dem Schmerz des Verlustes und dem Alleinsein ausgesetzt, sondern auch der Tatsache, weiterleben zu müssen. Wie sieht ein Leben aus,...
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Produktinformationen zu „Meine Zeit der Trauer “
Klappentext zu „Meine Zeit der Trauer “
Joyce Carol Oates und Raymond Smith waren über ein halbes Jahrhundert ein Paar. Im Moment seines Todes ist Oates nicht nur dem Schmerz des Verlustes und dem Alleinsein ausgesetzt, sondern auch der Tatsache, weiterleben zu müssen. Wie sieht ein Leben aus, wenn der Mensch nicht mehr da ist, mit dem man in Freundschaft und Liebe, in Höhen und Tiefen alles geteilt hat? Nie zuvor hat Oates so tiefen Einblick in ihr Innerstes gegeben. Hier tut sie es, bewegend, klug und überraschend. Wir lernen eine andere Joyce Carol Oates kennen: eine starke Frau, die am Ende sagen kann "Dies ist jetzt mein Leben".
Lese-Probe zu „Meine Zeit der Trauer “
Meine Zeit der Trauer von Joyce Carol OatesGrausam dumm gut gemeint
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»Ohhh, Joyce, du trägst Pink. Wie schön.«
Wie ein Schlag ins Gesicht, wie ein Tritt in den Magen trifft mich dieser Ausruf einer Frau, als wir mit mehreren anderen Frauen nach dem Gedenkgottesdienst für Robert Fagles in der Kapelle der Universität in Princeton zusammenstehen. Direkt befreundet bin ich mit der Frau nicht, sie ist eher eine alte Bekannte und war mir früher recht sympathisch, jetzt aber möchte ich nur weg von ihr.
Was sollte ich denn tragen? Schwarz?
Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen? Und wie dumm von dir, ein dunkles Rosa mit »Pink« zu verwechseln.
Natürlich gelingt es mir, höflich zu bleiben. Vielleicht gelingt mir sogar ein Lächeln. Nur meine Freundin Jane sieht mir den Schrecken an, den Schmerz in meiner ungläubigen Miene.
Sie meint es doch gut. Sie will dich nicht ärgern. Sie ist ungeschickt, unbeholfen, sie weiß nicht, was sie sagen soll, und sie weiß nicht, wie sie es nicht sagen soll.
Trotzdem verschwinde ich, sobald es geht.
»Noch einmal neu anfangen, wie nach einer Scheidung, kann auch sein Gutes haben.«
Der Mann lächelt so nett, er legt solch liebenswürdigen Nachdruck in seine Stimme, da ist es doch unfreundlich von mir, wenn ich ihn darauf hinweise, dass mein Mann und ich nicht geschieden sind. »Ich bin Witwe. Das ist ein Unterschied.«
Aber er bleibt dabei. »So groß ist der nicht. Wenn man's genau nimmt. Es beginnt etwas Neues. Sie können jede beliebige Richtung einschlagen.«
»Ach ja?«
»Der Ehepartner ist nicht mehr da. Das ist eine Tatsache. Ob er nun ausgezogen ist oder was auch immer.«
Er ist ein Bauunternehmer, den ich habe kommen lassen, damit er mir einen Kostenvoranschlag für Renovierungsarbeiten am Haus erstellt. Ich kenne ihn nicht, Freunde haben ihn mir empfohlen. Auch Ray kannte ihn nicht, und er hatte Ray nicht gekannt. Daher seine Liebenswürdigkeit und seine Gewissheit, er selbst war nämlich geschieden, gebeutelt, erschüttert und gedemütigt, inzwischen aber darüber hinweg.
»Das Haus gehört Ihnen, Sie können damit machen, was Sie wollen. Sie können es renovieren, Sie können es vergrößern, Sie können es verkaufen. So sieht das aus.«
Findet dieses bizarre Gespräch wirklich statt? Oder ist es doch nur eine völlig normale, vernünftige Unterhaltung, wie man sie mit Frauen führt, die gerade erst ihren Mann verloren haben, und ich bin nur überempfindlich wie jemand, dem man die äußere Hautschicht abgezogen hat? Ich möchte mich nicht aufregen, denn natürlich meint auch dieser Mann es gut, es liegt ihm fern, grausam und dumm zu sein, er will mir nur sagen: Betrachte es von der guten Seite! Was soll der Trübsinn? Das ist eine einmalige Gelegenheit!
Als der Bauunternehmer sich verabschiedet, bin ich erschöpft und wie betäubt. Ich zerreiße seine prahlerische kleine Visitenkarte. Auf seine munteren, allzu lauten telefonischen Mitteilungen werde ich nicht reagieren. Sollte er eines Tages seinen Pick-up in meine Einfahrt lenken, so als wolle er spontan, wo er schon mal in der Gegend ist, bei mir vorbeischauen, werde ich in den hinteren Teil des Hauses laufen, weit weg von der Eingangstür, und mich verstecken.
»Ach, Joyce! Es hat mir so leidgetan, als ich davon gehört habe.«
Mitten beim Abendessen mit Freunden in einem Princetoner Restaurant, mitten in unsere heitere Atmosphäre hinein stürzt sich, nachdem er mich erspäht hat, ein Raubvogel auf uns. Ich hatte diese Person schon auf dem Weg zu mir bemerkt, und diesmal sage ich rasch und hoffe, dabei zu lächeln, während es mir in Wahrheit einen heftigen Stich ins Herz versetzt: »Jetzt bitte nicht. Danke, aber der Zeitpunkt ist ungünstig.«
Edmund White berichtet mir, eine gemeinsame Bekannte, Verwaltungsangestellte der Universität, habe ihm gegenüber ihr Bedauern darüber geäußert, dass sie »nicht dazu gekommen« sei, »Joyce ein paar Blumen zu schicken«. Wir lachen zusammen über diese Bemerkung, über all das, was eine solche Bemerkung in sich birgt, als ob mir Blumen von dieser Frau und überhaupt ein Ausdruck von Mitgefühl oder dergleichen seitens dieser Frau irgendetwas bedeuten würden.
»Ich habe gesagt, sie braucht sich keine Sorgen zu machen«, erzählte Edmund. »Blumen hättest du bereits in Hülle und Fülle.«
Ganz aufrichtig spendet eine Freundin mir Trost.
»Trauer ist neurologisch feststellbar. Am Ende werden die Neuronen wieder richtig geschaltet. Ich finde, wenn das so ist, beschleunigt es den Prozess bei dir vielleicht, dass du das weißt.«
»Wir möchten dich sehen, Joyce! Es ist schon so lange her.«
Ich sitze mit Freunden, drei Paaren, darunter unsere ältesten Princetoner Freunde, in einem anderen Princetoner Restaurant, und einer der Männer erhebt sein Glas und bringt einen Toast auf die Ehe aus, auf langhaltende Ehen, denn jedes dieser drei Paare ist seit über fünfzig Jahren verheiratet. Die Unterhaltung wendet sich alten Zeiten zu, den Anfangszeiten ihrer Ehe. Ausgiebig schwelgen sie in Erinnerungen, besonders einer kann gar nicht mehr aufhören. Mir wird ganz elend, ich möchte nur noch weg von diesen Leuten, weg von ihrem unbedachten, grausamen Gerede, das mich ausschließt, als hätten sie Ray, der ihr Freund gewesen war, nie gekannt. Wieso merken sie nicht, dass sie mir weh tun? Obwohl sie Ray alle doch so gut gekannt hatten ...
»Entschuldigt mich. Ich muss gehen.«
Zum ersten Mal seit mein Mann gestorben ist, weine ich in der Öffentlichkeit und ziehe mich fluchtartig zurück, während meine Freunde mir nachsehen. Einer der Männer geht mir hinterher, bittet um Verzeihung, will freundlich sein, aber ich kann nicht mit ihm reden, ich muss weg.
Der erste Zusammenbruch in der Öffentlichkeit und der letzte.
»Und was wirst du jetzt tun? Dein Haus verkaufen?«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
»Ohhh, Joyce, du trägst Pink. Wie schön.«
Wie ein Schlag ins Gesicht, wie ein Tritt in den Magen trifft mich dieser Ausruf einer Frau, als wir mit mehreren anderen Frauen nach dem Gedenkgottesdienst für Robert Fagles in der Kapelle der Universität in Princeton zusammenstehen. Direkt befreundet bin ich mit der Frau nicht, sie ist eher eine alte Bekannte und war mir früher recht sympathisch, jetzt aber möchte ich nur weg von ihr.
Was sollte ich denn tragen? Schwarz?
Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen? Und wie dumm von dir, ein dunkles Rosa mit »Pink« zu verwechseln.
Natürlich gelingt es mir, höflich zu bleiben. Vielleicht gelingt mir sogar ein Lächeln. Nur meine Freundin Jane sieht mir den Schrecken an, den Schmerz in meiner ungläubigen Miene.
Sie meint es doch gut. Sie will dich nicht ärgern. Sie ist ungeschickt, unbeholfen, sie weiß nicht, was sie sagen soll, und sie weiß nicht, wie sie es nicht sagen soll.
Trotzdem verschwinde ich, sobald es geht.
»Noch einmal neu anfangen, wie nach einer Scheidung, kann auch sein Gutes haben.«
Der Mann lächelt so nett, er legt solch liebenswürdigen Nachdruck in seine Stimme, da ist es doch unfreundlich von mir, wenn ich ihn darauf hinweise, dass mein Mann und ich nicht geschieden sind. »Ich bin Witwe. Das ist ein Unterschied.«
Aber er bleibt dabei. »So groß ist der nicht. Wenn man's genau nimmt. Es beginnt etwas Neues. Sie können jede beliebige Richtung einschlagen.«
»Ach ja?«
»Der Ehepartner ist nicht mehr da. Das ist eine Tatsache. Ob er nun ausgezogen ist oder was auch immer.«
Er ist ein Bauunternehmer, den ich habe kommen lassen, damit er mir einen Kostenvoranschlag für Renovierungsarbeiten am Haus erstellt. Ich kenne ihn nicht, Freunde haben ihn mir empfohlen. Auch Ray kannte ihn nicht, und er hatte Ray nicht gekannt. Daher seine Liebenswürdigkeit und seine Gewissheit, er selbst war nämlich geschieden, gebeutelt, erschüttert und gedemütigt, inzwischen aber darüber hinweg.
»Das Haus gehört Ihnen, Sie können damit machen, was Sie wollen. Sie können es renovieren, Sie können es vergrößern, Sie können es verkaufen. So sieht das aus.«
Findet dieses bizarre Gespräch wirklich statt? Oder ist es doch nur eine völlig normale, vernünftige Unterhaltung, wie man sie mit Frauen führt, die gerade erst ihren Mann verloren haben, und ich bin nur überempfindlich wie jemand, dem man die äußere Hautschicht abgezogen hat? Ich möchte mich nicht aufregen, denn natürlich meint auch dieser Mann es gut, es liegt ihm fern, grausam und dumm zu sein, er will mir nur sagen: Betrachte es von der guten Seite! Was soll der Trübsinn? Das ist eine einmalige Gelegenheit!
Als der Bauunternehmer sich verabschiedet, bin ich erschöpft und wie betäubt. Ich zerreiße seine prahlerische kleine Visitenkarte. Auf seine munteren, allzu lauten telefonischen Mitteilungen werde ich nicht reagieren. Sollte er eines Tages seinen Pick-up in meine Einfahrt lenken, so als wolle er spontan, wo er schon mal in der Gegend ist, bei mir vorbeischauen, werde ich in den hinteren Teil des Hauses laufen, weit weg von der Eingangstür, und mich verstecken.
»Ach, Joyce! Es hat mir so leidgetan, als ich davon gehört habe.«
Mitten beim Abendessen mit Freunden in einem Princetoner Restaurant, mitten in unsere heitere Atmosphäre hinein stürzt sich, nachdem er mich erspäht hat, ein Raubvogel auf uns. Ich hatte diese Person schon auf dem Weg zu mir bemerkt, und diesmal sage ich rasch und hoffe, dabei zu lächeln, während es mir in Wahrheit einen heftigen Stich ins Herz versetzt: »Jetzt bitte nicht. Danke, aber der Zeitpunkt ist ungünstig.«
Edmund White berichtet mir, eine gemeinsame Bekannte, Verwaltungsangestellte der Universität, habe ihm gegenüber ihr Bedauern darüber geäußert, dass sie »nicht dazu gekommen« sei, »Joyce ein paar Blumen zu schicken«. Wir lachen zusammen über diese Bemerkung, über all das, was eine solche Bemerkung in sich birgt, als ob mir Blumen von dieser Frau und überhaupt ein Ausdruck von Mitgefühl oder dergleichen seitens dieser Frau irgendetwas bedeuten würden.
»Ich habe gesagt, sie braucht sich keine Sorgen zu machen«, erzählte Edmund. »Blumen hättest du bereits in Hülle und Fülle.«
Ganz aufrichtig spendet eine Freundin mir Trost.
»Trauer ist neurologisch feststellbar. Am Ende werden die Neuronen wieder richtig geschaltet. Ich finde, wenn das so ist, beschleunigt es den Prozess bei dir vielleicht, dass du das weißt.«
»Wir möchten dich sehen, Joyce! Es ist schon so lange her.«
Ich sitze mit Freunden, drei Paaren, darunter unsere ältesten Princetoner Freunde, in einem anderen Princetoner Restaurant, und einer der Männer erhebt sein Glas und bringt einen Toast auf die Ehe aus, auf langhaltende Ehen, denn jedes dieser drei Paare ist seit über fünfzig Jahren verheiratet. Die Unterhaltung wendet sich alten Zeiten zu, den Anfangszeiten ihrer Ehe. Ausgiebig schwelgen sie in Erinnerungen, besonders einer kann gar nicht mehr aufhören. Mir wird ganz elend, ich möchte nur noch weg von diesen Leuten, weg von ihrem unbedachten, grausamen Gerede, das mich ausschließt, als hätten sie Ray, der ihr Freund gewesen war, nie gekannt. Wieso merken sie nicht, dass sie mir weh tun? Obwohl sie Ray alle doch so gut gekannt hatten ...
»Entschuldigt mich. Ich muss gehen.«
Zum ersten Mal seit mein Mann gestorben ist, weine ich in der Öffentlichkeit und ziehe mich fluchtartig zurück, während meine Freunde mir nachsehen. Einer der Männer geht mir hinterher, bittet um Verzeihung, will freundlich sein, aber ich kann nicht mit ihm reden, ich muss weg.
Der erste Zusammenbruch in der Öffentlichkeit und der letzte.
»Und was wirst du jetzt tun? Dein Haus verkaufen?«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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Autoren-Porträt von Joyce Carol Oates
Joyce Carol Oates, geb. 1938 in Lockport (NY), zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre zahlreichen Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem National Book Award. Joyce C. Oates lebt in Princeton, New Jersey, wo sie Literatur unterrichtet. Im Jahr 2012 erhielt sie den Blue Metropolis Literary Grand Prix.Silvia Morawetz, geb. 1954 in Gera, studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und ist die Übersetzerin von u.a. Janice Galloway, James Kelman, Hilary Mantel, Joyce Carol Oates und Anne Sexton. Sie erhielt Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, des Landes Baden-Württemberg und des Landes Niedersachsen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joyce Carol Oates
- 2011, 494 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Morawetz, Silvia
- Übersetzer: Silvia Morawetz
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100540093
- ISBN-13: 9783100540096
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