Moonlight Mile / Kenzie & Gennaro Bd.6
Thriller. Deutsche Erstausgabe
Hochspannung von Amerikas Krimistar Dennis Lehane
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Moonlight Mile / Kenzie & Gennaro Bd.6 “
Hochspannung von Amerikas Krimistar Dennis Lehane
Klappentext zu „Moonlight Mile / Kenzie & Gennaro Bd.6 “
Privatdetektiv Patrick Kenzie wird brutal zusammengeschlagen. Er soll nicht im Fall der verschwundenen Amanda McCready ermitteln. Doch Patrick lässt sich nicht einschüchtern. Er hat Amanda als kleines Mädchen schon einmal gefunden und aus den Fängen von Entführern befreit. Aber er ist nicht der Einzige, der nach ihr sucht. Auch die russische Mafia und ein kleiner Drogendealer sind hinter ihr her. Ein irrwitziger Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Lese-Probe zu „Moonlight Mile / Kenzie & Gennaro Bd.6 “
Moonlight Mile von Dennis LehaneKAPITEL 1
An einem strahlenden, ungewöhnlich warmen Nachmittag Anfang Dezember verließ Brandon Trescott den Wellnessbereich des Hotels Chatham Bars Inn auf Cape Cod und stieg in ein Taxi. Aufgrund einer ärgerlichen Serie von Verurteilungen wegen Trunkenheit am Steuer hatte Brandon die Erlaubnis eingebüßt, in den folgenden dreiunddreißig Monaten ein motorisiertes Fahrzeug im Staat Massachusetts zu führen, weshalb er auf Taxis zurückgreifen musste. Als fünfundzwanzigjähriges verwöhntes Söhnchen einer Richterin am Landgericht und eines lokalen Medienmoguls war Brandon kein gewöhnliches Arschloch von reichem Sprössling, nein, er hatte sich seinen Ruf in Sonderschichten erarbeitet. Bei der vierten Trunkenheit am Steuer kassierte der Staat seinen Führerschein schließlich ein. Die ersten beiden Anzeigen waren auf rücksichtslose Fahrweise heruntergehandelt worden, die dritte hatte ihm eine ernste Verwarnung eingebracht, doch beim vierten Mal war eine andere Person verletzt worden, während Brandon ohne einen Kratzer davongekommen war.
An diesem Wintertag, an dem die Temperatur sich um die fünf Grad eingependelt hatte, trug Brandon eine aufwendig auf alt getrimmte, gebleichte Kapuzenjacke, im Einzelhandel für rund neunhundert Dollar zu erwerben, darunter ein weißes Seidenshirt, dessen Kragen von einer sechshundert Dollar teuren Sonnenbrille heruntergezogen wurde. Seine Baggy-Shorts wiesen ebenfalls kleine Risse auf - mit herzlichen Grüßen von dem neunjährigen Indonesier, der kläglich dafür entlohnt worden war, sie dort anzubringen. Brandon trug Flipflops im Dezember und einen lässigen blonden Surferschopf, der die liebenswerte Angewohnheit hatte, ihm in die Augen zu fallen.
Nachdem Brandon eines Abends so viel Whiskey getrunken hatte, dass er locker sein Eigengewicht verdoppelt hatte,
... mehr
überschlug sich sein Dodge Viper auf dem Heimweg vom Casino Foxwoods. Seine Freundin saß auf dem Beifahrersitz. Sie war erst seit zwei Wochen mit ihm zusammen, aber es war unwahrscheinlich, dass sie noch mal die Freundin eines anderen werden würde. Sie hieß Ashten Mayles und vegetierte vor sich hin, seit sich das Wagendach auf ihrem Schädel zusammengefaltet hatte. Als sie ihre Arme und Beine noch unter Kontrolle hatte, war eine ihrer letzten Handlungen gewesen, Brandon auf dem Parkplatz des Casinos um seine Schlüssel zu bitten. Nach Zeugenaussagen hatte Brandon sich für ihre Fürsorge bedankt, indem er eine brennende Zigarette nach Ashten schnippte.
Ashtens nicht unbedingt wohlhabende, aber politisch einflussreiche Eltern hatten daraufhin beschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Brandon für seine Fehler büßen zu lassen - womöglich das erste Mal, dass er mit den Konsequenzen seines Handelns in Berührung kam. Daher die Anklage der Staatsanwaltschaft Suffolk County wegen Trunkenheit am Steuer und grob fahrlässiger Gefährdung. Während des gesamten Prozesses machte Brandon ein ungläubiges, empörtes Gesicht, wie es jemand wagen konnte, ihn persönlich zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich wurde er zu vier Monaten Hausarrest verurteilt. Nicht im Knast, sondern in einem wirklich schönen Haus.
Bei dem anschließenden Zivilprozess stellte sich heraus, dass das verwöhnte Söhnchen mit dem Treuhandvermögen gar kein Treuhandvermögen besaß. Er hatte kein Auto, kein Haus. Soweit nachweisbar, befand sich nicht einmal ein iPod in seinem Besitz. Nichts lief auf Brandons Namen. Verschiedene Güter waren früher unter seinem Namen registriert gewesen, doch zufälligerweise hatte er einen Tag vor dem Autounfall alles seinen Eltern überschrieben. Es war das Wort »vor«, das die Leute auf die Palme brachte, aber niemand konnte das Gegenteil beweisen. Als die Geschworenen der Familie Mayles im Zivilprozess einen Schadenersatz in Höhe von 7,5 Millionen Dollar zusprachen, zeigte Brandon Trescott schulterzuckend seine leeren Taschen.
Ich besaß eine Auflistung all der Dinge, die Brandon einmal gehört hatten und die er laut Urteil nicht mehr benutzen durfte. Die Nutzung der fraglichen Gegenstände würde Brandon gemäß Festsetzung des Gerichts nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch zu ihrem Eigentümer machen. Die Trescotts protestierten gegen die gerichtliche Definition des Begriffs »Eigentum«, doch die Presse zog ihnen die Hammelbeine lang, und der öffentliche Schrei der Empörung war so laut, dass er Schiffe durch nächtlichen Nebel in den Hafen gelotst hätte, und so unterschrieben die Eltern schließlich die Vereinbarung.
Am nächsten Tag kauften Layton und Susan Trescott ihrem Sohn eine Eigentumswohnung in Harwich Port, da es die Anwälte der Mayles' unterlassen hatten, zukünftiges Einkommen oder Besitztümer in die Vereinbarung aufzunehmen - und zeigten damit den Mayles' und der lautstark protestierenden, ungepflegten Masse lustvoll den ausgestreckten Mittelfinger. Und eben nach Harwich Port folgte ich Brandon an jenem frühen Nachmittag im Dezember. In der Wohnung roch es nach Schimmel, Bier und Essensresten, die auf verkrusteten Tellern in der Spüle vor sich hin gammelten. Das wusste ich, weil ich zwei Mal dort gewesen war, um Wanzen anzubringen, alle Passwörter von Brandons Computer zu kopieren und um ganz allgemein heimlich herumzuschnüffeln, damit die Auftraggeber dickes Geld hinblätterten und so tun konnten, als wüssten sie nicht, dass Leute wie ich so was erledigten. Ich war das bisschen Papierkram durchgegangen, das ich finden konnte, hatte aber keine Konten entdeckt, von denen wir noch nichts wussten, oder Börsenbriefe, die noch nicht gemeldet worden waren. Ich hackte mich in Brandons Computer und fand auch dort nichts Neues - nur seine blumigen, wortreichen Ergüsse an ehemalige Freunde aus der Studentenverbindung sowie lächerliche, nie abgeschickte Leserbrieftiraden, die vor Rechtschreibfehlern nur so strotzten. Brandon besuchte zahlreiche Pornoseiten, Spieleportale und las jeden Beitrag, der je über ihn verfasst worden war.
Nachdem Brandon aus dem Taxi gestiegen war, holte ich meinen Camcorder aus dem Handschuhfach. Als ich bei ihm eingebrochen war und seinen Computer gehackt hatte, hatte ich einen Sender von der Größe eines Salzkorns unter seinem Medienschrank und einen zweiten im Schlafzimmer versteckt. Ich hörte, wie Brandon sich leise stöhnend zum Duschen auszog, dann die Geräusche vom Duschen, Abtrocknen, vom Anziehen neuer Klamotten; er schenkte sich ein Glas ein, stellte seinen Flachbildschirm an, schaltete eine hohle Reality-Show mit hirnamputierten Darstellern ein und setzte sich auf die Couch, um sich ausgiebig zu kratzen.
Ich schlug mir auf die Wangen, um mich wach zu halten, und blätterte in der Zeitung auf dem Beifahrersitz. Ein neuer Höchststand der Arbeitslosigkeit wurde vorausgesagt. In Randolph hatte ein Hund seine Besitzer vor einem Brand gerettet, obwohl er gerade erst an der Hüfte operiert worden war und beide Hinterläufe an einen Hunderollstuhl geschnallt waren. Der örtliche russische Oberganove hatte eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer kassiert, weil er seinen Porsche bei Flut am Strand festgefahren hatte. Die Bruins gewannen in einer Sportart, die mich schon beim Zusehen müde machte, und ein Dritter Baseman aus der Major League mit einem Halsumfang von knapp siebzig Zentimeter explodierte förmlich vor Selbstgerechtigkeit, als er auf seinen angeblichen Anabolikamissbrauch angesprochen wurde.
Brandons Handy klingelte. Er sprach mit einem Typen, den er nicht »Brother«, sondern nur »Bro« nannte. Sie sprachen über World of Warcraft und Fallout 4 auf PS2, über Lil Wayne und T. I. und über ein Mädel aus dem Fitnessstudio, das auf ihrer Facebook-Seite behauptete, sie würde noch zusätzlich mit ihrer Wii Fit trainieren, obwohl sie einen Park quasi gegenüber habe, und ich schaute aus dem Fenster und fühlte mich alt. Dieses Gefühl hatte ich in letzter Zeit öfter, aber es war nicht melancholisch. Wenn Zwanzigjährige heutzutage auf diese Weise ihre Zeit totschlugen, konnten sie sie gerne behalten. Die Dreißigjährigen auch. Ich stellte den Sitz nach hinten und schloss die Augen. Nach einer Weile ließen es Brandon und sein Bro gut sein:
»Okay, a's klar, Bro, hau rein.«
»Du auch, ey, Bro, hau rein.«
»Ey, Bro!«
»Was is?«
»Schon gut. Vergessen. Total Banane.«
»Was'n?«
»Ständig was vergessen.«
»Hm.«
»A's klar.«
»A's klar.«
Und sie legten auf.
Ich suchte nach Gründen, mir nicht die Kugel zu geben. Ziemlich schnell fielen mir zwei oder drei Dutzend ein, ich war mir aber nicht sicher, ob ich mir noch mehr Gespräche zwischen Brandon und seinen »Bros« anhören könnte. Mit Dominique war es etwas völlig anderes. Dominique war eine hochkarätige Professionelle, die vor zehn Tagen über Facebook in Brandons Leben getreten war. Am ersten Abend hatten sie zwei Stunden lang Instant Messages hin und her geschickt. Mittlerweile hatten sie schon dreimal über Skype telefoniert. Dominique war vollständig bekleidet geblieben, hatte aber eine blühende Phantasie an den Tag gelegt, als sie ausmalte, was geschehen würde, falls a) sie sich jemals dazu herabließe, mit Brandon zu schlafen, und b) er die beachtliche Summe an Bargeld aufbrachte, die dafür notwendig war. Vor zwei Tagen hatten sie ihre Handynummern ausgetauscht. Und die Gute besaß die Güte, ungefähr dreißig Sekunden nach dem Telefonat mit dem Bro anzurufen. Der dumme Hund meldete sich am Telefon übrigens wie folgt:
Brandon: Was willst du?
(Wirklich! Und die Leute riefen trotzdem weiterhin bei ihm an.)
Dominique: Hi!
Brandon: Oh, hi! Scheiße. Hi! Bist du in der Nähe?
Dominique: Bald.
Brandon: Dann komm doch vorbei!
Dominique: Du vergisst, dass wir geskypt haben. Ich schlaf doch nicht mit dir, wenn du in so einem Weltraumanzug rumläufst.
Brandon: Jetzt überlegst du also doch, mit mir zu schlafen? Ich hab noch keine Nutte kennengelernt, die so wählerisch ist wie du.
Dominique: Schon mal eine gekannt, die so aussieht wie ich?
Brandon: Nee. Dabei bist du fast so alt wie meine Mutter. Aber trotzdem. Scheiße. Du bist das geilste Weib, das ich je ...
Dominique: Wie süß! Aber eins will ich klarstellen: Ich bin keine Nutte. Ich bin Provider für sinnliche Dienstleistungen.
Brandon: Versteh ich nicht.
Dominique: Das wundert mich überhaupt nicht. Jetzt zieh los und mach eine Aktie oder einen Scheck flüssig, dann treffen wir uns.
Brandon: Wann?
Dominique: Jetzt.
Brandon: Jetzt sofort?
Dominique: Jetzt sofort. Ich bin heute Nachmittag in der Stadt, und zwar nur heute Nachmittag. Ich betrete kein Hotel, also besorge mir besser einen anderen Ort, und ich werde nicht lange warten.
Brandon: Und wenn es ein wirklich gutes Hotel ist?
Dominique: Ich lege auf.
Brandon: Nicht aufleg...!
Sie legte auf.
Brandon fluchte. Er warf seine Fernbedienung gegen die Wand. Er trat gegen irgendetwas. Er redete mit sich selbst:
»Einzige teure Nutte, die ich kenne, ja? Ich sag dir was, Bro: Von der Sorte kannst du dir zehn kaufen. Manche blasen dir sogar einen. Geh nach Vegas!«
Doch, er sprach sich selbst tatsächlich mit »Bro« an.
Das Telefon klingelte. Er musste es zusammen mit der Fernbedienung weggeworfen haben, da das Klingeln von weit her kam und ich hörte, wie er sich aufrappelte und das Zimmer durchquerte. Als er es endlich gefunden hatte, erstarb das Klingeln.
»Fuck!«, brüllte Brandon. Wenn ich das Wagenfenster offen gehabt hätte, wäre er vom Wagen aus zu hören gewesen. Es dauerte noch einmal dreißig Sekunden, dann fing er an zu beten.
»Hey, Bro, ich weiß, ich hab Scheiße gebaut, aber ich verspreche, wenn du dafür sorgst, dass sie noch mal anruft, dann gehe ich in die Kirche und stopfe einen Haufen Dollar in diese Körbe da. Und ich werde mich bessern. Sorg einfach nur dafür, dass sie noch mal anruft, Bro.«
Ja, er sprach tatsächlich Gott mit »Bro« an.
Zweimal.
Sein Handy hatte kaum gepiepst, da hatte er es schon aufgeklappt. »Ja?«
»Du bekommst genau eine Chance.«
»Ich weiß.«
»Sag mir die Adresse!«
»Scheiße. Ich ...«
»Gut, dann lege ich ...«
»Marlborough Street 773, zwischen Dartmouth und Exeter.«
»Welches Apartment?«
»Kein Apartment. Das ganze Ding gehört mir.«
»Ich bin in neunzig Minuten da.«
»So schnell krieg ich hier kein Taxi, und gleich sind die Straßen voll.«
»Dann versuch zu fliegen. Wir sehen uns in neunzig Minuten. Nach einundneunzig bin ich weg.«
Aus d. Engl. v. Fischer, Andrea
© Ullstein Taschenbuch, Berlin 2011
Ashtens nicht unbedingt wohlhabende, aber politisch einflussreiche Eltern hatten daraufhin beschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Brandon für seine Fehler büßen zu lassen - womöglich das erste Mal, dass er mit den Konsequenzen seines Handelns in Berührung kam. Daher die Anklage der Staatsanwaltschaft Suffolk County wegen Trunkenheit am Steuer und grob fahrlässiger Gefährdung. Während des gesamten Prozesses machte Brandon ein ungläubiges, empörtes Gesicht, wie es jemand wagen konnte, ihn persönlich zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich wurde er zu vier Monaten Hausarrest verurteilt. Nicht im Knast, sondern in einem wirklich schönen Haus.
Bei dem anschließenden Zivilprozess stellte sich heraus, dass das verwöhnte Söhnchen mit dem Treuhandvermögen gar kein Treuhandvermögen besaß. Er hatte kein Auto, kein Haus. Soweit nachweisbar, befand sich nicht einmal ein iPod in seinem Besitz. Nichts lief auf Brandons Namen. Verschiedene Güter waren früher unter seinem Namen registriert gewesen, doch zufälligerweise hatte er einen Tag vor dem Autounfall alles seinen Eltern überschrieben. Es war das Wort »vor«, das die Leute auf die Palme brachte, aber niemand konnte das Gegenteil beweisen. Als die Geschworenen der Familie Mayles im Zivilprozess einen Schadenersatz in Höhe von 7,5 Millionen Dollar zusprachen, zeigte Brandon Trescott schulterzuckend seine leeren Taschen.
Ich besaß eine Auflistung all der Dinge, die Brandon einmal gehört hatten und die er laut Urteil nicht mehr benutzen durfte. Die Nutzung der fraglichen Gegenstände würde Brandon gemäß Festsetzung des Gerichts nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch zu ihrem Eigentümer machen. Die Trescotts protestierten gegen die gerichtliche Definition des Begriffs »Eigentum«, doch die Presse zog ihnen die Hammelbeine lang, und der öffentliche Schrei der Empörung war so laut, dass er Schiffe durch nächtlichen Nebel in den Hafen gelotst hätte, und so unterschrieben die Eltern schließlich die Vereinbarung.
Am nächsten Tag kauften Layton und Susan Trescott ihrem Sohn eine Eigentumswohnung in Harwich Port, da es die Anwälte der Mayles' unterlassen hatten, zukünftiges Einkommen oder Besitztümer in die Vereinbarung aufzunehmen - und zeigten damit den Mayles' und der lautstark protestierenden, ungepflegten Masse lustvoll den ausgestreckten Mittelfinger. Und eben nach Harwich Port folgte ich Brandon an jenem frühen Nachmittag im Dezember. In der Wohnung roch es nach Schimmel, Bier und Essensresten, die auf verkrusteten Tellern in der Spüle vor sich hin gammelten. Das wusste ich, weil ich zwei Mal dort gewesen war, um Wanzen anzubringen, alle Passwörter von Brandons Computer zu kopieren und um ganz allgemein heimlich herumzuschnüffeln, damit die Auftraggeber dickes Geld hinblätterten und so tun konnten, als wüssten sie nicht, dass Leute wie ich so was erledigten. Ich war das bisschen Papierkram durchgegangen, das ich finden konnte, hatte aber keine Konten entdeckt, von denen wir noch nichts wussten, oder Börsenbriefe, die noch nicht gemeldet worden waren. Ich hackte mich in Brandons Computer und fand auch dort nichts Neues - nur seine blumigen, wortreichen Ergüsse an ehemalige Freunde aus der Studentenverbindung sowie lächerliche, nie abgeschickte Leserbrieftiraden, die vor Rechtschreibfehlern nur so strotzten. Brandon besuchte zahlreiche Pornoseiten, Spieleportale und las jeden Beitrag, der je über ihn verfasst worden war.
Nachdem Brandon aus dem Taxi gestiegen war, holte ich meinen Camcorder aus dem Handschuhfach. Als ich bei ihm eingebrochen war und seinen Computer gehackt hatte, hatte ich einen Sender von der Größe eines Salzkorns unter seinem Medienschrank und einen zweiten im Schlafzimmer versteckt. Ich hörte, wie Brandon sich leise stöhnend zum Duschen auszog, dann die Geräusche vom Duschen, Abtrocknen, vom Anziehen neuer Klamotten; er schenkte sich ein Glas ein, stellte seinen Flachbildschirm an, schaltete eine hohle Reality-Show mit hirnamputierten Darstellern ein und setzte sich auf die Couch, um sich ausgiebig zu kratzen.
Ich schlug mir auf die Wangen, um mich wach zu halten, und blätterte in der Zeitung auf dem Beifahrersitz. Ein neuer Höchststand der Arbeitslosigkeit wurde vorausgesagt. In Randolph hatte ein Hund seine Besitzer vor einem Brand gerettet, obwohl er gerade erst an der Hüfte operiert worden war und beide Hinterläufe an einen Hunderollstuhl geschnallt waren. Der örtliche russische Oberganove hatte eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer kassiert, weil er seinen Porsche bei Flut am Strand festgefahren hatte. Die Bruins gewannen in einer Sportart, die mich schon beim Zusehen müde machte, und ein Dritter Baseman aus der Major League mit einem Halsumfang von knapp siebzig Zentimeter explodierte förmlich vor Selbstgerechtigkeit, als er auf seinen angeblichen Anabolikamissbrauch angesprochen wurde.
Brandons Handy klingelte. Er sprach mit einem Typen, den er nicht »Brother«, sondern nur »Bro« nannte. Sie sprachen über World of Warcraft und Fallout 4 auf PS2, über Lil Wayne und T. I. und über ein Mädel aus dem Fitnessstudio, das auf ihrer Facebook-Seite behauptete, sie würde noch zusätzlich mit ihrer Wii Fit trainieren, obwohl sie einen Park quasi gegenüber habe, und ich schaute aus dem Fenster und fühlte mich alt. Dieses Gefühl hatte ich in letzter Zeit öfter, aber es war nicht melancholisch. Wenn Zwanzigjährige heutzutage auf diese Weise ihre Zeit totschlugen, konnten sie sie gerne behalten. Die Dreißigjährigen auch. Ich stellte den Sitz nach hinten und schloss die Augen. Nach einer Weile ließen es Brandon und sein Bro gut sein:
»Okay, a's klar, Bro, hau rein.«
»Du auch, ey, Bro, hau rein.«
»Ey, Bro!«
»Was is?«
»Schon gut. Vergessen. Total Banane.«
»Was'n?«
»Ständig was vergessen.«
»Hm.«
»A's klar.«
»A's klar.«
Und sie legten auf.
Ich suchte nach Gründen, mir nicht die Kugel zu geben. Ziemlich schnell fielen mir zwei oder drei Dutzend ein, ich war mir aber nicht sicher, ob ich mir noch mehr Gespräche zwischen Brandon und seinen »Bros« anhören könnte. Mit Dominique war es etwas völlig anderes. Dominique war eine hochkarätige Professionelle, die vor zehn Tagen über Facebook in Brandons Leben getreten war. Am ersten Abend hatten sie zwei Stunden lang Instant Messages hin und her geschickt. Mittlerweile hatten sie schon dreimal über Skype telefoniert. Dominique war vollständig bekleidet geblieben, hatte aber eine blühende Phantasie an den Tag gelegt, als sie ausmalte, was geschehen würde, falls a) sie sich jemals dazu herabließe, mit Brandon zu schlafen, und b) er die beachtliche Summe an Bargeld aufbrachte, die dafür notwendig war. Vor zwei Tagen hatten sie ihre Handynummern ausgetauscht. Und die Gute besaß die Güte, ungefähr dreißig Sekunden nach dem Telefonat mit dem Bro anzurufen. Der dumme Hund meldete sich am Telefon übrigens wie folgt:
Brandon: Was willst du?
(Wirklich! Und die Leute riefen trotzdem weiterhin bei ihm an.)
Dominique: Hi!
Brandon: Oh, hi! Scheiße. Hi! Bist du in der Nähe?
Dominique: Bald.
Brandon: Dann komm doch vorbei!
Dominique: Du vergisst, dass wir geskypt haben. Ich schlaf doch nicht mit dir, wenn du in so einem Weltraumanzug rumläufst.
Brandon: Jetzt überlegst du also doch, mit mir zu schlafen? Ich hab noch keine Nutte kennengelernt, die so wählerisch ist wie du.
Dominique: Schon mal eine gekannt, die so aussieht wie ich?
Brandon: Nee. Dabei bist du fast so alt wie meine Mutter. Aber trotzdem. Scheiße. Du bist das geilste Weib, das ich je ...
Dominique: Wie süß! Aber eins will ich klarstellen: Ich bin keine Nutte. Ich bin Provider für sinnliche Dienstleistungen.
Brandon: Versteh ich nicht.
Dominique: Das wundert mich überhaupt nicht. Jetzt zieh los und mach eine Aktie oder einen Scheck flüssig, dann treffen wir uns.
Brandon: Wann?
Dominique: Jetzt.
Brandon: Jetzt sofort?
Dominique: Jetzt sofort. Ich bin heute Nachmittag in der Stadt, und zwar nur heute Nachmittag. Ich betrete kein Hotel, also besorge mir besser einen anderen Ort, und ich werde nicht lange warten.
Brandon: Und wenn es ein wirklich gutes Hotel ist?
Dominique: Ich lege auf.
Brandon: Nicht aufleg...!
Sie legte auf.
Brandon fluchte. Er warf seine Fernbedienung gegen die Wand. Er trat gegen irgendetwas. Er redete mit sich selbst:
»Einzige teure Nutte, die ich kenne, ja? Ich sag dir was, Bro: Von der Sorte kannst du dir zehn kaufen. Manche blasen dir sogar einen. Geh nach Vegas!«
Doch, er sprach sich selbst tatsächlich mit »Bro« an.
Das Telefon klingelte. Er musste es zusammen mit der Fernbedienung weggeworfen haben, da das Klingeln von weit her kam und ich hörte, wie er sich aufrappelte und das Zimmer durchquerte. Als er es endlich gefunden hatte, erstarb das Klingeln.
»Fuck!«, brüllte Brandon. Wenn ich das Wagenfenster offen gehabt hätte, wäre er vom Wagen aus zu hören gewesen. Es dauerte noch einmal dreißig Sekunden, dann fing er an zu beten.
»Hey, Bro, ich weiß, ich hab Scheiße gebaut, aber ich verspreche, wenn du dafür sorgst, dass sie noch mal anruft, dann gehe ich in die Kirche und stopfe einen Haufen Dollar in diese Körbe da. Und ich werde mich bessern. Sorg einfach nur dafür, dass sie noch mal anruft, Bro.«
Ja, er sprach tatsächlich Gott mit »Bro« an.
Zweimal.
Sein Handy hatte kaum gepiepst, da hatte er es schon aufgeklappt. »Ja?«
»Du bekommst genau eine Chance.«
»Ich weiß.«
»Sag mir die Adresse!«
»Scheiße. Ich ...«
»Gut, dann lege ich ...«
»Marlborough Street 773, zwischen Dartmouth und Exeter.«
»Welches Apartment?«
»Kein Apartment. Das ganze Ding gehört mir.«
»Ich bin in neunzig Minuten da.«
»So schnell krieg ich hier kein Taxi, und gleich sind die Straßen voll.«
»Dann versuch zu fliegen. Wir sehen uns in neunzig Minuten. Nach einundneunzig bin ich weg.«
Aus d. Engl. v. Fischer, Andrea
© Ullstein Taschenbuch, Berlin 2011
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Autoren-Porträt von Dennis Lehane
Lehane, DennisDennis Lehane wurde 1965 in Dorchester, Massachusetts, geboren. Bekannt wurde er mit seiner Krimiserie um Patrick Kenzie und Angela Gennaro. Dreimal wurde er mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Clint Eastwoods Verfilmung seines Romans Mystic River erhielt mehrere Oscars, MartinScorsese führte Regie bei Shutter Island. Dennis Lehane lebt in Boston.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dennis Lehane
- 2011, 379 Seiten, Maße: 12,2 x 19,1 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Fischer, Andrea
- Übersetzer: Andrea Fischer
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548283500
- ISBN-13: 9783548283500
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