Muo und der Pirol im Käfig
Ausgezeichnet mit dem Prix Femina für französische Literatur 2003. Roman
Ob er ein Wahrsager sei, fragen sie, wenn Muo von den Frauen ihre Träume erfahren möchte. Und sie lächeln ihn an. Ob sie ahnen, dass er, Chinas erster Psychoanalytiker und Traumdeuter von Freuds Gnaden, noch etwas anderes im Schilde führt? Nach langen...
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Buch (Gebunden)
Produktdetails
Produktinformationen zu „Muo und der Pirol im Käfig “
Ob er ein Wahrsager sei, fragen sie, wenn Muo von den Frauen ihre Träume erfahren möchte. Und sie lächeln ihn an. Ob sie ahnen, dass er, Chinas erster Psychoanalytiker und Traumdeuter von Freuds Gnaden, noch etwas anderes im Schilde führt? Nach langen Jahren im französischen Exil kehrt Muo ins postmaoistische China zurück, um seine große Liebe aus der politischen Gefangenschaft zu befreien. Dabei kommt der jungfräuliche Seelendoktor endlich in Berührung mit der wunderbaren Welt der Frauen... »Ein Juwel, das sprüht vor Ausgelassenheit und Raffinement.« (L'Express)
Klappentext zu „Muo und der Pirol im Käfig “
Ob er ein Wahrsager sei, fragen sie, wenn Muo von den Mädchen und Frauen ihre Träume erfahren möchte, und sie lächeln ihn an. Vielleicht ahnen sie, daß der erste chinesische Psychoanalytiker und Traumdeuter von Freuds Gnaden noch etwas anderes im Schilde führt. Nach langen Jahren im französischen Exil kehrt Muo ins moderne postmaoistische China zurück, um "Vulkan des alten Mondes", eine ehemalige Mitstudentin und seine große Liebe, aus politischer Gefangenschaft zu befreien. Dazu muß er die Gnade des Richters Di erwirken, und im Zuge eines seltsamen Wettstreits kommt der jungfräuliche Seelendoktor nicht nur quer durchs neue China, sondern endlich, endlich auch außerhalb seiner Träume in Berührung mit der wunderbaren Welt der Frauen. Diese Berührung elektrisiert Muo, ihm widerfahren allerlei Verwicklungen, und er macht Entdeckungen, auf die ihn keines seiner Lehrbücher im mindesten vorbereiten konnte.
Lese-Probe zu „Muo und der Pirol im Käfig “
Dai SijieMuo und der Pirol im Käfig
Roman
Ein Jünger Freuds
Eine mit pinkfarbenem Plastik ummantelte Stahlkette spiegelt sich wie eine glänzende Schlange in der Scheibe eines Abteilfensters, hinter dem die aufblitzenden Lichtsignale zu smaragdblauen und rubinroten Punkten schrumpfen, bis sie vom Dunst einer warmen Julinacht verschluckt werden.
(Noch vor ein paar Minuten hatte diese Kette in der schmuddeligen Gaststätte eines kleinen Bahnhofs in der Gegend des Gelben Berges im Süden Chinas einen hellblauen Delsey-Rollenkoffer mit verchromtem Ziehgriff am Bein eines Tischchens aus Mahagoniimitation festgebunden; der Koffer gehört Muo Xiansheng (Xiansheng: Herr, im Chinesischen nachgestellt), einem Jünger der Psychoanalyse und gebürtigen Chinesen, der kürzlich aus Frankreich zurückgekehrt ist.)
Der Reisende gibt sich erstaunlich selbstsicher für einen Mann, der weder mit Charme noch mit Schönheit gesegnet ist mit seinen ein Meter dreiundsechzig, mit seinem mickrigen Körperbau, mit seinen struppigsträhnigen Haaren, mit seinen Glupschaugen, denen die dicken Brillengläser den starren, typisch "muosischen" Blick verleihen: Er zieht seine französischen Schuhe aus, enthüllt rote Socken mit einem Loch an der Spitze, aus dem eine magermilchweiße knochige Zehe blinzelt, klettert auf die (ungepolsterte) Bank der "harten Klasse", um seinen Delsey auf der Gepäckablage zu verstauen und ihn mit der pinkfarben ummantelten Stahlkette zu sichern, hängt den Bügel eines kleinen Vorhängeschlosses an zwei Kettenglieder und reckt sich auf den Zehenspitzen, um sich zu vergewissern, daß das Schloß richtig eingeschnappt ist.
Nachdem er sich wieder hingesetzt hat, stellt er seine Schuhe ordentlich nebeneinander unter die Bank, schlüpft in weiße Flip-Flops, putzt seine Brille, zündet ein Zigarillo an, schraubt die Kappe seines Füllfederhalters ab und beginnt "zu arbeiten", das heißt, seine Träume in einem Schulheft festzuhalten, das er in Frankreich gekauft hat; eine
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Tätigkeit, die er sich in seiner Eigenschaft als "angehender Psychoanalytiker" zur täglichen Pflicht gemacht hat. Rund um ihn herum bemächtigt sich ein lautes kunterbuntes Durcheinander es Nachtzugabteils "harter Klasse" (des einzigen, für das es überhaupt noch Fahrkarten gab): Kaum zugestiegen, bieten Bäuerinnen mit großen Körben am Arm oder Bambushotten auf dem Rücken ihre Waren feil, um dann am nächsten Bahnhof wieder auszusteigen. Sie drängen sich schwankend durch den Gang, verkaufen hartgekochte Eier oder Dampfbrötchen, Früchte, Zigaretten, Dosen-Cola, chinesisches Mineralwasser und sogar französisches Marke Evian. Uniformierte Bahnbedienstete drängeln sich, im Gänsemarsch Wägelchen schiebend, durch den verstopften Gang und bieten gepökelte Entenfüße, scharf gewürzte, gegrillte Schweinerippchen, Zeitungen und Skandalblätter an. Ein auf dem Fußboden kauernder zehn-, zwölfjähriger Junge trägt sorgfältig Schuhcreme auf die Stöckelschuhe einer Dame reiferen Alters auf, die sich - in einem Nachtzug - durch das Tragen einer viel zu großen marineblauen Sonnenbrille vom gemeinen Volk abhebt. Niemand schenkt Muo Beachtung, der seinen Delsey-Koffer Modell 2000 mit mißtrauischer Wachsamkeit scharf im Auge behält. (Ein paar Tage zuvor hatte er - ebenfalls in einem Abteil "harter Klasse" in einem Zug, der tagsüber fuhr - gerade seine täglichen Aufzeichnungen mit einem prägnanten Zitat Lacans beendet und den Kopf von seinem Schulheft gehoben und, wie in einem in Zeitlupe gedrehten Stummfilm, Fahrgäste auf die Bank klettern sehen, die, neugierig geworden, seinen offenbar wertvollen angeketteten Koffer beschnüffelten, betatschten und mit ihren schmutzigen Fingern abklopften.)
Wenn er in seine Aufzeichnungen vertieft ist, vermag anscheinend niemand seine Konzentration zu erschüttern. Sein Nachbar rechter Hand auf der Dreierbank, ein netter buckliger Fünfzigjähriger, wirft zuerst schüchterne, dann unverschämte Blicke auf sein Heft.
"Sagen Sie, Brillenschang Xiansheng, schreiben Sie auf englisch?" fragt er schließlich ehrfurchtsvoll. "Darf ich Sie um einen Rat bitten? Wissen Sie, mein Sohn geht aufs Gymnasium und ist in Englisch eine Null, eine absolute Null!"
"Wen wundert's", antwortet ihm Muo ernst, ohne eine Spur von Verärgerung über den "Brillenschang". "Ich will Ihnen eine Anekdote von Voltaire erzählen; Voltaire war ein großer französischen Denker des 18. Jahrhunderts, müssen Sie wissen. Eines Tages fragte ihn Boswell, ein berühmter schottischer Schriftsteller: 'Sprechen Sie Englisch?' Worauf Voltaire ihm antwortete: 'Um Englisch zu sprechen, mein Lieber, muß man mit den Zähnen auf die Zungenspitze beißen. Aber ich bin zu alt, ich habe keine Zähne mehr.' Klar, oder? Voltaire spielte nämlich auf die Aussprache des 'th' an. Nun, ich halte es wie der alte Voltaire: Ich bin nicht doppelzüngig genug, um diese Sprache der Globalisierung zu sprechen, obwohl ich, zugegeben, ein paar englische und ein oder zwei amerikanische Autoren überaus schätze. Nein, guter Mann, ich schreibe französisch."
Über eine derart ausführliche Antwort verblüfft und von der Erklärung überfordert, muß sich der Mann zuerst erholen, starrt dann seinen Banknachbarn gehässig an. Wie alle einfachen Arbeiter haßt er gebildete Menschen, die auf die Ungebildeten hinabschauen und im Namen der Bildung die Macht an sich reißen. Wart nur, denkt er grimmig. Und um ihm eine Lektion in Bescheidenheit zu erteilen, holt er ein chinesisches Schachspiel aus seiner Reisetasche und fordert Muo auf, eine Partie mit ihm zu spielen.
"Tut mir wirklich leid", sagt Muo ernst. "Ich spiele nicht, aber ich kenne die Geschichte dieses Spiels. Ich weiß, woher es kommt und aus welcher Zeit es stammt ... " Völlig aus dem Konzept gebracht, fällt ihm der Mann ins Wort: "Ehrlich, ist das, was Sie da schreiben, Französisch?"
"Ja."
"Aha, Französisch", wiederholt er mehrmals, und das Wort hallt im Wagen des Nachtzugs wider wie ein leises Echo: ein Schatten, ein Abklatsch des glorreichen Wortes "Englisch", während sich in seinem Gesicht eines braven Familienvaters Verwirrung abzeichnet. Und er nickt ein. Sein Kopf sinkt auf die Brust, und aus seinem Mundwinkel rinnt ein Speichelfaden.
Wenn er in seine Aufzeichnungen vertieft ist, vermag anscheinend niemand seine Konzentration zu erschüttern. Sein Nachbar rechter Hand auf der Dreierbank, ein netter buckliger Fünfzigjähriger, wirft zuerst schüchterne, dann unverschämte Blicke auf sein Heft.
"Sagen Sie, Brillenschang Xiansheng, schreiben Sie auf englisch?" fragt er schließlich ehrfurchtsvoll. "Darf ich Sie um einen Rat bitten? Wissen Sie, mein Sohn geht aufs Gymnasium und ist in Englisch eine Null, eine absolute Null!"
"Wen wundert's", antwortet ihm Muo ernst, ohne eine Spur von Verärgerung über den "Brillenschang". "Ich will Ihnen eine Anekdote von Voltaire erzählen; Voltaire war ein großer französischen Denker des 18. Jahrhunderts, müssen Sie wissen. Eines Tages fragte ihn Boswell, ein berühmter schottischer Schriftsteller: 'Sprechen Sie Englisch?' Worauf Voltaire ihm antwortete: 'Um Englisch zu sprechen, mein Lieber, muß man mit den Zähnen auf die Zungenspitze beißen. Aber ich bin zu alt, ich habe keine Zähne mehr.' Klar, oder? Voltaire spielte nämlich auf die Aussprache des 'th' an. Nun, ich halte es wie der alte Voltaire: Ich bin nicht doppelzüngig genug, um diese Sprache der Globalisierung zu sprechen, obwohl ich, zugegeben, ein paar englische und ein oder zwei amerikanische Autoren überaus schätze. Nein, guter Mann, ich schreibe französisch."
Über eine derart ausführliche Antwort verblüfft und von der Erklärung überfordert, muß sich der Mann zuerst erholen, starrt dann seinen Banknachbarn gehässig an. Wie alle einfachen Arbeiter haßt er gebildete Menschen, die auf die Ungebildeten hinabschauen und im Namen der Bildung die Macht an sich reißen. Wart nur, denkt er grimmig. Und um ihm eine Lektion in Bescheidenheit zu erteilen, holt er ein chinesisches Schachspiel aus seiner Reisetasche und fordert Muo auf, eine Partie mit ihm zu spielen.
"Tut mir wirklich leid", sagt Muo ernst. "Ich spiele nicht, aber ich kenne die Geschichte dieses Spiels. Ich weiß, woher es kommt und aus welcher Zeit es stammt ... " Völlig aus dem Konzept gebracht, fällt ihm der Mann ins Wort: "Ehrlich, ist das, was Sie da schreiben, Französisch?"
"Ja."
"Aha, Französisch", wiederholt er mehrmals, und das Wort hallt im Wagen des Nachtzugs wider wie ein leises Echo: ein Schatten, ein Abklatsch des glorreichen Wortes "Englisch", während sich in seinem Gesicht eines braven Familienvaters Verwirrung abzeichnet. Und er nickt ein. Sein Kopf sinkt auf die Brust, und aus seinem Mundwinkel rinnt ein Speichelfaden.
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Autoren-Porträt von Dai Sijie
Dai Sijie (2. März 1954 in Chengdu, Provinz Sichuan, Volksrepublik China) ist ein in Frankreich lebender chinesischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur.Dai Sijie wurde als Sohn eines Mediziners geboren. Von 1971 bis 1974 wurde er im Zuge der kulturellen Umerziehung in ein Bergdorf in Sichuan verschickt. Angestellt in einem Gymnasium in der Provinz studierte er nach Maos Tod Kunstgeschichte und emigrierte 1984 nach Paris. Seine Erfahrungen aus der Umerziehung dienten ihm später als Inspiration für seinen ersten Roman Balzac und die kleine chinesische Schneiderin, der ein großer internationaler Erfolg und 2002 in einer französisch-chinesischen Produktion verfilmt wurde. Zu diesem Film schrieb Dai auch das Drehbuch und führte Regie.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dai Sijie
- 2004, 389 Seiten, Maße: 12 x 19,5 cm, Leinen, Deutsch
- Aus d. Französ. v. Gio Waeckerlin Induni
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 349204624X
- ISBN-13: 9783492046244
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