Nackt schwimmen
Roman
Der neue Roman der chilenischen Bestseller-Autorin Carla Guelfenbein erzählt von einer kompromisslose Liebe, die an den Abgrund der chilenischen Geschichte gerät:
Morgana und Sophie verbindet eine innige Freundschaft, bis Sophie von der Liebe zwischen...
Morgana und Sophie verbindet eine innige Freundschaft, bis Sophie von der Liebe zwischen...
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Produktinformationen zu „Nackt schwimmen “
Klappentext zu „Nackt schwimmen “
Der neue Roman der chilenischen Bestseller-Autorin Carla Guelfenbein erzählt von einer kompromisslose Liebe, die an den Abgrund der chilenischen Geschichte gerät:Morgana und Sophie verbindet eine innige Freundschaft, bis Sophie von der Liebe zwischen ihrem Vater Diego und Morgana erfährt. Diese Liebe ihrerseits wird von dem Putsch des Militärs auf die Probe gestellt, und die Ereignisse überstürzen sich: Begegnungen an ständig wechselnden Verstecken, eine Schwangerschaft, ein geplatzter Fluchtversuch. Jahrzehnte später folgt Sophie einer leisen Ahnung auf Versöhnung und versucht, das Schweigen über die damaligen Geschehnisse zu brechen. Eine Dreiecksgeschichte von betörender Sinnlichkeit und atemberaubender Spannung.
Lese-Probe zu „Nackt schwimmen “
Nackt schwimmen von Carla GuelfenbeinEinsame Körper
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Sophie beobachtet Morgana vom Schwimmbadrand aus. Sie würde sie gern malen. Sie würde ihren Körper an verschiedenen Stellen des Blattes auftauchen lassen und dann mit schwarzer Tinte und blauen Tupfern das dunkel oszillierende Wasser ringsum andeuten. Aber die wahre Herausforderung bestünde darin, ihren Überschwang zu erfassen, ihre geschmeidigen Bewegungen, ihre sprudelnde, unbezähmbare Energie.
Morgana taucht unter, kurz treten ihre nackten Pobacken aus dem Wasser. Die Luft ist ungewöhnlich lau und duftig für die sonst so frischen Nächte des Sommers in Santiago. »Hast du vor, die ganze Nacht da sitzen zu bleiben? Na los, spring rein. Das Wasser ist ganz warm«, ruft Morgana ihr zu.
Sie haben sich durch eine Zaunlücke in das Schwimmbad vom Stade Français gestohlen. Morgana hatte die Idee, und Sophie bereut nicht, sich darauf eingelassen zu haben. Sie zieht ihren Rock aus und streift die blaue Bluse über den Kopf. Der weiße Schlüpfer über ihren schmalen Hüften schimmert in der Dunkelheit wie der Kopf eines Eisbären. Am linken Handgelenk trägt sie wie immer eines ihrer selbstbemalten bunten Armbänder. Sie hat Dutzende davon, sie verleihen ihr einen zigeunerhaften Charme, der mit ihrer jungenhaften Schlaksigkeit kontrastiert. Rasch zieht sie den Schlüpfer aus und verbirgt ihn unter ihrer Kleidung. Unterdessen ist Morgana wieder untergetaucht. Ihr schwarz gelocktes Haar wogt im Wasser wie Meeresalgen.
Sophie schließt die Augen, hält sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu und springt mit den Füßen voraus hinein. Sie malt sich aus, wie ihr Körper am Grund des Beckens zerschellen könnte. Obwohl sie gerade erst achtzehn ist und durchaus gern lebt, denkt sie manchmal darüber nach, dass der Tod ebenso facettenreich sein könnte wie das Leben.
Morgana schwimmt ihr von der anderen Seite mit kräftigen Zügen entgegen. Als sie beinahe aufeinandertreffen, taucht Morgana unter, greift nach einem von Sophies Füßen und zieht daran. Heftig rudernd macht Sophie sich frei und drückt schnell Morganas Kopf unter Wasser.
Dann lassen sich beide auf dem Rücken treiben.
Sophie ist vor acht Monaten nach Chile zu ihrem Vater gekommen. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft hat Morgana an der Tür geklingelt und gefragt, ob sie hereinkommen dürfe. Sie waren sich zuvor gelegentlich im Aufzug begegnet, hatten sich immer neugierig gegrüßt, sonst aber nie ein Wort gewechselt.
Das Wasser schlägt winzige Wellen zwischen ihnen, belebt ihre Haut. Alles ist in Bewegung. Ihre biegsamen Rücken, die Lichtstreifen, die der Mond aufs Wasser malt, die Birkenblätter, die silbrig in der Brise wiegen. Doch gleichzeitig hält auch alles nach und nach inne, wird ganz still.
»Anne wäre stolz auf uns, wenn sie uns jetzt sehen könnte«, sagt Morgana.
»Das Problem ist nur, dass sie zehntausend Kilometer entfernt ist und uns nicht einmal kennt«, entgegnet Sophie.
»Sie wird uns schon noch kennenlernen, du wirst sehen «, sagt Morgana mit Bestimmtheit. »Ich werde einen so brillanten Essay über ihre Gedichte schreiben, dass er den Atlantik überqueren und Anne Sexton, die größte Dichterin ihrer Generation, uns zu Füßen fallen wird.«
»Tu es folle, mignonne«, sagt Sophie mit ihrem nasalen Pariser Akzent, »ganz und gar verrückt, meine Süße. Na komm, drei Worte mit A.«
»Angular, adstringieren, adiabatisch. Jetzt mit M«, ruft Morgana zurück. Als Diplomatentochter hat Morgana in allen möglichen Städten der Welt gelebt, unter anderem in Paris, im selben Viertel, in dem Sophie von klein auf mit ihrer Mutter wohnte. Beide amüsiert der Gedanke, dass sie sich womöglich einmal auf der Straße, in der Metro oder in einer Bäckerei über den Weg gelaufen sind.
»Menetekeln, momentieren, masturbieren«, zählt Sophie auf. »Ach, darum geht's also. Und denkst du an jemand bestimmten?«
Sie schwimmen an den Rand, klettern nach draußen und setzen sich auf den Zementboden. Morgana bindet ihr Haar zurück und gibt den Blick auf die Architektur ihres Gesichts frei. Ihre dichten geraden Augenbrauen stoßen über der Nasenwurzel zusammen und trennen ihre spöttisch aufgeweckten Augen von der kindlich runden Stirn.
»Camilo. Er arbeitet in dem Schreibwarengeschäft, in dem ich meine Malutensilien kaufe«, antwortet Sophie. Sie strecken sich beide rücklings auf dem Zement aus, in dem noch die Wärme des Nachmittags pulsiert. Ein hoher Mond breitet seinen Schein über den Himmel wie ein Laken.
»Wie ist er?«, fragt Morgana, den Kopf zu ihr gewandt.
»Er hat einen Knackarsch«, sagt Sophie, Morganas Sprechweise imitierend.
Das Wasser im Schwimmbad schwappt noch, als hätte ein Riese darüber gepustet. Sophie weiß nicht recht, was sie mit ihren Worten bezweckt, vielleicht will sie Morgana eifersüchtig machen. Aber es ist nicht Eifersucht, die sie in ihrem Blick liest, als sie Morgana von der Seite ansieht. Ihre Augen blitzen vielmehr voller Neugierde und Lust, sich auf ein ebenso abstraktes - weil größtenteils imaginiertes - , wie herrlich sinnliches Terrain vorzuwagen.
»Er sieht also gut aus«, sagt Morgana und lacht auf. »Diego würde sagen, zu gut, ich solle lieber aufpassen. « Sie lügt. Camilo sieht nicht gut aus. Er wirkt traurig, menschenscheu, manchmal fast aggressiv, als wisse er bereits, wie unbarmherzig das Schicksal mit den Menschen umspringen kann.
»Diego, Diego. Merkst du eigentlich, dass du ihn ständig erwähnst? Warum nennst du ihn überhaupt Diego und nicht Papa? Und wann lerne ich ihn endlich mal kennen?« »Da müsstest du abends zu uns kommen, er arbeitet den ganzen Tag. Hey, du stellst ganz schön viele Fragen. «
Sie lachen. Sophie macht sich immer über Morganas Angewohnheit lustig, alles erfahren zu wollen und das meiste kurz darauf wieder zu vergessen. Sie hat manchmal das Gefühl, Morganas Gehirn lösche jeden gerade verstrichenen Moment gleich wieder aus, als müsse es den Dingen so unvoreingenommen und unverfälscht wie möglich gegenübertreten.
Die nächtliche Brise wird kühler. »Wir sollten uns anziehen«, schlägt Sophie vor. »Vielleicht kommt ja eine Bande Jugendlicher und findet uns hier nackt.« »Gefällt dir der Gedanke?« »Er würde mir nicht völlig missfallen.« »Du bist nicht ganz richtig im Kopf«, sagt Sophie und legt die Hände auf ihre kleinen Brüste, als könnte Morganas Einfall plötzlich wahr werden. Die Wassertropfen auf dem nackten Körper ihrer Freundin glitzern im nächtlichen Schein. Morgana ist zweiundzwanzig, nur vier Jahre älter als sie selbst. Sophie sagt sich, dass man eine gute Portion Courage und Kühnheit besitzen muss, um sich mit einem solchen Körper so unbefangen zu geben.
Als sie beide angezogen sind, holt Morgana aus ihrer Tasche eine kleine Metallbox, deren Deckel ein Engel ziert. Aus den Schultern wachsen ihm Flügel, die sich bis zu seinen Füßen hinabwölben. Morgana entnimmt der Box ein Stückchen Papier, entfaltet es und bedeckt es mit Tabak und Marihuanakrümeln. Dicht über ihnen atmet der Himmel. Sophie kommt es vor, als müsse sie den Arm nur ein wenig ausstrecken, um ihn zu berühren.
Als Morgana an jenem Nachmittag ganz unverhofft in ihre Wohnung schneite, hat sie auch einen Joint gedreht und ihr erzählt, die Engelsdose sei ein Geschenk des ersten Jungen gewesen, mit dem sie geschlafen habe. Sophie hatte vorher schon einmal mit einem ihrer Kommilitonen von der Kunsthochschule einen Joint geraucht, dabei war jedoch die Mauer, die sie stets von der Welt trennt, so hoch und unüberwindbar geworden, dass sie es seitdem nicht mehr probiert hat. Bis Morgana kam.
»Ich habe ihn neulich ins Haus gehen sehen. Er sieht ziemlich gut aus«, bemerkt Morgana nach einem langen Zug. »Wer?« »Na dein Vater. Diego.« »Das sagen alle.« »Wer sind alle?« »Die Frauen, mignonne, wer denn sonst?« »Hört sich an, als würde dich das stören.« »Nein, stört mich überhaupt nicht. Diego liebt Frauen, und die Frauen lieben ihn. Deshalb sind sie harmlos.«
Wenn sie bei Morgana ist, wächst die Mauer nicht höher. Morgana tanzt vor sich hin und summt heiser eine Melodie. »Na komm schon«, sagt sie.
»Ich kann nicht.« »Aber warum denn nicht? Was wird Anne von dir denken?« Schüchtern bewegt Sophie ebenfalls die Hüften. »Siehst du?«, lacht Morgana. Natürlich kann ich, mit dir zusammen kann ich alles, mit dir hat alles einen neuen Reiz, sagt sich Sophie und bewegt die Arme im Rhythmus von Morganas Lied.
Sophie beobachtet Morgana vom Schwimmbadrand aus. Sie würde sie gern malen. Sie würde ihren Körper an verschiedenen Stellen des Blattes auftauchen lassen und dann mit schwarzer Tinte und blauen Tupfern das dunkel oszillierende Wasser ringsum andeuten. Aber die wahre Herausforderung bestünde darin, ihren Überschwang zu erfassen, ihre geschmeidigen Bewegungen, ihre sprudelnde, unbezähmbare Energie.
Morgana taucht unter, kurz treten ihre nackten Pobacken aus dem Wasser. Die Luft ist ungewöhnlich lau und duftig für die sonst so frischen Nächte des Sommers in Santiago. »Hast du vor, die ganze Nacht da sitzen zu bleiben? Na los, spring rein. Das Wasser ist ganz warm«, ruft Morgana ihr zu.
Sie haben sich durch eine Zaunlücke in das Schwimmbad vom Stade Français gestohlen. Morgana hatte die Idee, und Sophie bereut nicht, sich darauf eingelassen zu haben. Sie zieht ihren Rock aus und streift die blaue Bluse über den Kopf. Der weiße Schlüpfer über ihren schmalen Hüften schimmert in der Dunkelheit wie der Kopf eines Eisbären. Am linken Handgelenk trägt sie wie immer eines ihrer selbstbemalten bunten Armbänder. Sie hat Dutzende davon, sie verleihen ihr einen zigeunerhaften Charme, der mit ihrer jungenhaften Schlaksigkeit kontrastiert. Rasch zieht sie den Schlüpfer aus und verbirgt ihn unter ihrer Kleidung. Unterdessen ist Morgana wieder untergetaucht. Ihr schwarz gelocktes Haar wogt im Wasser wie Meeresalgen.
Sophie schließt die Augen, hält sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu und springt mit den Füßen voraus hinein. Sie malt sich aus, wie ihr Körper am Grund des Beckens zerschellen könnte. Obwohl sie gerade erst achtzehn ist und durchaus gern lebt, denkt sie manchmal darüber nach, dass der Tod ebenso facettenreich sein könnte wie das Leben.
Morgana schwimmt ihr von der anderen Seite mit kräftigen Zügen entgegen. Als sie beinahe aufeinandertreffen, taucht Morgana unter, greift nach einem von Sophies Füßen und zieht daran. Heftig rudernd macht Sophie sich frei und drückt schnell Morganas Kopf unter Wasser.
Dann lassen sich beide auf dem Rücken treiben.
Sophie ist vor acht Monaten nach Chile zu ihrem Vater gekommen. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft hat Morgana an der Tür geklingelt und gefragt, ob sie hereinkommen dürfe. Sie waren sich zuvor gelegentlich im Aufzug begegnet, hatten sich immer neugierig gegrüßt, sonst aber nie ein Wort gewechselt.
Das Wasser schlägt winzige Wellen zwischen ihnen, belebt ihre Haut. Alles ist in Bewegung. Ihre biegsamen Rücken, die Lichtstreifen, die der Mond aufs Wasser malt, die Birkenblätter, die silbrig in der Brise wiegen. Doch gleichzeitig hält auch alles nach und nach inne, wird ganz still.
»Anne wäre stolz auf uns, wenn sie uns jetzt sehen könnte«, sagt Morgana.
»Das Problem ist nur, dass sie zehntausend Kilometer entfernt ist und uns nicht einmal kennt«, entgegnet Sophie.
»Sie wird uns schon noch kennenlernen, du wirst sehen «, sagt Morgana mit Bestimmtheit. »Ich werde einen so brillanten Essay über ihre Gedichte schreiben, dass er den Atlantik überqueren und Anne Sexton, die größte Dichterin ihrer Generation, uns zu Füßen fallen wird.«
»Tu es folle, mignonne«, sagt Sophie mit ihrem nasalen Pariser Akzent, »ganz und gar verrückt, meine Süße. Na komm, drei Worte mit A.«
»Angular, adstringieren, adiabatisch. Jetzt mit M«, ruft Morgana zurück. Als Diplomatentochter hat Morgana in allen möglichen Städten der Welt gelebt, unter anderem in Paris, im selben Viertel, in dem Sophie von klein auf mit ihrer Mutter wohnte. Beide amüsiert der Gedanke, dass sie sich womöglich einmal auf der Straße, in der Metro oder in einer Bäckerei über den Weg gelaufen sind.
»Menetekeln, momentieren, masturbieren«, zählt Sophie auf. »Ach, darum geht's also. Und denkst du an jemand bestimmten?«
Sie schwimmen an den Rand, klettern nach draußen und setzen sich auf den Zementboden. Morgana bindet ihr Haar zurück und gibt den Blick auf die Architektur ihres Gesichts frei. Ihre dichten geraden Augenbrauen stoßen über der Nasenwurzel zusammen und trennen ihre spöttisch aufgeweckten Augen von der kindlich runden Stirn.
»Camilo. Er arbeitet in dem Schreibwarengeschäft, in dem ich meine Malutensilien kaufe«, antwortet Sophie. Sie strecken sich beide rücklings auf dem Zement aus, in dem noch die Wärme des Nachmittags pulsiert. Ein hoher Mond breitet seinen Schein über den Himmel wie ein Laken.
»Wie ist er?«, fragt Morgana, den Kopf zu ihr gewandt.
»Er hat einen Knackarsch«, sagt Sophie, Morganas Sprechweise imitierend.
Das Wasser im Schwimmbad schwappt noch, als hätte ein Riese darüber gepustet. Sophie weiß nicht recht, was sie mit ihren Worten bezweckt, vielleicht will sie Morgana eifersüchtig machen. Aber es ist nicht Eifersucht, die sie in ihrem Blick liest, als sie Morgana von der Seite ansieht. Ihre Augen blitzen vielmehr voller Neugierde und Lust, sich auf ein ebenso abstraktes - weil größtenteils imaginiertes - , wie herrlich sinnliches Terrain vorzuwagen.
»Er sieht also gut aus«, sagt Morgana und lacht auf. »Diego würde sagen, zu gut, ich solle lieber aufpassen. « Sie lügt. Camilo sieht nicht gut aus. Er wirkt traurig, menschenscheu, manchmal fast aggressiv, als wisse er bereits, wie unbarmherzig das Schicksal mit den Menschen umspringen kann.
»Diego, Diego. Merkst du eigentlich, dass du ihn ständig erwähnst? Warum nennst du ihn überhaupt Diego und nicht Papa? Und wann lerne ich ihn endlich mal kennen?« »Da müsstest du abends zu uns kommen, er arbeitet den ganzen Tag. Hey, du stellst ganz schön viele Fragen. «
Sie lachen. Sophie macht sich immer über Morganas Angewohnheit lustig, alles erfahren zu wollen und das meiste kurz darauf wieder zu vergessen. Sie hat manchmal das Gefühl, Morganas Gehirn lösche jeden gerade verstrichenen Moment gleich wieder aus, als müsse es den Dingen so unvoreingenommen und unverfälscht wie möglich gegenübertreten.
Die nächtliche Brise wird kühler. »Wir sollten uns anziehen«, schlägt Sophie vor. »Vielleicht kommt ja eine Bande Jugendlicher und findet uns hier nackt.« »Gefällt dir der Gedanke?« »Er würde mir nicht völlig missfallen.« »Du bist nicht ganz richtig im Kopf«, sagt Sophie und legt die Hände auf ihre kleinen Brüste, als könnte Morganas Einfall plötzlich wahr werden. Die Wassertropfen auf dem nackten Körper ihrer Freundin glitzern im nächtlichen Schein. Morgana ist zweiundzwanzig, nur vier Jahre älter als sie selbst. Sophie sagt sich, dass man eine gute Portion Courage und Kühnheit besitzen muss, um sich mit einem solchen Körper so unbefangen zu geben.
Als sie beide angezogen sind, holt Morgana aus ihrer Tasche eine kleine Metallbox, deren Deckel ein Engel ziert. Aus den Schultern wachsen ihm Flügel, die sich bis zu seinen Füßen hinabwölben. Morgana entnimmt der Box ein Stückchen Papier, entfaltet es und bedeckt es mit Tabak und Marihuanakrümeln. Dicht über ihnen atmet der Himmel. Sophie kommt es vor, als müsse sie den Arm nur ein wenig ausstrecken, um ihn zu berühren.
Als Morgana an jenem Nachmittag ganz unverhofft in ihre Wohnung schneite, hat sie auch einen Joint gedreht und ihr erzählt, die Engelsdose sei ein Geschenk des ersten Jungen gewesen, mit dem sie geschlafen habe. Sophie hatte vorher schon einmal mit einem ihrer Kommilitonen von der Kunsthochschule einen Joint geraucht, dabei war jedoch die Mauer, die sie stets von der Welt trennt, so hoch und unüberwindbar geworden, dass sie es seitdem nicht mehr probiert hat. Bis Morgana kam.
»Ich habe ihn neulich ins Haus gehen sehen. Er sieht ziemlich gut aus«, bemerkt Morgana nach einem langen Zug. »Wer?« »Na dein Vater. Diego.« »Das sagen alle.« »Wer sind alle?« »Die Frauen, mignonne, wer denn sonst?« »Hört sich an, als würde dich das stören.« »Nein, stört mich überhaupt nicht. Diego liebt Frauen, und die Frauen lieben ihn. Deshalb sind sie harmlos.«
Wenn sie bei Morgana ist, wächst die Mauer nicht höher. Morgana tanzt vor sich hin und summt heiser eine Melodie. »Na komm schon«, sagt sie.
»Ich kann nicht.« »Aber warum denn nicht? Was wird Anne von dir denken?« Schüchtern bewegt Sophie ebenfalls die Hüften. »Siehst du?«, lacht Morgana. Natürlich kann ich, mit dir zusammen kann ich alles, mit dir hat alles einen neuen Reiz, sagt sich Sophie und bewegt die Arme im Rhythmus von Morganas Lied.
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Autoren-Porträt von Carla Guelfenbein
Carla Guelfenbein, geb. 1959 in Santiago de Chile, verließ mit siebzehn Jahren Chile zusammen mit ihrer Familie, weil diese in Opposition zum Regime Pinochets zunehmend unter Druck geriet. Im englischen Exil studierte Carla Guelfenbein Biologie und Design. Heute lebt sie als Schriftstellerin und Drehbuchautorin wieder in ihrer Heimat.Angelica Ammar, geb. 1972 in München, studierte Romanistik und Ethnologie in München und Madrid. Weitere Aufenthalte in Lissabon, Montevideo und Buenos Aires. Zahlreiche Übersetzungen aus dem Spanischen und Französischen. Seit 1997 lebt die Autorin in Paris.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carla Guelfenbein
- 2012, 301 Seiten, Maße: 13,3 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Ammar, Angelica
- Übersetzer: Angelica Ammar
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100278267
- ISBN-13: 9783100278265
Rezension zu „Nackt schwimmen “
"Carla Guelfenbein zerlegt die Wirklichkeit, verdichtet sie, formt sie zu Geschichten um, die so nah an der chilenischen Realität sind, dass die Chilenen süchtig sind nach ihren Büchern." Annabelle
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