Napoleon und die Deutschen
Als Mängel-Exemplar
nur
Napoleon und die Deutschen von Eckart Kleßmann
LESEPROBE
FünftesKapitel
Wein fürdie Sieger
Napoleon inBerlin
Niemandhatte in Berlin mit einer Niederlage der preußischen Armee gerechnet. Um so fassungsloser lasen die Menschen am Morgen des 17.Oktober die Proklamation des General-Gouverneurs von Berlin: «Der König hateine Bataille verlohren. Jetzt ist Ruhe die ersteBürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seineBrüder leben!» Diese lapidare Mitteilung mußte fürdie Untertanen genügen. Kein Wort von der völligen Zersprengung der Armee, die,das wußte Gouverneur Graf von der Schulenburg-Kehnert,den Zusammenbruch des ganzen Staates in Kürze nach sich ziehen würde. Was erallerdings noch nicht wissen konnte: An diesem 17. Oktober wurde bei Halle a.d. Saale auch das Reservekorps unter dem Kommando des in preußischen Diensten stehendenHerzogs Eugen von Württemberg völlig geschlagen; die Straße nach Berlin standdamit den Franzosen offen.
Zwar wurdendie geschlagenen Preußen unablässig verfolgt, aber nicht übereilt. Die FestungMagdeburg verfügte über eine Besatzung von 20000 Soldaten, die den Franzosen inden Rücken fällen konnten, und über den Verbleib versprengter Einheiten, etwaden Resten des Korps Hohenlohe, lagen dem Kaiser noch keine präzisen Angabenüber Standort und Stärke vor. Napoleons Hauptquartier befand sich am 22.Oktober in Wittenberg, wo ihm Friedrich Wilhelm III. durch den Marquis Lucchesini ein Waffenstillstandsangebot vortragen ließ.
Der Kaiserverlangte von Preußen die Abtretung aller Gebiete links der Elbe mit AusnahmeMagdeburgs und die Zahlung von 100 Millionen Francs Reparationen. Zugleichwurden wie selbstverständlich die links der Elbe besetzten Gebiete einschließlichdes Herzogtums Braunschweig und der thüringischen Staaten unter französischeVerwaltung gestellt. Die sächsischen Truppen hatten bereits am 17. Oktobereinen Waffenstillstand mit Frankreich vereinbart und damit das ohnehin nichtgewollte Bündnis mit Preußen verlassen. Sonderlich gedankt wurde ihnen dasnicht. Ihre Kavallerie mußte sämtliche Pferde undSäbel abgeben, um damit französische Dragoner zu versorgen. Leipzig und Dresdenwurden besetzt, alle militärischen Magazine konfisziert und von Leipzig dieLieferung großer Mengen von Tuch und Leder verlangt.
Dochblieben dem Land wenigstens die Schrecken des Krieges erspart, anders alsPreußen, dessen wie immer unentschlossener König nicht wußte,ob man durch Verhandlungen mit Napoleon vielleicht doch noch günstigereKonditionen herausholen könne, aber damit verlor er nur Zeit; in dem Maße, indem die französische Armee vorrückte, erhöhte Napoleon seine Forderungen.
Am Abenddes 24. Oktober bezog der Kaiser Quartier im Potsdamer Stadtschloß,tags darauf ergab sich die Festung Spandau kampflosden Truppen des Marschalls Lannes, während Magdeburgvom Armeekorps Neys eingeschlossen wurde.
Um das 3.Armeekorps des Marschalls Davout, das den Sieg bei Auerstedt errungen hatte, besonders auszuzeichnen, verfügteNapoleon, es solle als erstes in Berlin einziehen. In der preußischen Hauptstadtmit ihren 157 000 Einwohnern herrschte gespannte Ruhe. Die Behörden taten ihreArbeit wie gewohnt, die Staatskassen waren gerade noch rechtzeitig nachKönigsberg gebracht worden, nicht aber die im Zeughaus lagernden 40 000 Gewehreund 50 Kanonen und die in Moabit befindlichen 2000 Zentner Pulver; derAbtransport von Waffen und Munition wurde von Fürst Franz Ludwig von Hatzfeld,dem neuen Gouverneur Berlins (sein Schwiegervater Schulenburg war abgereist),mit der kuriosen Begründung verboten, Napoleon könne dies übelnehmen!Den Einzug des Davoutschen Korps hat am lebendigstender Berliner Canvas George geschildert, der ihn alsNeunjähriger miterlebte:
«Am 25.Oktober früh morgens war ganz Berlin gespannt auf den Einmarsch derfranzösischen Scharen, im Rondel am Hallischen Tore versammelten sich die Neugierigen, undviele Ungeduldige gingen abermals zum Tore hinaus.
Esvergingen einige Stunden, in der Ferne hörte man die Trommeln wirbeln, derSchall kam näher, und der Weg nach Tempelhof blitzte von tausenden Bajonetten.Der Magistrat in corpore, die Schlüssel der Stadt bereithaltend, warversammelt; jetzt erschütterte Trommelschall und rauschende Musik die Luft, undaller Augen richteten sich nach dem Tore. Der erste französische Infanteristtrat ein, ich habe ihn oft im Leben abgezeichnet, es war ein langer, hagererMann, mit blassem Gesicht, das wildes, schwarzes Haar bedeckte, der erste Gegenstandunseres Erstaunens, die wir an wohlgepuderte, egale Locken und steife Zöpfe bei Soldaten gewöhnt waren.Noch mehr erstaunten wir ob seines Anzuges; ein fahler kurzer Mantel bedeckte denLeib, den Kopf ein kleiner verwitterter Hut, mehr rot als schwarz, und vonunbeschreiblicher Form, dabei so schief und pfiffig aufgesetzt, daß dieser Kopf und Hut uns schon eine hohe Merkwürdigkeitdünkte. Die Beinkleider waren von schmutziger Leinwand stark zerrissen, dieFüße nackt, mit zerrissenen Schuhen bekleidet; ein zottiger Pudel, den er am Strickführte, blickte aufmerksam ihm nach dem Munde, mit dem er von einem großenStück Brot abbiß und mitunter dem Pudel etwas zuwarf,man denke sich, ein Soldat mit einem Hunde am Leitseil und, was noch mehr war,auf dem Bajonette ein halbes Brot aufgespießt, am Pallascheine Gans hängend und auf dem Hute statt des Feldzeichens einen blechernenLöffel. Diese originelle Figur kam allein voran, mit einem gewöhnlichenleichten Schritte, blickte aber mit großen schwarzen Augen wie ein König aufdie Hunderte, die ihn wieder höchst neugierig anstarrten, fünfzig Schrittehinter ihm fesselten aber neue Figuren die Aufmerksamkeit.
HoheMänner, durch große Bärenmützen mit roten Federbüschen noch vergrößert, mitbraunem Gesicht, langen, schwarzen Bärten, die bis auf den Magen reichten undgrell gegen ein langes, schneeweißes Schurzfell abstachen, blinkende Äxte aufder Schulter, Gewehre auf den Rücken geschnallt, zogen zum Tore ein; es warendie Sappeurs, und ein Grausen befiel uns, als wirdiese Gestalten, von denen wir nie eine Idee gehabt, erblickten, hinter ihnenfolgte ein schöner, schlanker Mann, in sauberem Anzuge, mit goldnen Epaulets, den großen Hut mit Goldtressen verziert, er warfeinen Stock mit dickem Knopfe in die Luft und fing ihn wieder, darauf gab dasEcho den Schall von unzähligen Trommeln zurück, und das Ohr ward erschüttertvon dem gewaltigen Lärm, mit dem die türkische Musik, vermischt mit dem Wirbelder Trommeln, uns betäubte. ( )
© RowohltVerlag
- Autor: Eckart Kleßmann
- 2007, 288 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 387134561X
- ISBN-13: 9783871345616
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