Nichts ausgelassen
Seinem Aufenthalt in einem "Landeserziehungsheim" verdankte er die Begegnung mit der Bühne eine Leidenschaft, die seinem Leben Ziel und Richtung gab, bis der Film Männer von Doris Dörrie schließlich den Durchbruch brachte.
Ehrlich, selbstkritisch und mit einer Prise Ironie erzählt Lauterbach aber auch von den Frauen seines Lebens, von Ehekrisen und Affären und von der Ruhe, die der Ruhelose schließlich bei Viktoria Skaf findet.
Zeit seines Lebens war Heiner Lauterbach ein Abenteurer, der oft gestürzt ist und stets die Kraft fand, wieder aufzustehen. Heute sucht der Rebell von einst die Grenzüberschreitung in seinem Inneren die wahre Herausforderung liegt in der Nähe.
Nichts ausgelassen von HeinerLauterbach
LESEPROBE
Der 10. April 1953 war einFreitag. Dabei bin ich eigentlich ein Sonntagskind. Auf jeden Fall hat, wennich meinen Eltern glauben darf, in Köln die Sonne geschienen. Allerdings nochnicht morgens um sechs, als mein Vater den Anruf vom Krankenhaus erhielt. MeineSchwester Marina erzählt, dass er sie geweckt hat, um dann mit ihr wie besessenauf dem Bett herumzuhopsen und abwechselnd:
»Ich hab einen Sohn!« und »Duhast ein Brüderchen!« zu rufen.
In Anbetracht meiner späteren,speziell meiner schulischen Entwicklung neigt mein Vater heute zu einer etwasweniger euphorischen Darstellung der Ereignisse. Aber meine Schwester, die ausder ersten Ehe meiner Mutter stammt, war bei meiner Geburt schon sieben Jahrealt, so dass ich durchaus gewillt bin, ihr Glauben zu schenken.
Wie dem auch sei: Es haben sichalle drei gefreut. Der erste Sohn meiner Mutter Maya war während des Kriegesauf die Welt gekommen und schon nach ein paar Wochen gestorben. So war ihreFreude groß, jetzt, in ruhigeren Zeiten, endlich ein gesundes Brüderchen fürihre Tochter auf die Welt gebracht zu haben. Und einen properen Sohn undStammhalter für ihren Ehemann, den sie erst vor einem Jahr geheiratet hatte.
Mein Vater Hans war mit seinengerade mal fünfundzwanzig Lenzen schon ein recht erfolgreicher Unternehmer.Nach dem Krieg, der für ihn im Alter von siebzehn Jahren in amerikanischerGefangenschaft zu Ende gegangen war, hatten er und sein Vater, Opa Joseph,einen kleinen Installationsbetrieb aufgebaut. Am Anfang stand tatsächlich dieberühmte, wohl von Millionen Nachkriegsvätern zitierte Schubkarre. Als meinOnkel Heinz ein paar Jahre danach als Spätheimkehrer aus russischerGefangenschaft kam, nahmen sie ihn mit ins Boot. Dieser Betrieb, aus derblutigen Asche des Krieges geboren, sollte später einmal zu einem der größtenSanitär- und Heizungsunternehmen in ganz Nordrhein-Westfalen werden. Sobescherte mir wohl nicht nur der Fleiß der Firmengründer, sondern wohl auch dasWirtschaftswunder eine finanziell sorgenfreie Kindheit und Jugend.
Ich soll ein braves Kind gewesensein, ruhig und genügsam. Lassen wir das mal so stehen. Die zuweilenvorteilhafte menschliche Eigenschaft, unangenehme Dinge zu vergessenbeziehungsweise zu verdrängen, macht glücklicherweise auch vor dem elterlichenErinnerungsvermögen nicht halt.
Damals habe ich viel in den füruns Knirpse so herrlichen Trümmergrundstücken gespielt, von denen es in Köln,wo ich aufgewachsen bin, immer noch etliche gab. Meine Mutter hatte es striktabgelehnt, mich in einen Kindergarten zu »stecken«. »Ich hätte dich niemalsfreiwillig hergegeben«, pflegte sie später immer zu sagen. So hatte ichreichlich Zeit für unsere geliebten Ruinen. Sie dienten als Behausung für dieersten Doktorspiele ebenso wie als Austragungsort diverser Mutproben, die es zubestehen galt - oder vor denen man gegebenenfalls kniff. Hier näherten wir unsvorsichtig dem Zungenkuss und rauchten unsere erste Zigarette. In meinem Fallwar es eine Overstolz, die Nachkriegsmarke schlechthin. Ohne Filter, verstehtsich, aber nicht ohne Folgen.
Nachdem ich wieder einmal in denTrümmern gespielt hatte, kam ich zum Mittagessen nach Hause. Ich war geradedabei, mir in der Küche die Hände zu waschen, als sich mein Vater neben mich stellte.Er war wie immer mittags aus der Firma nach Hause gekommen, um mit seinerFamilie zu essen.
»Na, mein Sohn« - wenn irgendwasim Busch war, nannte er mich immer »mein Sohn« -, »was hast du denn den ganzenVormittag getrieben?«
Ich war gewarnt: »Ich?« fragteich, um erst mal Zeit zu gewinnen, Zeit, die bei meinem Vater gerade mittagsknapp bemessen war. Entsprechend schnell brachte ihn dieses Geplänkel auf diePalme.
»Ist sonst noch jemand im Raum?«
Für mein Empfinden war die Fragemindestens so überflüssig wie meine. Demonstrativ sah ich mich in der Küche um.»Nee«, erwiderte ich.
Mein Vater zog es vor, sichnicht weiter auf diese unergiebige Konversation einzulassen, und setzte sein»Keine Spielchen jetzt«- Gesicht auf. Mir blieb also nichts anderes übrig, alsihn von meinen vormittäglichen Aktionen in Kenntnis zu setzen. Schnellüberschlug ich, was davon jugendfrei oder vielmehr erwachsenenfrei war, undmusste ebenso schnell feststellen, dass nichts, aber auch gar nichts von dem,was ich bis mittags mit meinen Freunden getrieben hatte, für seine Ohren bestimmtsein konnte. Ich musste also improvisieren.
»Erst mal war ich bei Willi«,druckste ich noch wahrheitsgetreu herum.
Willi war mein vier Jahreälterer Freund, der nur ein paar Häuser weiter wohnte. Mein Vater trauteunserer Freundschaft nicht über den Weg. Er war der Meinung, dass Willi mir dieganzen verbotenen
Dinge zeigte und beibrachte. Under hatte verdammt recht.
»Und dann haben wir auf derStraße n bisschen gespielt. Fußball und so.«
Mehr fiel mir im Moment beimbesten Willi nicht ein. Ich konnte ihm ja schlecht von unseren Doktorspielenerzählen oder wie wir in den Trümmern geraucht hatten. Letzteres war auch garnicht nötig, weil ich vergessen hatte, die mühsam organisierteZigarettenpackung aus der Brusttasche zu entfernen, bevor ich heimkam. Demwachsamen Auge meines Vaters war das Corpus delicti natürlich nicht verborgengeblieben, und so hatte ich gleich zwei Probleme an der Backe: Ich wurde sowohldes Rauchens als auch der Lüge überführt, was eine doppelte Bestrafung zurFolge hatte. So war also nicht nur der eigentlich schon trümmertechnischverplante Nachmittag im Arsch, sondern ich durfte auch den ganzen nächsten TagHausarrest schieben.
Meine schlaue Mutter nutztediese disziplinarische Maßnahme gleich für ihre Zwecke und stellte mir ein ansehnlichesProgramm zusammen: Geschirr spülen, inklusive Spüle schrubben, Fenster putzen,Staub wischen und Müll runterbringen. Obwohl die Tabakpreise seit dieser Zeitkontinuierlich gestiegen sind, war das wohl die teuerste Zigarette meinesLebens.
© Verlagsgruppe Droemer Knaur
- Autor: Heiner Lauterbach
- 2006, Nachdr., 448 Seiten, mit farbigen Abbildungen, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 15,2 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426273837
- ISBN-13: 9783426273838
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