No future
Roman
Yates ist der gefragteste Trendforscher Amerikas. Seine Auftraggeber erwarten möglichst günstige Zukunftsprognosen, und Yates belügt sie mit einer begnadeten Nonchalance. Bis er sich eines Tages entschließt, dem Blendwerk ein Ende zu setzen und nur noch die Wahrheit zu sagen.
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Produktinformationen zu „No future “
Klappentext zu „No future “
Yates ist der gefragteste Trendforscher Amerikas. Seine Auftraggeber erwarten möglichst günstige Zukunftsprognosen, und Yates belügt sie mit einer begnadeten Nonchalance. Bis er sich eines Tages entschließt, dem Blendwerk ein Ende zu setzen und nur noch die Wahrheit zu sagen.
Lese-Probe zu „No future “
Das hat der Futurologe nicht vorhergesehen. Doch jetzt, da er es sich ein wenig durch den Kopf gehen l sst, findet er es gar nicht mehr so berraschend, dass sie es ihm auf bewusst archaische Weise mitteilt: mit einer handgeschriebenen, in sein hypermodernes Bordcase geschmuggelten Notiz. Im Imperfekt. Diese Ironie h tte Lauren nur noch berbieten k nnen, wenn sie ihm die Nachricht von einem Boten h tte berbringen lassen. Oder von einer Brieftaube. Oder mit Rauchzeichen. Was jedoch alles nicht ganz leicht w re, da er gerade irgendwo zwischen New York und Johannesburg zw lftausend Meter ber dem Boden schwebt. Aber sie toppt das Ganze doch noch. Gleich nach einer Passage, die mitEiner der vielen Gr nde, warum ich dich einfach nicht mehr ertrage anf ngt und mit gr enwahnsinniger, soziopathischer Wahrsager endet, er ffnet sie Yates - dem Futurologen -, dass sie ihn wegen eines Geschichtslehrers sitzen l sst.
"Es wird wieder heil."
"Was?", fragt Yates.
"S dafrika wird der neue Renner. Alle dachten, als N chstes kommt Rache. Oder eine l hmende Massenangst. Aber das Land wird wieder heil." Blevins sitzt neben Yates in der ersten Klasse. Er ist Yates' Teilzeitberater und arbeitet daneben auch noch als Klassentreffenplaner.
"Was, gibt es jetzt neuerdings Kickboxen-f r-Heiler-Kurse im Fitnesscenter Equinox in SoHo? Hat sich Miramax die Rechte auf den Begriff gesichert?"
"Ich wollte nur sagen ..."
"Heute Abend in unserem Heilprogramm ..."
Blevins l sst sich nicht beirren. "Alles Keltische ist immer noch brandaktuell. Nat rlich nicht die kriegerischen Horden, sondern eher die stinknormale Bev lkerung. Katastrophen aus alten Zeiten faszinieren noch immer. Trag dien in den Bergen und/oder auf dem Meer, und je h her oder tiefer es geht, desto gr er ist die Faszination."
"Genau, und der Gipfel ist dann eine Bergtrag die unter Wasser." Yates greift nach der Flasche Maker's Mark.
"Bis vor kurzem waren Engel der Renner, und jetzt will sie keiner mehr
... mehr
geschenkt. Aber Buddhismus wird in Amerika wahrscheinlich bald den gro en Durchbruch schaffen."
"Hat das was mit Heilen zu tun?"
"Buddhismus und ungesch tzter Sex. Der Schei -drauf-Faktor ist noch nie so weit in den Mainstream vorgedrungen."
"Die T rkei ist auch noch aktuell, hab ich geh rt. Obwohl ..."
"Ja. Aber es ist nie blo ein Ort. Es ist immer die Kombination aus typisch amerikanischer Aktivit t und obskurem Lokalkolorit."
"Skateboardfahren in der Mongolei."
"Surfen auf dem Jangtse."
"Ficken im Weltraum."
"Genau." Blevins klatscht in die H nde und weckt damit den britischen Kunstharzm belmogul auf Platz 4D. "Und, was meinst du?"
Yates starrt auf den kleinen in den Sitz vor ihm eingelassenen Bildschirm. Ein blinkender Punkt auf einer Karte der Hemisph re stellt den Flugfortschritt dar. Noch acht Stunden bis zum Tanken auf Kap Verde und weitere vier bis zur Futureworld-Konferenz in Johannesburg.
"Nicht besonders H.-G.-Wells-m ig."
"Bitte?"
"William-Gibsonisch."
"Finde ich auch. Deswegen ... Hast du es geschafft, einen Blick auf die anderen Sachen zu werfen?"
"Was f r Sachen?"
"Die Gedanken mit ein bisschen mehr Substanz."
"Die Zukunft des Rassismus? Die unsichtbare Armut?"
"Ja. Was h ltst du davon?"
"Hatte keine Zeit, die Sachen zu lesen. Ehrlich gesagt, ich hab sie zu Hause gelassen."
"Allein f r Afrika habe ich ganze Tonnen von Material ber Aids, Hunger, Bildung."
"Inzwischen solltest du es doch wirklich wissen, Blevins: Einen Futurologen mit d steren Prognosen will keiner h ren. Und sag jetzt blo nicht, dass ich es nicht probiert habe."
"Aber du hast es schon l nger nicht mehr probiert."
Yates senkt sein Glas und starrt Blevins an. Du hast dir einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um mir Schuldgef hle einzureden.
"Au erdem muss es gar nicht so d ster sein, wenn du es richtig hindrehst. Wenn du es nicht als Anklage auftischst, sondern als Entwicklungschance."
Yates g hnt.
Nach einem tiefen Atemzug f hrt Blevins fort: "Ich hab noch einen Haufen anderes Zeug. Hab's dir gerade auf dein Notebook gebeamt."
Yates senkt den Blick auf seinen Scho . Er empfindet es als ziemlichen bergriff, dass ihm ein Teil von Blevins so nahe gekommen ist. Und noch dazu der schlimmste Teil von ihm: der wohlmeinende. Er sieht wieder auf den kleinen Bildschirm. Der blinkende Punkt scheint kurz ein Hundertstel Breitengrad zur ck Richtung Amerika zu springen.
Er stellt sich vor, wie sie es geplant hat. Wie sie sich, gem tlich auf der Couch ausgestreckt, berlegt hat, welche seiner auf die Zukunft geeichten Kn pfe sie dr cken muss, um die f r ihn niederschmetterndsten Ergebnisse zu erzielen. Also. F r wen soll ich ihn sitzen lassen? F r einen Arch ologen? Einen Ahnenforscher? Einen Pr sidentenbiographen? Oder - ja, das ist perfekt - einen Geschichtslehrer. Er schlie t die Augen und sieht, wie sie es auf einem Tweedjackett mit Ellbogenflicken aus Wildleder und zweiunddrei ig auf dem Boden verstreuten, aus dem Internet geklauten Aufs tzen ber die Schlacht von Hastings mit einem schlaksigen, b rtigen, s uerlich riechenden Veganer treibt. Er fragt sich, ob man bei derart boshaft inszenierten Umst nden noch von Ironie reden kann.
Aus dem Sitzfach vor sich holt er die Mappe mit dem Entwurf seines unvollendeten Vortrags, und irgendwie zieht er dabei auch die Instruktionen zur Notevakuierung aus der Boeing 747 heraus. Die meisten seiner Kollegen w rden alles daf r tun, um sich bei einer Konferenz wie der Futureworld ffentlichkeitswirksam pr sentieren zu k nnen. Doch Yates ist noch privilegierter. Er ist ein VIP-Redner, ein unumstrittener Hauptdarsteller in der Kultur der Erwartung, ein hoch dotierter Beobachter der Weltseele, dessen Bedeutung mit meterhohen Stapeln von Presseberichten belegt ist. Tats chlich wird er pausenlos angefragt, seit er vor vier Jahren den Ausdruck gepr gt hat, der f nfzehn Minuten lang zum Schlagwort einer ganzen Generation wurde. Baseballstars lie en ihn bei ihren klischeehaften Bemerkungen nach dem Spiel fallen, der Pr sident verwendete ihn bei einer Rede vor Kongress und Senat. Sogar ein Pornofilm wurde danach benannt. Eigentlich strahlt Yates' Stern heller denn je, doch in Wirklichkeit f hlt er sich durchdrungen von einer Glaubenskrise, vom sinkenden Vertrauen in die Zukunft, die er verkauft. Nach so vielen Jahren - nach mehreren B chern (die meisten von Ghostwritern geschrieben), Reden vor Universit tsabsolventen (alle von Ghostwritern verfasst), einem katzbuckelnden Charlie Rose, Konferenzen wie TED, Davos und Tomorrow gogo - und nach gebetsm hlenhaft wiederholten Verhei ungen einer besseren Welt ist er davon berzeugt, dass nichts davon je eintreffen wird. Der Gedanke an die Zukunft l st keine Erregung mehr in ihm aus, sondern nur noch eine tiefe Sehnsucht. Als w re die Zukunft schon verloren.
Am Flughafen in Johannesburg wird er von einem jungen Wei en in Empfang genommen, der ein Schild mit Yates' Name hochh lt. "Ich bin David, Ihr Betreuer." Er reicht Yates eine Visitenkarte. "Wenn Sie etwas brauchen, m ssen Sie es nur sagen. Fahrten, Eink ufe - alles, zu jeder Zeit." Beim Zoll geht David zur Sonderabfertigung. Er nickt dem Beamten zu, und Yates wird durchgewinkt. Am Terminalausgang wirft Yates einen Blick zur ck und sieht, wie Blevins immer noch mit seinen Ausweispapieren herumfummelt und die Hallendecke hoffnungslos nach einem Zeichen absucht, das einen Sinn in dieses Chaos bringen k nnte. Elendsquartiere in Prim rfarben. Rauchende M llhaufen auf dem Gehsteig. Barf ige Kinder im Schatten von Kentucky-Fried-Chicken-Plakaten. Von Hausbesetzern bewohnte Wolkenkratzer und Hotelanlagen. Das abgenagte Skelett einer Stadt. Yates beobachtet die Welt durch Fensterscheiben, die sich nur eine Handbreit hinunterkurbeln lassen. Durch dunkel get ntes, kugelsicheres Glas. Er sitzt allein im Fond und bem ht sich um aufrichtige Unterhaltungen mit Fahrern, die f r gef lliges Verhalten bezahlt werden. Von geschw tzigen Hotelpagen und aus dem Cond Nast Traveler holt er sich Lokalinformationen. Von den obersten Treppenstufen der Grandhotels herab gewinnt er tiefsch rfende soziologische Erkenntnisse. Aus dem Blick durch den Vorhang einer Managersuite im achtzehnten Stock saugt er geopolitisches Fachwissen. Er bekommt es zusammen mit seinem gesunden Fr hst ck von englisch sprechenden Zimmerkellnern serviert. Aus Gratiszeitungen, die ihm vor die T r geworfen werden. Von Spectravision. Dann zeichnet er alles auf und l sst es sich durch den Kopf gehen. Er destilliert es zu einer Anekdote, einer Konversationser ffnung, einer knackigen Pointe, und schlie lich verwandelt er es in eine v llig eigene, hochgeachtete Expertise ber die Welt, die reiner Quatsch ist.
Vor dem Fenster gehen Tausende durch den Morgennebel. "Wo wollen die denn alle hin, David?"
"Zur Bushaltestelle, Sir. Zur Arbeit in den Vorst dten. Nach Sandton, nach Fourways. In der City gibt es keine Arbeit mehr. Zum Beispiel in Soweto. Die Wirtschaft und das Geld bilden einen G rtel um die Stadt. Aber der Kern ist hohl."
"Wie berlebt er dann?"
"Gute Frage, Sir. Das ist ein Problem, mit dem sich das Ministerium f r Wirtschaftsentwicklung gerade befasst. Und es ist auch der Grund, warum sich das Ministerium daf r stark gemacht hat, die angesehene Futureworld-Konferenz hierherzuholen. Damit Leute wie Sie Denkanst e f r den Fortschritt geben. F r die ganze Wirtschaft."
Yates blickt auf Laurens Brief und f hrt mit dem Finger ber die blauen Venen ihrer Handschrift, wie um ihren Puls zu tasten. Sein Telefon vibriert, und Blevins' Nummer erscheint auf der Anzeige. Blevins, den er zuletzt gesehen hat, als er in einem menschlichen Mahlstrom zu ertrinken drohte. H tte ihn im Auto mitnehmen sollen. Aber nach siebzehn Stunden seines um Ernsthaftigkeit bem hten Gelabers ... Trotzdem, der arme Kerl.
"Hey, David. Halten Sie doch mal kurz an, damit ich vorn einsteigen kann."
"Das geht nicht, Sir."
"Warum denn nicht? Da k nnen wir viel besser miteinander reden."
"Ich w rde ja gern, wirklich. Aber hier anhalten ist nicht sicher. Au erdem, wenn Sie vorn neben mir gesehen werden, bin ich meinen Job los."
Einmal machte er bei einem anarchistischen Konvent einen Vertrauenssprung. Einmal hielt er bei einem Seminar f r Sportmaskottchen eine Grundsatzrede und stellte sich anschlie end den Fragen ber Kost mierung, k rperliche Bedrohung der Mimen und Krankenversicherung. Einmal musste er als Ersatzjuror bei der Wahl der Miss Kreta einspringen. Einmal hielt er innerhalb einer Woche Vortr ge vor den Verk ufern einer konkursgef hrdeten Internetfirma und auf einem st rmischen Ludditensymposium und bekam bei beiden stehende Ovationen.
Beim Einchecken kriegt er eine Leinentasche, die gef llt ist mit Leckereien des Hauses, den j ngsten digitalen Spielsachen, einer Menagerie afrikanischer Tiere aus Mahagoni, einer Futureworld-Bomberjacke aus Leder und zwei Flaschen Capetown Merlot. Er schaut sich in der Lobby nach irgendwelchen bekannten Gesichtern um. In den Vorabinformationen waren Leute wie Jobs, Bezos und Spielberg, die Google-Macher, Angelina Jolie und ein k rzlich unterlegener amerikanischer Pr sidentschaftskandidat versprochen worden. Niemand von ihnen ist zu sehen. Aber er bemerkt Faith B. Popcorn, die Mutter aller echten Futurologen. Yates hat das dumpfe Gef hl, dass Faith B. Popcorn mehr kann, als nur die Zukunft erkennen. Sie durchschaut ihn. Seine kriecherischen Vorhersagen, seine wissenschaftlich zweifelhaften Anleihen bei anderen Denkern. Bestimmt wei sie ber alles Bescheid und lechzt danach, ihn zu Fall zu bringen. Und genau aus diesem Grund zieht er den Kopf ein, wendet sich ab und steuert auf die Aufz ge zu.
Um zehn Uhr vormittags entkorkt er die erste Flasche Gratis-Merlot, schaltet Sky News ein und ffnet sein Notebook. Bei jeder Konferenz hat es Yates mit zwei Sponsoren zu tun. Der eine ist der Gastgeber, dessen Namen auf den Plakaten steht. Der zweite ist fast immer ein Geldgeber aus der Politik oder Wirtschaft, der Yates daf r bezahlt, dass er auf subtile und manchmal auch nicht so subtile Weise die Botschaft dieses Geldgebers verbreitet. Diesmal handelt es sich um den Central Business District Johannesburgs, den CBD. konomisch angeschlagen, gezeichnet vom Rassenkonflikt, geplagt von Aids, Armut und Gewalt, will Johannesburg wieder zu einer Wirtschaftsmacht von globaler Bedeutung aufsteigen. Daher soll der geplante Vortrag die schreckliche Realit t nach M glichkeit ignorieren und das existierende Chaos durch etwas ersetzen, was die Gesch ftswelt h ren will. Hier bitte den Namen eines bedeutenden Bauprojekts einf gen. Dann die erstklassige aktuelle F hrungsriege erw hnen und nat rlich auch die Menschen, die voller Leidenschaft ihre Arbeit machen. Das Ganze gro z gig mit Zitaten von Thoreau, Verne und - morgen - Mandela garnieren. Dazu noch eine Prise der besten Einzeiler, deren ungenannte Quellen alles und jeden umfassen - von Black Elk ber John Lennon und Marshall MacLuhan bis hin zu den weisen Spr chen auf den Teebeuteln der Firma Celestial Seasons. Nicht vergessen, den Konferenzteilnehmern in den Arsch zu kriechen, vor allem denen, die einen am meisten verachten. Jetzt noch eine erhebende Anekdote ber einen Einheimischen, der es trotz gro er Widrigkeiten geschafft hat, vielleicht etwas aus der Joburg Times, oder wie das K seblatt hei t, oder eine ersch tternde Szene, deren Zeuge man auf dem Weg vom Flughafen geworden ist. Zum Schluss ein reiner optimistischer Adrenalinsto . Ein leuchtendes Bild dessen malen, was sein kann. In absoluten Begriffen. Der Tag, an dem jeder S dafrikaner drahtlos mit der freien Welt verbunden sein wird. An dem Johannesburg wieder zu den gro en Metropolen der Welt z hlen wird. Eine Renaissance der Wirtschaft. Ein Wunder des Gesundheitssystems. Friedliches Miteinander der Rassen ...
Fr her glaubte Yates an solche Vorstellungen. Er war berzeugt, dass so etwas m glich oder zumindest ein erstrebenswertes Ziel ist. Er machte immer seine Hausaufgaben und berlegte sich alles genau. Er ging sogar so weit, mit Einheimischen zu reden, die Region zu erforschen und Zahlungen von Interessengruppen auszuschlagen. Und er versuchte gewissenhaft, auf ernsthafte, wenngleich unrealistische und letztlich undurchf hrbare L sungen f r uralte Probleme zu kommen. Doch jetzt ...
In einer E-Mail schl gt er Lauren vor, miteinander zu reden, doch sie kommt als unzustellbar gekennzeichnet zur ck. Dann versucht er es telefonisch bei ihr zu Hause, aber der Anschluss existiert nicht mehr. Schlie lich w hlt er ihre Handynummer und l sst es eine Viertelstunde l uten. Eine Beobachtung, die er nicht in seinen n chsten Vortrag ber die Errungenschaften der Telekommunikation aufnehmen wird: Inzwischen kann man von einem anderen Kontinent aus in Echtzeit abserviert werden, um anschlie end praktisch mit Lichtgeschwindigkeit gegen eine digitale Mauer der Ablehnung und Feindseligkeit zu rasen.
Es klopft an der T r. Eine junge Schwarze in einem engen roten Kleid. Joani aus Swasiland. Mit besten Empfehlungen vom CBD. Er gibt ihr hundert Rand und die Futureworld-Bomberjacke und schickt sie weg. Er setzt sich wieder hin und trinkt. Zappt sich durch die Programme. Vertr delt Zeit. Eine Stunde sp ter klopft es erneut. David, der Betreuer.
"Ich dachte schon, da kommt die n chste Gratisnutte."
"Sir?"
"Nichts. Ein Glas Wein?"
David blickt auf die Uhr. "Ich soll Sie zum Fu ballspiel bringen."
"Bitte?"
"Es liegt auf Ihrem Weg. Ein wichtiges Spiel."
"Mit Fu ball kann ich momentan berhaupt nichts anfangen."
"Dieser Besuch geh rt zu Ihrem Vertrag."
Yates war noch nie bei einem Fu ballspiel, und das hier ist offensichtlich eine gr ere Sache. Das Ellis Park Stadium ist bis auf den letzten Platz gef llt. Die Menge bewegt sich mit der Anmut und der Kraft einer riesigen Woge, eine singende, skandierende Naturgewalt. Er sieht sich um und fragt sich, ob er der einzige Wei e im Stadion ist. Kurz nachdem er Platz genommen hat, beginnen die Ausschreitungen, aber es dauert eine Weile, bis er davon was merkt. Ein Spieler bekommt die gelbe Karte. Yates bekommt einen Gin Tonic. Am Haupteingang wird ein Teenager erstochen. In der VIP-Lounge wird ein Witz gerissen. In Block 214 flie t Blut auf den hei en Beton, und die Leute fl chten zu den Tunnels. Aber das Spiel geht weiter. Als die Tunnels verstopft sind, st rmen die Leute in Richtung Spielfeld, das mit engmaschigem Draht abgez unt ist. Yates bekommt nichts davon mit. Den Urschrei und das kollektive St hnen, als die K rper gegeneinandergepresst werden, bis sie platzen, schreibt er der l rmenden Begeisterung zu. Die Sch sse h lt er f r Feuerwerksk rper - und noch dazu f r billige Exemplare aus der Dritten Welt. Als die Menschen die Abz unung hinaufklettern, denkt er, es handelt sich um ein regionales Sportritual wie La Ola. Er hat keine Ahnung, dass sie ums nackte berleben k mpfen. F r Yates ist alles nur ein Spektakel, das f r ihn aufgef hrt wird, und als man ihm einen zweiten Drink reicht, berlegt er schon, wie er das Ganze in seine morgige Rede einbauen kann. Was f r eine Leidenschaft!
Dass da vielleicht etwas nicht in Ordnung ist, d mmert Yates zum ersten Mal, als ein Mitarbeiter dem Minister f r Wirtschaftsentwicklung mit grimmiger Miene etwas ins Ohr fl stert. Dann bemerkt er, dass Dutzende von Polizisten in die Menge vordringen. Doch statt die Massenpanik zu stoppen, stacheln sie sie noch an. Umgeben von Wachleuten, beobachtet Yates von seiner entr ckten Position aus das Gew hl und Gezerre der Menge. Schwarze Kn ppel zucken durch den sonnenerf llten Himmel und sausen auf die Menschen nieder. Sch sse. Wie in einer Schraubzwinge werden K rper gegen die Zaunabsperrung gequetscht. Ein junger Mann mit gr ner Gesichtsbemalung, der auf dem Zaun sitzt, wird von jemandem mit roter Gesichtsbemalung in die Brust geschossen und st rzt nach unten.
In der Spielfeldmitte haben sich der Schiedsrichter und die Spieler beider Clubs zusammengekauert. Nun sind sie die Zuschauer, die den m rderischen Kampf auf den R ngen verfolgen.Eine halbe Stunde sp ter marschieren sie mit Yates auf das Feld, zu den steif werdenden Leichen, vorbei an den benommenen Verwandten und Freunden, die mit an den Zaun gedr ckten Gesichtern auf die Erlaubnis zum Trauern warten. Es w re ihnen bestimmt lieber, wenn Yates nicht dabei w re, aber jetzt k nnen sie nichts mehr daran ndern. Verlassen auf einer Trage liegt ein Mann, dessen zersplittertes Schienbein durch einen blutigen Riss in der Hose zu erkennen ist. Zwei Polizisten ziehen den Film aus der Kamera eines Journalisten. Yates h rt nur die Sirenen, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Er sieht nur die Privilegierten und die Toten. Leichens cke im Torraum. Einige geschlossen, andere noch leer, um bald gef llt zu werden. Er starrt in die Gesichter der Toten, die erst vor wenigen Stunden mit rituellen Farben bemalt worden sind, um das Gegenteil von Tod zum Ausdruck zu bringen. Ein einsames f nfj hriges Kind sieht Yates an. Yates kann seinem Blick nicht standhalten.
"Hat das was mit Heilen zu tun?"
"Buddhismus und ungesch tzter Sex. Der Schei -drauf-Faktor ist noch nie so weit in den Mainstream vorgedrungen."
"Die T rkei ist auch noch aktuell, hab ich geh rt. Obwohl ..."
"Ja. Aber es ist nie blo ein Ort. Es ist immer die Kombination aus typisch amerikanischer Aktivit t und obskurem Lokalkolorit."
"Skateboardfahren in der Mongolei."
"Surfen auf dem Jangtse."
"Ficken im Weltraum."
"Genau." Blevins klatscht in die H nde und weckt damit den britischen Kunstharzm belmogul auf Platz 4D. "Und, was meinst du?"
Yates starrt auf den kleinen in den Sitz vor ihm eingelassenen Bildschirm. Ein blinkender Punkt auf einer Karte der Hemisph re stellt den Flugfortschritt dar. Noch acht Stunden bis zum Tanken auf Kap Verde und weitere vier bis zur Futureworld-Konferenz in Johannesburg.
"Nicht besonders H.-G.-Wells-m ig."
"Bitte?"
"William-Gibsonisch."
"Finde ich auch. Deswegen ... Hast du es geschafft, einen Blick auf die anderen Sachen zu werfen?"
"Was f r Sachen?"
"Die Gedanken mit ein bisschen mehr Substanz."
"Die Zukunft des Rassismus? Die unsichtbare Armut?"
"Ja. Was h ltst du davon?"
"Hatte keine Zeit, die Sachen zu lesen. Ehrlich gesagt, ich hab sie zu Hause gelassen."
"Allein f r Afrika habe ich ganze Tonnen von Material ber Aids, Hunger, Bildung."
"Inzwischen solltest du es doch wirklich wissen, Blevins: Einen Futurologen mit d steren Prognosen will keiner h ren. Und sag jetzt blo nicht, dass ich es nicht probiert habe."
"Aber du hast es schon l nger nicht mehr probiert."
Yates senkt sein Glas und starrt Blevins an. Du hast dir einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um mir Schuldgef hle einzureden.
"Au erdem muss es gar nicht so d ster sein, wenn du es richtig hindrehst. Wenn du es nicht als Anklage auftischst, sondern als Entwicklungschance."
Yates g hnt.
Nach einem tiefen Atemzug f hrt Blevins fort: "Ich hab noch einen Haufen anderes Zeug. Hab's dir gerade auf dein Notebook gebeamt."
Yates senkt den Blick auf seinen Scho . Er empfindet es als ziemlichen bergriff, dass ihm ein Teil von Blevins so nahe gekommen ist. Und noch dazu der schlimmste Teil von ihm: der wohlmeinende. Er sieht wieder auf den kleinen Bildschirm. Der blinkende Punkt scheint kurz ein Hundertstel Breitengrad zur ck Richtung Amerika zu springen.
Er stellt sich vor, wie sie es geplant hat. Wie sie sich, gem tlich auf der Couch ausgestreckt, berlegt hat, welche seiner auf die Zukunft geeichten Kn pfe sie dr cken muss, um die f r ihn niederschmetterndsten Ergebnisse zu erzielen. Also. F r wen soll ich ihn sitzen lassen? F r einen Arch ologen? Einen Ahnenforscher? Einen Pr sidentenbiographen? Oder - ja, das ist perfekt - einen Geschichtslehrer. Er schlie t die Augen und sieht, wie sie es auf einem Tweedjackett mit Ellbogenflicken aus Wildleder und zweiunddrei ig auf dem Boden verstreuten, aus dem Internet geklauten Aufs tzen ber die Schlacht von Hastings mit einem schlaksigen, b rtigen, s uerlich riechenden Veganer treibt. Er fragt sich, ob man bei derart boshaft inszenierten Umst nden noch von Ironie reden kann.
Aus dem Sitzfach vor sich holt er die Mappe mit dem Entwurf seines unvollendeten Vortrags, und irgendwie zieht er dabei auch die Instruktionen zur Notevakuierung aus der Boeing 747 heraus. Die meisten seiner Kollegen w rden alles daf r tun, um sich bei einer Konferenz wie der Futureworld ffentlichkeitswirksam pr sentieren zu k nnen. Doch Yates ist noch privilegierter. Er ist ein VIP-Redner, ein unumstrittener Hauptdarsteller in der Kultur der Erwartung, ein hoch dotierter Beobachter der Weltseele, dessen Bedeutung mit meterhohen Stapeln von Presseberichten belegt ist. Tats chlich wird er pausenlos angefragt, seit er vor vier Jahren den Ausdruck gepr gt hat, der f nfzehn Minuten lang zum Schlagwort einer ganzen Generation wurde. Baseballstars lie en ihn bei ihren klischeehaften Bemerkungen nach dem Spiel fallen, der Pr sident verwendete ihn bei einer Rede vor Kongress und Senat. Sogar ein Pornofilm wurde danach benannt. Eigentlich strahlt Yates' Stern heller denn je, doch in Wirklichkeit f hlt er sich durchdrungen von einer Glaubenskrise, vom sinkenden Vertrauen in die Zukunft, die er verkauft. Nach so vielen Jahren - nach mehreren B chern (die meisten von Ghostwritern geschrieben), Reden vor Universit tsabsolventen (alle von Ghostwritern verfasst), einem katzbuckelnden Charlie Rose, Konferenzen wie TED, Davos und Tomorrow gogo - und nach gebetsm hlenhaft wiederholten Verhei ungen einer besseren Welt ist er davon berzeugt, dass nichts davon je eintreffen wird. Der Gedanke an die Zukunft l st keine Erregung mehr in ihm aus, sondern nur noch eine tiefe Sehnsucht. Als w re die Zukunft schon verloren.
Am Flughafen in Johannesburg wird er von einem jungen Wei en in Empfang genommen, der ein Schild mit Yates' Name hochh lt. "Ich bin David, Ihr Betreuer." Er reicht Yates eine Visitenkarte. "Wenn Sie etwas brauchen, m ssen Sie es nur sagen. Fahrten, Eink ufe - alles, zu jeder Zeit." Beim Zoll geht David zur Sonderabfertigung. Er nickt dem Beamten zu, und Yates wird durchgewinkt. Am Terminalausgang wirft Yates einen Blick zur ck und sieht, wie Blevins immer noch mit seinen Ausweispapieren herumfummelt und die Hallendecke hoffnungslos nach einem Zeichen absucht, das einen Sinn in dieses Chaos bringen k nnte. Elendsquartiere in Prim rfarben. Rauchende M llhaufen auf dem Gehsteig. Barf ige Kinder im Schatten von Kentucky-Fried-Chicken-Plakaten. Von Hausbesetzern bewohnte Wolkenkratzer und Hotelanlagen. Das abgenagte Skelett einer Stadt. Yates beobachtet die Welt durch Fensterscheiben, die sich nur eine Handbreit hinunterkurbeln lassen. Durch dunkel get ntes, kugelsicheres Glas. Er sitzt allein im Fond und bem ht sich um aufrichtige Unterhaltungen mit Fahrern, die f r gef lliges Verhalten bezahlt werden. Von geschw tzigen Hotelpagen und aus dem Cond Nast Traveler holt er sich Lokalinformationen. Von den obersten Treppenstufen der Grandhotels herab gewinnt er tiefsch rfende soziologische Erkenntnisse. Aus dem Blick durch den Vorhang einer Managersuite im achtzehnten Stock saugt er geopolitisches Fachwissen. Er bekommt es zusammen mit seinem gesunden Fr hst ck von englisch sprechenden Zimmerkellnern serviert. Aus Gratiszeitungen, die ihm vor die T r geworfen werden. Von Spectravision. Dann zeichnet er alles auf und l sst es sich durch den Kopf gehen. Er destilliert es zu einer Anekdote, einer Konversationser ffnung, einer knackigen Pointe, und schlie lich verwandelt er es in eine v llig eigene, hochgeachtete Expertise ber die Welt, die reiner Quatsch ist.
Vor dem Fenster gehen Tausende durch den Morgennebel. "Wo wollen die denn alle hin, David?"
"Zur Bushaltestelle, Sir. Zur Arbeit in den Vorst dten. Nach Sandton, nach Fourways. In der City gibt es keine Arbeit mehr. Zum Beispiel in Soweto. Die Wirtschaft und das Geld bilden einen G rtel um die Stadt. Aber der Kern ist hohl."
"Wie berlebt er dann?"
"Gute Frage, Sir. Das ist ein Problem, mit dem sich das Ministerium f r Wirtschaftsentwicklung gerade befasst. Und es ist auch der Grund, warum sich das Ministerium daf r stark gemacht hat, die angesehene Futureworld-Konferenz hierherzuholen. Damit Leute wie Sie Denkanst e f r den Fortschritt geben. F r die ganze Wirtschaft."
Yates blickt auf Laurens Brief und f hrt mit dem Finger ber die blauen Venen ihrer Handschrift, wie um ihren Puls zu tasten. Sein Telefon vibriert, und Blevins' Nummer erscheint auf der Anzeige. Blevins, den er zuletzt gesehen hat, als er in einem menschlichen Mahlstrom zu ertrinken drohte. H tte ihn im Auto mitnehmen sollen. Aber nach siebzehn Stunden seines um Ernsthaftigkeit bem hten Gelabers ... Trotzdem, der arme Kerl.
"Hey, David. Halten Sie doch mal kurz an, damit ich vorn einsteigen kann."
"Das geht nicht, Sir."
"Warum denn nicht? Da k nnen wir viel besser miteinander reden."
"Ich w rde ja gern, wirklich. Aber hier anhalten ist nicht sicher. Au erdem, wenn Sie vorn neben mir gesehen werden, bin ich meinen Job los."
Einmal machte er bei einem anarchistischen Konvent einen Vertrauenssprung. Einmal hielt er bei einem Seminar f r Sportmaskottchen eine Grundsatzrede und stellte sich anschlie end den Fragen ber Kost mierung, k rperliche Bedrohung der Mimen und Krankenversicherung. Einmal musste er als Ersatzjuror bei der Wahl der Miss Kreta einspringen. Einmal hielt er innerhalb einer Woche Vortr ge vor den Verk ufern einer konkursgef hrdeten Internetfirma und auf einem st rmischen Ludditensymposium und bekam bei beiden stehende Ovationen.
Beim Einchecken kriegt er eine Leinentasche, die gef llt ist mit Leckereien des Hauses, den j ngsten digitalen Spielsachen, einer Menagerie afrikanischer Tiere aus Mahagoni, einer Futureworld-Bomberjacke aus Leder und zwei Flaschen Capetown Merlot. Er schaut sich in der Lobby nach irgendwelchen bekannten Gesichtern um. In den Vorabinformationen waren Leute wie Jobs, Bezos und Spielberg, die Google-Macher, Angelina Jolie und ein k rzlich unterlegener amerikanischer Pr sidentschaftskandidat versprochen worden. Niemand von ihnen ist zu sehen. Aber er bemerkt Faith B. Popcorn, die Mutter aller echten Futurologen. Yates hat das dumpfe Gef hl, dass Faith B. Popcorn mehr kann, als nur die Zukunft erkennen. Sie durchschaut ihn. Seine kriecherischen Vorhersagen, seine wissenschaftlich zweifelhaften Anleihen bei anderen Denkern. Bestimmt wei sie ber alles Bescheid und lechzt danach, ihn zu Fall zu bringen. Und genau aus diesem Grund zieht er den Kopf ein, wendet sich ab und steuert auf die Aufz ge zu.
Um zehn Uhr vormittags entkorkt er die erste Flasche Gratis-Merlot, schaltet Sky News ein und ffnet sein Notebook. Bei jeder Konferenz hat es Yates mit zwei Sponsoren zu tun. Der eine ist der Gastgeber, dessen Namen auf den Plakaten steht. Der zweite ist fast immer ein Geldgeber aus der Politik oder Wirtschaft, der Yates daf r bezahlt, dass er auf subtile und manchmal auch nicht so subtile Weise die Botschaft dieses Geldgebers verbreitet. Diesmal handelt es sich um den Central Business District Johannesburgs, den CBD. konomisch angeschlagen, gezeichnet vom Rassenkonflikt, geplagt von Aids, Armut und Gewalt, will Johannesburg wieder zu einer Wirtschaftsmacht von globaler Bedeutung aufsteigen. Daher soll der geplante Vortrag die schreckliche Realit t nach M glichkeit ignorieren und das existierende Chaos durch etwas ersetzen, was die Gesch ftswelt h ren will. Hier bitte den Namen eines bedeutenden Bauprojekts einf gen. Dann die erstklassige aktuelle F hrungsriege erw hnen und nat rlich auch die Menschen, die voller Leidenschaft ihre Arbeit machen. Das Ganze gro z gig mit Zitaten von Thoreau, Verne und - morgen - Mandela garnieren. Dazu noch eine Prise der besten Einzeiler, deren ungenannte Quellen alles und jeden umfassen - von Black Elk ber John Lennon und Marshall MacLuhan bis hin zu den weisen Spr chen auf den Teebeuteln der Firma Celestial Seasons. Nicht vergessen, den Konferenzteilnehmern in den Arsch zu kriechen, vor allem denen, die einen am meisten verachten. Jetzt noch eine erhebende Anekdote ber einen Einheimischen, der es trotz gro er Widrigkeiten geschafft hat, vielleicht etwas aus der Joburg Times, oder wie das K seblatt hei t, oder eine ersch tternde Szene, deren Zeuge man auf dem Weg vom Flughafen geworden ist. Zum Schluss ein reiner optimistischer Adrenalinsto . Ein leuchtendes Bild dessen malen, was sein kann. In absoluten Begriffen. Der Tag, an dem jeder S dafrikaner drahtlos mit der freien Welt verbunden sein wird. An dem Johannesburg wieder zu den gro en Metropolen der Welt z hlen wird. Eine Renaissance der Wirtschaft. Ein Wunder des Gesundheitssystems. Friedliches Miteinander der Rassen ...
Fr her glaubte Yates an solche Vorstellungen. Er war berzeugt, dass so etwas m glich oder zumindest ein erstrebenswertes Ziel ist. Er machte immer seine Hausaufgaben und berlegte sich alles genau. Er ging sogar so weit, mit Einheimischen zu reden, die Region zu erforschen und Zahlungen von Interessengruppen auszuschlagen. Und er versuchte gewissenhaft, auf ernsthafte, wenngleich unrealistische und letztlich undurchf hrbare L sungen f r uralte Probleme zu kommen. Doch jetzt ...
In einer E-Mail schl gt er Lauren vor, miteinander zu reden, doch sie kommt als unzustellbar gekennzeichnet zur ck. Dann versucht er es telefonisch bei ihr zu Hause, aber der Anschluss existiert nicht mehr. Schlie lich w hlt er ihre Handynummer und l sst es eine Viertelstunde l uten. Eine Beobachtung, die er nicht in seinen n chsten Vortrag ber die Errungenschaften der Telekommunikation aufnehmen wird: Inzwischen kann man von einem anderen Kontinent aus in Echtzeit abserviert werden, um anschlie end praktisch mit Lichtgeschwindigkeit gegen eine digitale Mauer der Ablehnung und Feindseligkeit zu rasen.
Es klopft an der T r. Eine junge Schwarze in einem engen roten Kleid. Joani aus Swasiland. Mit besten Empfehlungen vom CBD. Er gibt ihr hundert Rand und die Futureworld-Bomberjacke und schickt sie weg. Er setzt sich wieder hin und trinkt. Zappt sich durch die Programme. Vertr delt Zeit. Eine Stunde sp ter klopft es erneut. David, der Betreuer.
"Ich dachte schon, da kommt die n chste Gratisnutte."
"Sir?"
"Nichts. Ein Glas Wein?"
David blickt auf die Uhr. "Ich soll Sie zum Fu ballspiel bringen."
"Bitte?"
"Es liegt auf Ihrem Weg. Ein wichtiges Spiel."
"Mit Fu ball kann ich momentan berhaupt nichts anfangen."
"Dieser Besuch geh rt zu Ihrem Vertrag."
Yates war noch nie bei einem Fu ballspiel, und das hier ist offensichtlich eine gr ere Sache. Das Ellis Park Stadium ist bis auf den letzten Platz gef llt. Die Menge bewegt sich mit der Anmut und der Kraft einer riesigen Woge, eine singende, skandierende Naturgewalt. Er sieht sich um und fragt sich, ob er der einzige Wei e im Stadion ist. Kurz nachdem er Platz genommen hat, beginnen die Ausschreitungen, aber es dauert eine Weile, bis er davon was merkt. Ein Spieler bekommt die gelbe Karte. Yates bekommt einen Gin Tonic. Am Haupteingang wird ein Teenager erstochen. In der VIP-Lounge wird ein Witz gerissen. In Block 214 flie t Blut auf den hei en Beton, und die Leute fl chten zu den Tunnels. Aber das Spiel geht weiter. Als die Tunnels verstopft sind, st rmen die Leute in Richtung Spielfeld, das mit engmaschigem Draht abgez unt ist. Yates bekommt nichts davon mit. Den Urschrei und das kollektive St hnen, als die K rper gegeneinandergepresst werden, bis sie platzen, schreibt er der l rmenden Begeisterung zu. Die Sch sse h lt er f r Feuerwerksk rper - und noch dazu f r billige Exemplare aus der Dritten Welt. Als die Menschen die Abz unung hinaufklettern, denkt er, es handelt sich um ein regionales Sportritual wie La Ola. Er hat keine Ahnung, dass sie ums nackte berleben k mpfen. F r Yates ist alles nur ein Spektakel, das f r ihn aufgef hrt wird, und als man ihm einen zweiten Drink reicht, berlegt er schon, wie er das Ganze in seine morgige Rede einbauen kann. Was f r eine Leidenschaft!
Dass da vielleicht etwas nicht in Ordnung ist, d mmert Yates zum ersten Mal, als ein Mitarbeiter dem Minister f r Wirtschaftsentwicklung mit grimmiger Miene etwas ins Ohr fl stert. Dann bemerkt er, dass Dutzende von Polizisten in die Menge vordringen. Doch statt die Massenpanik zu stoppen, stacheln sie sie noch an. Umgeben von Wachleuten, beobachtet Yates von seiner entr ckten Position aus das Gew hl und Gezerre der Menge. Schwarze Kn ppel zucken durch den sonnenerf llten Himmel und sausen auf die Menschen nieder. Sch sse. Wie in einer Schraubzwinge werden K rper gegen die Zaunabsperrung gequetscht. Ein junger Mann mit gr ner Gesichtsbemalung, der auf dem Zaun sitzt, wird von jemandem mit roter Gesichtsbemalung in die Brust geschossen und st rzt nach unten.
In der Spielfeldmitte haben sich der Schiedsrichter und die Spieler beider Clubs zusammengekauert. Nun sind sie die Zuschauer, die den m rderischen Kampf auf den R ngen verfolgen.Eine halbe Stunde sp ter marschieren sie mit Yates auf das Feld, zu den steif werdenden Leichen, vorbei an den benommenen Verwandten und Freunden, die mit an den Zaun gedr ckten Gesichtern auf die Erlaubnis zum Trauern warten. Es w re ihnen bestimmt lieber, wenn Yates nicht dabei w re, aber jetzt k nnen sie nichts mehr daran ndern. Verlassen auf einer Trage liegt ein Mann, dessen zersplittertes Schienbein durch einen blutigen Riss in der Hose zu erkennen ist. Zwei Polizisten ziehen den Film aus der Kamera eines Journalisten. Yates h rt nur die Sirenen, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Er sieht nur die Privilegierten und die Toten. Leichens cke im Torraum. Einige geschlossen, andere noch leer, um bald gef llt zu werden. Er starrt in die Gesichter der Toten, die erst vor wenigen Stunden mit rituellen Farben bemalt worden sind, um das Gegenteil von Tod zum Ausdruck zu bringen. Ein einsames f nfj hriges Kind sieht Yates an. Yates kann seinem Blick nicht standhalten.
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Autoren-Porträt von James P. Othmer
James P. Othmer, Schüler von Edgar L. Doctorow, war Sportreporter, Nachrichtenredakteur und Drehbuchschreiber, bevor er in die Werbung ging. Er arbeitete zwanzig Jahre beim Mediengiganten Young & Rubicam und zeichnete für zahlreiche namhafte Kampagnen verantwortlich. James P. Othmer lebt in New York.
Bibliographische Angaben
- Autor: James P. Othmer
- 2007, 1, 366 Seiten, Maße: 14 x 21,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453017501
- ISBN-13: 9783453017504
Rezension zu „No future “
"Eine bissige Satire (...), sehr authentisch (...), sehr unterhaltsam." Hamburger Abendblatt
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