Noir
Roman. Deutsche Erstausgabe
Die dunkle Chronik einer Gesellschaft am Abgrund
In einem Frankreich der Zukunft, das sich zu einem totalitären Überwachungsstaat gewandelt hat, gerät ein unschuldiger Mann zwischen die Mühlen des Systems. Ein brutaler Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses unmenschlichen Regimes beginnt ...
In einem Frankreich der Zukunft, das sich zu einem totalitären Überwachungsstaat gewandelt hat, gerät ein unschuldiger Mann zwischen die Mühlen des Systems. Ein brutaler Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses unmenschlichen Regimes beginnt ...
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Produktinformationen zu „Noir “
Die dunkle Chronik einer Gesellschaft am Abgrund
In einem Frankreich der Zukunft, das sich zu einem totalitären Überwachungsstaat gewandelt hat, gerät ein unschuldiger Mann zwischen die Mühlen des Systems. Ein brutaler Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses unmenschlichen Regimes beginnt ...
In einem Frankreich der Zukunft, das sich zu einem totalitären Überwachungsstaat gewandelt hat, gerät ein unschuldiger Mann zwischen die Mühlen des Systems. Ein brutaler Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses unmenschlichen Regimes beginnt ...
Die dunkle Chronik einer Gesellschaft am Abgrund
In einem Frankreich der Zukunft, das sich zu einem totalitären Überwachungsstaat gewandelt hat, gerät ein unschuldiger Mann zwischen die Mühlen des Systems. Ein brutaler Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses unmenschlichen Regimes beginnt ...
Von der Kritik gefeiert, entwickelte sich Olivier Pauverts Debütroman zum preisgekrönten Bestseller. 'Noir' ist nicht nur als atemloser und kompromissloser Thriller, sondern auch als bissiger, hellsichtiger Kommentar zu den jüngsten politischen Entwicklungen zu lesen.
"Ein faszinierender Roman, der abseits der eingetretenen Pfade Neuland betritt." - Optimum
"Ein großartiger Roman, der aus der Masse an Neuerscheinungen heraussticht." - Libération
"Die dunkle Chronik einer mutierten Zivilisation, ein fantastischer Roman, politisch und übernatürlich." - Virgin Hebdo
In einem Frankreich der Zukunft, das sich zu einem totalitären Überwachungsstaat gewandelt hat, gerät ein unschuldiger Mann zwischen die Mühlen des Systems. Ein brutaler Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses unmenschlichen Regimes beginnt ...
Von der Kritik gefeiert, entwickelte sich Olivier Pauverts Debütroman zum preisgekrönten Bestseller. 'Noir' ist nicht nur als atemloser und kompromissloser Thriller, sondern auch als bissiger, hellsichtiger Kommentar zu den jüngsten politischen Entwicklungen zu lesen.
"Ein faszinierender Roman, der abseits der eingetretenen Pfade Neuland betritt." - Optimum
"Ein großartiger Roman, der aus der Masse an Neuerscheinungen heraussticht." - Libération
"Die dunkle Chronik einer mutierten Zivilisation, ein fantastischer Roman, politisch und übernatürlich." - Virgin Hebdo
Lese-Probe zu „Noir “
IIch nehme gerade einen tiefen Zug von dem Joint, als das Gersch erneut zu hen ist. errascht drehen wir uns zu der Bchung um, von der das Raunen kommt. Nach einigen Sekunden folgt ein Gurgeln, ein feucht klingender Seufzer. Der andere schaut mich an, ich wei was er denkt: Hinter diesem Hel sind zwei Spael, die das kle Gras und die tiefe Nacht nutzen, um eine Nummer zu schieben. Ich stelle mein Glas ab, kichere und drke ihm den Stummel in die Hand. Auf allen vieren kriechen wir den kleinen Hel hoch. Da unten ist wirklich eine Venus. Nackt. Sie ist mit einem Draht an einem Baum aufgehgt, ihre Fe schaukeln zehn Zentimeter er dem Boden, der schwarz ist. Schwarz vor Blut. Der Kper ist aufgeschlitzt, und die Eingeweide quellen aus ihrem Bauch heraus. Sie verstrt eine unertrliche Pestilenz, den Gestank des menschlichen Inneren, den Gestank des Fleischs. Ich kenne diesen Geruch, ich habe ihn bei meinem Aufenthalt in einer Reanimationsabteilung erlebt, Nachspiel einer Verfolgungsjagd in volltrunkenem Zustand. Weil ich Wiederholungster war, kassierte ich sechs Monate gemeinnzige Arbeit, die mich, laut Euer Ehren, wieder zu einem verantwortungsvollen Bger machen sollten. Sechs Monate musste ich die Schseln im Vorzimmer des Jenseits leeren, eine Art Boudoir, in dem man verkabelt und durchgecheckt wie eine startklare Ariane auf das Ende des Countdowns wartet, danach Abflug zu Petrus (oder Paulus oder Jakob, das nehmen die nicht mehr so genau). Ein junger Arzt aus Luxemburg hatte mir vorgeschlagen, bei der Autopsie eines armen Wichts dabei zu sein, der an seinem Kompott erstickt war. Das war mein erstes Zusammentreffen mit dem toten Fleisch und seinem Geruch. Es hatte nichts mit einer langsamen Gewnung zu tun, nein: Das war die geballte Ladung. Der Tod von aun, der Tod von innen, ja, sogar von den einzelnen Stkchen des Inneren aus betrachtet.
Die junge Frau vor mir ist jedenfalls tot, daran besteht kein Zweifel. Der Draht hat ihr die Kehle bis auf die Wirbel
... mehr
eingeschnitten, ihr rechtes Auge ist ausgestochen. Gebannt beobachte ich ihr Pendeln. Ich spe meinen Kper nicht mehr. Der andere ergibt sich im Stehen, dann erneut auf Knien und schlieich nochmals, hustend auf allen vieren, bis sein Magen nur noch schmerzhafte Spasmen hervorbringt, ein gelblicher Gallefaden verbindet ihn mit dem Boden. In diesem Augenblick bin ich nur noch kalter Geist in einem Kper aus Stein. Ruhe kehrt ein. Alles erstarrt. In der Ferne unterscheide ich jede Stranlaterne der Stadt. Ich weium jeden Ast in dem Baum, und auf jedem Ast um jedes der Blter, die unzlige Raupen im Zeitlupentempo fressen. Ich sehe an dem Kper jede Wunde, jeden Stich, die seltsame Form, die der zerschmetterte Schel angenommen hat; ich fle, wie sich die Wme der Leiche gleich einem Schwarm Nachtfalter in der Luft verflhtigt. Ich erkenne sie. Es ist die junge Frau aus der Bar, die barfuherumlief.
Sper sitze ich im Gras. er mir ritzt die Morgendmerung mit einem Schwarm rosa Wolken den Himmel auf. Neben mir bemt sich ein Mann, mich wieder in die Realit zurkzuholen. Ich weinicht, wie lange ich hier wie erstarrt sa versunken in der Betrachtung des Baums und der daran aufgehgten Frucht, das Bewusstsein gzlich aufgelt in diesem Bild. Das Loch 18 wird lange Zeit nicht mehr gespielt werden knen. Der Rasen ist jetzt zu einem bunten Parkplatz geworden, mit roten, blauen und wein Autos und Mannschaftswagen, die mit still drehenden Warnlichtern gekrt sind. Die Fahrzeuge haben tiefe Reifenspuren in die gepflegte Rasenflhe gegraben, fluoreszierende Bder ziehen ein wundersames Flechtwerk, das mysterie Zonen absteckt. Wrend ich mich aufrichte und andeutungsweise meine Personalien stammele, kommt es mir so vor, als wde ich mich in dem engsten Kreis befinden. Der Kreis, in dem alles zusammenlft. Der Kreis mit dem Baum und dem Mchen.
Ich werde durchsucht, in Handschellen gelegt und mitgenommen. Das ist meine zweite Fahrt in einer Wanne. Unter anderen Umstden we ich gerrt gewesen. Ich erinnere mich an dieses glorreiche Gefl, an diesen Taumel, als ich, noch minderjrig, von den Bullen eingebuchtet wurde, Begrdung: Spielt Flipper, ohne das erforderliche Mindestalter erreicht zu haben. Ein ereifriger Beamter hielt es f angebracht, mein Aknegesicht aufs Revier zu bringen, er war der Ansicht, dass es sich zwischen Syphilisgeschwen und Riesenkabunkeln gut machen wde. In der Nacht hat mein Groater, der alte Stroppinni, mich rausgeholt. Steif und stolz stand er mitten zwischen den Fixern und Schnapsleichen. Die Akne ging vorbei, die Geschichte ist geblieben.
Ich steige ein. Der kleine Polizeitransporter stinkt wie ein ganzes Kommissariat. Als hte sein abgenutztes Blech den Geruch aller sche aufgesaugt, die jemals dort gesessen haben. Es stinkt nach alten Pennern, Hurendreck und Bullenschwei Der andere wird mir gegenergesetzt; mit glasigen Augen und grlichem Gesicht betrachtet er den Morgen durch das vergitterte Fenster. Zwei gewaltige Fleischberge in Uniformen der Staatspolizei bewachen uns, f den Fall, dass. F den Fall, dass etwas passiert, dass sich unser verkatertes Bewusstsein regt und uns der Restalkohol in gefrliche Raufbolde verwandelt. Sie knen beruhigt sein: Es wird nichts geschehen. Wir bleiben brav an die Eiweionster gekettet. Unser Unglksgefrt springt an, dann wirbelt es durch das Hinterland von Nizza mit seinem bonbonfarbenen Himmel. Ich versuche zu denken, mich zu erinnern, wie alles angefangen hat. Die Hochzeit, der Club, die fein gekrselte Wasseroberflhe, ein festlicher Abend, bei dem sich nur einige wenige ergeben mussten, kulinarische und modische Henfle, einzelnes Gelhter: jeder f sich, Bacchus f alle. Plzlich denke ich an meine Frau, an meine Kinder. Unruhe ergreift und umfgt mich, ein blitzartiger Kuss der Panik. Endlich hat die Angst mich aufgertelt, und ich wage zu sprechen: "Wo fahren wir hin?"
Der Beamte zu meiner Rechten reckt den Kopf hoch und schaut zu mir herab. Er antwortet verhtlich: "Sei still."
Seine Stimme ist tief, fast unhbar.
"Ich mhte telefonieren. Wo fahren wir hin?"
Er sieht mich immer noch an, in seinem schnauzbtigen Gesicht glzt die Flamme des Triumphs auf. Kein Triumph wie die Besteigung des Mount Everest, nein: der Triumph der Wahlsieger. Sie hatten Ordnung versprochen, eine energische Miliz, eine wirksame Justiz und ein langes Leben f Guillotin. Und das Volk rief: Mehr davon! Weiter so! Weiter so!, als der Wahlorgasmus nahte. Diese ganztige Vereinigung in der Enge der Wahlkabine gebar eine neue Art der Regierung, eine vielkfige Hydra charismatischer Frer. Natlich gab es einige, die die Legitimit dieser neuen Ordnung bestritten, die Zweifel rten an der Uneigennzigkeit der Vorhaben, der Notwendigkeit der Sberungen und der Hygiene in den Lagern. Aber die Aufstde wurden, so hiees, friedlich und unter Achtung der individuellen Freiheitsrechte beendet. Tatshlich wurde im Herbst alles ruhig. Die Kritik schwand mit dem Gr der Bme. Sie verschwand Blatt f Blatt in den fren Morgenstunden, wenn es an die Ten wummerte, oder gleich den fallenden Bltern ganzer Wdchen an den Tagen der gron Razzien. Danach gewnten wir uns an die eisige Stille des Winters.
Schlieich wendet er sich von mir ab und lhelt seinen Kollegen von unten an, bevor er mir in einer fast ztlichen Geste mit der Hand durch die Haare frt.
"Wen willst du anrufen, hm? Warum jetzt noch auf irgendeine Verderung hoffen? Die Dinge msen ihren Weg gehen."
Nach einer Pause frt er fort: "Du hast gute Arbeit geleistet, aber jetzt ist es an der Zeit, dich loszuwerden."
Der Wagen springt noch immer von Schlagloch zu Schlagloch, ein Armageddon f Stopfer. Jede in halsbrecherischer Geschwindigkeit genommene Kurve wirft mich auf dieser Eisenbank nach links und rechts. Auch ich habe mich inzwischen damit abgefunden, dort stillschweigend meinen Geruch zurkzulassen. Ich blute aus Nase und Ohren. Der andere beobachtet mich eine Weile, dann schlie er die Augen. Ich sehe, wie sich sein Brustkorb schwach und unregelmig hebt. Ich wei dass wir nicht zur Hauptwache in der Stadt fahren. Ich weinicht, wo man uns hinfrt, aber es begleitet uns kein anderes Fahrzeug mehr. Wir sind allein, und ich sage mir, dass wir wahrscheinlich eher zum Golgotha als nach Sing-Sing fahren. Eine ziemlich lange Zeit sagt niemand etwas, bis schlieich einer der Bullen aus der vorderen Kabine die Trennscheibe aufmacht, uns einen Augenblick abschzig mustert und zu unseren Bewachern sagt: "Wir sind bald da, seid ihr alle so weit?"
Die anderen nicken. Dann dreht er sich zu mir: "Deine Zeit geht zu Ende. Nichts f ungut, ja?"
Der Wagen jault jetzt er eine Serpentinenstra, die den Berg hinauf einer unbekannten Verheing entgegenstrebt. Die Reifen quietschen in jeder Kurve wie geschundene Kinder. Danach beginnt eine lange und hoch gelegene Stra am Rande eines tiefen Abgrunds. Wir schien mit Lichtgeschwindigkeit dahin, bis der Fahrer sich schlieich dazu durchringt, mit seiner dicken Quadratlatsche diesen Dreckshaufen von einem Bremspedal platt zu treten: Wir sind da.
Diese Gewissheit dauert aber nur ein paar Sekunden, solange bis das Geheul der Kinder-Reifen eine verzweifelte Tonlage erreicht und dann schlagartig aufht. Wir fliegen. Der Beamte zu meiner Rechten blickt verklt, die Hde auf seinen Knien. Er ist von seinem Sitz abgehoben, hat eine langsame Drehbewegung um die eigene Achse begonnen und kreist buchstlich um seinen eigenen Nabel. Wir sehen uns an, wir sind ja mit Handschellen aneinandergekettet. Er scheint wie ich ganz ergriffen von dieser plzlichen Schwerelosigkeit, aber er hat kaum den Mund gefnet, als eine gtliche und richtende Hand den Transporter mit unbeschreiblichem Gete zerstbt. Irgendein physikalisches Gesetz schleudert mich in die Luft, von dort beobachte ich, wie das Fahrzeug weit unter mir zerschellt, und wie es noch bis er das Tal hinaus in einem Regen aus Stahl und Plastik niedergeht. Ich habe den hhsten Punkt meiner Flugbahn erschritten und falle auf die schmenden Wipfel eines Meeres aus Bmen zu. Als ich dann eintauche, vermischen sich Himmel und Erde zu einem epileptischen Brodeln.
II
Ich liege auf dem Rken unter einer riesigen Eiche. Ich empfinde keinerlei Schmerz. Der Tod scheint mich nicht zu wollen. Er hat mir nicht einmal Prellungen verpasst oder ein paar Knochen gebrochen wie ein in mein Gesicht geschleuderter Fehdehandschuh. Ich bleibe einige lange Minuten liegen und betrachte die krampfaderartigen Linien, die die Zweige im Himmel zeichnen, bevor ich mich behutsam aufsetze und umsehe. Die rettende Eiche gedeiht in einem gron, dunklen Park voll knorriger und ehrwdig alter Baumarten. Zwischen den friedlichen Stmen und murmelnden Steinbecken schlgeln sich schmale wei Alleen. Am Waldrand gesellt sich ein graues Merchen zu den Bmen und umfriedet den Park. Es grenzt einen Grstreifen ab, in den breite Steinplatten eingelassen sind und dessen Ende in beide Richtungen nicht abzusehen ist. In der Ferne verhgt ein kalter und verschwommener Dunst die Berge. Lange he ich dem Plschern des Wassers zu. Nach einer Weile fle ich mich krtig genug, um aufzustehen. Ich bin unverletzt, aber erschft. Mein rechtes Handgelenk ist schwer. Ich schaue an mir herunter. Es hgt immer noch mit den Handschellen an dem fliegenden Beamten, von dem aber lediglich ein Arm rig ist, ein gewaltiger Gorillaarm, roh an der Schulter abgetrennt, aus dem Armende sprie nun ein StrauNerven und Sehnen. Das Werk eines Pfuschers, sage ich mir. Der Tod verzichtet oftmals auf die Eleganz, die wir glauben, von ihm einfordern zu knen, und es ist ihm vlig gleichgtig, wie die Sache vonstatten geht, solange nur das Ergebnis stimmt. Ich spe in alle Richtungen und finde keine Spur weiterer polizeilicher erreste, also klemme ich mir den Arm unter den Arm und sto vor bis zur Brtung. Der wei und spitze Rollsplitt der Allee drkt sich schmerzhaft in meinen Fu Ich habe einen Schuh verloren und von meinem Strumpf ist nur noch das Gummiband da. Als ich eine Pause mache, um an meiner Person eine kurze Inventur vorzunehmen, stelle ich fest, dass mir auch die linke Hfte meiner Hose und stliche Hemdknfe fehlen. Ich beschlie, darer hinwegzusehen; ich laufe im Gras weiter und trage diesen ltigen Arm, der unentwegt auf mein nacktes Bein tropft. Ich lasse die Bme hinter mir und gehe vor bis zur Balustrade. Weit unterhalb des verzierten Merchens rei ein lmender Wildbach das Wasser der Berge fort, die mich erragen. Ich drehe mich um und betrachte sie. Der Park liegt auf halber He einer steilen Felswand, in die er eine dunkle und tiefe Stufe grt. Seine immensen und wdevollen Bme heben sich von den schwarzen und bedrohlichen Pinien ab, die er die Steinwte auf der anderen Seite verstreut sind. Ganz oben, ff- oder sechshundert Meter er den Zedern und Eichen, kann man die Stra erahnen, von der wir abgekommen sind. Wenn es jemals einen schwindelerregenden Sturz und eine unglaubliche Rettung gegeben hat, dann diese. Ich schaue nach rechts und entschlie mich, die kleine, verzierte Mauer entlangzulaufen, die zwischen mir und dem Abhang steht. Dort bilden Steinplatten einen schmalen, mit Grasbcheln durchzogenen Weg, dessen Ende ich nicht absehen kann. Ich gehe langsam, von Zeit zu Zeit muss ich er die Wasserrinne einer Quelle im Unterholz steigen. Das Wasser ergie sich mit kristallinem Glucksen in die Talsohle. Die Zeit verrinnt trfchenweise, wrend ich diesem alten Weg folge, der allmlich in Richtung der Berge abbiegt. Ich knte nicht sagen, wie weit ich so laufe. Ich gehe und beobachte, wie sich mit der Nacht langsam der Dunst herabsenkt, die Berge von oben schluckt und die Landschaft um mich herum in blliches Licht taucht. Am Abend ist auf der rechten Seite endlich ein Durchbruch mit einer Esplanade voller Grer und Farn zu sehen. Im Zentrum befindet sich ein beeindruckendes Haus mit Mauern aus weim Kalk und roten Ziegeln, dessen Dachfirst ein Giebel aus geschnitztem Holz schmkt. Das Haus hat vier Etagen, zahlreiche gro Fenster gehen auf das Tal hinaus. Das Gebde wirkt unbewohnt, erstarrt in vergangener Pracht, und nun schwindet auch das Tageslicht unerbittlich dahin. Wrend ich auf die Fassade und ihre weit hochgezogene Freitreppe blicke, kann ich mir einen Empfang aus den wilden Zwanzigerjahren vorstellen, mit paillettenbesetzten Kleidern und Taschenuhren. Ich setze mich auf die Brtung und versinke in der Betrachtung dieses Gemers aus alten Zeiten. Nach einer ganzen Weile trinke ich auf Knien aus einem kleinen Bach. Als ich mich der Behausung nere, len sich riesige schwarze Windhunde aus dem Schatten des Waldes, sie erinnern an entflohene Hlendiener. Unentschlossen halte ich einen Augenblick inne, dann beschlie ich, die Treppen hinaufzusteigen, ohne sie weiter zu beachten. Mit gerschlosen, flsigen Bewegungen fliegen sie auf mich zu, schnuppern, streichen um mich herum und bleiben mir bei meinem Aufstieg dicht auf den Fersen. Ich habe keine Angst, mir ist, als wde ich sie schon kennen, als hte ich ihren fiebrigen Blick schon gekreuzt, in irgendeinem Traum von jagenden Donen. Der grte Hund reicht mir bis zur Brust, seine Schnauze ist zierlich, sein Hals krtig, und wenn er lft, erziehen Wellenbewegungen seinen Rken. Sein Blick durchbohrt mich, er sieht in mich hinein, denn diese Tiere sind zweifellos vom selben Blut wie Einhner und andere Fabelwesen wie Pegasus, Tarasque oder Zerberus. Ich rei mich von seinen Augen los und baue mich vor der T auf, an der es weder Klingel noch Klopfer gibt. Zerlich drke ich sie auf. Sie fnet sich lautlos. Ich trete ein. Die Hunde folgen mir nicht. Vielleicht haben sie Angst.
Ich betrete die Diele des unbewohnten Hauses. Der Gips hat sich von der Decke gelt wie Ekzeme, deren Schuppen er den mit wein und schwarzen Marmor gefliesten Boden verstreut sind. Dahinter liegen einige leer stehende Rme, Salons ohne Mel, verstaubte Holztelungen und mit Grspan erzogene Badewannen. Im Zentrum eines weitlfigen Saals gewrt ein schmiedeeisernes Treppenhaus Zugang zu den anderen Stockwerken und trt ein gewaltiges Oberlicht, in dem sich das schwache graue Abendleuchten verliert. Ich gehe ner hin. Die Treppe grt sich in den Boden. Aus der Tiefe he ich das feuchte Tropfen einer Gruft und ein Weinen, das Weinen eines Erwachsenen, wie eine schwache Litanei. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in diesen Gten werde ich mir der Seltsamkeit des Ortes bewusst und der Beklemmung, die er in meinem Kper auslt. Eine schreckliche Angst ermannt mich: Wann begannen mir die Ereignisse zu entgleiten? Ich denke an die Worte des Polizisten im Transporter zurk: Ja, die Dinge entgleiten mir, wie dieser lange Marsch, der mich nirgendwohin gefrt hat, nlich hierher. Diese Hunde, dieses Weinen. Wo bin ich? Gibt es ein Telefon? Nein, ich hte draun Leitungen gesehen, und bei genauerer Betrachtung gibt es nicht einmal Strom, kein Schalter, keine Leitung, keine Lampe, nichts. Ich mache einen gron Bogen um die klaffende, mit Eisen umgebene fnung, die in das nasse Innere der Berge abtaucht, und nere mich der T, die auf die Rkseite des Hauses hinausgeht. Es ist eine gro hzerne Flelt mit bunten Glasfenstern. Meine Hoffnung whst, denn ich habe beschlossen, dass sie zuletzt sterben soll. Aber die T frt nur in die stille Abenddmerung, zum Wald und zu den Hunden, die ich als schwarze Bewegungen in den Schatten erahne. Dahinter verschwindet der Weg unter dem Blattwerk, wo es schon dunkel ist. Um Essen, einen Schlafplatz und Bekleidung zu finden, werde ich wohl noch heute Nacht die anderen Etagen erkunden msen. Morgen ziehe ich weiter, ich will nach Hause zurk. Ich gehe hier nicht hin. Ich gehe also denselben Weg zurk, um in die oberen Stockwerke zu gelangen. Daf muss ich an der Treppe vorbei, die in den Keller frt. Die Klagen dauern an, vermischt mit krklichem Husten. Ich wage nicht hinunterzusehen. Wer lebt da unten? Warum dieses Weinen? Warum habe ich dieses unsagbare Gefl in mir? Als ich msam die Stufen hinaufsteige, sage ich mir, dass ich morgen ein Werkzeug finden und diesen ltigen Arm loswerden muss. Jetzt ist es zu dunkel, ich sehe fast nichts mehr. Auf dem Treppenabsatz angekommen, betrete ich das erstbeste Zimmer, spe eine Ecke aus und kauere mich hinein. Nachdem ich eine Ewigkeit dem Tropfen und Wehklagen der Erde gelauscht habe, scheine ich endlich einzuschlafen.
Im nhsten Moment ist es helllichter Tag. Durch die Fenster erleuchtet eine grelle, orange Morgensonne das Zimmer, in dem ich geschlafen habe. Im Haus ist alles ruhig.
Sper sitze ich im Gras. er mir ritzt die Morgendmerung mit einem Schwarm rosa Wolken den Himmel auf. Neben mir bemt sich ein Mann, mich wieder in die Realit zurkzuholen. Ich weinicht, wie lange ich hier wie erstarrt sa versunken in der Betrachtung des Baums und der daran aufgehgten Frucht, das Bewusstsein gzlich aufgelt in diesem Bild. Das Loch 18 wird lange Zeit nicht mehr gespielt werden knen. Der Rasen ist jetzt zu einem bunten Parkplatz geworden, mit roten, blauen und wein Autos und Mannschaftswagen, die mit still drehenden Warnlichtern gekrt sind. Die Fahrzeuge haben tiefe Reifenspuren in die gepflegte Rasenflhe gegraben, fluoreszierende Bder ziehen ein wundersames Flechtwerk, das mysterie Zonen absteckt. Wrend ich mich aufrichte und andeutungsweise meine Personalien stammele, kommt es mir so vor, als wde ich mich in dem engsten Kreis befinden. Der Kreis, in dem alles zusammenlft. Der Kreis mit dem Baum und dem Mchen.
Ich werde durchsucht, in Handschellen gelegt und mitgenommen. Das ist meine zweite Fahrt in einer Wanne. Unter anderen Umstden we ich gerrt gewesen. Ich erinnere mich an dieses glorreiche Gefl, an diesen Taumel, als ich, noch minderjrig, von den Bullen eingebuchtet wurde, Begrdung: Spielt Flipper, ohne das erforderliche Mindestalter erreicht zu haben. Ein ereifriger Beamter hielt es f angebracht, mein Aknegesicht aufs Revier zu bringen, er war der Ansicht, dass es sich zwischen Syphilisgeschwen und Riesenkabunkeln gut machen wde. In der Nacht hat mein Groater, der alte Stroppinni, mich rausgeholt. Steif und stolz stand er mitten zwischen den Fixern und Schnapsleichen. Die Akne ging vorbei, die Geschichte ist geblieben.
Ich steige ein. Der kleine Polizeitransporter stinkt wie ein ganzes Kommissariat. Als hte sein abgenutztes Blech den Geruch aller sche aufgesaugt, die jemals dort gesessen haben. Es stinkt nach alten Pennern, Hurendreck und Bullenschwei Der andere wird mir gegenergesetzt; mit glasigen Augen und grlichem Gesicht betrachtet er den Morgen durch das vergitterte Fenster. Zwei gewaltige Fleischberge in Uniformen der Staatspolizei bewachen uns, f den Fall, dass. F den Fall, dass etwas passiert, dass sich unser verkatertes Bewusstsein regt und uns der Restalkohol in gefrliche Raufbolde verwandelt. Sie knen beruhigt sein: Es wird nichts geschehen. Wir bleiben brav an die Eiweionster gekettet. Unser Unglksgefrt springt an, dann wirbelt es durch das Hinterland von Nizza mit seinem bonbonfarbenen Himmel. Ich versuche zu denken, mich zu erinnern, wie alles angefangen hat. Die Hochzeit, der Club, die fein gekrselte Wasseroberflhe, ein festlicher Abend, bei dem sich nur einige wenige ergeben mussten, kulinarische und modische Henfle, einzelnes Gelhter: jeder f sich, Bacchus f alle. Plzlich denke ich an meine Frau, an meine Kinder. Unruhe ergreift und umfgt mich, ein blitzartiger Kuss der Panik. Endlich hat die Angst mich aufgertelt, und ich wage zu sprechen: "Wo fahren wir hin?"
Der Beamte zu meiner Rechten reckt den Kopf hoch und schaut zu mir herab. Er antwortet verhtlich: "Sei still."
Seine Stimme ist tief, fast unhbar.
"Ich mhte telefonieren. Wo fahren wir hin?"
Er sieht mich immer noch an, in seinem schnauzbtigen Gesicht glzt die Flamme des Triumphs auf. Kein Triumph wie die Besteigung des Mount Everest, nein: der Triumph der Wahlsieger. Sie hatten Ordnung versprochen, eine energische Miliz, eine wirksame Justiz und ein langes Leben f Guillotin. Und das Volk rief: Mehr davon! Weiter so! Weiter so!, als der Wahlorgasmus nahte. Diese ganztige Vereinigung in der Enge der Wahlkabine gebar eine neue Art der Regierung, eine vielkfige Hydra charismatischer Frer. Natlich gab es einige, die die Legitimit dieser neuen Ordnung bestritten, die Zweifel rten an der Uneigennzigkeit der Vorhaben, der Notwendigkeit der Sberungen und der Hygiene in den Lagern. Aber die Aufstde wurden, so hiees, friedlich und unter Achtung der individuellen Freiheitsrechte beendet. Tatshlich wurde im Herbst alles ruhig. Die Kritik schwand mit dem Gr der Bme. Sie verschwand Blatt f Blatt in den fren Morgenstunden, wenn es an die Ten wummerte, oder gleich den fallenden Bltern ganzer Wdchen an den Tagen der gron Razzien. Danach gewnten wir uns an die eisige Stille des Winters.
Schlieich wendet er sich von mir ab und lhelt seinen Kollegen von unten an, bevor er mir in einer fast ztlichen Geste mit der Hand durch die Haare frt.
"Wen willst du anrufen, hm? Warum jetzt noch auf irgendeine Verderung hoffen? Die Dinge msen ihren Weg gehen."
Nach einer Pause frt er fort: "Du hast gute Arbeit geleistet, aber jetzt ist es an der Zeit, dich loszuwerden."
Der Wagen springt noch immer von Schlagloch zu Schlagloch, ein Armageddon f Stopfer. Jede in halsbrecherischer Geschwindigkeit genommene Kurve wirft mich auf dieser Eisenbank nach links und rechts. Auch ich habe mich inzwischen damit abgefunden, dort stillschweigend meinen Geruch zurkzulassen. Ich blute aus Nase und Ohren. Der andere beobachtet mich eine Weile, dann schlie er die Augen. Ich sehe, wie sich sein Brustkorb schwach und unregelmig hebt. Ich wei dass wir nicht zur Hauptwache in der Stadt fahren. Ich weinicht, wo man uns hinfrt, aber es begleitet uns kein anderes Fahrzeug mehr. Wir sind allein, und ich sage mir, dass wir wahrscheinlich eher zum Golgotha als nach Sing-Sing fahren. Eine ziemlich lange Zeit sagt niemand etwas, bis schlieich einer der Bullen aus der vorderen Kabine die Trennscheibe aufmacht, uns einen Augenblick abschzig mustert und zu unseren Bewachern sagt: "Wir sind bald da, seid ihr alle so weit?"
Die anderen nicken. Dann dreht er sich zu mir: "Deine Zeit geht zu Ende. Nichts f ungut, ja?"
Der Wagen jault jetzt er eine Serpentinenstra, die den Berg hinauf einer unbekannten Verheing entgegenstrebt. Die Reifen quietschen in jeder Kurve wie geschundene Kinder. Danach beginnt eine lange und hoch gelegene Stra am Rande eines tiefen Abgrunds. Wir schien mit Lichtgeschwindigkeit dahin, bis der Fahrer sich schlieich dazu durchringt, mit seiner dicken Quadratlatsche diesen Dreckshaufen von einem Bremspedal platt zu treten: Wir sind da.
Diese Gewissheit dauert aber nur ein paar Sekunden, solange bis das Geheul der Kinder-Reifen eine verzweifelte Tonlage erreicht und dann schlagartig aufht. Wir fliegen. Der Beamte zu meiner Rechten blickt verklt, die Hde auf seinen Knien. Er ist von seinem Sitz abgehoben, hat eine langsame Drehbewegung um die eigene Achse begonnen und kreist buchstlich um seinen eigenen Nabel. Wir sehen uns an, wir sind ja mit Handschellen aneinandergekettet. Er scheint wie ich ganz ergriffen von dieser plzlichen Schwerelosigkeit, aber er hat kaum den Mund gefnet, als eine gtliche und richtende Hand den Transporter mit unbeschreiblichem Gete zerstbt. Irgendein physikalisches Gesetz schleudert mich in die Luft, von dort beobachte ich, wie das Fahrzeug weit unter mir zerschellt, und wie es noch bis er das Tal hinaus in einem Regen aus Stahl und Plastik niedergeht. Ich habe den hhsten Punkt meiner Flugbahn erschritten und falle auf die schmenden Wipfel eines Meeres aus Bmen zu. Als ich dann eintauche, vermischen sich Himmel und Erde zu einem epileptischen Brodeln.
II
Ich liege auf dem Rken unter einer riesigen Eiche. Ich empfinde keinerlei Schmerz. Der Tod scheint mich nicht zu wollen. Er hat mir nicht einmal Prellungen verpasst oder ein paar Knochen gebrochen wie ein in mein Gesicht geschleuderter Fehdehandschuh. Ich bleibe einige lange Minuten liegen und betrachte die krampfaderartigen Linien, die die Zweige im Himmel zeichnen, bevor ich mich behutsam aufsetze und umsehe. Die rettende Eiche gedeiht in einem gron, dunklen Park voll knorriger und ehrwdig alter Baumarten. Zwischen den friedlichen Stmen und murmelnden Steinbecken schlgeln sich schmale wei Alleen. Am Waldrand gesellt sich ein graues Merchen zu den Bmen und umfriedet den Park. Es grenzt einen Grstreifen ab, in den breite Steinplatten eingelassen sind und dessen Ende in beide Richtungen nicht abzusehen ist. In der Ferne verhgt ein kalter und verschwommener Dunst die Berge. Lange he ich dem Plschern des Wassers zu. Nach einer Weile fle ich mich krtig genug, um aufzustehen. Ich bin unverletzt, aber erschft. Mein rechtes Handgelenk ist schwer. Ich schaue an mir herunter. Es hgt immer noch mit den Handschellen an dem fliegenden Beamten, von dem aber lediglich ein Arm rig ist, ein gewaltiger Gorillaarm, roh an der Schulter abgetrennt, aus dem Armende sprie nun ein StrauNerven und Sehnen. Das Werk eines Pfuschers, sage ich mir. Der Tod verzichtet oftmals auf die Eleganz, die wir glauben, von ihm einfordern zu knen, und es ist ihm vlig gleichgtig, wie die Sache vonstatten geht, solange nur das Ergebnis stimmt. Ich spe in alle Richtungen und finde keine Spur weiterer polizeilicher erreste, also klemme ich mir den Arm unter den Arm und sto vor bis zur Brtung. Der wei und spitze Rollsplitt der Allee drkt sich schmerzhaft in meinen Fu Ich habe einen Schuh verloren und von meinem Strumpf ist nur noch das Gummiband da. Als ich eine Pause mache, um an meiner Person eine kurze Inventur vorzunehmen, stelle ich fest, dass mir auch die linke Hfte meiner Hose und stliche Hemdknfe fehlen. Ich beschlie, darer hinwegzusehen; ich laufe im Gras weiter und trage diesen ltigen Arm, der unentwegt auf mein nacktes Bein tropft. Ich lasse die Bme hinter mir und gehe vor bis zur Balustrade. Weit unterhalb des verzierten Merchens rei ein lmender Wildbach das Wasser der Berge fort, die mich erragen. Ich drehe mich um und betrachte sie. Der Park liegt auf halber He einer steilen Felswand, in die er eine dunkle und tiefe Stufe grt. Seine immensen und wdevollen Bme heben sich von den schwarzen und bedrohlichen Pinien ab, die er die Steinwte auf der anderen Seite verstreut sind. Ganz oben, ff- oder sechshundert Meter er den Zedern und Eichen, kann man die Stra erahnen, von der wir abgekommen sind. Wenn es jemals einen schwindelerregenden Sturz und eine unglaubliche Rettung gegeben hat, dann diese. Ich schaue nach rechts und entschlie mich, die kleine, verzierte Mauer entlangzulaufen, die zwischen mir und dem Abhang steht. Dort bilden Steinplatten einen schmalen, mit Grasbcheln durchzogenen Weg, dessen Ende ich nicht absehen kann. Ich gehe langsam, von Zeit zu Zeit muss ich er die Wasserrinne einer Quelle im Unterholz steigen. Das Wasser ergie sich mit kristallinem Glucksen in die Talsohle. Die Zeit verrinnt trfchenweise, wrend ich diesem alten Weg folge, der allmlich in Richtung der Berge abbiegt. Ich knte nicht sagen, wie weit ich so laufe. Ich gehe und beobachte, wie sich mit der Nacht langsam der Dunst herabsenkt, die Berge von oben schluckt und die Landschaft um mich herum in blliches Licht taucht. Am Abend ist auf der rechten Seite endlich ein Durchbruch mit einer Esplanade voller Grer und Farn zu sehen. Im Zentrum befindet sich ein beeindruckendes Haus mit Mauern aus weim Kalk und roten Ziegeln, dessen Dachfirst ein Giebel aus geschnitztem Holz schmkt. Das Haus hat vier Etagen, zahlreiche gro Fenster gehen auf das Tal hinaus. Das Gebde wirkt unbewohnt, erstarrt in vergangener Pracht, und nun schwindet auch das Tageslicht unerbittlich dahin. Wrend ich auf die Fassade und ihre weit hochgezogene Freitreppe blicke, kann ich mir einen Empfang aus den wilden Zwanzigerjahren vorstellen, mit paillettenbesetzten Kleidern und Taschenuhren. Ich setze mich auf die Brtung und versinke in der Betrachtung dieses Gemers aus alten Zeiten. Nach einer ganzen Weile trinke ich auf Knien aus einem kleinen Bach. Als ich mich der Behausung nere, len sich riesige schwarze Windhunde aus dem Schatten des Waldes, sie erinnern an entflohene Hlendiener. Unentschlossen halte ich einen Augenblick inne, dann beschlie ich, die Treppen hinaufzusteigen, ohne sie weiter zu beachten. Mit gerschlosen, flsigen Bewegungen fliegen sie auf mich zu, schnuppern, streichen um mich herum und bleiben mir bei meinem Aufstieg dicht auf den Fersen. Ich habe keine Angst, mir ist, als wde ich sie schon kennen, als hte ich ihren fiebrigen Blick schon gekreuzt, in irgendeinem Traum von jagenden Donen. Der grte Hund reicht mir bis zur Brust, seine Schnauze ist zierlich, sein Hals krtig, und wenn er lft, erziehen Wellenbewegungen seinen Rken. Sein Blick durchbohrt mich, er sieht in mich hinein, denn diese Tiere sind zweifellos vom selben Blut wie Einhner und andere Fabelwesen wie Pegasus, Tarasque oder Zerberus. Ich rei mich von seinen Augen los und baue mich vor der T auf, an der es weder Klingel noch Klopfer gibt. Zerlich drke ich sie auf. Sie fnet sich lautlos. Ich trete ein. Die Hunde folgen mir nicht. Vielleicht haben sie Angst.
Ich betrete die Diele des unbewohnten Hauses. Der Gips hat sich von der Decke gelt wie Ekzeme, deren Schuppen er den mit wein und schwarzen Marmor gefliesten Boden verstreut sind. Dahinter liegen einige leer stehende Rme, Salons ohne Mel, verstaubte Holztelungen und mit Grspan erzogene Badewannen. Im Zentrum eines weitlfigen Saals gewrt ein schmiedeeisernes Treppenhaus Zugang zu den anderen Stockwerken und trt ein gewaltiges Oberlicht, in dem sich das schwache graue Abendleuchten verliert. Ich gehe ner hin. Die Treppe grt sich in den Boden. Aus der Tiefe he ich das feuchte Tropfen einer Gruft und ein Weinen, das Weinen eines Erwachsenen, wie eine schwache Litanei. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in diesen Gten werde ich mir der Seltsamkeit des Ortes bewusst und der Beklemmung, die er in meinem Kper auslt. Eine schreckliche Angst ermannt mich: Wann begannen mir die Ereignisse zu entgleiten? Ich denke an die Worte des Polizisten im Transporter zurk: Ja, die Dinge entgleiten mir, wie dieser lange Marsch, der mich nirgendwohin gefrt hat, nlich hierher. Diese Hunde, dieses Weinen. Wo bin ich? Gibt es ein Telefon? Nein, ich hte draun Leitungen gesehen, und bei genauerer Betrachtung gibt es nicht einmal Strom, kein Schalter, keine Leitung, keine Lampe, nichts. Ich mache einen gron Bogen um die klaffende, mit Eisen umgebene fnung, die in das nasse Innere der Berge abtaucht, und nere mich der T, die auf die Rkseite des Hauses hinausgeht. Es ist eine gro hzerne Flelt mit bunten Glasfenstern. Meine Hoffnung whst, denn ich habe beschlossen, dass sie zuletzt sterben soll. Aber die T frt nur in die stille Abenddmerung, zum Wald und zu den Hunden, die ich als schwarze Bewegungen in den Schatten erahne. Dahinter verschwindet der Weg unter dem Blattwerk, wo es schon dunkel ist. Um Essen, einen Schlafplatz und Bekleidung zu finden, werde ich wohl noch heute Nacht die anderen Etagen erkunden msen. Morgen ziehe ich weiter, ich will nach Hause zurk. Ich gehe hier nicht hin. Ich gehe also denselben Weg zurk, um in die oberen Stockwerke zu gelangen. Daf muss ich an der Treppe vorbei, die in den Keller frt. Die Klagen dauern an, vermischt mit krklichem Husten. Ich wage nicht hinunterzusehen. Wer lebt da unten? Warum dieses Weinen? Warum habe ich dieses unsagbare Gefl in mir? Als ich msam die Stufen hinaufsteige, sage ich mir, dass ich morgen ein Werkzeug finden und diesen ltigen Arm loswerden muss. Jetzt ist es zu dunkel, ich sehe fast nichts mehr. Auf dem Treppenabsatz angekommen, betrete ich das erstbeste Zimmer, spe eine Ecke aus und kauere mich hinein. Nachdem ich eine Ewigkeit dem Tropfen und Wehklagen der Erde gelauscht habe, scheine ich endlich einzuschlafen.
Im nhsten Moment ist es helllichter Tag. Durch die Fenster erleuchtet eine grelle, orange Morgensonne das Zimmer, in dem ich geschlafen habe. Im Haus ist alles ruhig.
... weniger
Autoren-Porträt von Olivier Pauvert
Olivier Pauvert ist 35 Jahre alt und arbeitet als Pharmazeutiker in einem kleinen Dorf im Südwesten Frankreichs. Mit Noir, seinem Romandebüt, gelang ihm in Frankreich auf Anhieb ein Bestseller, für den er den Carrefour-Preis gewann. Derzeit schreibt er an seinem zweiten Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Olivier Pauvert
- 2007, 302 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Französ. v. Oliver I. Schulz
- Verlag: Ludwig bei Heyne
- ISBN-10: 3453675223
- ISBN-13: 9783453675223
Rezension zu „Noir “
»Ein faszinierender Roman, der abseits der eingetretenen Pfade Neuland betritt.« Optimum
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