Nouvelle Vague in Osteuropa?
Zur ostmittel- und südosteuropäischen Filmgeschichte 1960 - 1970
Es gibt heute viele filmwissenschaftliche Publikationen zur französischen Nouvelle Vague. Dem steht in der deutschen filmwissenschaftlichen Fachliteratur eine weitgehende Vernachlässigung der parallelen Entwicklungen des Autorenfilms in Ostmittel- und...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Nouvelle Vague in Osteuropa? “
Es gibt heute viele filmwissenschaftliche Publikationen zur französischen Nouvelle Vague. Dem steht in der deutschen filmwissenschaftlichen Fachliteratur eine weitgehende Vernachlässigung der parallelen Entwicklungen des Autorenfilms in Ostmittel- und Südosteuropa in den sechziger Jahren gegenüber. Dieses Buch zielt darauf ab, in einem ersten Anlauf diese Lücke zu schließen. In Übersichten werden die Entwicklungen Neuer Wellen in ausgewählten osteuropäischen Ländern aufgezeigt (Novi film in Jugoslawien, Tschechische Neue Welle, die polnische Phase der Stabilisierung 1962-1968 , die ungarische Neue Welle ¿új hullám¿, Ansätze in Bulgarien und auch in Rumänien). In besonderem Blickpunkt stehen hierbei die jeweils jungen Absolventen der Filmhochschulen und es wird untersucht, in welchem Maße diese jüngste Generation jeweils bestimmenden Einfluss auf diese Neuen Wellen ausüben konnte. Nationale Entwicklungen werden in Einzel- und Querschnittsanalysen zu ausgewählten Problemkreisen komparatistisch hinterfragt (Kritik des Personenkults, Desillusionierung heroischer Illusionen, Entfremdungsdiskurse, Antikriegsfilme, Thematisierung der Judenverfolgungen). Einzelne Wechselbeziehungen von Filmkunst, Theater und Literatur werden unter dem Aspekt der Konstituierung von Intellektuellenkulturen untersucht.
Der übergreifende Gesichtspunkt ist, dass der gesamteuropäische Aufbruch neuer Regiegenerationen in den 60er Jahren sich in Ostmittel- und Südosteuropa dahingehend modifiziert, dass anfänglich die französische Nouvelle Vague Aufsehen erregt, dann aber eine von den westeuropäischen Neuen Wellen abgrenzbare Entwicklung einsetzt. Diese gesellschaftskritischen Neuen Wellen folgten öffentlichkeitsfunktionalen Ästhetiken und Dramaturgien im Sinne von Marc Ferros Konzept der ¿Gegenanalyse¿ ¿ vor allem die Tschechische Neue Welle und der Novi film in Jugoslawien. Die Untersuchungen werden getragen von Werkinterpretationen (verbunden mit Analysen zu kulturellen Kontexten) und von der Analyse dramaturgischer Modellbildungen.
Die Publikation gibt Orientierungen und Informationen für die filmwissenschaftliche Hochschullehre, für die Filmpublizistik, für Programmmacher des Kommunalen Kinos, aber auch für Slavisten, Politologen und Kulturwissenschaftler.
Der übergreifende Gesichtspunkt ist, dass der gesamteuropäische Aufbruch neuer Regiegenerationen in den 60er Jahren sich in Ostmittel- und Südosteuropa dahingehend modifiziert, dass anfänglich die französische Nouvelle Vague Aufsehen erregt, dann aber eine von den westeuropäischen Neuen Wellen abgrenzbare Entwicklung einsetzt. Diese gesellschaftskritischen Neuen Wellen folgten öffentlichkeitsfunktionalen Ästhetiken und Dramaturgien im Sinne von Marc Ferros Konzept der ¿Gegenanalyse¿ ¿ vor allem die Tschechische Neue Welle und der Novi film in Jugoslawien. Die Untersuchungen werden getragen von Werkinterpretationen (verbunden mit Analysen zu kulturellen Kontexten) und von der Analyse dramaturgischer Modellbildungen.
Die Publikation gibt Orientierungen und Informationen für die filmwissenschaftliche Hochschullehre, für die Filmpublizistik, für Programmmacher des Kommunalen Kinos, aber auch für Slavisten, Politologen und Kulturwissenschaftler.
Klappentext zu „Nouvelle Vague in Osteuropa? “
Projektförderung durch DEFA-STIFTUNG BERLINEs gibt heute viele filmwissenschaftliche Publikationen zur französischen Nouvelle Vague. Dem steht in der deutschen filmwissenschaftlichen Fachliteratur eine weitgehende Vernachlässigung der parallelen Entwicklungen des Autorenfilms in Ostmittel- und Südosteuropa in den sechziger Jahren gegenüber. Dieses Buch zielt darauf ab, in einem ersten Anlauf diese Lücke zu schließen. In Übersichten werden die Entwicklungen Neuer Wellen in ausgewählten osteuropäischen Ländern aufgezeigt (Novi film in Jugoslawien, Tschechische Neue Welle, die polnische Phase der Stabilisierung 1962-1968, die ungarische Neue Welle "új hullám", Ansätze in Bulgarien und auch in Rumänien). In besonderem Blickpunkt stehen hierbei die jeweils jungen Absolventen der Filmhochschulen und es wird untersucht, in welchem Maße diese jüngste Generation jeweils bestimmenden Einfluss auf diese Neuen Wellen ausüben konnte. Nationale Entwicklungen werden in Einzel- und Querschnittsanalysen zu ausgewählten Problemkreisen komparatistisch hinterfragt (Kritik des Personenkults, Desillusionierung heroischer Illusionen, Entfremdungsdiskurse, Antikriegsfilme, Thematisierung der Judenverfolgungen). Einzelne Wechselbeziehungen von Filmkunst, Theater und Literatur werden unter dem Aspekt der Konstituierung von Intellektuellenkulturen untersucht.Der übergreifende Gesichtspunkt ist, dass der gesamteuropäische Aufbruch neuer Regiegenerationen in den 60er Jahren sich in Ostmittel- und Südosteuropa dahingehend modifiziert, dass anfänglich die französische Nouvelle Vague Aufsehen erregt, dann aber eine von den westeuropäischen Neuen Wellen abgrenzbare Entwicklung einsetzt. Diese gesellschaftskritischen Neuen Wellen folgten öffentlichkeitsfunktionalen Ästhetiken und Dramaturgien im Sinne von Marc Ferros Konzept der "Gegenanalyse" - vor allem die Tschechische Neue Welle und der Novi film in Jugoslawien. Die Untersuchungen werden getragen von Werkinterpretationen (verbunden mit Analysen
... mehr
zu kulturellen Kontexten) und von der Analyse dramaturgischer Modellbildungen.Die Publikation gibt Orientierungen und Informationen für die filmwissenschaftliche Hochschullehre, für die Filmpublizistik, für Programmmacher des Kommunalen Kinos, aber auch für Slavisten, Politologen und Kulturwissenschaftler.
... weniger
Inhaltsverzeichnis zu „Nouvelle Vague in Osteuropa? “
Aus dem Inhalt:Kapitel 1
Nouvelle Vague in Ostmittel- und Südosteuropa?
Kapitel 2
Novi film - Filmkunst des "demokratischen Sozialismus"?
Zum jugoslawischen Film 1961-1971
Kapitel 3
Tschechische Neue Welle I: Konstituierung einer neuen Intellektuellenkultur
Kapitel 4
Tschechische Neue Welle II: FAMU - Absolventen und Regiegenerationen
Kapitel 5
Polnische Generationen und die neuen Absolventen von Lodz
Kapitel 6
Das Béla-Balázs-Studio und die Geburt der Budapester Schule
Kapitel 7
Nationalgeschichte und Gegenwart - die neuen Bezugspunkte der Budapester Schule (I. Szabó, M. Jancsó, I. Gaál, M. Mészáros u. a.)
Kapitel 8
Neue Wellen auf dem Balkan?
Kapitel 9
Die verlorene Zeit - Gesellschaftskritik und Rückblendendramaturgien
Kapitel 10
Intertextualität und Intermedialität in ostmittel- und westeuropäischen Autorenfilmen
Kapitel 11
Nachdenken über den Zuschauer -Dramaturgien und rezeptionsästhetische Strategien in ostmittel- und südosteuropäischen Autorenfilmen
Kapitel 12
Utopien kontra Maskeraden?
ANHANG
Bibliographische Angaben
- Autor: Lutz Haucke
- 2010, 2., überarb. Aufl., 592 Seiten, Maße: 14,7 x 20,8 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Rhombos-Verlag
- ISBN-10: 3941216031
- ISBN-13: 9783941216037
Rezension zu „Nouvelle Vague in Osteuropa? “
erschienen in: MEDIENwissenschaft 1/2010im Internet zu finden unter: http://www.staff.uni-marburg.de/~medrez/aktuell.html
Die von der DEFA-Stiftung geförderte Publikation schließt eine in mehrfacher Hinsicht vorhandene Lücke in der vergleichenden Filmforschung zur Einwirkung der Nouvelle Vague auf den Spielfilm in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien. Obwohl Ost-West übergreifende filmhistorische Abhandlungen wie Überblicksdarstellungen zum osteuropäischen Film (vgl. Pierre Sorlin: European Cinemas ¿ European Societies. London, New York 1991; Ulrich Gregor: Geschichte des Films ab 1960. München 1978; Mira Liehm, Antonim Liehm: The most important art. Eastern European Film after 1945. Berkeley 1979) wie auch länderspezifische Studien zur Bedeutung des um 1959/60 auch in Osteuropa entstehenden ¿Autorenfilms¿ komparative Deutungsansätze enthalten, fehlte es bislang an methodisch ausgereiften komparatistischen Abhandlungen zu diesem Thema. Der Autor, Hochschullehrer für Filmwissenschaft i.R. und Verfasser zahlreicher fundierter Aufsätze (vgl. Film-Künste-TV-Shows. Film- und fernsehwissenschaftliche Studien. Auswahl 1978 ¿ 2004. Berlin 2005), verweist in seinem Vorwort auf die ¿weitgehende Vernachlässigung der widersprüchlichen Rezeption der Nouvelle Vague und der parallelen Neuen Wellen des Autorenfilms in Ostmittel- und Südosteuropa in den sechziger Jahren¿ (S.22) im Hinblick auf die deutsche filmwissenschaftliche Literatur. Seine Eingangsthese lautet: ¿Der gesamteuropäische Aufbruch neuer Regiegenerationen ¿ modifiziert sich in Ostmittel- und Südosteuropa dahingehend¿ (S.22), dass die Nouvelle Vague in diesen Ländern eine unterschiedliche Aufmerksamkeit erfahren habe, dann aber eine von den westeuropäischen Neuen Wellen abgrenzbare Entwicklung einsetzte. Diese Neuen Wellen hätten gegen die Theatralität und die Maskeraden der osteuropäischen Sozialismen neue Öffentlichkeitsmodelle des Kinos geltend gemacht.
Mit dem Verweis
... mehr
auf ¿intellektuelle Gegenkulturen¿, ein Begriff, der sich aus Marc Ferros Konzept der Gegenanalyse ableitet, greift Haucke einen ambitiösen soziokulturellen Theorieansatz der späten 70er Jahre auf, der rückblickend aus dem 21. Jahrhunderts in dieser Tragweite sich jedoch als nicht haltbar erweist. Vielmehr beinhalteten solche gegenkulturellen Bemühungen meist reformsozialistische Ansätze, in denen die Konstrukte in den Gegenpolen bereits Fehler und Irrtümer der nationalen Entwicklungen enthielten. Solche gesellschaftlichen Gegenentwürfe zum doktrinären Staatssozialismus trafen je nach dem Grad nationaler und kultureller Eigenständigkeit auf den mehr oder weniger starken Widerstand der Machtcliquen.
Im DEFA-Film wurden, wie Haucke betont, solche verhängnisvollen Fehlentwicklungen wie der Stalinismus und der damit verbundene so genannte Personenkult in der Regel nicht thematisiert. Der Autorbetrachtet ihn ¿aufgrund der nationalen Zweistaatlichkeit¿ als einen Sonderfall in den osteuropäischen Entwicklungen, nicht zuletzt deshalb, weil die Politik des 11. Plenums der SED (1965) bewirkte, dass die Filmkultur der DDR von den osteuropäischen Neuen Wellen isoliert wurde.
Die vorliegende Publikation beruht auf einer Vorlesungsreihe, die Haucke 2008 im Seminar für Filmwissenschaft der Humboldt-Universität in Berlin hielt. Die übersichtliche Einleitung zur Fragestellung, ob die Nouvelle Vague ihren Einfluss auf die Filme in Ostmitteleuropa ausgeübt habe, greift die besonderen ästhetischen Merkmale der französischen Vorbilder auf, thematisiert die Unterschiede zwischen ost- und westeuropäischem ¿Autorenfilm¿ (leider wird der Begriff sehr weitläufig verwendet!), beschäftigt sich mit dem spannenden Problem, ob die Ostfilme der avantgardistischen oder der Populärkultur angehörten und sucht nach einer Periodisierung aus komparativer Perspektive. Ausgehend von der Hypothese, dass die Modernisierungsprozesse im Europa der 60er und 70er Jahre kulturelle (wie auch politische) Konflikte ausgelöst hätten, stellt Haucke fest, dass dieses Unruhepotential sich in den Neuen Filmwellen der 60er Jahre in Form von so genannten Hochkunstproduktionen niedergeschlagen habe. Ihre Analyse leistet der Autor mit fachlicher Unterstützung von Filmhistorikern aus den einzelnen Ländern. Es handelt sich dabei um ein Kompendium, das sich in den Kapiteln 2 bis 8 mit dem novi film (jugoslawischer Film 1961-1971), der tschechischen Neuen Welle I und II (1962-1969), der neuen polnischen Generation (1958 bis 1969), dem Béla Balázs-Studio der Budapester Schule (1961-1968) und den ¿Neuen Wellen¿ in Rumänien und Bulgarien auseinandersetzt. Haucke gibt nicht nur einen umfassenden Überblick über die sicherlich spannendste Entwicklungsphase im ostmitteleuropäischen Spielfilm nach 1945. Ausgehend von Einzel- und Querschnittsanalysen zu ausgewählten Problemkreisen untersucht er auch - mit komparatistischem Anspruch ¿ wesentliche Problemfelder in den nationalen Filmkulturen wie Personenkult, Thematisierung der Judenverfolgungen, Antikriegsfilme, Entfremdungsverfahren und Wechselbeziehungen von Film, Theater und Literatur.
Seine oft rigide didaktisch-methodische Vorgehensweise (Aufzeigen von Problemfeldern, vereinzelte Übersichtstabellen, Konzentration auf ¿Schlüsselfilme¿) ohne Bildreproduktionen schlägt sich in unter-schiedlichen Narrativen der Publikation nieder. Sie zeichnen sich einerseits durch eine isolierte, oft schlagwortartige Darstellung der jeweiligen Filme aus, andererseits sind die filmischen Gegenstände in den nationalen kulturellen Kontext eingebettet. Das zweite Beschreibungsverfahren verdeutlicht besonders am Beispiel der tschechischen Neuen Welle die engen Verbindungslinien zwischen Film, Theater und Literatur. Es greift auch wesentliche kulturpolitische Prozesse auf und erfüllt damit auch komparative Ansprüche. Darüber hinaus thematisiert er die neuen Organisationsformen (wie am Beispiel der ungarischen Film-produktion) und setzt sich mit den Zwängen der jeweiligen Kulturpolitiken (Rumänien und Bulgarien) auseinander.
Besonders hervorzuheben sind die Kapitel 9 bis 11, in denen Haucke sich mit dramaturgischen Modellbildungen (Rückblendendramaturgien und der damit verbundenen Gesellschaftskritik, der Intertextualität und Intermedialität in den Autorenfilmen) auseinandersetzt und rezeptionsästhetische Strategien in den Spielfilmen der 60er Jahre entwickelt. Sie erweisen sich als effiziente komparatistische Zugänge zu einem Gegenstand, der bislang lediglich kursorisch abgehandelt worden ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die vorliegende Abhandlung eine Grundlage für weitergehende vergleichende Untersuchungen in einer osteuropäischen Filmgeschichte, deren eigenständige Poetiken nur vereinzelt in das Blickfeld einer europäischen Filmbetrachtung geraten sind. Aus diesem Grund verweisen die finalen Überlegungen des Autors zu Utopien contra Maskeraden (Kap. 12) auch auf einen Diskurs, der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus neue Impulse erhält.
Wolfgang Schlott (Bremen)
Recherche Film und Fernsehen
Erschienen in: Recherche Film und Fernsehen Nr. 7+8/2010
im Internet unter: http://osiris22.pi-consult.de/view.php3?show=5270725
Nach der Retrospektive "European 60s. Revolte, Phantasie und Utopie" auf den 52. Internationalen Filmfestspielen in Berlin 2002 ist es um den östlichen Part dieses Untersuchungsfeldes sehr schnell wieder ruhig geworden. Lutz Haucke, Zeitzeuge dieser Autorenfilmgeneration und über lange Jahre Dozent an der Humboldt-Universität Berlin zum Thema ausgewiesen, hat diese Leerstelle ermutigt, seinen reichen Erfahrungsschatz zu den osteuropäischen "Neuen Wellen" in eine wissenschaftliche Buchform zu gießen. Dieses Vorhaben ist - mit kleinen Abstrichen - geglückt, das Werk wird sich gewiss als Standardlektüre für dieses Lehr- und Forschungsfeld etablieren.
Anders als die Retrospektive, die den gemeinsamen und verallgemeinerbaren Aufbruch betonte, macht Haucke zu Recht wesentliche gesellschaftspolitische Unterschiede geltend: "Im Westen waren es die "Kinder von Marx und Coca Cola" (Jean-Luc Godard), die auf die Straße gingen. Im Osten ging es um ökonomische Reformen und um einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz"." Während west-europäische Autorenfilmer gegenkulturellen ästhetischen Konzepten folgten, literarische und filmische Vorläufer dekonstruieren, ironisierten, parodierten und damit die Postmoderne einleiteten, "versuchten die Intellektuellen in Osteuropa, das klassische Projekt der Moderne fortzuführen." Ausgehend von der national zentrierten Gegenwartsliteratur betrieben in staatlichen Studios beschäftigte engagierte Filmemacher "thematische Konfrontationen mit der politischen Staatszensur": Nicht um das System zu zerstören, sondern um das Projekt "demokratischer Sozialismus" am Leben zu erhalten beziehungsweise wieder aufzunehmen.
Diese Zitate kennzeichnen nicht nur die vom Autor herausgearbeiteten Differenzen zwischen Ost und West, sondern auch seine Methodik, die als kulturwissenschaftliche Analyse im doppelten Sinne zu begreifen ist. Zum einen werden die Filme stets in ihrer gesellschaftlichen Bezüglichkeit, ja als Reflexion von Realitätszuständen, behandelt. Zum anderen stehen sie als Kunstprodukte innerhalb der Künste nie für sich, sie kommen auch im Sinne eines engen intermedialen Diskurses von Literatur, Theater und Film zur Sprache.
Haucke bewegt sich mit seiner Studie in einem Zeitfenster von 1960 bis 1970 und gliedert sie gemäß den nationalen Ausprägungen der kinematografischen "Neuen Wellen" in schlüssige Abschnitte. Er beleuchtet das Phänomen nacheinander für Jugoslawien, die CSSR, für Polen, Ungarn und in kursorischer Form für den Balkan. Besonders akzentuiert werden die Anteile der Filmhochschulen in Prag (FAMU) und Lodz sowie die Béla-Balázs-Studios in Budapest (Autorin: Terézia Kriedemann). Mit dieser Einteilung gelingt ihm eine regional abgestufte Betrachtung, ohne dass vom gemeinschaftlichen, zunächst hypothetisch gesetzten Begriff abgegangen wird. Handelte es sich in Jugoslawien um eine vom philosophischen Diskurs angeschobene und unter dezentralen beziehungsweise privatwirtschaftlichen Produktionsbedingungen durchgesetzte filmische Erneuerung, die vom Inlandspublikum wesentlich ignoriert wurde, ware für Polen und die CSSR die starken Impulse vom zeitgenössischen Theater genauso elementär wie die breite Rezeption im Kino.
Drei weitere Kapitel sind "dramaturgischen Modellbildungen" in den Filmen vorbehalten. Der längste Komplex widmet sich dabei den vielfach angewandten Rückblendenerzählungen und ihrem gesellschaftskritischen Potenzial in Südosteuropa. Am Schluss kommt Haucke auf sein Prinzip der "Gegenanalyse" zurück, wenn er die häufig in den Filmen anzutreffenden Maskeraden politischer Rollenbilder, die satirisch gezeichneten (Partei-) Autoritäten und Inszenierungen einer aufoktroyierten Trauerarbeit als kritische Texte liest, die "im weitesten Sinne kulturelle Vermittlungen von (falschen) Ideologien (sind), die aus der widersprüchlichen Dialektik von Basis und Überbau resultieren."
Humanisierend sollte so der außergewöhnliche, in tiefdunklen beklemmenden Arrangements gehaltene Spielfilm UCHO (Das Ohr) von Karel Kachyña wirken, eine schonungslose Aufdeckung von Staats-Karrierismus aber auch von stalinistischen Geheimdienstpraktiken, der 1969 in der CSSR nach Niederschlagung des Prager Frühlings sofort verboten wurde. Allerdings lässt bereits dieses eine Beispiel auch andere Deutungen zu, als mit dem "Maskeradentheorem" angeboten. In realistischen bis surrealen Bildern entwirft UCHO das Psychogramm eines verfolgten und sich selbst verfolgenden Mittäters und zeigt zugleich Variationen von Machtausübung und Machtteilhabe - abstrahierend und somit über die tschechischen respektive sozialistischen Zustände hinausweisend.
Lutz Haucke legt seiner Untersuchung einen beeindruckenden Korpus an Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen zugrunde, die im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt sind. Immer wieder fügt er konsistente Einzelanalysen ausgewählter Filme ein, so zu TRI (Drei; 1966) von Aleksandar-Sa¿a Petrovic für den jugoslawischen "Novi film", zum Gemeinschaftsfilm der FAMU-Absolventen (Jiri Menzel, Jan Nemec, Evald Schorm, Vera Chytilová, Jaromil Jire¿) PERLICKY NA DNE (Perlen auf dem Grund; 1965) für die "Tschechische Neue Welle" sowie zu Andrzeij 'Wajdas NIEWINNI CZARODZIEJE (Die unschuldigen Zauberer; 1960) für die polnische Entwicklung. Allerdings kann sich ein visueller Eindruck nicht (oder nur durch die Filmbeschreibung) herstellen, da auf Abbildungen leider verzichtet wurde.
Gegenüber gängigen filmhistorischen Publikationen fällt der Band ferner durch eine eher ungewöhnliche formale Struktur auf: Mit seiner strengen Aufbereitung in kleinen Kapiteln, Anstrichen, Absätzen, Leitsätzen und Zwischenüberschriften erinnert er stark an ein Lehrbuch, das Wissen stringent und gut nachvollziehbar (und dafür weniger poetisch) vermitteln will - man merkt, die Publikation ist aus einem Seminar abgeleitet worden. Dies muss allerdings kein Nachteil sein und sollte die Lese- und Erkenntnisfreude keinesfalls schmälern.
Als Forschungsausblick wäre die durch Lutz Haucke mit "Ja" beantwortete Frage des Buchtitels nun auf Mitteleuropa zu beziehen und konkret auf die DDR: Gab es eine Nouvelle Vague bei der DEFA?
(Ralf Forster, Berlin)
Im DEFA-Film wurden, wie Haucke betont, solche verhängnisvollen Fehlentwicklungen wie der Stalinismus und der damit verbundene so genannte Personenkult in der Regel nicht thematisiert. Der Autorbetrachtet ihn ¿aufgrund der nationalen Zweistaatlichkeit¿ als einen Sonderfall in den osteuropäischen Entwicklungen, nicht zuletzt deshalb, weil die Politik des 11. Plenums der SED (1965) bewirkte, dass die Filmkultur der DDR von den osteuropäischen Neuen Wellen isoliert wurde.
Die vorliegende Publikation beruht auf einer Vorlesungsreihe, die Haucke 2008 im Seminar für Filmwissenschaft der Humboldt-Universität in Berlin hielt. Die übersichtliche Einleitung zur Fragestellung, ob die Nouvelle Vague ihren Einfluss auf die Filme in Ostmitteleuropa ausgeübt habe, greift die besonderen ästhetischen Merkmale der französischen Vorbilder auf, thematisiert die Unterschiede zwischen ost- und westeuropäischem ¿Autorenfilm¿ (leider wird der Begriff sehr weitläufig verwendet!), beschäftigt sich mit dem spannenden Problem, ob die Ostfilme der avantgardistischen oder der Populärkultur angehörten und sucht nach einer Periodisierung aus komparativer Perspektive. Ausgehend von der Hypothese, dass die Modernisierungsprozesse im Europa der 60er und 70er Jahre kulturelle (wie auch politische) Konflikte ausgelöst hätten, stellt Haucke fest, dass dieses Unruhepotential sich in den Neuen Filmwellen der 60er Jahre in Form von so genannten Hochkunstproduktionen niedergeschlagen habe. Ihre Analyse leistet der Autor mit fachlicher Unterstützung von Filmhistorikern aus den einzelnen Ländern. Es handelt sich dabei um ein Kompendium, das sich in den Kapiteln 2 bis 8 mit dem novi film (jugoslawischer Film 1961-1971), der tschechischen Neuen Welle I und II (1962-1969), der neuen polnischen Generation (1958 bis 1969), dem Béla Balázs-Studio der Budapester Schule (1961-1968) und den ¿Neuen Wellen¿ in Rumänien und Bulgarien auseinandersetzt. Haucke gibt nicht nur einen umfassenden Überblick über die sicherlich spannendste Entwicklungsphase im ostmitteleuropäischen Spielfilm nach 1945. Ausgehend von Einzel- und Querschnittsanalysen zu ausgewählten Problemkreisen untersucht er auch - mit komparatistischem Anspruch ¿ wesentliche Problemfelder in den nationalen Filmkulturen wie Personenkult, Thematisierung der Judenverfolgungen, Antikriegsfilme, Entfremdungsverfahren und Wechselbeziehungen von Film, Theater und Literatur.
Seine oft rigide didaktisch-methodische Vorgehensweise (Aufzeigen von Problemfeldern, vereinzelte Übersichtstabellen, Konzentration auf ¿Schlüsselfilme¿) ohne Bildreproduktionen schlägt sich in unter-schiedlichen Narrativen der Publikation nieder. Sie zeichnen sich einerseits durch eine isolierte, oft schlagwortartige Darstellung der jeweiligen Filme aus, andererseits sind die filmischen Gegenstände in den nationalen kulturellen Kontext eingebettet. Das zweite Beschreibungsverfahren verdeutlicht besonders am Beispiel der tschechischen Neuen Welle die engen Verbindungslinien zwischen Film, Theater und Literatur. Es greift auch wesentliche kulturpolitische Prozesse auf und erfüllt damit auch komparative Ansprüche. Darüber hinaus thematisiert er die neuen Organisationsformen (wie am Beispiel der ungarischen Film-produktion) und setzt sich mit den Zwängen der jeweiligen Kulturpolitiken (Rumänien und Bulgarien) auseinander.
Besonders hervorzuheben sind die Kapitel 9 bis 11, in denen Haucke sich mit dramaturgischen Modellbildungen (Rückblendendramaturgien und der damit verbundenen Gesellschaftskritik, der Intertextualität und Intermedialität in den Autorenfilmen) auseinandersetzt und rezeptionsästhetische Strategien in den Spielfilmen der 60er Jahre entwickelt. Sie erweisen sich als effiziente komparatistische Zugänge zu einem Gegenstand, der bislang lediglich kursorisch abgehandelt worden ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die vorliegende Abhandlung eine Grundlage für weitergehende vergleichende Untersuchungen in einer osteuropäischen Filmgeschichte, deren eigenständige Poetiken nur vereinzelt in das Blickfeld einer europäischen Filmbetrachtung geraten sind. Aus diesem Grund verweisen die finalen Überlegungen des Autors zu Utopien contra Maskeraden (Kap. 12) auch auf einen Diskurs, der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus neue Impulse erhält.
Wolfgang Schlott (Bremen)
Recherche Film und Fernsehen
Erschienen in: Recherche Film und Fernsehen Nr. 7+8/2010
im Internet unter: http://osiris22.pi-consult.de/view.php3?show=5270725
Nach der Retrospektive "European 60s. Revolte, Phantasie und Utopie" auf den 52. Internationalen Filmfestspielen in Berlin 2002 ist es um den östlichen Part dieses Untersuchungsfeldes sehr schnell wieder ruhig geworden. Lutz Haucke, Zeitzeuge dieser Autorenfilmgeneration und über lange Jahre Dozent an der Humboldt-Universität Berlin zum Thema ausgewiesen, hat diese Leerstelle ermutigt, seinen reichen Erfahrungsschatz zu den osteuropäischen "Neuen Wellen" in eine wissenschaftliche Buchform zu gießen. Dieses Vorhaben ist - mit kleinen Abstrichen - geglückt, das Werk wird sich gewiss als Standardlektüre für dieses Lehr- und Forschungsfeld etablieren.
Anders als die Retrospektive, die den gemeinsamen und verallgemeinerbaren Aufbruch betonte, macht Haucke zu Recht wesentliche gesellschaftspolitische Unterschiede geltend: "Im Westen waren es die "Kinder von Marx und Coca Cola" (Jean-Luc Godard), die auf die Straße gingen. Im Osten ging es um ökonomische Reformen und um einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz"." Während west-europäische Autorenfilmer gegenkulturellen ästhetischen Konzepten folgten, literarische und filmische Vorläufer dekonstruieren, ironisierten, parodierten und damit die Postmoderne einleiteten, "versuchten die Intellektuellen in Osteuropa, das klassische Projekt der Moderne fortzuführen." Ausgehend von der national zentrierten Gegenwartsliteratur betrieben in staatlichen Studios beschäftigte engagierte Filmemacher "thematische Konfrontationen mit der politischen Staatszensur": Nicht um das System zu zerstören, sondern um das Projekt "demokratischer Sozialismus" am Leben zu erhalten beziehungsweise wieder aufzunehmen.
Diese Zitate kennzeichnen nicht nur die vom Autor herausgearbeiteten Differenzen zwischen Ost und West, sondern auch seine Methodik, die als kulturwissenschaftliche Analyse im doppelten Sinne zu begreifen ist. Zum einen werden die Filme stets in ihrer gesellschaftlichen Bezüglichkeit, ja als Reflexion von Realitätszuständen, behandelt. Zum anderen stehen sie als Kunstprodukte innerhalb der Künste nie für sich, sie kommen auch im Sinne eines engen intermedialen Diskurses von Literatur, Theater und Film zur Sprache.
Haucke bewegt sich mit seiner Studie in einem Zeitfenster von 1960 bis 1970 und gliedert sie gemäß den nationalen Ausprägungen der kinematografischen "Neuen Wellen" in schlüssige Abschnitte. Er beleuchtet das Phänomen nacheinander für Jugoslawien, die CSSR, für Polen, Ungarn und in kursorischer Form für den Balkan. Besonders akzentuiert werden die Anteile der Filmhochschulen in Prag (FAMU) und Lodz sowie die Béla-Balázs-Studios in Budapest (Autorin: Terézia Kriedemann). Mit dieser Einteilung gelingt ihm eine regional abgestufte Betrachtung, ohne dass vom gemeinschaftlichen, zunächst hypothetisch gesetzten Begriff abgegangen wird. Handelte es sich in Jugoslawien um eine vom philosophischen Diskurs angeschobene und unter dezentralen beziehungsweise privatwirtschaftlichen Produktionsbedingungen durchgesetzte filmische Erneuerung, die vom Inlandspublikum wesentlich ignoriert wurde, ware für Polen und die CSSR die starken Impulse vom zeitgenössischen Theater genauso elementär wie die breite Rezeption im Kino.
Drei weitere Kapitel sind "dramaturgischen Modellbildungen" in den Filmen vorbehalten. Der längste Komplex widmet sich dabei den vielfach angewandten Rückblendenerzählungen und ihrem gesellschaftskritischen Potenzial in Südosteuropa. Am Schluss kommt Haucke auf sein Prinzip der "Gegenanalyse" zurück, wenn er die häufig in den Filmen anzutreffenden Maskeraden politischer Rollenbilder, die satirisch gezeichneten (Partei-) Autoritäten und Inszenierungen einer aufoktroyierten Trauerarbeit als kritische Texte liest, die "im weitesten Sinne kulturelle Vermittlungen von (falschen) Ideologien (sind), die aus der widersprüchlichen Dialektik von Basis und Überbau resultieren."
Humanisierend sollte so der außergewöhnliche, in tiefdunklen beklemmenden Arrangements gehaltene Spielfilm UCHO (Das Ohr) von Karel Kachyña wirken, eine schonungslose Aufdeckung von Staats-Karrierismus aber auch von stalinistischen Geheimdienstpraktiken, der 1969 in der CSSR nach Niederschlagung des Prager Frühlings sofort verboten wurde. Allerdings lässt bereits dieses eine Beispiel auch andere Deutungen zu, als mit dem "Maskeradentheorem" angeboten. In realistischen bis surrealen Bildern entwirft UCHO das Psychogramm eines verfolgten und sich selbst verfolgenden Mittäters und zeigt zugleich Variationen von Machtausübung und Machtteilhabe - abstrahierend und somit über die tschechischen respektive sozialistischen Zustände hinausweisend.
Lutz Haucke legt seiner Untersuchung einen beeindruckenden Korpus an Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen zugrunde, die im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt sind. Immer wieder fügt er konsistente Einzelanalysen ausgewählter Filme ein, so zu TRI (Drei; 1966) von Aleksandar-Sa¿a Petrovic für den jugoslawischen "Novi film", zum Gemeinschaftsfilm der FAMU-Absolventen (Jiri Menzel, Jan Nemec, Evald Schorm, Vera Chytilová, Jaromil Jire¿) PERLICKY NA DNE (Perlen auf dem Grund; 1965) für die "Tschechische Neue Welle" sowie zu Andrzeij 'Wajdas NIEWINNI CZARODZIEJE (Die unschuldigen Zauberer; 1960) für die polnische Entwicklung. Allerdings kann sich ein visueller Eindruck nicht (oder nur durch die Filmbeschreibung) herstellen, da auf Abbildungen leider verzichtet wurde.
Gegenüber gängigen filmhistorischen Publikationen fällt der Band ferner durch eine eher ungewöhnliche formale Struktur auf: Mit seiner strengen Aufbereitung in kleinen Kapiteln, Anstrichen, Absätzen, Leitsätzen und Zwischenüberschriften erinnert er stark an ein Lehrbuch, das Wissen stringent und gut nachvollziehbar (und dafür weniger poetisch) vermitteln will - man merkt, die Publikation ist aus einem Seminar abgeleitet worden. Dies muss allerdings kein Nachteil sein und sollte die Lese- und Erkenntnisfreude keinesfalls schmälern.
Als Forschungsausblick wäre die durch Lutz Haucke mit "Ja" beantwortete Frage des Buchtitels nun auf Mitteleuropa zu beziehen und konkret auf die DDR: Gab es eine Nouvelle Vague bei der DEFA?
(Ralf Forster, Berlin)
... weniger
Kommentar zu "Nouvelle Vague in Osteuropa?"
0 Gebrauchte Artikel zu „Nouvelle Vague in Osteuropa?“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Nouvelle Vague in Osteuropa?".
Kommentar verfassen