Nullkommafünfzunull
Nullkommafünfzunullvon Wolfgang Hars
LESEPROBEVorwort
Die Idee zu diesem Buch ist eigentlichRudi Völler zu verdanken. Genauer gesagt ist es eine Spätfolge des legendärenInterviews nach dem Qualifikationsspiel zur EM 2004 gegen Island. Dortunterstellte Völler dem Moderator Waldemar Hartmann wenig taktvoll, dass er schonwieder zwei Weißbier intus hätte, weil Gerd Delling vorher behauptet hatte,früher, in den guten alten Zeiten von Beckenbauer und Netzer, hätte man solcheFußballzwerge wie Island einfach weggeputzt und sich mit links qualifiziert.
Am Tag nach diesem geschichtsträchtigenVorfall saß ich dann wie immer in der morgendlichen Redaktionskonferenz beimeinem Job. Und da ging es wie jeden Morgen auch uni Fußball und natürlich dasIsland-Spiel. Und jeder Kollege, egal aus welchem Ressort, wusste genauBescheid, wie das früher war mit den Deutschen in der Qualifikation. DerNachrichtenchef outete sich als der Fußballexperte schlechthin, was wenigüberraschte, da er immer alles ganz genau wusste, egal worum es ging und wieviel er davon verstand. Der Kollege von der Unterhaltung, sonst mehr Fachmannfür die neuesten Dessous-Trends, meinte, mit Otto Rehhagel wäre das nichtpassiert, während der Computer-Redakteur, der zuvor gerade vor einem neuenInternetwurm gewarnt hatte, nichts auf Rudi Völler kommen ließ - und so weiterund so weiter. Es wurde zu einer schönen Fachsimpelei, wenn auch ohne Ergebnis.
Das ließ mir keine Ruhe. Also besorgteich mir die Bibel des deutschen Fußballs, den Kicker-Almanach, und schlugnach. Heraus kam, dass, wie so oft, beide Recht hatten, Völler und Delling.Meistens liefen EM- oder WM-Qualifikationen für deutsche Mannschaften zwarziemlich glatt, aber oft war es auch ein Gewürge, und selbst die Albaner habenuns schon einmal ein Bein gestellt. Aber mehr dazu auf Seite 41.
Mein Interesse war jedenfalls geweckt,und ich beschloss, den Legenden und Mythen des Fußballs auf den Grund zugehen. Schließlich gibt es ja drei Dinge, die wichtig sind im Leben dermeisten Männer und die alle mit »F« anfangen: Freundschaft, Frauen und Fußball.Der DFB hat mehr Mitglieder als der DGB, und die Zahl derer (Männer undzunehmend Frauen), die sich für Gelehrte der Strategie und Taktik des Fußballsund profunde Kenner seiner Geschichte halten, ist Legion. Also machte ich michauf die Suche, um diesen so unverzichtbaren Bereich menschlicher Konversationein wenig zu stärken, den Kenntnisstand zu heben, um dem meist nur oberflächlichenWissen fundamentale Tiefe zu verleihen. Die Ergebnisse meiner Forschungsarbeitsind in diesem Buch versammelt.
Einige der schönsten Legenden halten,wie man wahrscheinlich schon ahnt, einer näheren Überprüfung nicht stand. DieGeheimwaffe von Sepp Herberger etwa sollen 1954 die Stollenschuhe gewesen sein,die er angeblich kurz vor der Weltmeisterschaft in der Schweiz entdeckt hatte.Richtig ist aber, dass die von Adi Dassler entwickelten Schuhe zwar Vorteilebei Regenwetter brachten, aber Herberger sich anfangs immer geweigert hatte,sie einzusetzen. Erst Fritz Walter konnte den Chef überzeugen. Oder dieGeschichte mit dem Rücktritt der halben Nationalmannschaft nach dem WM-Titel 1974,weil der DFB die Spielerfrauen nicht aufs Bankett gelassen hatte. Das war abernur die halbe Wahrheit, wie Gerd Müller später klarstellte. Genauso wie dielegendäre Selbsteinwechslung von Günter Netzer im Pokalfinale 1973 gegen Köln.Mehr dazu auf Seite 85.
Weit verbreitet ist auch der Glaube,dass Ballbesitz einer Mannschaft Vorteile bringe. Aber welcher soll das sein?Ballbesitz heißt nur, dass der Ball möglichst lange in der Abwehr oder imMittelfeld hin- und hergeschoben wird. Aber die Tore fallen vorn, um mit einerweiteren Fußballweisheit zu antworten. Oder die Geschichte mit den Fernschüssenbei nassem Rasen, die angeblich besonders gefährlich sein sollen. Näherbetrachtet ist da nichts dran, weil ein Ball auf nassem Rasen gar nichtschneller werden kann.
Natürlich brachten meine Recherchen aucheinige Überraschungen ans Tageslicht. Etwa, dass nicht Oliver Bierhoff dererste Schütze eines Golden Goal war, sondern ein Spieler aus Barbados. Und wasdamals in dem Spiel gegen Grenada passiert ist, gehört wohl zu den kuriosestenBegebenheiten, die sich jemals auf einem Fußballfeld zugetragen haben. Oderdass Frauen, zumindest in England, Abseits besser erklären können als Männer,und die Erklärung dafür, warum wirklich so viele Abseitsentscheidungen falschsind. Bernd Hölzenbein war auch nie der Schwalbenkönig, als der er seit dem WM-Finale1974 immer hingestellt wird. Oder die Legende, dass die Gladbacher in denglanzvollen 70er Jahren einen offensiveren Fußball als die Bayern gespielthaben. Genau das Gegenteil war aber der Fall, wie sich statistisch eindeutigbelegen lässt.
Diese und viele andere Legenden sind indiesem Buch versammelt. Ich bin mir dabei sehr wohl bewusst, dass ich mich aufein gefährliches Terrain begebe, das eigentlich nur den Heiligen der Treterzunftvorbehalten ist. Nur Größen wie Günter Netzer, Sepp Herberger oder derWankdorf-Herold vom Berner Sieg über Ungarn, Herbert Zimmermann, dürfen solchemythischen Trivialitäten aussprechen wie: Der Ball ist rund, und das Spieldauert 90 Minuten. Oder gar über sie schreiben. Und da einige wirkliche undandere selbst ernannte Experten mich sicherlich fürchterlich zerreißen werden,hier gleich vorweg das verschämte Geständnis: Die größte fußballerischeLeistung des Autors waren fünf Tore als Mittelstürmer des TSV Kirchwerder ineinem Spiel der Hamburger Bezirksklasse. Was mich aber nicht daran hindernsoll, niederzuschreiben, was ich in eineinhalbjähriger Recherchearbeit über dieschönste Nebensache der Welt herausgefunden habe.
© Scherz Verlag
- Autor: Wolfgang Hars
- 238 Seiten, Maße: 14,6 x 22,1 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502150222
- ISBN-13: 9783502150220
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