Meer der Finsternis / Odd Thomas Bd.4
Roman
Der Grillkoch mit den unheimlichen Fähigkeiten wird von einem Alptraum heimgesucht: das Meer erhebt sich zu einer blutroten gigantischen Wasserwand. Und drei finstere gnadenlose Gestalten trachten ihm nach dem Leben.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Meer der Finsternis / Odd Thomas Bd.4 “
Der Grillkoch mit den unheimlichen Fähigkeiten wird von einem Alptraum heimgesucht: das Meer erhebt sich zu einer blutroten gigantischen Wasserwand. Und drei finstere gnadenlose Gestalten trachten ihm nach dem Leben.
Klappentext zu „Meer der Finsternis / Odd Thomas Bd.4 “
Die dunkelste Nacht seines LebensOdd Thomas ist ein freundlicher Grillkoch mit besonderen Gaben. Wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, gelangt er in ein scheinbar beschauliches Küstendorf. Hier sucht ihn ein ständig wiederkehrender Alptraum heim: Das Meer erhebt sich in einer alles verschlingenden Flut. Doch zunächst sind es Menschen, die Odd nach dem Leben trachten - finstere, gnadenlose Gestalten.
"Bedrohlich, düster, brutal. Dean Koontz bietet gewohnt packenden Nervenkitzel." -- Men's Health zu "Meer der Finsternis"
'Mit Odd Thomas hat Dean Koontz seine faszinierendste Figur geschaffen.' -- The New York Times
"Ein Autor voller brillanter Ideen und ein mitreißender Held." -- Washington Post
'Mit Odd Thomas hat Dean Koontz seine faszinierendste Figur geschaffen.' -- The New York Times
"Ein Autor voller brillanter Ideen und ein mitreißender Held." -- Washington Post
Lese-Probe zu „Meer der Finsternis / Odd Thomas Bd.4 “
Meer der Finsternis von Dean KoontzEs ist nur das Leben. Irgendwie bringen wir es alle hinter uns. Nicht alle von uns beenden jedoch die Reise in ein und demselben Zustand. Unterwegs verlieren manche bei Unfällen oder gewaltsamen Auseinandersetzungen ihre Beine oder Augen, während andere durch die Jahre gleiten, ohne sich weitere Sorgen machen zu müssen als die, dass an manchen Tagen ihre Frisur nicht richtig sitzt. Ich besaß noch immer beide Beine und beide Augen, und selbst mein Haar sah akzeptabel aus, als ich an jenem Mittwochmorgen Ende Januar aus dem Bett stieg. Wäre ich sechzehn Stunden nach diesem Augenblick wieder schlafen gegangen, ohne mehr verloren zu haben als alle meine Haare, würde ich den Tag als wahren Triumph bezeichnen. Selbst wenn ich anschließend ein paar Zähne weniger gehabt hätte, wäre es ein Triumph gewesen.
Als ich in meinem Zimmer die Jalousien hochzog, war es windstill und der wolkenverhangene Himmel grau und schwer, doch er ging eindeutig mit einer Veränderung schwanger.
Über Nacht war laut den Radionachrichten in Ohio ein Passagierflugzeug abgestürzt, wobei Hunderte zu Tode gekommen waren. Überlebt hatte nur ein zehn Monate altes Kind. Man hatte es unversehrt in seinem übel zugerichteten Sitz gefunden, der aufrecht inmitten von verkohlten und verbogenen Trümmern stand.
Unter dem erwartungsvollen Himmel schwappten den ganzen Morgen über flache, trägeWellen an den Strand. Der Pazifik war grau und von pechschwarzen Schatten erfüllt, als schwämmen knapp unterhalb der Oberfläche fantastisch geformte Meeresungeheuer dahin. In der Nacht war ich zweimal aus einem Traum erwacht, in dem eine rote Flut heranrollte, während das Meer in einem schrecklichen Licht pulsierte.
Was Alpträume angeht, habt ihr bestimmt schon schlimmere gehabt. Das Problem besteht darin, dass sich einige meiner Träume bewahrheitet haben und
... mehr
dabei Menschen zu Tode gekommen sind. Während ich für meinen Arbeitgeber das Frühstück zubereitete, kam im Küchenradio die Nachricht, die Terroristen, die am Vortag im Mittelmeer ein Kreuzfahrtschiff gekapert hätten, seien nun damit beschäftigt, die Passagiere zu enthaupten. Ich habe schon vor Jahren damit aufgehört, mir Nachrichten im Fernsehen anzuschauen. Worte und das Wissen, das sie vermitteln, kann ich ertragen, aber die Bilder machen mich fertig.
Weil Hutch an Schlaflosigkeit litt und erst in der Morgendämmerung zu Bett ging, ließ er sich sein Frühstück mittags bringen. Er bezahlte mich gut und war ein freundlicher Mensch, weshalb ich meine Arbeit an seinen Lebensrhythmus anpasste, ohne mich zu beklagen. Seine Mahlzeiten nahm Hutch im Esszimmer ein, wo die Vorhänge immer zugezogen waren. Dazwischen blieb kein einziger heller Streifen sichtbar. Beim Essen sah er sich oft einen Film an und blieb noch ein wenig bei einer Tasse Kaffee sitzen, bis der Abspann kam. Auch an jenem Tag hatte er keinen Nachrichtensender eingeschaltet, sondern sah sich Carole Lombard und John Barrymore in Napoleon vom Broadway an.
Angesichts seiner achtundachtzig Jahre war Hutch noch in der Zeit des Stummfilms geboren, als Namen wie Lillian Gish und Rudolph Valentino am Kinohimmel glänzten. Auch er war später ein erfolgreicher Schauspieler gewesen. Nicht zuletzt deshalb dachte er weniger inWorten als in Bildern und hielt sich gern in einer Fantasiewelt auf. Neben seinem Teller stand eine Flasche mit Desinfektionsgel. Damit reinigte er sich nicht nur vor und nach dem Essen ausgiebig die Hände, sondern auch mindestens zweimal im Lauf einer Mahlzeit.
Wie die meisten Amerikaner in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts fürchtete Hutch sich vor allem - außer vor dem, was er hätte fürchten sollen. Wenn denMachern der Fernsehnachrichten die Geschichten über versoffene, drogensüchtige, mordlüsterne oder anderweitig durchgedrehte Prominente ausgingen (was etwa zweimal pro Jahr vorkam), dann füllten sie die kurze Lücke gelegentlich mit einem Sensationsbericht über gewisse fleischfressende Bakterien. Infolgedessen hatte Hutch Angst davor, sich diese heißhungrigen Erreger zuzuziehen. Von Zeit zu Zeit hockte er beim Lampenschein in seinem Arbeitszimmer wie eine jener verdrießlichen Gestalten, die die Geschichten von Edgar Allan Poe bevölkern, und grübelte über sein Schicksal nach, über die Anfälligkeit seines Fleisches und den unersättlichen Appetit seiner mikroskopischenWidersacher. Vor allem fürchtete er sich davor, dass seine Nase aufgefressen werden könnte.
In längst vergangenen Tagen war sein Gesicht berühmt gewesen. Obwohl die Zeit es verändert hatte, war er noch immer stolz auf sein Aussehen. Ich hatte einige der Filme gesehen, die Lawrence Hutchison in den vierziger und fünfziger Jahren gedreht hatte. Sie gefielen mir. Hutch hatte es verstanden, auf der Leinwand eine echte Präsenz zu entfalten.
Weil er seit fünf Jahrzehnten nicht mehr vor die Kamera getreten war, kannte man ihn inzwischen weniger wegen seiner Schauspielkünste als wegen seiner Kinderbücher über ein draufgängerisches Kaninchen namens Nibbles. Im Gegensatz zu seinem Schöpfer war Nibbles völlig furchtlos. Die Einkünfte aus seinen Filmen und Büchern sowie die Angewohnheit, Investmentgelegenheiten mit paranoidem Argwohn zu betrachten, hatten dafür gesorgt, dass Hutch im Alter finanziell gesichert war. Dennoch machte er sich Sorgen, ein dramatischer Anstieg des Ölpreises oder dessen totaler Zusammenbruch könnte zu einer weltweiten Finanzkrise führen, die ihn bettelarm machen würde. Sein Haus stand direkt an der Uferpromenade und damit am Strand. Von der Tür aus war man in einer Minute dort, wo sich dieWellen brachen. Im Lauf der Jahre hatte er allmählich Angst vor dem Meer entwickelt. Inzwischen ertrug er es nicht mehr, im westlichen Teil des Hauses zu schlafen, wo er womöglich hörte, wie die Brandung an den Strand kroch.
Deshalb war ich im besten Schlafzimmer des Hauses untergebracht, von dem man einen Blick aufs Meer hatte. Hutch schlief in einem nach hinten liegenden Gästezimmer. Einen guten Monat vor dem Traum mit der roten Flut war ich in Magic Beach eingetroffen, und es hatte nur einen Tag gedauert, bis ich die Stelle als Hutchs Koch gefunden hatte. Wenn er einen Ausflug machen wollte, was selten vorkam, diente ich ihm zudem als Chauffeur.
Bei der Arbeitssuche hatten sich die Erfahrungen, die ich im Pico-Mundo-Grill gesammelt hatte, als sehr nützlich erwiesen. Wer Bratkartoffeln zubereiten kann, die den Mund wässrig machen, wer Frühstücksspeck perfekt knusprig braten kann, ohne ihn auszutrocknen, und wer Pfannkuchen bäckt, die gehaltvoll wie Pudding und doch so locker sind, dass sie fast vom Teller schweben, der findet immer Arbeit. Es war halb fünf, als ich an jenem Nachmittag Ende Januar ins Wohnzimmer trat, begleitet von meinem Hund Boo. Hutch saß in seinem Lieblingssessel und stierte finster in den Fernseher, dessen Ton er abgestellt hatte.
»Schlechte Nachrichten, Sir?«
Seine tiefe, sonore Stimme verlieh jeder Silbe einen unheilvoll rollenden Ton: »Der Mars erwärmt sich.«
»Wir leben doch gar nicht auf dem Mars.«
»Er erwärmt sich im selben Tempo wie die Erde.«
»Hatten Sie etwa vor, auf den Mars umzuziehen, um der globalen Erwärmung zu entkommen?« Hutch deutete auf den lautlos sprechenden Moderator im Fernseher. »Das bedeutet, dass die Sonne die Ursache für beides ist. Man kann also nichts dagegen unternehmen. Absolut nichts.«
»Na ja, Sir, schließlich gibt es noch Jupiter und die anderen Planeten, die jenseits des Mars kommen.«
Er fixierte mich mit dem funkelnden grauäugigen Blick, den er vor der Kamera eingesetzt hatte,um engagierten Staatsanwälten und tapferen Offizieren einen Ausdruck unerbittlicher Entschlossenheit zu verleihen. »Manchmal, junger Mann, habe ich den Eindruck, dass du
selber von irgendwo jenseits des Mars kommst.«
»Nicht ganz. Etwas Exotischeres als Pico Mundo, Kalifornien, habe ich leider nicht zu bieten. Sir, wenn Sie mich eine Weile nicht brauchen, dann würde ich gern einen Spaziergang machen.«
Hutch erhob sich. Er war groß und hager. Das Kinn hielt er angehoben, reckte jedoch den Kopf vorwärts wie jemand, der die Augen zusammenkneift, um besser zu sehen. Vielleicht hatte er sich diese Gewohnheit in den Jahren vor seiner Staroperation zugelegt.
»Du willst rausgehen?« Stirnrunzelnd kam er auf mich zu.
»In dem Aufzug?«
Ich trug Turnschuhe, Jeans und ein Sweatshirt. Da er nicht unter Arthritis litt, war er für sein Alter noch recht gelenkig. Dennoch bewegte er sich so achtsam und vorsichtig, als würde er jeden Moment einen Knochenbruch erwarten. Nicht zum ersten Mal erinnerte er mich an einen durchs Wasser stelzenden Fischreiher.
»Du solltest eine Jacke anziehen. So holst du dir noch eine Lungenentzündung.«
»Heute ist es doch gar nicht so frisch«, beruhigte ich ihn.
»Ihr jungen Leute haltet euch für unverwundbar.«
»So jung bin ich gar nicht mehr, Sir. Ich habe Grund genug, mich zu wundern, dass ich nicht schon für immer unter dem Rasen liege.«
Hutch deutete auf den Schriftzug MYSTERY TRAIN, der auf meinem Sweatshirt prangte. »Was soll das eigentlich bedeuten? «
»Keine Ahnung. Das Shirt habe ich in einem Secondhandladen gefunden.«
»Ich war noch nie in einem Secondhandladen.«
»Da haben Sie nicht viel versäumt.«
»Kaufen eigentlich nur sehr arme Leute dort ein, oder geht es in erster Linie um Sparsamkeit?«
»Da trifft man alle gesellschaftlichen Schichten, Sir.«
»Dann sollte ich auch bald mal so einen Laden aufsuchen. Als eine Art Abenteuer.«
»Einen Flaschengeist werden Sie da aber nicht finden«,
sagte ich. Das war eine Anspielung auf seinen Film Der Antiquitätenladen.
»Zweifellos bist du zu modern, um an Flaschengeister und Ähnliches zu glauben.Wie kommt man eigentlich durchs Leben, wenn man nichts hat, woran man glaubt?«
»Ach, da gibt es schon ein paar Sachen, an die ich glaube.«
Daran war Lawrence Hutchison allerdings weniger interessiert als am Klang seiner gut geschulten Stimme. »Ich
beispielsweise bin sehr aufgeschlossen für alles Übernatürliche. «
Seine Selbstbezogenheit fand ich einfach liebenswert. Außerdem war sie praktisch, denn wenn er zu neugierig gewesen wäre, was mich anging, dann wäre es mir schwerer gefallen, meine vielen Geheimnisse für mich zu behalten. »Mein Freund Adrian White«, fuhr er fort, »war mit einer Wahrsagerin verheiratet, die sich Portentia nannte.« Solche Anekdoten hatte ich auch zu bieten. »Ich kannte ein Mädchen namens Stormy Llewellyn. Als ich mit ihr einmal beim Rummel war, haben wir an einem Wahrsageautomaten, der sich Zigeunermumie nannte, eine Karte gezogen. « »Portentia hat zwar eine Kristallkugel verwendet und eine Menge Hokuspokus von sich gegeben, aber sie war echt. Adrian hat sie regelrecht verehrt.«
»Auf der Karte stand, Stormy und ich würden für immer zusammen sein. So ist es allerdings nicht gekommen.«
»Portentia konnte den Tod eines Menschen auf die Stunde genau vorhersagen.«
»Hat sie denn Ihren Tod vorhergesagt, Sir?«
»Meinen nicht, aber den von Adrian. Und zwei Tage später hat sie ihn genau zu der Stunde, die sie genannt hatte, erschossen.«
»Unglaublich!«
»Aber wahr, das kann ich dir versichern.« Er warf einen Blick auf eines der Fenster, das nicht zum Meer hinausging und deshalb auch nicht von Vorhängen verhüllt war. »Hast du das Gefühl, heute ist Tsunamiwetter, Junge?«
»Ich glaube nicht, dass Tsunamis etwas mit demWetter zu tun haben.«
»Ich spüre etwas. Behalt den Ozean im Auge, während du spazieren gehst.«
Wie ein Reiher stelzte er aus dem Wohnzimmer in den Flur, der zum rückwärtigen Teil des Hauses mit der Küche führte. Ich ging durch die Haustür, durch die Boo bereits geglitten war. In dem umzäunten Vorgarten wartete der Hund auf mich.
Ein Spalierbogen rahmte das Tor. Durch das weiße Holzgitter wanden sich purpurrote Bougainvilleen, die selbst im Winter einige Blüten hervorbrachten. Als ich hinter mir das Tor zugezogen hatte, glitt Boo hindurch, während ich einen Augenblick stehen blieb, um tief die frische, salzige Luft einzuatmen. Nachdem ich einige Monate als Gast eines Klosters hoch oben in den Bergen zugebracht hatte, um mich mit meinem merkwürdigen Leben und allem, was ich verloren hatte, auseinanderzusetzen, wollte ich an Weihnachten eigentlich daheim in Pico Mundo sein. Stattdessen war ich hierhergerufen worden, zu einem Zweck, den ich damals noch nicht kannte und auch jetzt noch nicht erraten hatte. Meine Gabe - oder mein Fluch - umfasst mehr als einen gelegentlichen prophetischen Traum. Zum Beispiel führt mich eine unwiderstehliche Intuition manchmal an Orte, die ich freiwillig nie im Leben aufsuchen würde. Und dann warte ich geduldig ab, bis ich herausgefunden habe, warum ich dort gelandet bin.
Boo und ich hielten uns Richtung Norden. Die über drei Meilen lange Strandpromenade von Magic Beach war nicht aus Holz gezimmert, sondern betoniert. Als Strandpromenade wurde sie von der Stadtverwaltung trotzdem bezeichnet. Wörter sind heutzutage äußerst dehnbar. Kleinkredite, die man verzweifelten Leuten zu horrenden Zinsen anbietet, nennt man Gehaltsvorschuss. Ein mieses Hotel, zu dem ein schäbiges Spielcasino gehört, gilt als Resort. Jedes beliebige Sammelsurium aus hektischen Bildern, schlechter Musik und einer disparaten Handlung wird als große Filmkunst gerühmt.
Wir folgten der Strandpromenade aus Beton. Boo war ein Deutscher-Schäferhund-Mischling mit vollständig weißem Fell. Der von einem Horizont zum anderen reisende Mond bewegte sich nicht leiser als er. Nur ich nahm ihn wahr, denn er war ein Geisterhund. Nicht selten sehe ich die Geister toter Menschen, die zögern, aus dieserWelt weiterzuziehen. Tiere jedoch sind nach meiner Erfahrung immer gern bereit zu erfahren, was als Nächstes kommt. Boo stellte eine Ausnahme dar. Warum er sich so verhielt, blieb ein Geheimnis. Die Toten sprechen nicht, und Hunde noch nicht einmal zu Lebzeiten. Deshalb befolgte mein Gefährte also gleich zwei Schweigegelübde. Womöglich blieb er in dieserWelt, weil er wusste, dass ich ihn in irgendeiner Gefahrensituation brauchte. Darauf musste er vielleicht nicht mehr lange warten, da ich häufig bis zum Hals im Schlamassel steckte.
Rechts von uns kam eine Reihe von Privathäusern mit Meerblick, gefolgt von Läden, Lokalen und dem dreistöckigen Magic Beach Hotel mit seinen weißen Wänden und grün gestreiften Markisen. Zu unserer Linken ging der Strand in einen Park über. Da es ein sonnenloser Spätnachmittag war, warfen die Palmen keine Schatten auf die Grünfläche. Der bedrohliche Himmel und die kühle Luft hatten die Strandbesucher abgeschreckt. Auf den Parkbänken saß niemand. Dennoch wusste ich intuitiv, dass sie hier war, nicht im Park, sondern weit draußen über dem Meer. Sie war in meinem roten Traum vorgekommen.
Bis auf das Rauschen der trägen Brandung war es still. Die Palmwedel warteten auf eine Brise, die sie zum Flüstern bringen würde. Breite Stufen führten zum Pier hinauf. Da Boo ein Geist war, machte er auch auf den verwitterten Bohlen keinerlei Geräusch, und als zukünftiger Geist war selbst ich in meinen Turnschuhen weitgehend lautlos. Am Ende des Piers verbreiterte dieser sich zu einer Beobachtungsplattform. Durch mehrere Münzfernrohre konnte man dort die vorbeiziehenden Schiffe, die Küste und den zwei Meilen weiter nördlich gelegenen Hafen ins Visier nehmen. Die Glockendame saß auf der letzten Bank, dem Horizont zugewandt, wo der mottenkugelgraue Himmel nahtlos mit dem trüben Meer verschmolz. Ich lehnte mich ans Geländer und tat so, als würde ich über den zeitlosen Marsch derWellen meditieren.Aus demAugenwinkel sah ich, dass die Glockendame mich offenbar noch nicht wahrgenommen hatte, weshalb ich in aller Ruhe ihr Profil studieren konnte.
Sie war weder schön noch hässlich, aber hausbacken sah sie auch nicht aus. Ihre Gesichtszüge waren unauffällig, ihre Haut war rein und ein wenig zu bleich, und doch zog sie mich in den Bann. Mein Interesse an ihr war nicht romantischer Natur. Eine geheimnisvolle Aura umgab sie, und ich hatte den Verdacht, dass ihre Geheimnisse außergewöhnlich waren. Es war also die Neugier, die mich zu ihr zog - und das Gefühl, dass sie vielleicht einen Freund brauchte. Obwohl sie in meinem Traum von einer roten Flut erschienen war, bewahrheitete sich dieser vielleicht nicht, und sie musste doch nicht sterben. Ich hatte sie bereits mehrfach gesehen. Dabei hatten wir sogar einige belangloseWorte gewechselt, hauptsächlich Bemerkungen über dasWetter.
Weil sie redete, wusste ich, dass sie nicht tot war. Manchmal erkenne ich eine Person erst dann als Geist, wenn sie verblasst oder durch eineWand geht. In anderen Fällen ist die Sache klar. Ist jemand ermordet worden und will, dass ich den Mörder seiner gerechten Strafe zuführe, dann materialisiert er sich unter Umständen mit seinenWunden.Wenn ich einem Mann gegenüberstehe, dessen Gesicht durch den Aufprall einer Kugel zerschmettert ist, oder einer Frau, die ihren abgetrennten Kopf unter dem Arm trägt, dann merke ich natürlich gleich, dass ich mich in Gesellschaft eines Geistes befinde.
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Die Originalausgabe ODD HOURS erschien bei Bantam Books, New York
© 2008 by Dean Koontz
© 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Weil Hutch an Schlaflosigkeit litt und erst in der Morgendämmerung zu Bett ging, ließ er sich sein Frühstück mittags bringen. Er bezahlte mich gut und war ein freundlicher Mensch, weshalb ich meine Arbeit an seinen Lebensrhythmus anpasste, ohne mich zu beklagen. Seine Mahlzeiten nahm Hutch im Esszimmer ein, wo die Vorhänge immer zugezogen waren. Dazwischen blieb kein einziger heller Streifen sichtbar. Beim Essen sah er sich oft einen Film an und blieb noch ein wenig bei einer Tasse Kaffee sitzen, bis der Abspann kam. Auch an jenem Tag hatte er keinen Nachrichtensender eingeschaltet, sondern sah sich Carole Lombard und John Barrymore in Napoleon vom Broadway an.
Angesichts seiner achtundachtzig Jahre war Hutch noch in der Zeit des Stummfilms geboren, als Namen wie Lillian Gish und Rudolph Valentino am Kinohimmel glänzten. Auch er war später ein erfolgreicher Schauspieler gewesen. Nicht zuletzt deshalb dachte er weniger inWorten als in Bildern und hielt sich gern in einer Fantasiewelt auf. Neben seinem Teller stand eine Flasche mit Desinfektionsgel. Damit reinigte er sich nicht nur vor und nach dem Essen ausgiebig die Hände, sondern auch mindestens zweimal im Lauf einer Mahlzeit.
Wie die meisten Amerikaner in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts fürchtete Hutch sich vor allem - außer vor dem, was er hätte fürchten sollen. Wenn denMachern der Fernsehnachrichten die Geschichten über versoffene, drogensüchtige, mordlüsterne oder anderweitig durchgedrehte Prominente ausgingen (was etwa zweimal pro Jahr vorkam), dann füllten sie die kurze Lücke gelegentlich mit einem Sensationsbericht über gewisse fleischfressende Bakterien. Infolgedessen hatte Hutch Angst davor, sich diese heißhungrigen Erreger zuzuziehen. Von Zeit zu Zeit hockte er beim Lampenschein in seinem Arbeitszimmer wie eine jener verdrießlichen Gestalten, die die Geschichten von Edgar Allan Poe bevölkern, und grübelte über sein Schicksal nach, über die Anfälligkeit seines Fleisches und den unersättlichen Appetit seiner mikroskopischenWidersacher. Vor allem fürchtete er sich davor, dass seine Nase aufgefressen werden könnte.
In längst vergangenen Tagen war sein Gesicht berühmt gewesen. Obwohl die Zeit es verändert hatte, war er noch immer stolz auf sein Aussehen. Ich hatte einige der Filme gesehen, die Lawrence Hutchison in den vierziger und fünfziger Jahren gedreht hatte. Sie gefielen mir. Hutch hatte es verstanden, auf der Leinwand eine echte Präsenz zu entfalten.
Weil er seit fünf Jahrzehnten nicht mehr vor die Kamera getreten war, kannte man ihn inzwischen weniger wegen seiner Schauspielkünste als wegen seiner Kinderbücher über ein draufgängerisches Kaninchen namens Nibbles. Im Gegensatz zu seinem Schöpfer war Nibbles völlig furchtlos. Die Einkünfte aus seinen Filmen und Büchern sowie die Angewohnheit, Investmentgelegenheiten mit paranoidem Argwohn zu betrachten, hatten dafür gesorgt, dass Hutch im Alter finanziell gesichert war. Dennoch machte er sich Sorgen, ein dramatischer Anstieg des Ölpreises oder dessen totaler Zusammenbruch könnte zu einer weltweiten Finanzkrise führen, die ihn bettelarm machen würde. Sein Haus stand direkt an der Uferpromenade und damit am Strand. Von der Tür aus war man in einer Minute dort, wo sich dieWellen brachen. Im Lauf der Jahre hatte er allmählich Angst vor dem Meer entwickelt. Inzwischen ertrug er es nicht mehr, im westlichen Teil des Hauses zu schlafen, wo er womöglich hörte, wie die Brandung an den Strand kroch.
Deshalb war ich im besten Schlafzimmer des Hauses untergebracht, von dem man einen Blick aufs Meer hatte. Hutch schlief in einem nach hinten liegenden Gästezimmer. Einen guten Monat vor dem Traum mit der roten Flut war ich in Magic Beach eingetroffen, und es hatte nur einen Tag gedauert, bis ich die Stelle als Hutchs Koch gefunden hatte. Wenn er einen Ausflug machen wollte, was selten vorkam, diente ich ihm zudem als Chauffeur.
Bei der Arbeitssuche hatten sich die Erfahrungen, die ich im Pico-Mundo-Grill gesammelt hatte, als sehr nützlich erwiesen. Wer Bratkartoffeln zubereiten kann, die den Mund wässrig machen, wer Frühstücksspeck perfekt knusprig braten kann, ohne ihn auszutrocknen, und wer Pfannkuchen bäckt, die gehaltvoll wie Pudding und doch so locker sind, dass sie fast vom Teller schweben, der findet immer Arbeit. Es war halb fünf, als ich an jenem Nachmittag Ende Januar ins Wohnzimmer trat, begleitet von meinem Hund Boo. Hutch saß in seinem Lieblingssessel und stierte finster in den Fernseher, dessen Ton er abgestellt hatte.
»Schlechte Nachrichten, Sir?«
Seine tiefe, sonore Stimme verlieh jeder Silbe einen unheilvoll rollenden Ton: »Der Mars erwärmt sich.«
»Wir leben doch gar nicht auf dem Mars.«
»Er erwärmt sich im selben Tempo wie die Erde.«
»Hatten Sie etwa vor, auf den Mars umzuziehen, um der globalen Erwärmung zu entkommen?« Hutch deutete auf den lautlos sprechenden Moderator im Fernseher. »Das bedeutet, dass die Sonne die Ursache für beides ist. Man kann also nichts dagegen unternehmen. Absolut nichts.«
»Na ja, Sir, schließlich gibt es noch Jupiter und die anderen Planeten, die jenseits des Mars kommen.«
Er fixierte mich mit dem funkelnden grauäugigen Blick, den er vor der Kamera eingesetzt hatte,um engagierten Staatsanwälten und tapferen Offizieren einen Ausdruck unerbittlicher Entschlossenheit zu verleihen. »Manchmal, junger Mann, habe ich den Eindruck, dass du
selber von irgendwo jenseits des Mars kommst.«
»Nicht ganz. Etwas Exotischeres als Pico Mundo, Kalifornien, habe ich leider nicht zu bieten. Sir, wenn Sie mich eine Weile nicht brauchen, dann würde ich gern einen Spaziergang machen.«
Hutch erhob sich. Er war groß und hager. Das Kinn hielt er angehoben, reckte jedoch den Kopf vorwärts wie jemand, der die Augen zusammenkneift, um besser zu sehen. Vielleicht hatte er sich diese Gewohnheit in den Jahren vor seiner Staroperation zugelegt.
»Du willst rausgehen?« Stirnrunzelnd kam er auf mich zu.
»In dem Aufzug?«
Ich trug Turnschuhe, Jeans und ein Sweatshirt. Da er nicht unter Arthritis litt, war er für sein Alter noch recht gelenkig. Dennoch bewegte er sich so achtsam und vorsichtig, als würde er jeden Moment einen Knochenbruch erwarten. Nicht zum ersten Mal erinnerte er mich an einen durchs Wasser stelzenden Fischreiher.
»Du solltest eine Jacke anziehen. So holst du dir noch eine Lungenentzündung.«
»Heute ist es doch gar nicht so frisch«, beruhigte ich ihn.
»Ihr jungen Leute haltet euch für unverwundbar.«
»So jung bin ich gar nicht mehr, Sir. Ich habe Grund genug, mich zu wundern, dass ich nicht schon für immer unter dem Rasen liege.«
Hutch deutete auf den Schriftzug MYSTERY TRAIN, der auf meinem Sweatshirt prangte. »Was soll das eigentlich bedeuten? «
»Keine Ahnung. Das Shirt habe ich in einem Secondhandladen gefunden.«
»Ich war noch nie in einem Secondhandladen.«
»Da haben Sie nicht viel versäumt.«
»Kaufen eigentlich nur sehr arme Leute dort ein, oder geht es in erster Linie um Sparsamkeit?«
»Da trifft man alle gesellschaftlichen Schichten, Sir.«
»Dann sollte ich auch bald mal so einen Laden aufsuchen. Als eine Art Abenteuer.«
»Einen Flaschengeist werden Sie da aber nicht finden«,
sagte ich. Das war eine Anspielung auf seinen Film Der Antiquitätenladen.
»Zweifellos bist du zu modern, um an Flaschengeister und Ähnliches zu glauben.Wie kommt man eigentlich durchs Leben, wenn man nichts hat, woran man glaubt?«
»Ach, da gibt es schon ein paar Sachen, an die ich glaube.«
Daran war Lawrence Hutchison allerdings weniger interessiert als am Klang seiner gut geschulten Stimme. »Ich
beispielsweise bin sehr aufgeschlossen für alles Übernatürliche. «
Seine Selbstbezogenheit fand ich einfach liebenswert. Außerdem war sie praktisch, denn wenn er zu neugierig gewesen wäre, was mich anging, dann wäre es mir schwerer gefallen, meine vielen Geheimnisse für mich zu behalten. »Mein Freund Adrian White«, fuhr er fort, »war mit einer Wahrsagerin verheiratet, die sich Portentia nannte.« Solche Anekdoten hatte ich auch zu bieten. »Ich kannte ein Mädchen namens Stormy Llewellyn. Als ich mit ihr einmal beim Rummel war, haben wir an einem Wahrsageautomaten, der sich Zigeunermumie nannte, eine Karte gezogen. « »Portentia hat zwar eine Kristallkugel verwendet und eine Menge Hokuspokus von sich gegeben, aber sie war echt. Adrian hat sie regelrecht verehrt.«
»Auf der Karte stand, Stormy und ich würden für immer zusammen sein. So ist es allerdings nicht gekommen.«
»Portentia konnte den Tod eines Menschen auf die Stunde genau vorhersagen.«
»Hat sie denn Ihren Tod vorhergesagt, Sir?«
»Meinen nicht, aber den von Adrian. Und zwei Tage später hat sie ihn genau zu der Stunde, die sie genannt hatte, erschossen.«
»Unglaublich!«
»Aber wahr, das kann ich dir versichern.« Er warf einen Blick auf eines der Fenster, das nicht zum Meer hinausging und deshalb auch nicht von Vorhängen verhüllt war. »Hast du das Gefühl, heute ist Tsunamiwetter, Junge?«
»Ich glaube nicht, dass Tsunamis etwas mit demWetter zu tun haben.«
»Ich spüre etwas. Behalt den Ozean im Auge, während du spazieren gehst.«
Wie ein Reiher stelzte er aus dem Wohnzimmer in den Flur, der zum rückwärtigen Teil des Hauses mit der Küche führte. Ich ging durch die Haustür, durch die Boo bereits geglitten war. In dem umzäunten Vorgarten wartete der Hund auf mich.
Ein Spalierbogen rahmte das Tor. Durch das weiße Holzgitter wanden sich purpurrote Bougainvilleen, die selbst im Winter einige Blüten hervorbrachten. Als ich hinter mir das Tor zugezogen hatte, glitt Boo hindurch, während ich einen Augenblick stehen blieb, um tief die frische, salzige Luft einzuatmen. Nachdem ich einige Monate als Gast eines Klosters hoch oben in den Bergen zugebracht hatte, um mich mit meinem merkwürdigen Leben und allem, was ich verloren hatte, auseinanderzusetzen, wollte ich an Weihnachten eigentlich daheim in Pico Mundo sein. Stattdessen war ich hierhergerufen worden, zu einem Zweck, den ich damals noch nicht kannte und auch jetzt noch nicht erraten hatte. Meine Gabe - oder mein Fluch - umfasst mehr als einen gelegentlichen prophetischen Traum. Zum Beispiel führt mich eine unwiderstehliche Intuition manchmal an Orte, die ich freiwillig nie im Leben aufsuchen würde. Und dann warte ich geduldig ab, bis ich herausgefunden habe, warum ich dort gelandet bin.
Boo und ich hielten uns Richtung Norden. Die über drei Meilen lange Strandpromenade von Magic Beach war nicht aus Holz gezimmert, sondern betoniert. Als Strandpromenade wurde sie von der Stadtverwaltung trotzdem bezeichnet. Wörter sind heutzutage äußerst dehnbar. Kleinkredite, die man verzweifelten Leuten zu horrenden Zinsen anbietet, nennt man Gehaltsvorschuss. Ein mieses Hotel, zu dem ein schäbiges Spielcasino gehört, gilt als Resort. Jedes beliebige Sammelsurium aus hektischen Bildern, schlechter Musik und einer disparaten Handlung wird als große Filmkunst gerühmt.
Wir folgten der Strandpromenade aus Beton. Boo war ein Deutscher-Schäferhund-Mischling mit vollständig weißem Fell. Der von einem Horizont zum anderen reisende Mond bewegte sich nicht leiser als er. Nur ich nahm ihn wahr, denn er war ein Geisterhund. Nicht selten sehe ich die Geister toter Menschen, die zögern, aus dieserWelt weiterzuziehen. Tiere jedoch sind nach meiner Erfahrung immer gern bereit zu erfahren, was als Nächstes kommt. Boo stellte eine Ausnahme dar. Warum er sich so verhielt, blieb ein Geheimnis. Die Toten sprechen nicht, und Hunde noch nicht einmal zu Lebzeiten. Deshalb befolgte mein Gefährte also gleich zwei Schweigegelübde. Womöglich blieb er in dieserWelt, weil er wusste, dass ich ihn in irgendeiner Gefahrensituation brauchte. Darauf musste er vielleicht nicht mehr lange warten, da ich häufig bis zum Hals im Schlamassel steckte.
Rechts von uns kam eine Reihe von Privathäusern mit Meerblick, gefolgt von Läden, Lokalen und dem dreistöckigen Magic Beach Hotel mit seinen weißen Wänden und grün gestreiften Markisen. Zu unserer Linken ging der Strand in einen Park über. Da es ein sonnenloser Spätnachmittag war, warfen die Palmen keine Schatten auf die Grünfläche. Der bedrohliche Himmel und die kühle Luft hatten die Strandbesucher abgeschreckt. Auf den Parkbänken saß niemand. Dennoch wusste ich intuitiv, dass sie hier war, nicht im Park, sondern weit draußen über dem Meer. Sie war in meinem roten Traum vorgekommen.
Bis auf das Rauschen der trägen Brandung war es still. Die Palmwedel warteten auf eine Brise, die sie zum Flüstern bringen würde. Breite Stufen führten zum Pier hinauf. Da Boo ein Geist war, machte er auch auf den verwitterten Bohlen keinerlei Geräusch, und als zukünftiger Geist war selbst ich in meinen Turnschuhen weitgehend lautlos. Am Ende des Piers verbreiterte dieser sich zu einer Beobachtungsplattform. Durch mehrere Münzfernrohre konnte man dort die vorbeiziehenden Schiffe, die Küste und den zwei Meilen weiter nördlich gelegenen Hafen ins Visier nehmen. Die Glockendame saß auf der letzten Bank, dem Horizont zugewandt, wo der mottenkugelgraue Himmel nahtlos mit dem trüben Meer verschmolz. Ich lehnte mich ans Geländer und tat so, als würde ich über den zeitlosen Marsch derWellen meditieren.Aus demAugenwinkel sah ich, dass die Glockendame mich offenbar noch nicht wahrgenommen hatte, weshalb ich in aller Ruhe ihr Profil studieren konnte.
Sie war weder schön noch hässlich, aber hausbacken sah sie auch nicht aus. Ihre Gesichtszüge waren unauffällig, ihre Haut war rein und ein wenig zu bleich, und doch zog sie mich in den Bann. Mein Interesse an ihr war nicht romantischer Natur. Eine geheimnisvolle Aura umgab sie, und ich hatte den Verdacht, dass ihre Geheimnisse außergewöhnlich waren. Es war also die Neugier, die mich zu ihr zog - und das Gefühl, dass sie vielleicht einen Freund brauchte. Obwohl sie in meinem Traum von einer roten Flut erschienen war, bewahrheitete sich dieser vielleicht nicht, und sie musste doch nicht sterben. Ich hatte sie bereits mehrfach gesehen. Dabei hatten wir sogar einige belangloseWorte gewechselt, hauptsächlich Bemerkungen über dasWetter.
Weil sie redete, wusste ich, dass sie nicht tot war. Manchmal erkenne ich eine Person erst dann als Geist, wenn sie verblasst oder durch eineWand geht. In anderen Fällen ist die Sache klar. Ist jemand ermordet worden und will, dass ich den Mörder seiner gerechten Strafe zuführe, dann materialisiert er sich unter Umständen mit seinenWunden.Wenn ich einem Mann gegenüberstehe, dessen Gesicht durch den Aufprall einer Kugel zerschmettert ist, oder einer Frau, die ihren abgetrennten Kopf unter dem Arm trägt, dann merke ich natürlich gleich, dass ich mich in Gesellschaft eines Geistes befinde.
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Die Originalausgabe ODD HOURS erschien bei Bantam Books, New York
© 2008 by Dean Koontz
© 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Dean Koontz
Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren und lebt heute mit seiner Frau in Kalifornien. Seine zahlreichen Romane - Thriller und Horrorromane - wurden in 38 Sprachen übersetzt und sämtlich zu internationalen Bestsellern. Weltweit wurden bislang 400 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft. Mit dem großartigen Helden Odd Thomas in "Opferweg" vollendet Dean Koontz seine internationale Erfolgsreihe nach "Die Anbetung", "Seelenlos", "Schattennacht", "Meer der Finsternis", "Schwarze Fluten" und "Abgrundtief". Alle sieben Bücher waren in den USA Top-Ten-Bestseller der "New York Times".
Bibliographische Angaben
- Autor: Dean Koontz
- 2011, Erstmals im TB, 398 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Kleinschmidt, Bernhard
- Übersetzer: Bernhard Kleinschmidt
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453435389
- ISBN-13: 9783453435384
- Erscheinungsdatum: 04.03.2011
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