'Offen will ich sein - und notfalls unbequem'
Als Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington gehörte Horst Köhler zu den...
Als Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington gehörte Horst Köhler zu den einflussreichen Machern an den internationalen Finanzmärkten. Als Staatssekretär im Finanzministerium hatte er in den neunziger Jahren in der deutschen Politik eine wichtige Rolle gespielt: er verhandelte mit der DDR über die deutsch-deutsche Währungsunion, vereinbarte mit der Sowjetunion die deutschen Finanzhilfen beim Abzug der "Roten Armee" aus Ostdeutschland, war deutscher Chefunterhändler bei der Einführung des Euro und persönlicher Beauftragter ("Sherpa") von Bundeskanzler Helmut Kohl für die Vorbereitung von vier Weltwirtschaftsgipfeln.
Überraschend ist der 61 Jahre alte Ökonom auf die innenpolitische Bühne zurückgekehrt - als gemeinsamer Kandidat von CDU/CSU und FDP für das Amt des Bundespräsidenten. Vor seiner Wahl führte der Publizist Hugo Müller-Vogg lange, intensive Gespräche mit ihm: über den ungewöhnlichen Lebensweg eines Mannes, der als Kind deutschstämmiger Eltern in Polen geboren wurde, in der DDR seine Kindheit verbrachte, mehrere Jahre in westdeutschen Flüchtlingslagern lebte und erst mit 12 Jahren in Ludwigsburg eine Heimat fand, über seine Karrierestationen Bonn, Berlin und Washington, über das, was ihn antreibt und bewegt.
Dabei geht es auch um politische Positionen: um Deutschlands Stärken und Schwächen, um den Reformbedarf, um unsere Rolle und Verantwortung in der Welt, um Patriotismus, Parteien und Präsidenten. Wie würde ein Bundespräsident Köhler Politik beeinflussen? Wie würde er die beschränkten Möglichkeiten des Amtes nutzen, um dem Land Impulse zu geben? Was könnte es bedeuten, wenn zum ersten Mal ein ausgewiesener Ökonom an der Spitze dieses Staates stünde?
Hugo Müller-Vogg fragt, Horst Köhler antwortet. Fragen und Antworten werden im Wortlaut wiedergegeben, so dass sich der...
Als Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington gehörte Horst Köhler zu den einflussreichen Machern an den internationalen Finanzmärkten. Als Staatssekretär im Finanzministerium hatte er in den neunziger Jahren in der deutschen Politik eine wichtige Rolle gespielt: er verhandelte mit der DDR über die deutsch-deutsche Währungsunion, vereinbarte mit der Sowjetunion die deutschen Finanzhilfen beim Abzug der "Roten Armee" aus Ostdeutschland, war deutscher Chefunterhändler bei der Einführung des Euro und persönlicher Beauftragter ("Sherpa") von Bundeskanzler Helmut Kohl für die Vorbereitung von vier Weltwirtschaftsgipfeln.
Überraschend ist der 61 Jahre alte Ökonom auf die innenpolitische Bühne zurückgekehrt - als gemeinsamer Kandidat von CDU/CSU und FDP für das Amt des Bundespräsidenten. Vor seiner Wahl führte der Publizist Hugo Müller-Vogg lange, intensive Gespräche mit ihm: über den ungewöhnlichen Lebensweg eines Mannes, der als Kind deutschstämmiger Eltern in Polen geboren wurde, in der DDR seine Kindheit verbrachte, mehrere Jahre in westdeutschen Flüchtlingslagern lebte und erst mit 12 Jahren in Ludwigsburg eine Heimat fand, über seine Karrierestationen Bonn, Berlin und Washington, über das, was ihn antreibt und bewegt.
Dabei geht es auch um politische Positionen: um Deutschlands Stärken und Schwächen, um den Reformbedarf, um unsere Rolle und Verantwortung in der Welt, um Patriotismus, Parteien und Präsidenten. Wie würde ein Bundespräsident Köhler Politik beeinflussen? Wie würde er die beschränkten Möglichkeiten des Amtes nutzen, um dem Land Impulse zu geben? Was könnte es bedeuten, wenn zum ersten Mal ein ausgewiesener Ökonom an der Spitze dieses Staates stünde?
Hugo Müller-Vogg fragt, Horst Köhler antwortet. Fragen und Antworten werden im Wortlaut wiedergegeben, so dass sich der Leser
EinGespräch mit Hugo Müller-Vogg
LESEPROBE
Zudiesem BuchDer Präsident, der von außen kam
Fünf Jahre dauert eine Amtszeit einesBundespräsidenten. Das erste Jahr istgemeinhin das der Antrittsbesuche, das fünftedas der Abschiede. Profil gewinnt das Staatsoberhaupt, wenn überhaupt, in der Mitte seiner Amtszeit.
Bei Horst Köhler, am 23. Mai 2004 vonCDU/CSU und FDP zum ersten Mann imStaat gewählt, war das anders. Angetretenunter dem Motto, er wolle »offen und notfalls unbequem« sein, hat er sehrschnell Akzente gesetzt. Es begann damit,dass seine erste Auslandsreise nicht traditionsgemäß nach Frankreich führte, sondern nach Polen. Dort, wo er 1943 als Kind von zwangsweise umgesiedelten Deutschenzur Welt gekommen ist, wollte Horst Köhler ein Zeichen setzen: dass Polen neben Frankreich unser zweitergroßer, wichtiger Nachbar ist. Wohlauch, dass die deutsch-polnische Freundschaft das Pendant zurdeutsch-französischen bilden sollte.
Es sind eher Gesten, mit denen dasformal ziemlich machtloseStaatsoberhaupt Politik machen kann. Dass Horst Köhler in seiner ersten Weihnachtsansprache den Blick aufdie Not in Schwarzafrika legte, war auch soeine; schließlich war ihm dieser Kontinent schon inseiner Zeit als Geschäftsführender Direktordes Internationalen Währungsfonds ans Herz gewachsen.
Der neue Mann im »Schloss Bellevue« istfreilich mehr als nur ein Mannzarter Andeutungen. Er hat sich in seinem erstenAmtsjahr bereits kräftig eingemischt: So hat er das Luftsicherheitsgesetz, dasden Abschuss von als terroristischeWaffe missbrauchten Verkehrsflugzeugen erlaubt, erst nach langem Zögern unterschrieben und sogleich dazu aufgefordert, das seiner Meinung nach problematische Gesetz denKarlsruher Verfassungsrichtern vorzulegen. Dann hat er in einem Interview mit dem tabuisierten Irrglauben
Der Präsident hat zudem durch seine öffentliche Intervention verhindert, dass die rot-grüneBundesregierung, um das Wachstum anzukurbeln, den »Tag der DeutschenEinheit« als gesetzlichen Feiertag abschafft.Schließlich hat er sich geweigert,den EU-Verfassungsvertrag zu unterzeichnen, solange die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde eines Abgeordneten nicht endgültig beschieden ist. Daswar eine ganze Menge Unbequemes fürdie ersten zwölf Monate.
Am deutlichsten war die bisherigeAmtszeit geprägt von Köhlers Eintretenfür Reformen. Den meisten Deutschen wird nämlich erst allmählich bewusst,welche tief greifenden Veränderungenund schmerzhaften Einschnitte noch notwendigsind, um den Sozialstaat wenigstens in seinem Kern zu erhalten. Der neue Präsident will bei diesem Prozessdie Autorität sein, die Regierung undParteien dabei Flankenschutz gibt.Deshalb hat er auch die »Agenda«-Politik Gerhard Schröders von Anfang an gelobt, nicht immer zur Freude von CDU/CSU und FDP.
Den notwendigen Sachverstand für dieReformbaustelle Deutschland bringtHorst Köhler mit. Denn als »Managing
Director« des Währungsfonds hat er sichmehr mit der Globalisierungauseinander gesetzt als die meisten deutschen Politiker. Vor allem aber hatte er nach sechs Jahren in London und Washington beim Amtsantritt einen Blick von außenauf dieses Land - auf seine unübersehbaren Schwächen wie die unverändert vorhandenen Stärken.
Als Reform-Präsident hat Köhler denschmalen Pfad zwischen allgemeinenÄußerungen zur Lage des Landes und konkretenVorschlägen für die Gesetzgebung, die nicht Sache des Staatsoberhauptes sind, nie verlassen. Dennoch hat ersich in den Geruch der Parteilichkeit begeben, als er seine »Vorfahrt fürArbeit«-Rede im März 2005 ausgerechnet vor unternehmerischemPublikum hielt. Dass manchem Gewerkschafter nicht wohl dabei ist, wenneine Vollversammlung der Bosse demPräsidenten stehend Ovationen darbringt, ist verständlich. Dabei hatteKöhler auch kritische Worte an die Adresse von Unternehmern und Arbeitgeberngerichtet.
Nichts liegt dem Ökonomen Köhler wohlso sehr am Herzen wie diewirtschaftliche Gesundung des Landes. Vor allem deshalb hat er am 22. Juli 2005 dem Wunsch des sozialdemokratischen Kanzlers entsprochen und durch die Auflösung des Bundestags den Weg für Neuwahlen frei gemacht.
Man hätte sich vorstellen können, dassein Staatsoberhaupt das »getürkte« Misstrauensvotum der rot-grünen Bundestagsmehrheit gegen Gerhard Schröder anders bewertet, dassein Präsident es nicht einfach hinnimmt,wenn die Parteien schon Kanzlerkandidatenbenennen und Wahlprogramme beschließen, noch ehe überhaupt feststeht, wie dasStaatsoberhaupt entscheidet. Es wardie mit Abstand schwierigste Entscheidung,die Präsident Köhler bisher zu treffen hatte: abzuwägen zwischen dem Wohl des Volkes und der Verfassung.
Er hat letztlich eine politischeEntscheidung getroffen,
um den Schaden abzuwenden, den er undviele andere für den Fallbefürchtet hatten, dass sich die rot-grüne Bundesregierung noch bis zum Herbst 2006 durchgeschleppt hätte- innerlich zerstritten und ohne Kraft zu neuen Taten. Dass wieder regiert werden kann, das war demStaatsoberhaupt letztlich wichtiger,als den Parteistrategen auf die Finger zu klopfen, die den Präsidenten behandelten wie einen Automaten, bei dem man nur den Knopf »Neuwahlen« zudrücken braucht, um Neuwahlen zubekommen.
Als er diese Entscheidung traf, war Horst Köhler, wie alle Umfragen zeigen, in den Augen der Bevölkerung dasbeliebteste und glaubwürdigsteMitglied der politischen Klasse. »Horst wer?«, hatte »BILD« Anfang 2004gefragt, als Angela Merkel ihn überraschendals Kandidaten präsentierte. Inzwischenhat das Blatt ihn zum »Super-Horst« gekürt. So schnell ist noch kein anderer Politiker in der Gunst der Bevölkerung gestiegen.
Dabei geholfen hat seine offene,unprätentiöse Art. Er wirkt ungeachtetseiner 62 Jahre bisweilen geradezu jungenhaft, scheint trotzsteiler Karriere er selbst geblieben zu sein: natürlichund freundlich, ein Mann, der durchaus selbstbewusst ist, aber aufgesetzter Attitüden nicht bedarf. Auch seine Sprache ist auf erfrischende Weise»unpräsidial«, weitgehend frei vom üblichen politischen Pathos. Lastbut not least: Er lacht gern und ansteckend.
Bisweilen gewinnt man den Eindruck, als könne es dieses Kind kleiner Leute immer noch nicht richtig fassen,es so weit gebracht zu haben. Richardvon Weizsäcker war zweifellos derpräsidialste Präsident und Köhlers unmittelbarer Vorgänger Johannes Rau der pastoralste. Horst Köhler hingegen ist der Volks-Präsident, tritt so auf, wiedie Bürger das bei »einem von uns«erwarten.
Ohnehin fügt sich Köhler nicht nahtlosein in die Reihe der Bundespräsidenten. Er war nieAbgeordneter, Minister oderMinisterpräsident, empfand die Wahl nicht als Krönung einer politischen Karriere, nicht alsüberfälligen Dank seiner Parteifreunde.
Horst Köhler kehrte aus den Vereinigten Staaten zurück, umseinem Heimatland als höchster Repräsentant zu dienen. Warum wechselt jemand aus einer der einflussreichsten internationalenPositionen in ein eher zeremonielles Amt? Seit seiner Nominierung hat Köhler diese Frage immer gleich beantwortet: Er wolle dem Land, dem er soviel zu verdanken habe, etwaszurückgeben. Er spricht von der Ehre, die er empfinde, an der Spitze deseigenen Landes stehen zu dürfen. Und erscheut sich nicht, wider alle Gesetze der Political Correctness auszusprechen,was er fühlt: »Ich liebe diesesLand.«
© Hoffmann und Campe
- Autor: Horst Köhler
- 2005, Aktualis. Neuausg., 239 Seiten, 16 Abbildungen, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Mitarbeit: Müller-Vogg, Hugo
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455095364
- ISBN-13: 9783455095364
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