Ohrenberg oder der Weg dorthin
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Ohrenberg oder der Weg dorthin von Steffen Popp
LESEPROBE
Aschmann. Aus dem Fahrtenbuch
Weitentfernt, in Aschmann, rumort die See. Wie ein vertrockneter Käfer liegt er imBauch einer Fähre, sieht seine angewinkelten Knie vor sich aufragen: in einerPassagierkabine liegt er, im unteren Teil eines Doppelstockbetts, und seineKnie - eine fossile Trauer umgibt sie in dem Kabinenlicht, aus einem Meerabsonderlicher Schatten heraufgebogen. Zwei stummePlateaus, von denen Schmerzen ihm zuwinken: rheumatischer Schmerz, der längstin Aschmanns Leibempfindung eingewachsen ist, außerdem Muskelschmerz, daAschmann Treppen stieg, dazu ein ungefährer Krampf von seinen Venen her - keineigentlicher Schmerz, denkt er, eher neutral, stockendes Blut in mir, nahezueine Konstante, an die ich mich halten kann. Um Aschmann herum die Kabine, umAschmanns Kabine herum eine Unzahl baugleicher Zellen, eine nautischeSchlafstadt, die in ihrer Summe plus Brücke und Oberdeck als eine Fähreunterwegs ist. Mit Kurs auf Deutschland kreuzt dieser Komplex, seit nunmehrStunden, außen das Meer, ein schaumiges Maul unter den Wandelsternen -überhaupt Nacht, nächtliches Grün, Strömung und Heringsschwärme, darüber hindas Schi. gleichmütig stampft. Ein sanftes Dünen geht durch die Bordwand, würgtAschmanns Herz, klopft sein Gehirn weich: nah am Zusammenbruch betet es inseinem Schädel, aber die See, ohne Erbarmen seilt sie sich in alle Fasern.Aschmann steht auf, hängt seinen Kopf über das Waschbecken - die Konfusionseines inneren Leibs über dem riesigen Magen, der sich selbst verdauenden Suppe,die das Meer darstellt, sie langweilt ihn, aber er kann nichts machen - in diegespenstische Stille zwischen den Brechanfällen schießen Gedanken ein, aus demMassiv seines erbärmlichen Zustands gleichsam herausgebrochen:große Gebäude führt Aschmann auf, in seinem Geist, dann fallen ihn Bilder an,verschachtelte Wohnkulturen, Industriebrachen, die Dome von Energiewerkenstören das reine System - der eine Entwurf, denkt er, von dem alles ausgeht, amEnde stets begraben unter Bildern, zu artigen Formaten geronnenen Ansichtenmeiner Vergangenheit. Aschmann sieht sich am Anfang der Reise, in einemFährhafen bei Helsinki, vor ihm liegt bleiern das Meer, eine Brackwasserstreckedes Finnischen Meerbusens, über die Bucht hinweg leuchtet St. Petersburg:sowjetische Lichtorgel, ins Kontinentale gewendet, definiert er unentschlossen,wartet auf weitere Wörter, die anschließen, seine Verlegenheit aufheben undQualität bringen - irgendwas mit Qualität ist schließlich immer drin, so langeetwas herumsteht, kann man es ausbeuten. Der Finnische Meerbusen, zweiMetropolen, eine Entsalzungsanlage - es inspiriert Aschmann nicht wirklich, wasin seiner Erinnerung daraus für ihn hervorgeht, aber es reicht auch nicht aus,ihn völlig herunterzubrechen, in seiner Würde direktauszulöschen. Container und Zufahrtsstraßen, das Schweigen der Kais, trauerndeMeervögel auf einem schief liegenden Tanker - nein, denkt er, all diesbeleidigt mich nicht, in meinem Dasein. Schon eher ist ihm das Wetter als eineKränkung erschienen, die unwirtliche Witterung, die ihn beharkte, bei seinerAnkunft auf dieser Fähre: lange stand Aschmann an Deck, in einer Art Ölzeug aufdem Besucherdeck, unmerklicher Niederschlag höhlte die Luft aus - strähnigeHimmelsmähne, durchwühlt von Wind: et- was in dieser Art, denkt er, orgelte ummeinen Kopf, schlug mir den Blendschutz des Überwurfs ins Gesicht. Dersprühfeine Regen auf dem Besucherdeck, mir schien, ein direkter Beleg, wennnicht für Gott, so doch für seine Gelenke, meine Hände krampften weiß um dasGeländer, hinten sank Finnland weg - im Spiegel über dem Waschbecken sieht Aschmannsein ewiges Antlitz, säubert die Armatur, wischt das Emaille notdürftig miteinem Lappen ab. Ein grüner Filz, den er beim Einstieg in diese Fähre auf einemHeizkörper gefunden hat, wahrscheinlich ließ ein Monteur ihn dort zurück - nun,ich griff ihn, packte ihn ein, nahm ihn bis hierher mit: nahezu ein Wink derVorsehung scheint es. Allerdings, mit diesem Lappen ist es nun auch vorbei,gänzlich hinüber ist er, zerfetzt, von Erbrochenem eingefärbt, nur zwei FingerAschmanns halten ihn noch vom Chaos ab, zwischen denen er hängt, kläglich, anseinen ausgefransten Rändern schon vom Nichts ergriffen. Mutlos steht Aschmann inder Kabine, nicht mehr als eine Zierleiste, ein hingemachtes Ornament in derTrauer des Gegenstands. Materie, spürt er, ihr ewiger Wandel, Zerfall, gegendie Logik des Dings, das sich erhalten will - und dieser Lappen nun, einentseelter Lumpen, seine Lage scheint hoffnungslos: soll ein Kabinenreiniger sichdarum bemühen, denkt Aschmann entnervt, schleudert ihn fort in hohem Bogen. Wiedie Bewegung genau verläuft, kann er nicht sagen, das Alter hat ihn seines Raumgefühlsberaubt, seine Statur geschrumpft - irgendwo schlägt es wohl ein, das widrigeObjekt, Aschmann vernimmt ein entsprechendes Geräusch von der oberen Liege desDoppelstockbetts. Dann ist es still in der Kabine, dann hört Aschmann einGrunzen, eine erstaunte Frage: dann brüllt der Baron von Aa wie am Spieß. DerLappen, er klatscht zurück, auf den Fußboden, regt sich nicht mehr - aber oben,im Doppelstockbett, wird s lebendig: ein dicker Mann taucht dort herauf,schiebt seinen mondweißen Hintern über die Holzkante. Aschmann, gelähmt,klammert sich an den Beckenrand, verfolgt das Manöver des Barons, der unerhörtdick, unerhört geschickt zu ihm herabsteigt, von seinem Bett gleichsam sichabseilt: ein geologisches Mondauge ist wahrhaft der Arsch des Barons, kompakt, faktisch,unwiderlegbar in seiner Anwesenheit, der Baron - er hat ein Monogramm an seinemSchlüpfer, von Aa, blickt misstrauisch auf Aschmann, der ob derMassigkeit dieses Menschen noch weiter in sich zurückschrumpft, ignoriert ihnfürs Erste, zieht einen Koffer unter dem Bett hervor und sucht darin nach einerHose. Dann sitzen Aschmann und von Aa unten auf Aschmanns Bett, der Baron kramtin seinen Taschen, hat Wein dabei: und, ist dieser Baron von Aa nicht einFaschist, denkt Aschmann zwanghaft - aber nein, der Baron ist nur reich,besitzt Weingüter, unterstützt christliche Künstler, die Impressionen vonseinen Weinbergen auf Basaren verkaufen. Leider ist es nicht Christus, in demsich diese Künste überlagern, sondern es ist: der religiös begründete Profit,der Originalprofit sozusagen - allerdings, dieser ist Aschmann nie begegnet, immernur schlechte Kopien, Schuldscheine, Pfandbriefe, verzinste Anleihen. Aschmannhat Lust, jetzt über Gott zu reden, zu spekulieren, sich in Gebilde des Wahnszu werfen, aber er weiß, dass er dem Baron damit nicht näher kommt: dieserBaron ist dick, ist sinnlich, unübersehbar in der Welt verankert. Sitzt nebenihm, von Aa, und redet über Wein, um ihn gleich einzugießen: Aschmannbetrachtet den hängenden Oberarm, die beladene Schulter, alles strahlt Güteaus, ein epischer Süden - das große Fleisch, Aschmann will es berühren, sichdaran erden und heil werden: jedes Problem, jede Bedeutung scheint hiergebunden, ein mildes Kondensat im verfetteten Augwinkel von Aas, winzigeÄderchen über den Tränensäcken blinken verträumt zu ihm herüber. Dieser Baronhat ja gar keinen Begriff, denkt Aschmann froh, er scheint bedingungslos, in Friedeneingebettet, es stellt sich die Frage, ob er überhaupt existiert. Aschmann fixiertdas Auge des Barons, braun schwimmt es im seichten Kabinenlicht, gibt keineAntwort, umarmt ihn nur, seinen geballten Mut: Aschmann spürt, wie alleswegschwimmt, er selbst will weinen, sich auflösen - aber von Aa, seine Auraentzieht sich: mit einem Mal scheint er gehemmt, wendet sich ab, wankt mitverkrampftem Gesicht zur Kabinentür, in Richtung der Toiletten auf den Flurhinaus. Die Tür, hinter dem dicken Baron schließt sie Aschmann in Stille ein, Weingeruchhängt in der Luft, Weinflecke überall - einen Moment noch hält sich der Frieden,eine Art Unterdruck an seiner Schläfe, dann bricht er zusammen: weithinvernichtet erscheint die Kabine, buchstäblich ausgesaugt. Klein und hölzern,der Wesensform nach einem Schneckenhaus vergleichbar, liegt Aschmann auf seinemBett, keiner Bewegung fähig, während der Raum sich neu formiert, dieLeerstellen, die der Baron hinterlassen hat, allmählich schluckt, auffüllt,irgendwelche Gegenstände in sie hineinstopft - das Inventar dieser Kabine, washier an Existenz noch verfügbar ist, unerträglich kommt es zurück, erobert undbesetzt es die Orte, an denen Aschmann eben noch beinahe glücklich war - ich kannes nicht ersehen, denkt er, dies abgelebte Zeug, wie es sich aufrichtet,trostlose Nutzflächen um den verkeimten Lappen. Diese Präsenz dinghafterVergeblichkeit, sie hätte wohl die Kraft, ihn in den Tod zu treiben: aberAschmann ist viel zu erschöpft, ratlose Trauer, Trübsinn und Melancholie zersetzengnädig jeden Zusammenhang in seinem Geist, alles, was Schmerzen bringt. Baronvon Aa, warum kommt er nicht, denkt er, schläfrig und traumbefangen:aber der Baron ist ja da, schmatzend sitzt er auf dem Oberbett, Aschmannbemerkt die verbogenen Querbalken, einige Krümel aus dem Unterfutter rieselnihm in das Gesicht. Erfreut hebt er den Kopf, winkt mit dem Kinn, fängt auch zureden an: umsonst, Baron von Aa reagiert nicht, kommt nicht vom Bett herunter -entrückt hockt er auf einem Gesundheitskissen, versucht seinen Kreislauf mitasiatischer Gymnastik zu bestechen, vergeblich, nur übles Faulgas entsteigt seinemaufgedunsenen Körper. Das zarte Gefühl der Erstbegegnung, unwiederbringlichscheint es verloren, kein Abenteuer lässt sich mehr anschließen: Aschmann,resigniert trinkt er Wein, den der Baron ihm wortlos herunterreicht, legtseinen Kopf an die Kabinenwand - von Langeweile ausgebeult, versucht er die Seezu orten, ein ozeanisches Rauschen von dort zu ergattern: ein verlorener Narr,sitzt er herum, hofft insgeheim auf das Geräusch von einem Fick,unkontrolliertes Zwitschern aus einer der benachbarten Kabinen. Aschmannlauscht, aber es kommt nichts, nicht mal ein einfaches Meerrauschen erreichtseine hungrige Seele - und, selbst wenn etwas käme, irgendein Ton, denkt er,ein trauriges Wanderlied, was wäre es gegen das Nichts, diese unheimlicheStille hier in meinem Kopf. Aschmann spürt seine Gedanken, ihr energiearmesKreisen, trinkt Wein, beides entwickelt sich angenehm: der eben noch leereRaum, gleichsam von Sinn befruchtet, Aschmann begreift, das hat er dem Baron zuverdanken - von Aa, jeden Wahnsinn vertilgt er, sein elefantischesDasein erfüllt die Kabine - unsagbar blöde hockt er auf dem Oberbett, vollführtheilpraktische Übungen. Mit Baron von Aa geht s dann noch mal an Deck, keinRegen mehr, kaum eine Sturmbö, die an Aschmanns Kleidern zerrt - dunkel ist simmer noch, allerdings eher blau, ohne Sterne, und das Wasser ist nicht mehrein Maul, nicht mehr ein rasendes Dreieck aus Wolken und Schaum, vielmehr beruhigt,lidlos, aber auch ohne Augen, nur braune Algen dampfenherauf. Warum denke ich nach, denkt Aschmann, warum verfolge ich Dinge mitmeinen Geistschleifen - weithin gedankenmüde, des Geistigen überdrüssig ist er,keine gerichtete Kraft, nur noch der Selbstlauf seiner Archive bewegt ihn, wieauch immer: vor Aschmann der fette Baron schwankt über Deck, zwischentechnischen Auf bauten, prallt mit Wucht an einen Rettungsring. Ordentlichaufgehängt, grinst dieser Ring durch den erschütterten Baron hindurch denHorizont an, die Nacht, den beginnenden Morgen - die ganze Welt im Grinsendieses Dings, krasses Orange, von einem Tau umwunden: der Baron steht davor, stößteinen Schrei aus: Baron von Aa, was heult er denn hier auf dem Besucherdeck,vor einem Rettungsring, das ist doch lächerlich. Soll damit aufhören, von Aa,denkt Aschmann, selbst angeheitert, im Grunde zu, voll schwererLiebfrauenmilch: Aschmann sieht ein, dieser Baron hat ihn abgefüllt. ( )
© 2006kookbooks
- Autor: Steffen Popp
- 2006, 144 Seiten, 10 Abbildungen, Maße: 13,9 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Daniela Seel
- Verlag: Kookbooks
- ISBN-10: 393744517X
- ISBN-13: 9783937445175
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