OP
Roman
Jedes Krankenhaus hat seine eigenen Gesetze, und hinter seinen Kulissen geht es nicht selten zum Fürchten zu. Dies erfährt auch ein junger, idealistischer und schon bald hoffnungslos überforderter Arzt, als er seine erste Stelle antritt. Völlig...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „OP “
Jedes Krankenhaus hat seine eigenen Gesetze, und hinter seinen Kulissen geht es nicht selten zum Fürchten zu. Dies erfährt auch ein junger, idealistischer und schon bald hoffnungslos überforderter Arzt, als er seine erste Stelle antritt. Völlig unvorbereitet sieht er sich in einen Alltag voller Zynismus geworfen, voll schwarzen Humors und widersprüchlicher Gefühle, die zwischen ärztlichen Allmachtsphantasien und permanenten Versagensängsten schwanken. Gleichwohl nimmt ihn dieses Universum schnell gefangen, und nach einiger Zeit scheint es für den jungen Arzt kein Privatleben mehr zu geben. In der Schattenwelt des Krankenhauses beobachtet er tragische Fehler, zerbricht fast am Tod eines Patienten, den er zu verantworten hat, und wagt es schließlich, gegen die Regeln der verschworenen Gemeinschaft der Ärzte aufzubegehren: Er beschließt, Pfusch und Schlamperei anzuprangern, die Pflichtverletzungen seiner Kollegen nicht länger zu decken und für seine eigenen Fehler einzustehen. Selbst wenn seine bitteren Anklagen das Ende seiner Karriere bedeuten könnten.
Klappentext zu „OP “
Jedes Krankenhaus hat seine eigenen Gesetze, und hinter seinen Kulissen geht es nicht selten zum Fürchten zu. Dies erfährt auch ein junger, idealistischer und schon bald hoffnungslos überforderter Arzt, als er seine erste Stelle antritt. Völlig unvorbereitet sieht er sich in einen Alltag voller Zynismus geworfen, voll schwarzen Humors und widersprüchlicher Gefühle, die zwischen ärztlichen Allmachtsphantasien und permanenten Versagensängsten schwanken. Gleichwohl nimmt ihn dieses Universum schnell gefangen, und nach einiger Zeit scheint es für den jungen Arzt kein Privatleben mehr zu geben. In der Schattenwelt des Krankenhauses beobachtet er tragische Fehler, zerbricht fast am Tod eines Patienten, den er zu verantworten hat, und wagt es schließlich, gegen die Regeln der verschworenen Gemeinschaft der Ärzte aufzubegehren: Er beschließt, Pfusch und Schlamperei anzuprangern, die Pflichtverletzungen seiner Kollegen nicht länger zu decken und für seine eigenen Fehler einzustehen. Selbst wenn seine bitteren Anklagen das Ende seiner Karriere bedeuten könnten...
Lese-Probe zu „OP “
HineinAm 1. August nehme ich Abschied von der Außenwelt, verlasse die Umgehungsstraße und fahre unter dem Metallbogen des Krankenhaustors hindurch. Vor mir meißeln Türme aus Beton und Glas rechtwinklige Blöcke aus dem wolkenlosen blauen Himmel, unter denen mich eine Stadt innerhalb einer Stadt verschlingt, eine Stadt, die ihre eigenen Tempolimits, ihre eigene Sprache und sogar ihr eigenes Wetter hat.
Als ich das Gebäude betrete, gleitet mein Spiegelbild über Glasflächen. Fenster umrahmen blaue Himmelsquadrate, das Klicken meiner Absätze auf dem harten glatten Fußboden hallt von den Korridorwänden wider. Die Luft wird trocken und steril, in den Tiefen des Krankenhauses herrschen konstante 21 Grad. Das Licht der Sonne verblasst und wird von summenden Neonröhren ersetzt.
Eine Tafel an einer hohen weißen Wand weist den Weg zu Stationen und Abteilungen. Jede einzelne ist mit einer Farbe markiert, und Linien in den entsprechenden Farben sind in den Boden eingelassen und geben die Richtung an.
Ich stehe unter der Tafel und mache einen hilflosen Eindruck, und genau das bin ich auch. Ich ziehe mir den weißen Kittel über, denselben, den ich beim Abschlussexamen getragen habe, jetzt aber mit einem Anstecker, auf dem "Dr." vor meinem Namen steht, und bekleidet mit diesem weißen Kittel, der steif wie eine Rüstung ist, stürze ich mich noch tiefer in das Krankenhaus.
Zwei Leute fragen mich, wo die Apotheke ist. Ich glaube, das auf der Tafel gesehen zu haben, kann mich aber nicht erinnern und schüttle errötend den Kopf. "Das ist mein erster Tag hier", sage ich.
Sie lachen. Ein ängstliches Lachen. Ein Arzt, der sich nicht einmal im eigenen Krankenhaus auskennt, weiß vielleicht auch manches andere nicht.
Vor mir erstreckt sich ein gerader weißer Korridor bis zu einer Schwingtür, durch deren Glas ich einen weiteren geraden weißen Korridor sehe, der sich bis zu einer weiteren Schwingtür erstreckt. Hinter dem Glas dieser zweiten Tür kann ich einen dritten geraden
... mehr
weißen Korridor erkennen, und zusammengenommen sind alle diese Korridore und Türen eine zunehmend kleiner werdende Reihe von Pfeilen, die mich immer tiefer ins Innere weisen. Ich fühle mich wie im freien Fall.
Ich falle durch Schichten von Mauern, Beton und Glas. Außenstehenden wird es in den wetterlosen Gewölben der Korridore und Treppenhäuser schwindlig. Hierher kommen nur Kranke, ihre Angehörigen und die Menschen, die sich um sie kümmern. Von der Umgehungsstraße bis hierher war es nur eine Dreiviertelmeile. Nun bin ich im Innern.
Auf meiner Station treffe ich den Assistenzarzt. Rich ist ein Mischling mit hellbrauner Haut und hellen Augen, ein großer Mann mit breiten Schultern und kurz geschorenem Haar. "Um zehn ist ein Einführungsseminar für neue AiP(1)", sagt er und drückt mir eine Liste in die Hand: meine heutigen Arbeiten.
Es spricht sich schnell herum, dass der neue AiP gekommen ist. Die Schwestern legen mir ganze Packen Patientenkarten hin, jeweils ein Gewirr von Kästchen, die ich auszufüllen habe. Ich brauche zehn Minuten, um herauszufinden, wie ich einem Patienten Paracetamol zu verschreiben habe. Auch dann noch muss ich das von Rich kontrollieren lassen. Später erzählt mir eine Schwester, sie könne Rich nirgendwo finden, aber sie brauche jemanden, der sich einen EKG-Monitor ansehe. Ich stehe am Fußende eines Betts, in dem ein korpulenter Mann liegt, der nach Schweiß und Hautcreme riecht. Rätselhafte Linien schweben über den schwarzen Bildschirm des Monitors. Während ich sie mir irgendwie zu deuten versuche, übertrifft meine Pulsfrequenz die des Patienten.
Ich drehe mich zu der Schwester herum. Als ich den Mund aufmache, um ihr zu gestehen, dass ich mir Sorgen mache und wir lieber einen erfahreneren Arzt holen sollten, sagt sie: "Ach, schon gut. Jetzt hat es aufgehört." Sie tätschelt mir den Arm. "Danke", sagt sie und verschwindet. Ich starre den Monitor an, aber für mich sieht er immer noch genauso aus wie vorher. Ich lächle betreten, dann lasse ich den übel riechenden Dicken liegen und wende mich wieder meiner Liste zu.
Um zehn vor zehn geht endlich die an meinen Körper geschnallte Zeitbombe hoch. Ich erbebe. Es könnte alles Mögliche sein, wirklich alles Mögliche, weswegen man mich ruft. Ich lese die vier roten Ziffern auf der LED meines Piepers und drücke mit dem Daumen auf einen Knopf, um das Piepen abzustellen, doch offenbar war es der falsche Knopf, das Piepen hört nämlich nicht auf. Ich probiere sämtliche Knöpfe aus, aber es piept immer weiter. Schließlich gebe ich auf und wähle am Telefon in der Schwesternstation die vier Zahlen, während mein Pieper unablässig seine Signaltöne von sich gibt und die Leute mich mit Blicken auffordern, das Ding abzustellen, und ich so tue, als käme das gar nicht von mir - nein, das Geräusch muss von anderswo kommen.
Am Telefon erklärt mir eine Ambulanzschwester, sie hätten da einen Patienten, den ich mir einmal ansehen sollte. Ich finde Rich und teile ihm die einzige Tatsache mit, von der ich sicher weiß, dass sie stimmt. "Aber wir haben heute doch keine Bereitschaft", sage ich.
Rich greift in meinen weißen Kittel und drückt den richtigen Knopf, worauf der Pieper endlich stumm wird. "Wenn es ein alter Patient von uns ist, sind wir zuständig, und nicht die Diensthabenden", sagt er, "dann müssen wir ihn aufnehmen." Achselzuckend fügt er hinzu: "So sind hier die Regeln." Seine Schultern heben sich bei dieser Geste wie Berge, und schon wendet er sich zum Gehen. "Aber ich soll doch zu diesem Einführungsseminar."
"Ich habe in der Ambulanz zu tun. Tut mir Leid."
Ohne den Weg zur Notaufnahme zu wissen, tappe ich in meinem steifen, chemisch gereinigten weißen Kittel mit dem Doktor-Schildchen durch ein Gebäude voller Patienten und Krankheiten, und auf halbem Weg dorthin oder auch nicht wird mir klar, dass ich auch den Rückweg nicht weiß. Endlich und nach vielen Umwegen bin ich da. Eine Schwester lacht mich aus, weil ich gerannt bin. "Entschuldigung", sagt sie, kichert aber hinter vorgehaltener Hand weiter.
Mit dickem Filzstift sind auf dem schwarzen Brett der Notaufnahme die Dienst habenden Ärzte verzeichnet und dazu jeweils Name und Piepernummer des Bereitschaftsarztes für die einzelnen Fachgebiete. Die Notärzte untersuchen die Patienten und entscheiden, wohin sie weitergeleitet werden. Der Arzt, dem sie zugewiesen werden, ist immer der jüngste des Dienst habenden Teams, in der Regel ein AiP wie ich. Niemand, der hier Patienten empfängt, hat mehr als ein, zwei Jahre Erfahrung.
Durch Lücken in den Vorhängen spähe ich in die Kabinen und sehe dort nur alte Leute mit Gesichtern wie Totenschädeln. Zu ihren Körpern sind Warzen und Leberflecke und Tumore addiert; subtrahiert sind Gliedmaßen, Zähne und Augen.
Eine der Kabinen ist leer; die Vorhänge zu beiden Seiten, zur Notaufnahme und zum Wartebereich, sind aufgehakt. Als ich daran vorbeigleite, scheint mir für eine Sekunde ein Blick in die Außenwelt vergönnt zu sein. Zivilisten warten plaudernd auf Sitzbänken, einige stehen vor den Getränkeautomaten herum. Ich sehe weder Schwesterntrachten noch weiße Kittel.
Mein Patient liegt in der nächsten Kabine. Ich lasse den Vorhang auf meiner Seite einen Spalt weit offen, greife aber hinüber und schließe den zum Wartebereich hin. Ich ziehe eine Grenze zwischen uns und der Außenwelt. Jetzt ist der Patient in dieser hier angelangt.
Er ist jung, erst zweiundzwanzig. Er hat sich bei seiner Mutter beklagt, er sei mit schrecklichen Kopfschmerzen aufgewacht; jetzt ist er vor Fieber fast bewusstlos. Der junge Kopfschmerz liegt auf einem Rollbett auf der Seite, über seinen Kopf ist eine Decke gezogen. Zum ersten Mal bin ich Zeuge einer akuten Erkrankung. Als Studenten wurden wir in Gruppen zu Patienten geführt, die aufrecht im Bett saßen und die Zeitung weglegten oder ihre Teetasse abstellten, um sich von uns beklopfen und abtasten zu lassen. "Ist das Licht Ihnen unangenehm?", frage ich.
Er stöhnt. "Ja", antwortet seine Mutter für ihn. "Hat er sich übergeben oder das Bewusstsein verloren?"
"Er hat sich einmal übergeben, aber nur ein bisschen."
Der junge Kopfschmerz stöhnt wieder und wälzt sich herum. Ich lege ihm eine Hand um die Schädelbasis und versuche, seinen Hals noch vorn zu drücken, um das Kinn an die Brust zu senken. Er sträubt sich stöhnend. Ich ziehe ihm die Knie an die Brust und versuche, die Beine zu strecken. Wieder sträubt er sich stöhnend.
Mir kommt der Gedanke: Das ist Meningitis. Aber sie ist nicht groß genug, diese Erfahrung mit einer wirklichen Erkrankung, einer, die das Zeug hat, einen echten Tod herbeizuführen. Da das Medizinstudium sich die Mühe erspart hat, musste das Fernsehen meine Ausbildung übernehmen, dennoch fehlt mir die Ikonographie des Notfalls. Zaudernd stehe ich einige Sekunden lang in dieser konfusen Umgebung, in der niemand
Befehle knurrt und kein hektisches Geschiebe von Bahren herrscht. Dann lasse ich den Blick langsam durch die anderen Kabinen gleiten. Die Bilder setzen sich in meinem Kopf zusammen, und ich sehe eine blutende Wunde, die zu stillen es niemand eilig hat, eine Schwangere, die sich würgend auf einer Bahre krümmt und von niemandem versorgt wird, eine alte Frau, deren Schreie niemand zu ergründen sucht. Das hier ist nicht Fernsehen. Das hier ist nicht die Außenwelt. Das hier ist irgendwo anders.
Ich verziehe mich in den Lagerraum und blättere hastig in den Seiten des Oxford Handbook of Clinical Medicine(2). Als Erstes muss ich Blut abnehmen. Aus den Schachteln in den Regalen raffe ich Nadel, Spritze und Steret(3) zusammen und greife dann in die Kitteltasche, um mich zu vergewissern, dass ich eine Staubinde dabeihabe. Mit den Fingern stoße ich aber nur auf einen Briefumschlag, den ich auch gleich herausziehe und aufreiße. Drinnen steckt eine Glückwunschkarte mit einem kurzen Text von Rebecca, meiner Freundin. Ich lese ihre Botschaft und lächle in mich hinein.
Der junge Kopfschmerz mag ja ruhig sein, ich aber zittere, als ich ihm die Staubinde um den Oberarm lege und auf seine Venen klopfe, bis sie hervortreten. Wie lange wird es noch dauern, bis diese Intimität draußen ankommt; selbst mit Rebecca bin ich darauf zugekrochen wie auf eine im Wald vergrabene Leiche. Ich sehe die Sterblichkeit in seinem Gesicht, das Stumpfwerden seiner Augen und das Erblassen seiner Haut aus nächster Nähe, ehe ich ihm die glänzende Nadel in die Vene steche. Als ich den Kolben zurückziehe, füllt sich die Spritze jedoch nicht. Ich drehe die Nadel etwas herum, worauf er zusammenzuckt. "Entschuldigung", sage ich, es kommt allerdings immer noch kein Blut.
Ich erinnere mich an mein Studium, an vier Versuche, Blut abzunehmen, alle unbeaufsichtigt: ich ganz allein aufs Probieren angewiesen. Heute, an meinem ersten Tag als Arzt nach fünf Jahren Ausbildung, mache ich Versuch Nummer fünf.
Beim nächsten Mal komme ich mit der Nadel durch die Haut und in die Vene hinein. Ich ziehe den Kolben, um ein Vakuum zu erzeugen, und das Blut sprudelt in die Spritze; das Blut ist gleichzeitig rot vom Sonnenlicht im Fenster hinter mir und schwarz von der Neonröhre über mir. Ich sehe auf das rote Meer, das sich von seinem größeren Teil abtrennt, und blicke lächelnd zu der Mutter des Patienten auf. Dann ziehe ich die Nadel heraus, vergesse aber, vorher die Staubinde zu lösen, weshalb ihm jetzt das Blut den Arm hinunterläuft. Während ich es mit dem Tupfer abwische, ist mein Gesicht genauso rot.
Ich trage die blutgefüllte Spritze weg und suche nach den Röhrchen, die dafür bestimmt sind. Da ich sie nicht finde, muss ich eine Schwester fragen, und als ich die Dinger dann gefunden habe, weiß ich nicht, welche der farbig gekennzeichneten Röhrchen für die verschiedenen Proben vorgesehen sind, und muss noch einmal zu der Schwester laufen, und als ich endlich die richtigen Röhrchen habe, denke ich, dass das Blut inzwischen geronnen sein muss.
In Panik, dass ich womöglich noch einmal zu dem Patienten gehen und ihm Blut abnehmen muss, drücke ich immer fester auf den Kolben, bis der Blutpfropfen in der Spritze nachgibt. Blut schießt heraus, aber es geht mir nur wenig verloren. Ich verteile es tropfenweise in die unterschiedlich gefärbten Röhrchen. Die beschrifte ich anschließend, dann fülle ich Formulare aus und lege sie in einen Korb, in dem sie abgeholt werden sollen.
Dann gehe ich, diesmal nicht im Laufschritt, zum Telefon und piepe Rich an. Ich lege auf, starre den Hörer an, bis es klingelt, und sage dann: "Ich glaube, wir haben hier eine Meningitis." "Aha", sagt er. "Kannst du eine LP(4) machen?"
"Nein." "Ich bin noch in der Ambulanz."
Er legt eine Pause ein. Mein Mund wird trocken. Ein Krampf würgt mir die Kehle. Meine Finger tauchen in die Kitteltasche. Im Oxford Handbook wird auf einer einzelnen Seite die Durchführung einer Lumbalpunktion beschrieben, was sich wie die Gebrauchsanleitung für einen Videorekorder oder Hinweise zum Aufbau eines Bücherregals liest. Aber Rich seufzt bloß und sagt: "Scheiße. Gib ihm Ben-Pen(5), und zwar dalli. Und mach schon mal eine i.v.I.(6) Ich komme dann irgendwann."
Ich hänge über dem jungen Kopfschmerz und schicke mich an, ihm eine Kanüle(7) zu setzen. Feste elastische Haut umspannt einen Körper, der nicht im Verfall begriffen ist wie all die anderen in den anderen Kabinen. Sein Fleisch ist so lebendig wie meines.
Und wieder geht der erste Versuch daneben. Die Vene reißt, unter der Haut schwillt eine blauschwarze Blase an. "Entschuldigung", sage ich. Die Mutter hält die Hand ihres Sohnes ganz fest.
Ich versuche es noch einmal mit einer anderen Vene. Auch sie reißt.
Ich schiebe ihm die Staubinde noch tiefer am Arm hinunter. Allmählich gehen mir die Venen aus. Es handelt sich hier um eine Grundtechnik, die ich eigentlich während der Arbeit lernen soll, aber jetzt bin ich hier ganz auf mich allein gestellt, und das nach fünf Jahren Medizinstudium, in denen ich nur einmal eine Kanüle gesetzt habe und dies auch nur, weil der ausbildende Arzt es mich versuchen ließ, da der Fall nicht dringend war und es keine Rolle spielte, sollte ich einen Fehler machen.
Ich finde eine Vene auf dem Handrücken des jungen Mannes. Annähernd dreißig Sekunden lang klopfe ich mit den Fingerspitzen darauf herum, bis die Haut rosa anläuft und die Vene wie ein blaues Kabel hervorgetreten ist. Zitternd steche ich mit der Nadel zu und entferne sie gleich darauf, immer noch zitternd, wieder. Diesmal sehe ich, als die Nadel herauskommt, wie Blut in die Kanüle zurückfließt. Ich drücke gegen das Plastikröhrchen, und es gleitet tiefer in die Vene hinein.
Niemand wendet sich hier um und nimmt meinen Triumph zur Kenntnis, und doch glänzt er in den Blutphiolen im Sammelkorb und auf der grünen Plastikkappe der Kanüle, die dem jungen Kopfschmerz im Arm steckt.
Ich injiziere ihm 2,4 Gramm Benzylpenicillin. Das Medikament strömt im Blut des jungen Mannes zu den erkrankten Bindegeweben seines Gehirns. Aber das Herz springt mir dabei in der Brust umher. Das Medikament weiß ja nicht, dass ich alle Examen bestanden habe.
Rich organisiert am Telefon eine Computertomographie, um andere Zustände als Meningitis auszuschließen. In einem weißen Raum, in dem es kühl und still ist, helfe ich dem Röntgenassistenten, den jungen Kopfschmerz bis vor den Eingang der Metalltrommel zu schieben. Wir ziehen uns in den Kontrollraum zurück und beobachten hinter dickem Panzerglas, wie der Kopf zentimeterweise durch eine unsichtbare Guillotine von Röntgenstrahlen bewegt wird.
Während ich darauf warte, dass der Film entwickelt wird, höre ich den jungen Kopfschmerz ab und zu stöhnen. Bei jedem Geräusch hoffe ich, dass nicht irgendetwas Katastrophales mit ihm geschieht - bitte, nicht hier im Scanner, wo der Röntgenassistent von mir, dem Doktor, erwartet, dass ich Leben rette. Das Stöhnen macht mir Sorgen, aber schon bald macht mir das Schweigen dazwischen noch viel größere Sorgen.
Rich kommt mit rotem Kopf und außer Atem angelaufen, der Schlips hängt ihm lose vom Kragen. "Wie geht's ihm?", sagt er. Ich schüttele den Kopf und grinse unbeholfen. Ich muss mir ein neues Vokabular zulegen.
Die Galerie der Bilder erscheint auf einem übergroßen Dia. Die Tomographie hat das Gehirn des jungen Mannes in Scheiben geschnitten wie der Metzger einen Schinken. Rich wirft das Dia auf einen Leuchtkasten, betrachtet es höchstens ein paar Sekunden lang, nickt und sagt: "Also los."
(1) AiP: Arzt im Praktikum
(2) Oxford Handbook of Clinical Medicine: ein Handbuch, das von nahezu allen Krankenhausärzten benutzt wird (OHCM)
(3) Steret: antiseptischer Tupfer (Handelsname)
(4) LP: Lumbalpunktion
(5) Ben-Pen: Benzylpenicillin
(6) i.v.I.: intravenöse Infusion
(7) Kanüle: eine "Venenverweilkanüle", die z.B. bei Infusionen fest in der Vene bleibt
Copyright © in der Verlagsgruppe Random House
Ich falle durch Schichten von Mauern, Beton und Glas. Außenstehenden wird es in den wetterlosen Gewölben der Korridore und Treppenhäuser schwindlig. Hierher kommen nur Kranke, ihre Angehörigen und die Menschen, die sich um sie kümmern. Von der Umgehungsstraße bis hierher war es nur eine Dreiviertelmeile. Nun bin ich im Innern.
Auf meiner Station treffe ich den Assistenzarzt. Rich ist ein Mischling mit hellbrauner Haut und hellen Augen, ein großer Mann mit breiten Schultern und kurz geschorenem Haar. "Um zehn ist ein Einführungsseminar für neue AiP(1)", sagt er und drückt mir eine Liste in die Hand: meine heutigen Arbeiten.
Es spricht sich schnell herum, dass der neue AiP gekommen ist. Die Schwestern legen mir ganze Packen Patientenkarten hin, jeweils ein Gewirr von Kästchen, die ich auszufüllen habe. Ich brauche zehn Minuten, um herauszufinden, wie ich einem Patienten Paracetamol zu verschreiben habe. Auch dann noch muss ich das von Rich kontrollieren lassen. Später erzählt mir eine Schwester, sie könne Rich nirgendwo finden, aber sie brauche jemanden, der sich einen EKG-Monitor ansehe. Ich stehe am Fußende eines Betts, in dem ein korpulenter Mann liegt, der nach Schweiß und Hautcreme riecht. Rätselhafte Linien schweben über den schwarzen Bildschirm des Monitors. Während ich sie mir irgendwie zu deuten versuche, übertrifft meine Pulsfrequenz die des Patienten.
Ich drehe mich zu der Schwester herum. Als ich den Mund aufmache, um ihr zu gestehen, dass ich mir Sorgen mache und wir lieber einen erfahreneren Arzt holen sollten, sagt sie: "Ach, schon gut. Jetzt hat es aufgehört." Sie tätschelt mir den Arm. "Danke", sagt sie und verschwindet. Ich starre den Monitor an, aber für mich sieht er immer noch genauso aus wie vorher. Ich lächle betreten, dann lasse ich den übel riechenden Dicken liegen und wende mich wieder meiner Liste zu.
Um zehn vor zehn geht endlich die an meinen Körper geschnallte Zeitbombe hoch. Ich erbebe. Es könnte alles Mögliche sein, wirklich alles Mögliche, weswegen man mich ruft. Ich lese die vier roten Ziffern auf der LED meines Piepers und drücke mit dem Daumen auf einen Knopf, um das Piepen abzustellen, doch offenbar war es der falsche Knopf, das Piepen hört nämlich nicht auf. Ich probiere sämtliche Knöpfe aus, aber es piept immer weiter. Schließlich gebe ich auf und wähle am Telefon in der Schwesternstation die vier Zahlen, während mein Pieper unablässig seine Signaltöne von sich gibt und die Leute mich mit Blicken auffordern, das Ding abzustellen, und ich so tue, als käme das gar nicht von mir - nein, das Geräusch muss von anderswo kommen.
Am Telefon erklärt mir eine Ambulanzschwester, sie hätten da einen Patienten, den ich mir einmal ansehen sollte. Ich finde Rich und teile ihm die einzige Tatsache mit, von der ich sicher weiß, dass sie stimmt. "Aber wir haben heute doch keine Bereitschaft", sage ich.
Rich greift in meinen weißen Kittel und drückt den richtigen Knopf, worauf der Pieper endlich stumm wird. "Wenn es ein alter Patient von uns ist, sind wir zuständig, und nicht die Diensthabenden", sagt er, "dann müssen wir ihn aufnehmen." Achselzuckend fügt er hinzu: "So sind hier die Regeln." Seine Schultern heben sich bei dieser Geste wie Berge, und schon wendet er sich zum Gehen. "Aber ich soll doch zu diesem Einführungsseminar."
"Ich habe in der Ambulanz zu tun. Tut mir Leid."
Ohne den Weg zur Notaufnahme zu wissen, tappe ich in meinem steifen, chemisch gereinigten weißen Kittel mit dem Doktor-Schildchen durch ein Gebäude voller Patienten und Krankheiten, und auf halbem Weg dorthin oder auch nicht wird mir klar, dass ich auch den Rückweg nicht weiß. Endlich und nach vielen Umwegen bin ich da. Eine Schwester lacht mich aus, weil ich gerannt bin. "Entschuldigung", sagt sie, kichert aber hinter vorgehaltener Hand weiter.
Mit dickem Filzstift sind auf dem schwarzen Brett der Notaufnahme die Dienst habenden Ärzte verzeichnet und dazu jeweils Name und Piepernummer des Bereitschaftsarztes für die einzelnen Fachgebiete. Die Notärzte untersuchen die Patienten und entscheiden, wohin sie weitergeleitet werden. Der Arzt, dem sie zugewiesen werden, ist immer der jüngste des Dienst habenden Teams, in der Regel ein AiP wie ich. Niemand, der hier Patienten empfängt, hat mehr als ein, zwei Jahre Erfahrung.
Durch Lücken in den Vorhängen spähe ich in die Kabinen und sehe dort nur alte Leute mit Gesichtern wie Totenschädeln. Zu ihren Körpern sind Warzen und Leberflecke und Tumore addiert; subtrahiert sind Gliedmaßen, Zähne und Augen.
Eine der Kabinen ist leer; die Vorhänge zu beiden Seiten, zur Notaufnahme und zum Wartebereich, sind aufgehakt. Als ich daran vorbeigleite, scheint mir für eine Sekunde ein Blick in die Außenwelt vergönnt zu sein. Zivilisten warten plaudernd auf Sitzbänken, einige stehen vor den Getränkeautomaten herum. Ich sehe weder Schwesterntrachten noch weiße Kittel.
Mein Patient liegt in der nächsten Kabine. Ich lasse den Vorhang auf meiner Seite einen Spalt weit offen, greife aber hinüber und schließe den zum Wartebereich hin. Ich ziehe eine Grenze zwischen uns und der Außenwelt. Jetzt ist der Patient in dieser hier angelangt.
Er ist jung, erst zweiundzwanzig. Er hat sich bei seiner Mutter beklagt, er sei mit schrecklichen Kopfschmerzen aufgewacht; jetzt ist er vor Fieber fast bewusstlos. Der junge Kopfschmerz liegt auf einem Rollbett auf der Seite, über seinen Kopf ist eine Decke gezogen. Zum ersten Mal bin ich Zeuge einer akuten Erkrankung. Als Studenten wurden wir in Gruppen zu Patienten geführt, die aufrecht im Bett saßen und die Zeitung weglegten oder ihre Teetasse abstellten, um sich von uns beklopfen und abtasten zu lassen. "Ist das Licht Ihnen unangenehm?", frage ich.
Er stöhnt. "Ja", antwortet seine Mutter für ihn. "Hat er sich übergeben oder das Bewusstsein verloren?"
"Er hat sich einmal übergeben, aber nur ein bisschen."
Der junge Kopfschmerz stöhnt wieder und wälzt sich herum. Ich lege ihm eine Hand um die Schädelbasis und versuche, seinen Hals noch vorn zu drücken, um das Kinn an die Brust zu senken. Er sträubt sich stöhnend. Ich ziehe ihm die Knie an die Brust und versuche, die Beine zu strecken. Wieder sträubt er sich stöhnend.
Mir kommt der Gedanke: Das ist Meningitis. Aber sie ist nicht groß genug, diese Erfahrung mit einer wirklichen Erkrankung, einer, die das Zeug hat, einen echten Tod herbeizuführen. Da das Medizinstudium sich die Mühe erspart hat, musste das Fernsehen meine Ausbildung übernehmen, dennoch fehlt mir die Ikonographie des Notfalls. Zaudernd stehe ich einige Sekunden lang in dieser konfusen Umgebung, in der niemand
Befehle knurrt und kein hektisches Geschiebe von Bahren herrscht. Dann lasse ich den Blick langsam durch die anderen Kabinen gleiten. Die Bilder setzen sich in meinem Kopf zusammen, und ich sehe eine blutende Wunde, die zu stillen es niemand eilig hat, eine Schwangere, die sich würgend auf einer Bahre krümmt und von niemandem versorgt wird, eine alte Frau, deren Schreie niemand zu ergründen sucht. Das hier ist nicht Fernsehen. Das hier ist nicht die Außenwelt. Das hier ist irgendwo anders.
Ich verziehe mich in den Lagerraum und blättere hastig in den Seiten des Oxford Handbook of Clinical Medicine(2). Als Erstes muss ich Blut abnehmen. Aus den Schachteln in den Regalen raffe ich Nadel, Spritze und Steret(3) zusammen und greife dann in die Kitteltasche, um mich zu vergewissern, dass ich eine Staubinde dabeihabe. Mit den Fingern stoße ich aber nur auf einen Briefumschlag, den ich auch gleich herausziehe und aufreiße. Drinnen steckt eine Glückwunschkarte mit einem kurzen Text von Rebecca, meiner Freundin. Ich lese ihre Botschaft und lächle in mich hinein.
Der junge Kopfschmerz mag ja ruhig sein, ich aber zittere, als ich ihm die Staubinde um den Oberarm lege und auf seine Venen klopfe, bis sie hervortreten. Wie lange wird es noch dauern, bis diese Intimität draußen ankommt; selbst mit Rebecca bin ich darauf zugekrochen wie auf eine im Wald vergrabene Leiche. Ich sehe die Sterblichkeit in seinem Gesicht, das Stumpfwerden seiner Augen und das Erblassen seiner Haut aus nächster Nähe, ehe ich ihm die glänzende Nadel in die Vene steche. Als ich den Kolben zurückziehe, füllt sich die Spritze jedoch nicht. Ich drehe die Nadel etwas herum, worauf er zusammenzuckt. "Entschuldigung", sage ich, es kommt allerdings immer noch kein Blut.
Ich erinnere mich an mein Studium, an vier Versuche, Blut abzunehmen, alle unbeaufsichtigt: ich ganz allein aufs Probieren angewiesen. Heute, an meinem ersten Tag als Arzt nach fünf Jahren Ausbildung, mache ich Versuch Nummer fünf.
Beim nächsten Mal komme ich mit der Nadel durch die Haut und in die Vene hinein. Ich ziehe den Kolben, um ein Vakuum zu erzeugen, und das Blut sprudelt in die Spritze; das Blut ist gleichzeitig rot vom Sonnenlicht im Fenster hinter mir und schwarz von der Neonröhre über mir. Ich sehe auf das rote Meer, das sich von seinem größeren Teil abtrennt, und blicke lächelnd zu der Mutter des Patienten auf. Dann ziehe ich die Nadel heraus, vergesse aber, vorher die Staubinde zu lösen, weshalb ihm jetzt das Blut den Arm hinunterläuft. Während ich es mit dem Tupfer abwische, ist mein Gesicht genauso rot.
Ich trage die blutgefüllte Spritze weg und suche nach den Röhrchen, die dafür bestimmt sind. Da ich sie nicht finde, muss ich eine Schwester fragen, und als ich die Dinger dann gefunden habe, weiß ich nicht, welche der farbig gekennzeichneten Röhrchen für die verschiedenen Proben vorgesehen sind, und muss noch einmal zu der Schwester laufen, und als ich endlich die richtigen Röhrchen habe, denke ich, dass das Blut inzwischen geronnen sein muss.
In Panik, dass ich womöglich noch einmal zu dem Patienten gehen und ihm Blut abnehmen muss, drücke ich immer fester auf den Kolben, bis der Blutpfropfen in der Spritze nachgibt. Blut schießt heraus, aber es geht mir nur wenig verloren. Ich verteile es tropfenweise in die unterschiedlich gefärbten Röhrchen. Die beschrifte ich anschließend, dann fülle ich Formulare aus und lege sie in einen Korb, in dem sie abgeholt werden sollen.
Dann gehe ich, diesmal nicht im Laufschritt, zum Telefon und piepe Rich an. Ich lege auf, starre den Hörer an, bis es klingelt, und sage dann: "Ich glaube, wir haben hier eine Meningitis." "Aha", sagt er. "Kannst du eine LP(4) machen?"
"Nein." "Ich bin noch in der Ambulanz."
Er legt eine Pause ein. Mein Mund wird trocken. Ein Krampf würgt mir die Kehle. Meine Finger tauchen in die Kitteltasche. Im Oxford Handbook wird auf einer einzelnen Seite die Durchführung einer Lumbalpunktion beschrieben, was sich wie die Gebrauchsanleitung für einen Videorekorder oder Hinweise zum Aufbau eines Bücherregals liest. Aber Rich seufzt bloß und sagt: "Scheiße. Gib ihm Ben-Pen(5), und zwar dalli. Und mach schon mal eine i.v.I.(6) Ich komme dann irgendwann."
Ich hänge über dem jungen Kopfschmerz und schicke mich an, ihm eine Kanüle(7) zu setzen. Feste elastische Haut umspannt einen Körper, der nicht im Verfall begriffen ist wie all die anderen in den anderen Kabinen. Sein Fleisch ist so lebendig wie meines.
Und wieder geht der erste Versuch daneben. Die Vene reißt, unter der Haut schwillt eine blauschwarze Blase an. "Entschuldigung", sage ich. Die Mutter hält die Hand ihres Sohnes ganz fest.
Ich versuche es noch einmal mit einer anderen Vene. Auch sie reißt.
Ich schiebe ihm die Staubinde noch tiefer am Arm hinunter. Allmählich gehen mir die Venen aus. Es handelt sich hier um eine Grundtechnik, die ich eigentlich während der Arbeit lernen soll, aber jetzt bin ich hier ganz auf mich allein gestellt, und das nach fünf Jahren Medizinstudium, in denen ich nur einmal eine Kanüle gesetzt habe und dies auch nur, weil der ausbildende Arzt es mich versuchen ließ, da der Fall nicht dringend war und es keine Rolle spielte, sollte ich einen Fehler machen.
Ich finde eine Vene auf dem Handrücken des jungen Mannes. Annähernd dreißig Sekunden lang klopfe ich mit den Fingerspitzen darauf herum, bis die Haut rosa anläuft und die Vene wie ein blaues Kabel hervorgetreten ist. Zitternd steche ich mit der Nadel zu und entferne sie gleich darauf, immer noch zitternd, wieder. Diesmal sehe ich, als die Nadel herauskommt, wie Blut in die Kanüle zurückfließt. Ich drücke gegen das Plastikröhrchen, und es gleitet tiefer in die Vene hinein.
Niemand wendet sich hier um und nimmt meinen Triumph zur Kenntnis, und doch glänzt er in den Blutphiolen im Sammelkorb und auf der grünen Plastikkappe der Kanüle, die dem jungen Kopfschmerz im Arm steckt.
Ich injiziere ihm 2,4 Gramm Benzylpenicillin. Das Medikament strömt im Blut des jungen Mannes zu den erkrankten Bindegeweben seines Gehirns. Aber das Herz springt mir dabei in der Brust umher. Das Medikament weiß ja nicht, dass ich alle Examen bestanden habe.
Rich organisiert am Telefon eine Computertomographie, um andere Zustände als Meningitis auszuschließen. In einem weißen Raum, in dem es kühl und still ist, helfe ich dem Röntgenassistenten, den jungen Kopfschmerz bis vor den Eingang der Metalltrommel zu schieben. Wir ziehen uns in den Kontrollraum zurück und beobachten hinter dickem Panzerglas, wie der Kopf zentimeterweise durch eine unsichtbare Guillotine von Röntgenstrahlen bewegt wird.
Während ich darauf warte, dass der Film entwickelt wird, höre ich den jungen Kopfschmerz ab und zu stöhnen. Bei jedem Geräusch hoffe ich, dass nicht irgendetwas Katastrophales mit ihm geschieht - bitte, nicht hier im Scanner, wo der Röntgenassistent von mir, dem Doktor, erwartet, dass ich Leben rette. Das Stöhnen macht mir Sorgen, aber schon bald macht mir das Schweigen dazwischen noch viel größere Sorgen.
Rich kommt mit rotem Kopf und außer Atem angelaufen, der Schlips hängt ihm lose vom Kragen. "Wie geht's ihm?", sagt er. Ich schüttele den Kopf und grinse unbeholfen. Ich muss mir ein neues Vokabular zulegen.
Die Galerie der Bilder erscheint auf einem übergroßen Dia. Die Tomographie hat das Gehirn des jungen Mannes in Scheiben geschnitten wie der Metzger einen Schinken. Rich wirft das Dia auf einen Leuchtkasten, betrachtet es höchstens ein paar Sekunden lang, nickt und sagt: "Also los."
(1) AiP: Arzt im Praktikum
(2) Oxford Handbook of Clinical Medicine: ein Handbuch, das von nahezu allen Krankenhausärzten benutzt wird (OHCM)
(3) Steret: antiseptischer Tupfer (Handelsname)
(4) LP: Lumbalpunktion
(5) Ben-Pen: Benzylpenicillin
(6) i.v.I.: intravenöse Infusion
(7) Kanüle: eine "Venenverweilkanüle", die z.B. bei Infusionen fest in der Vene bleibt
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Autoren-Porträt von Jed Mercurio
Jed Mercurio hat Medizin studiert und war als Arzt in einem Krankenhaus angestellt. Er arbeitet heute als Drehbuchautor und Schriftsteller in London.Werner Schmitz wurde 2011 mit dem "Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis" ausgezeichnet. Er wurde für seine Übersetzungen zeitgenössischer amerikanischer Literatur, insbesondere für seine Übertragung der Romane Paul Austers geehrt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jed Mercurio
- 2003, 381 Seiten, Maße: 14,7 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmitz, Werner
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442545455
- ISBN-13: 9783442545452
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